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Liberale Verfassung und bürgerliches Gesetzbuch im XIX. Jahrhundert

Rektoratsrede von

Prof. Dr. Pio Caroni

Verlag Paul Haupt Bern 1988

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Caroni, P10:
Liberale Verfassung und bürgerliches Gesetzbuch im XIX. Jahrhundert:
Rektoratsrede / von Pio Caroni. — Bern ; Stuttgart: Haupt, 1988
(Berner Rektoratsreden ; 1988)
ISBN 3-258-04015-X
NE: GT

Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1988 by Paul Haupt Berne Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig Printed in Switzerland

Verlag Paul Haupt Bern 1987


Liberale Verfassung und bürgerliches Gesetzbuch im XIX. Jahrhundert Rektoratsrede von Prof. Dr. Pio Caroni

I. Einleitung

Eine lokale Episode

Ich möchte von einer Episode ausgehen, die sich in Bern gegen Ende der Restauration zugetragen hat und den meisten Lokalhistorikern immer noch Rätsel aufgibt. Ich meine die Ausarbeitung eines Gesetzbuches des bürgerlichen'. Sie wird 1817 in Angriff genommen und endet mit der Inkraftsetzung einzelner Teile dieses Gesetzbuches in der Periode zwischen 1824 und 1830. Weshalb diese Episode rätselhaft anmutet, ist bald gesagt, ereignete sie sich doch noch zur Zeit der Restauration im Stadtstaat der Patrizier, dem zweifellos ständisch-aristokratische Züge eher als bürgerliche Gleichmacherei eigen waren. In einem Staat also, in dem feudale Freiheiten, Privilegien und Prärogativen — wie sie in vorrevolutionärer Zeit wahrgenommen und auch nach 1814 weiterhin beansprucht wurden -von der einen, unteilbaren, ausschliesslichen bürgerlichen Freiheit noch nicht verdrängt worden waren. Sie erfolgte damit früher als in allen übrigen Kantonen der Schweiz, wenn man von der Waadt absieht. Diese warteten alle auf die Regeneration, das aristokratische Bern aber griff voraus und verkündete bereits vorher egalitäres, bürgerliches Recht. Warum uns diese Episode auffällt? Weil sie eine Überzeugung wanken lässt, der wir beinahe intuitiv huldigen, wonach nämlich die ganze rechtliche Ordnung einheitlich gestaltet ist und gestaltet sein muss. Danach werden überall und zu allen Zeiten alle Elemente einer jeweiligen Rechtsordnung — so disparat sie im Einzelnen sein mögen -materiell aufeinander abgestimmt und zu einer systematischen Einheit miteinander verbunden, so dass sie schliesslich bloss als Einzelteile eines einheitlichen rechtlichen Planes erscheinen 2. Diese Annahme gehört zu den Selbstverständlichkeiten, von denen wir Juristen einfach ausgehen, ohne sie im übrigen näher analysiert zu haben. Und nun wird diese vermeintliche Selbstverständlichkeit durch eine Entwicklung in Frage gestellt — wenn nicht geradezu desavouiert —, die eine feudale Regierung und bürgerliches Recht verbindet, somit die Koexistenz von Elementen bejaht, die nur schwer, wenn überhaupt, unter einem Dach zu vereinigen sind. Angesichts dieser Situation wollen wir uns die alte Frage abermals stellen und nach der Wirklichkeit, nach der Effektivität dieser behaupteten Einheit fragen. Tun wir es mit Bezug auf Beispiele und Quellen des vorigen Jahrhunderts - wozu die Berner

