C. M. Wieland's Werke.
Dritter Band.
Zweites Buch.
Was, beim Anubis! konnte das Für eine Stellung seyn, in welcher Phanias Die beiden Weisen angetroffen? "Sie lagen doch — wir wollen Bess'res hoffen! — Nicht süßen Meines voll im Gras?" — Dieß nicht. —"So ritten sie vielleicht auf Steckenpferden?" Das könnte noch entschuldigt werden: Plutarchus rühmt sogar es an Agesilas. Doch von so fei'rlichen Gesichtern, als sie waren, Vermuthet sich nichts weniger als das. Ihr Zeitvertreib war in der That kein Spaß: Denn, kurz, sie hatten sich einander bei den Haaren. Der nervige Kleanth war im Begriff, ein Knie Dem Gegner auf die Brust zu setzen, Der, unter ihm gekrümmt, für die Philosophie, Die keine Bohnen ißt, die Haare ließ, als sie In ihrem skythischen Ergetzen Des Hausherrn Ankunft stört. Beschämt, als hätte ihn Sein Feind bei einer That, die keine fremde Leute Zu Zeugen nimmt, ertappt, zum Stehn wie zum Entfliehn Unschlüssig, wünscht er nur dem Gast' an seiner Seite |
Man sieht, sie gab dem wilden Stiergefechte Ein Colorit von Wohlanständigkeit (Nicht ohne Absicht zwar)—— Wer war dabei so freudig Als Phanias! — Allein der stoische Kleanth (Zu hitzig oder ungeschmeidig, Zu fühlen, daß es bloß in seiner Willkür stand, Das Compliment in vollem Ernst zu nehmen) |
So sprach sie; und mit Ohren und mit Augen Verschlingt das weise Paar, was diese Muse spricht: Begier'ger kann die welke Rose nicht Den Abendthau aus Zephyrs Lippen saugen. Zusehends schwellen sie von selbstbewußtem Werth: Nicht, daß ein fremdes Lob sie dessen erst belehrt; Nur hört man stets mit Wohlgefallen Aus Andrer Mund das Urtheil widerhallen, Womit uns innerlich die Eitelkeit beehrt. Ein Philosoph bleibt doch uns Andern allen Im Grunde gleich: wär' er so stoisch als ein Stein, Und hätte nichts die Ehr', ihm zu gefallen, Er selbst gefällt sich doch! Schmaucht ihn mit Weihrauch ein Und seyd gewiß, er wird erkenntlich seyn. Es stieg demnach von Grad zu Grade Der Schönen Gunst bei unserm Weisenpaar'; Ihr lachend Auge fand selbst vor der Stoa Gnade, Und man vergab es ihr, daß sie so reizend war. |
Ein kleiner Saal, der von des Hauswirths Schätzen |
Ob die Philosophie des guten Phanias, Der schönen Nymphe gegenüber, Bei einem solchen Schmaus so gar gemächlich saß, Läßt man dem Leser selbst zu untersuchen über. Ein wenig falsche Scham, von der er noch nicht ganz Sich los gemacht, schien ihn vor einem Zeugen Von seines vor'gen Wohlstands Glanz Ein wenig mehr als nöthig war zu beugen. Allein der Dame Witz, die freie Munterkeit, Die, was sie spricht und thut, mit Grazie bestreut, Und dann und wann ein Blick voll Zärtlichkeit, Den sie, als ob sie sich vergäß', erst auf ihn heftet, Dann seitwärts glitschen läßt, entkräftet Den Unmuth bald, der seine Stirne kräust; Stets schwächer widersteht sein Herz dem süßen Triebe, Und, eh' er sich's versieht, beweist Sein ganzes Wesen schon den stillen Sieg der Liebe. |
Indessen wird, so sichtbar als es war, Den beiden Weisen doch davon nichts offenbar, Ob sie die Schöne gleich mit großen Augen messen. |
Hier war es, wo die Lust Des Widerspruchs Theophron sich nicht länger |
Begeistert wie ein Korybant Und von Musarion die Augen unverwandt, Fing jezt Theophron an, in dichterischen Tönen, Vom ersten wesentlichen Schönen Zu schwärmen: "Wie das Alles, was wir sehn Und durch der Sinne Dienst mit unsrer Seele gatten, Von dem, was übersinnlich schön Und göttlich ist, nur wesenlose Schatten, Nur Bilder sind, wie wenn in stiller Flut, Von Büschen eingefaßt, sich Sommerwolken malen." Von da erhob er sich, bei immer warmerm Blut, |
Dann fuhr er fort und sprach "vom Tod der Sinnlichkeit, Und wie durch magische geheime Reinigungen Die Seele nach und nach vom Stoffe sich befreit, Und wie sie, durch Enthaltsamkeit Von Erdetöchtern und — von Bohnen, Zum Umgang tüchtig wird mit Göttern und Dämonen, Bis sie (dem Wurme gleich, der in die Sommerluft Auf neuen Flügeln sich erhebet) Dem Stoff sich ganz entreißt und ihres Körpers Gruft, Zur Göttin wird und unter Göttern lebet." |
