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C. M. Wieland's Werke.

Zweiundzwanzigster Band.

53. Brief.

S. 318. Das Kleombrot durch Lesung des Platonischen Dialogs Phädon veranlaßt worden sey, seinem Leben freiwillig ein Ende zu machen, war aus einem Epigramm des Kallimachus bekannt, welches die einzige Quelle dieser Anekdote zu seyn scheint. Denn Cicero, welcher derselben im 34. Kapitel des 1sten Buchs seiner Tusculanischen Gespräche Erwähnung thut, beruft sich aus dieses Epigramm, und alle

andern, die dieser Begebenheit erwähnen, oder über sie räsonniren, sind um mehrere Jahrhunderte später, und scheinen das, was sie davon wissen, entweder aus dem Griechischen Dichter selbst, oder aus dem Römer geschöpft zu haben. Das Epigramm des Kallimachus lautet:

greek greek greek greek greek
greek greek greek greek greek greek
greek greek greek greek greek, greek greek
greek greek greek greek greek greek
Rufend Sonne fahr' wohl! sprang von Ambraciens hohen
Mauern Kleombrotus einst rasch in den Hades hinab;
Nicht als hätt' er etwas des Todes Werthes erlitten,
Bloß weil er Platons Schrift über die Seele durchlas.
Der Phädon (welcher vermuthlich gemeint ist) hätte also bei diesem Jünger des Sokrates völlig das Gegentheil von dem gewirkt, was er auf den Philosophen Olympiodorus wirkte, der in seinem Commentar über diesen Platonischen Dialog versichert: er wurde sich schon lange ums Leben gebracht haben, wenn ihn Plato nicht von der Unsterblichkeit der Seele überzeugt hätte. Es wird wohl immer eine unauflösliche Frage bleiben, ob die Worte des Epigramms, "greek greek greek" u. s. f. nur eine Vermuthung des Dichters sind, oder sich auf irgend ein besonderes historisches Zeugniß gründen. Daß Kleombrot sich zu Ambracien (gleichviel ob von der Stadtmauer oder von einer Felsenspitze) ins Meer gestürzt habe, weil er Platons Phädon gelesen, scheint Thatsache zu seyn: daß er es aber aus ungeduldigem Verlangen, sich von der Wahrheit der im Phädon vorgetragenen Lehre zu überzeugen, gethan habe, ist wenigstens ungewiß, und bei weitem nicht so wahrscheinlich als die Ursache und Veranlassung, die in dem vorliegenden Briefe angegeben wird. So dünkt es wenigstens mir; jedem sein Recht, die Sache anders zu sehen, vorbehalten. W.Die hinter Kunst versteckte Bitterkeit in dem Vorwurfe Platons hat vor Wieland schon Demetrius der Phalereer auseinander gesetzt (de elocut. §. 306). Wieland läßt, entschuldigend, den Kleombrotos allein von dem Vorwurfe getroffen werden, und reinigt den Aristipp gänzlich von der Beschuldigung. "Dir — schreibt Kleombrot — that das verleumderische Gerücht Unrecht! Dich hatte die Pflicht nach Cyrene abgerufen!" Mit dieser Behauptung steht keine in einem grellern Contrast als die von Meiners, welcher (Geschichte d. Wiss. in Griech.

und Rom II. 649. Anm.) sagt: "Aristipp unterbrach sein Wohlleben auf der Insel Aegina keinen Augenblick, um seinem Lehrer in den Gefahren und zur Stunde des Todes beizustehen, ungeachtet er nur um 200 Stadien von ihm entfernt war." Wären die von Leo Allatius herausgegebenen Briefe der Sokratiker ächt, so würde der 16te in dieser Sammlung doch nur beweisen, daß Aristipp wirklich in Aegina gewesen, aber gar nicht auf die Art, wie Meiners angibt. Woher hat er nun dieß erfahren? Er beruft sich auf Diogenes den Laerter; der aber sagt 3, 36.: "Platon war gegen Aristipp feindselig gesinnt; in seiner Schrift von der Seele macht er Ihm daher bösen Leumund, indem er sagt, daß er bei des Sokrates Tode nicht zugegen, sondern in Aegina, nahe genug, gewesen sey." In der Stelle aber, welche Meiners selbst anführt 2, 66 (der vorigen gedenkt er nicht), beißt es bloß: "Xenophon war dem Aristipp abgeneigt; auch Theodoros in seiner Schrift über die Secten verlästerte ihn (greek), und Platon in seiner Schrift über die Seele, wie ich anderwärts gesagt habe," — nämlich in der vorigen Stelle. Vergebens beruft sich Meiners dabei auf Menage (et ibi Menag.), denn ich finde nicht, daß dieser ein Wort welter hinzufügt, sondern nur daß er von der ersten Stelle auf die zweite, und von der zweiten aus die erste verweist. So leicht hat sich also Meinars die Verlästerung Aristipps gemacht, die am Ende ganz allein auf Platons Zeugnis sich gründet, den die übrigen Zeugen selbst für verdächtig erklären. Indeß auch Platon sagt nicht ein Wort weiter, als daß Aristipp damals in Aegina gewesen sey, und diese Thatsache wird ihm, wenigstens so viel ich weiß, von niemand bestritten. Hat also Meiners, um Aristipp schwärzer zu machen, mehr gesagt als er durfte, so hat hingegen Wieland, um ihn weißer zu machen, nicht nur weniger gesagt als er sollte, sondern auch ganz etwas anderes, und zwar, wenn die Nachricht gegründet wäre, daß Aristipp erst nach seines Vaters Tode zu Sokrates gereist sey, etwas durchaus Falsches. Wäre es bloß um einen Roman zu thun gewesen, so würde Wielands Rechtfertigung in den Gesetzen des Romans selbst liegen: da es ihm aber offenbar um eine Characteristik zu thun ist, so fragt man billig nach seinen Gründen. Wie es scheint, hatte er keine anderen als daß 1) Platon selbst die Thatsache als bloßes Gerücht anführt, 2) daß Diogenes von Platons Anführung als von einer Verlästerung spricht, daß 3) der vor Aristipps Abreise erfolgte Tod seines Vaters keineswegs erwiesen ist und daß 4) Aristipp von Aegina aus mehrmals Reisen

machte. Dieß schien ihm vielleicht hinreichend zu der Erlaubniß, seine Neigung, durch etwas veränderte Stellung in Berichten der Anekdotenträger und Sammler ein Verdammungsurtheil abzuwenden, auch hier zu befriedigen. Bis indeß ein anderer so glücklich seyn wird auszufinden, was ich nicht habe ausfinden können, daß Aristipp wirklich nicht in Aegina gewesen sey, wird mir der Wunsch bleiben, Wieland möchte, statt eine Thatsache zu läugnen, lieber anders motivirt haben: den beabsichtigten Zweck hätte er doch erreicht.