Prof. Dr. Pio CaroniProf. Dr. Pio Caroni wurde am I. August 1938 in Bellinzona geboren, wo er auch aufwuchs und die Schulen bis zur Maturität besuchte. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Bern sowie der Geschichte in Freiburg i. Br., Mailand und Hamburg habilitierte er sich 1967 fur die Fächer Rechtsgeschichte und Privatrecht in Bern. 1971 zum Ordinarius ernannt, stand er der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern im Studienjahr 1973/74 als Dekan vor. Von 1985 bis 1987 versah er zu seiner Berner Tätigkeit noch einen Lehrauftrag fur Privatrechtsgeschichte an der Universität Genf. Seine bisherigen Forschungen haben Prof. Dr. Caroni in die verschiedensten Gebiete seines Faches geführt; in letzter Zeit hat er sich vorwiegend Fragen der modernen Privatrechtsgeschichte gewidmet und dabei stets auf die Bedeutung der sozialhistorischen Methode für die rechtshistorische Forschung hingewiesen. -Themenschwerpunkte seines Werkes sind einerseits Untersuchungen über mittelalterliche und neuzeitliche Geschichte ländlicher Gemeinschaften (wie z. B. der Bürgergemeinde, der Markgenossenschaft, der Säumergenossenschaften usw.), andererseits Forschungen über Bestand und internationale Ausstrahlung der historischen Rechtsschule, über Kodifikation und Vereinheitlichung des Privatrechts, zur Ausgrenzung des Handelsrechts sowie allgemein zur Entstehung des modernen Begriffs «Privatrecht», der den geltenden Gesetzbüchern zugrunde liegt. Diese Forschungen führten u.a. zu einem Lehrbuch, das erst in den letzten Wochen erschienen ist («Privatrecht —eine sozialhistorische Einführung», 1988).

Episode direkt verleitet —, so gilt unsere Frage der Beziehung des Staatsrechts zum Privatrecht, und noch spezifischer jener der Verfassung zur Kodifikation, womit das Thema der heutigen Rede umrissen wird.

Eine These

Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich eine These formulieren und sodann die Belege für deren Richtigkeit anführen. Die These könnte so lauten: Liberale Staaten und Gesellschaften, die im XIX. Jahrhundert aus den bürgerlichen Revolutionen entstehen, zeichnen sich durch absolute Einheit der Rechtsordnung aus. Verfassung und Gesetzbuch erscheinen hier als zwei Seiten derselben Wirklichkeit, als zwei Momente derselben Entwicklung. Sie folgen aufeinander wie die Etappen einer umfassenden schriftlichen Aufzeichnung des gesamten Rechtsvorrates einander folgen, weshalb oft von Konstitutionalisierung und Kodifikation gesprochen wurde 3. Sie werden nacheinander verwirklicht, wie Teile eines und desselben revolutionären Entwurfes, dem gleiche Werte und gleiche Optionen zugrunde lagen. Werte und Optionen, die es zuerst in politischer, sodann in sozialer Hinsicht zu realisieren galt.

Kann eine solche Sequenz im einzelnen nachgewiesen werden, so muss ein einigendes Band beide Momente miteinander verbunden und die Einheit zwischen öffentlichem und Privatrecht, Staat und Gesellschaft, Souveränität und Parteiautonomie hergestellt haben. Davon kann die Rede sein, wenn zweierlei verwirklicht wurde. Wenn auf der einen Seite das privatrechtliche Gesetzbuch jenen Vorentscheidungen entsprach, die der Verfassung zugrunde lagen, wenn es mit anderen Worten «approprié à la constitution» erschien, um die revolutionäre Sprache von 1790 zu verwenden 4. Wenn ferner auf der anderen Seite die Verfassung all jene normativen Voraussetzungen erfüllte, die zur Entfaltung der privatrechtlichen Freiheiten der Kodifikation nötig waren. Es musste also eine ganz konkrete verfassungsrechtliche Ausrichtung gegeben sein, damit Privatautonomie und subjektive Rechte sinnvoll ausgeübt werden konnten 5. Zwei Begriffe Soweit meine These. Wie kann man sie belegen? Etwa dadurch, dass man im einzelnen nachzuweisen versucht, wie das konkrete Verhältnis zwischen Verfassung und Gesetzbuch in der Praxis gestaltet war, ob und wie es «spielte», welche Möglichkeiten es eröffnete, zu welchen Abhängigkeiten es geführt hat. Bevor dies alles erörtert wird, soll aber vorgängig noch rasch geklärt werden, welche Begriffe von Verfassung und von Kodifikation den nun folgenden Ausführungen zugrunde gelegt werden. Von Verfassung soll im Sinne des Konstitutionalismus die Rede sein, das heisst im Sinne einer geschriebenen, grundlegenden, wegweisenden Ordnung für Staat und Gesellschaft, die einem geschlossenen Wertsystem verpflichtet ist und im einzelnen den politischen Forderungen des liberalen Bürgertums entspricht. Eine Verfassung in diesem Sinne zeichnet sich daher durch eine individualistische und garantistische Gestaltung aus und erscheint erstmals in den nordamerikanischen Staaten, sodann im revolutionären Frankreich, wie Art. 16 der Declaration des droits de 'hemme et du citoyen von 1789 belegt: «Tönte société dans laquelle la garantie des droits 'est pas assurée, ni la Separation des pouvoirs déterminée, n'a point de constitution» 6. Im gleichen, das heisst liberal-bürgerlichen Sinne soll auch der Kodifikationsbegriff eingesetzt werden. Danach gilt als Kodifikation jene komplexe gesetzgeberische Operation, die auf Überwindung der territorialen, technischen und sozialen Zersplitterung des Privatrechts gerichtet war und dieser ein einheitliches Gesetzbuch entgegenstellen wollte. Ein Gesetzbuch, das als einziges und ausschliessliches Privatrecht für alle, für ein ganzes Volk formell gleicher Rechtssubjekte, dieselbe formelle Geltung beanspruchte 7.