Belustigt an dem hohen Schwung, Den unser Doctor nahm, stellt sich die schlaue Schöne, Als ob vor Hörenslust und vor Bewunderung Ihr Busen sich in seinen Fesseln dehne. Zum Unglück für den Mann, der lauter Wunder spricht, Entsteht dadurch (und sie bemerkt es nicht) Ich weiß nicht welche kleine Lücke, Die seinen Flug auf ein Mal unterbricht; Und, wie zuletzt die Richtung seiner Blicke Ihr sichtbar macht, was ihn zerstreut, Und sie beschäftigt scheint, den Zufall zu verbessern, |
Der Umstand ist an sich nur eine Kleinigkeit; Doch wird vielleicht die Folge zeigen, Daß er entscheidend war. Es folgt ein tiefes Schweigen, Wobei Kleanth sogar das volle Glas Und, was kaum glaublich ist, die Lust zum Zank vergaß, Indeß, vertieft in Sinus und Tangenten, Der Jünger des Pythagoras Den wallenden Contour gewisser Sphären maß, Woran die Lambert selbst sich übermessen könnten, Vor Amorn unbesorgt, der hier zu lauern pflegt Und schon den schärfsten Pfeil auf seinen Bogen legt. |
Mit lächelnder Verachtung sieht die Dame Das weise Paar mit seinem Flitterkrame Von falschen Tugenden und großen Wörtern an; Und, eh die Herren sich's versahn, Weiß sie mit guter Art den unbescheidnen Blicken, Was, ihres Gleichen zu entzücken, Die Charitinnen nicht mit eigner Hand So schön gedreht, auf ein Mal zu entrücken; Und Alles sinkt sogleich in seinen alten Stand. |
Draufsprach sie: In der That, man kann nichts Schönres hören; Als was Theophron uns von unsichtbarem Licht, Von Eins und Zwey, von musikal'schen Sphären, Vom Tod der Sinnlichkeit und von Vergöttrung spricht. Wie Schade, wär' es nur ein schönes Luftgesicht, Wornach er uns die Lippen wässern machte! |
Theophron, noch ganz warm von dem, was seinem Blick Entzogen war und voll von wollustreichen Bildern, Beginnt den Weg, den Prodikus so schmal Und rauh und dornig malt, so angenehm zu schildern, So lachend wie ein Rosenthal Zu Amathunt, dem Aufenthalt der Freuden. Ein Sybarit, der einen Weg aus beiden Zu wählen hätt', erwählte sonder Müh Den blumigen, den die Philosophie Theophrons ging, — durch zauberische Schatten, Wo Geist und Körper sich, bei ungewissem Licht', In schöne Ungeheuer gatten, Und Amor, nicht der kleine Bösewicht, Den Coppel malt, ein andrer von Ideen, Wie der zu Gnid von Grazien, umschwebt, Ein Amor, der vom Haupt bis zu den Zehen Voll Augen ist und nur vom Anschaun lebt, Der Seele Führer wird, sie in die Wolken hebt Und, wenn er sie zuvor — in einem kleinen Bade Von Flammen — wohl gereinigt und gefegt, Sie stufenweis durch die gestirnten Pfade Bis in den Schoß des höchsten Schönen trägt. |
Doch, eh zu so erhabner Liebe Die Seele leicht genug sich fühlt, Befreit Theophron sie vorher von jedem Triebe, Der thierisch im Morast des groben Stoffes wühlt. |
"Auch die Musik, so roh und mangelhaft Sie unterm Monde bleibt — denn, ihrer Zauberkraft Sich recht vollkommen zu belehren, Muß man, wie Scipio, die Sphären (Zum wenigsten im Traume) singen hören — Auch die Musik bezähmt die wilde Leidenschaft, Verfeinert das Gefühl und schwellt die Seelenflügel; Sie stillt den Kummer, heilt die Milzsucht aus dem Grund' Und wirkt (zumal aus einem schönen Mund) Mehr Wunderding' als Salomonis Siegel." |
Hier kann Kleanth nicht länger ruhn; Er muß, vom Wahrheitsdrang gezwungen, Der Schwärmerei des Mannes Einhalt thun: Denn Alles, was Theophron uns gesungen, War, seinem Urtheil nach, vollkommner Aberwitz. Schon richtet er auf seinem Polstersitz, Den rechten Arm entblößt, die Stirn' in stolzen Falten, Sich drohend auf und hat, noch eh' er spricht, |