II. Verfassung und Gesetzbuch in der Praxis des XIX. Jahrhunderts

Grundrechte und bürgerliche Gesellschaft

Kehren wir nach dieser Klarstellung nun zu unserem Problem zurück und versuchen wir unsere These zu belegen, so fällt zuerst auf, welche Bedeutung den verfassungsmässigen Grundrechten bei der Gestaltung der bürgerlichen Gesellschaft zukam. Die liberalen Verfassungen der regenerierten Kantone hatten eine zweifache Aufgabe zu bewältigen, eine politische und eine soziale. Sie mussten zuerst die politischen Grundlinien des Staates im Sinne der Volkssouveränität festlegen und hierauf Grundsätze zur Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft verkünden. Diesem doppelten Anliegen hatten ausgiebige Grundrechtskataloge zu dienen. Sie garantierten vorerst jene politischen Rechte, die zum Aufbau der liberalen Demokratie unumgänglich schienen: Meinungs-, Presse-, Versammlungsfreiheit, Petitionsrecht nat. Und sie bekämpften sodann all jene gesellschaftlichen Einrichtungen, die den Maximen von Freiheit und Gleichheit widersprachen und in einem standesspezifischen Privatrecht zum Ausdruck kamen. Aus dem Ancien Régime stammend und während der Restauration reaktiviert, mussten nun diese überholten Einrichtungen einem neuen, egalitären Gesellschaftsbild weichen 8. Vier Verfassungsprinzipien hatten dies primär zu ermöglichen:

a) Die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, wodurch alle Vorrechte der Geburt, der Person, der Familie, des Ortes, des Vermögens sowie des Standes beseitigt wurden 9;

b) die Garantie der Handels- und Gewerbefreiheit, mit dem Vorbehalt jener Einschränkungen, die das Gesamtwohl fordern würde 10; c) das Prinzip der Beseitigung oder der Loskäuflichkeit aller Feudallasten sowie das

Verbot der Errichtung neuer unablösbarer Bodenlasten"; d) schliesslich die Garantie des Privateigentums, mit dem üblichen Vorbehalt der

Enteignung zur Ausführung öffentlicher Werke' 12.

Mit der Verkündung dieser Grundrechte blieb die Verfassung nicht an der Schwelle der Gesellschaft stehen, sondern entwarf vielmehr ein gesellschaftliches Bild, das an Bestimmtheit nichts zu wünschen übrigliess. Die künftige Gesellschaft war dadurch in ihren Strukturen regelrecht vorweggenommen und präfiguriert: Wollte sie der Verfassung entsprechen, so hatte sie eine liberale, freiheitliche, egalitäre zu sein, eine solche der privatautonomen Gestaltung, der Vertrags- und Eigentumsfreiheit. Unter diesen Umständen brauchte sich die Verfassung nicht mit dem organisatorischen Detail zu befassen. Sie konnte es ruhig der kommenden Gesetzgebung' 13, bzw. dem gelegentlich ausdrücklich vorbehaltenen privatrechtlichen Gesetzbuch, überlassen 14. Dieses seinerseits galt als direkte Emanation der Verfassung und beschränkte sich daher auf deren Verwirklichung. Seine Bestimmungen

hatten keine Sonderexistenz und konnten nicht beliebigen Inhalts sein, sondern waren ausführender Art. Sie hatten demnach bloss jene Entfaltungsräume zu besetzen, die durch die Grundrechte der Verfassung mit planender Vorausschau eröffnet worden waren. Sie mussten mit anderen Worten das revolutionäre Programm, das die Verfassung einheitlich verkündet hatte, fortführen und in der Gesellschaft restlos verwirklichen' 15..