Der Saal eröffnet sich, und eine Nymphe tritt Herein, das Haupt mit einem Korb beladen, Den Busen leicht verhüllt und gleich den Oreaden So hoch geschürzt, daß jeder schnelle Schritt Den schlanken Fuß bis an die feinsten Waden Und oft sogar ein Knie von Wachs entdeckt, Das eilend wieder sich im dünnen Flor versteckt. Nicht schöner malt die Heben und Auroren Alban, der, wie ihr wißt, so gerne Nymphen malt. Mit einem Wort, sie war so auserkoren, Daß unser Theosoph (beim ersten Blick verloren Im Widerschein, der ihm entgegen strahlt) Die Düfte nicht empfind't, die aus dem Korbe steigen, Und die Kleanth mit Mund und Nase in sich schlürft. Musarion, die sich den Ausgang schon entwirft, Winkt ihrem Freund ein pythagor'sches Schweigen, Indeß den Korb die schöne Sklavin leert Und mit sechs großen Nektarkrügen (Genug, von einem Faun den Weindurst zu besiegen), Mit Früchten und Confect den runden Tisch beschwert. |
Die Herren (spricht hierauf die Schöne) haben beide Mich wechselsweise, so wie jeder sprach, bekehrt: Wie sehr ich auch das Glück der Apathie beneide, So däucht mich doch die geist'ge Augenweide, Die uns Theophron zeigt, nicht minder wünschenswerth. |
Das leichte philosoph'sche Mahl Verwandelt nun (Dank sey der Oreade, Die Hebens Dienste thut, durch unbemerkte Grade Sich in ein kleines Bacchanal. Zwar läßt zum Lob des unsichtbaren Schönen Der bärtige Apoll das ganze Haus ertönen; Allein sein Blick, der nie von Chloens Busen weicht, Beweist, wie wenig, was er fühlet, Dem, was er singt, und einer Rolle gleicht, Die auch der künstlichere Komödiant so leicht Und ungezwungen nie, wie seine eigne, spielet. Die lose Sklavin hilft des Weisen Lüsternheit Durch listige Geschäftigkeit Mit jedem Augenblick lebhafter anzufachen; Stets ist sie um ihn her und macht sich tausend Sachen Mit ihm zu thun, in immer hellerm Glanz Die Reizungen ihm vorzuspiegeln, Die nur zu sehr die Seel' in ihm beflügeln, Die unterm Zwergfell thront. Ein großer Blumenkranz, Womit sie seine Stirne schmücket, Vollendet, was ihm fehlt, damit, wer ihn erblicket, |
Wie traurig, Phanias, siehst du die schönste Nacht, Dir ungenützt, bei diesem Spiel verstreichen! Er gähnt die Freundin kläglich an, Er winkt, er seufzt; umsonst, sie folget ihrem Plan' Und denkt vielleicht nicht weniger daran, Ihn mit dem seinen zu vergleichen. |
Zu ihrer Freude bringt der schlauen Chloe Kunst Den schlüpfrigen Pythagoräer Dem abgeredten Ziel zusehends immer näher. Er buhlt durch Blicke schon um ihre Gegengunst So feierlich, antwortet ihren Blicken Mit so fanatischem, so komischem Entzücken, Daß Hogarths Laune selbst kaum weiter gehen kann. Wozu, Verführerin, hieltst du den Nektarbecher Dem Lechzenden so zaubrisch lächelnd an? Sein Brand bedarf kein Oel! Nimm lieber einen Fächer Und kühle seinen Mund und seiner Wangen Glut! Wohnt so viel Grausamkeit in sanften Mädchenseelen? Glaubt ihr, ein weiser Mann sey nicht von Fleisch und Blut? Doch Chloe weiß vermuthlich, was sie thut: Sie hat die Miene nicht, ihn unbelohnt zu quälen. |
Nicht wenig stolz auf sein gefrornes Blut, Beweist indeß mit hoch empor geworfner Nase Kleanth, der Stoiker, bei oft gefüllten Glase, Daß Schmerz kein Uebel sey, und Sinnenlust kein Gut. Ihm hängt, wie dort Horaz, dem trägen |
Sein Eifer für den Lieblingstanz der Halle, Durch jeden Widerspruch und jedes Glas verwehrt, Hat von sechs Flaschen schon die dritte ausgeleert; Als der Planetentanz, womit der Geisterseher Die Dame zum Beschluss' ergetzt, Ihn vollends ganz in Flammen setzt. Nun wird nichts mehr verschont: Aegypter und Chaldäer Erfahren seine Wuth, wie er des Weingotts Macht; Und, eh der Tänzer noch uns von den Antipoden Den Gott des Lichts zurückgebracht, Fällt taumelnd sein Rival und liegt besiegt zu Boden. |
Der dritte Act des Lustspiels schließt sich nun, und Alles sehnet sich, den Rest der Nacht zu ruhn. Kleanth, der, wie er lag, Virgils Silenen Nicht übel glich (nur daß er nicht erwacht, So sehr ihn Chloe zwickt, so laut man um ihn lacht), Wird standsgemäß, umtanzt von beiden Schönen, Mit bacchischem Triumph in — einen Stall gebracht, Und lachend wünschet man einander gute Nacht. |