Eine derartige Rekonstruktion legt den Gedanken nahe, dass zwischen den Freiheiten der Verfassung und jenen des Gesetzbuches mehr als bloss zufällige Kongruenz herrschte.

Wie mochte aber im übrigen deren genaue Beziehung zueinander ausgesehen haben? Dies lässt sich am besten am Beispiel der Handels- und Gewerbefreiheit darstellen. Mit deren Verkündung zog sich der Staat Von der wirtschaftlichen Ebene zurück und verpflichtete sich zur Nichtintervention. Er überliess künftig die Belegung dieses Raumes der Gesellschaft, die ihn nun in eigener Regie zu organisieren hatte. Aber zugleich liess er durch seinen Rückzug klar erkennen, wie dies zu geschehen hatte und nach welchen Prinzipien die wirtschaftlichen Beziehungen der Privaten untereinander zu gestalten waren. Also war der Verzicht des Staates nicht bedingungslos erfolgt, sondern hatte das neu einzurichtende wirtschaftliche System sozusagen vorweggenommen: Es war jenes einer selbstverantwortlichen, privatautonomen Wirtschaft, die sich im wesentlichen über den Abschluss von Verträgen abzuwickeln hatte 16

Das Privatrecht hatte dieser Vorentscheidung zu entsprechen, somit ein solches der Vertragsfreiheit zu sein. Daraus ergibt sich, dass die Handels- und Gewerbefreiheit zwangsläufig zur Vertragsfreiheit führen musste, deren Prämisse oder besser noch Funktion sie darstellte, ohne die das Gesetzbuch blosse Deklamation geblieben wäre 17. Was oft zur Behauptung führt, Art. 31 der Bundesverfassung (der die HGF garantiert) bestimme inhaltlich Art. 64 BV, weise mit anderen Worten dem Privatrechtsgesetzgeber die einzuschlagende Richtung 18.

Kodifikation als Forderung des Rechtsstaates

Zu einem zweiten Beleg für die unauflösliche Beziehung von Verfassung und Kodifikation kommen wir sodann, wenn wir über die politischen Grundanliegen nachdenken, die der liberalen Staatsauffassung und somit den regenerierten Verfassungen zugrunde lagen. Sie richteten sich u. a. gegen jene restaurative Praxis, die die einzelnen der Willkür einer patriarchalischen Verwaltung preisgab und Urteile vom zufälligen Willen eines unberechenbaren Richters abhängig machte 19. Diese Praxis sollte im Zuge der Regeneration durch rechtsstaatliche Einrichtungen überwunden werden, namentlich durch solche, die die Herrschaft von Gesetz und Recht an die Stelle der früheren, willkürlichen Regierungsweise stellten 20. Sowohl das Verhältnis zwischen Staat und Bürger als auch jenes der Bürger untereinander hatte künftig

Regeln, allgemeinen Grundsätzen bzw. im Namen des Volkes erlassenen Gesetzen zu entsprechen und nicht mehr auf Gnade und Ungnade zu beruhen 21. Was heisst aber im einzelnen Herrschaft von Recht und Gesetz? Und was hat dies mit unserer Fragestellung zu tun? Mit Bezug auf die Ausübung der Gerichtsbarkeit postuliert dieses Anliegen die Schaffung einer klaren, geschriebenen, vollständigen Kodifikation. Sie sollte dem Richter als alleinige Richtschnur dienen und von ihm nach wissenschaftlichen Prinzipien - und nicht mehr nach Lust und Laune -ausgelegt und angewendet werden. Damit avancierte die Kodifikation zur politischen Forderung der Regeneration, zum wesentlichen Moment der liberalen Staatsumwälzung 22. Sie wurde zum Bestandteil des Rechtsstaates, versprach eine saubere Gewaltentrennung 23, ermöglichte eine Berechenbarkeit des Prozessausganges, damit Rechtssicherheit 24, und trug nicht zuletzt —durch Publikation — zur Demokratisierung von Staat und Gesellschaft bei 25. So lauteten jedenfalls die Hoffnungen, die im Vorfeld der Kodifikation des Privatrechts gehegt wurden. Dass einige zu hoch gesteckt worden waren und unerfüllt bleiben mussten, soll hier nicht unerwähnt bleiben 26. Eine gemeinsame egalitäre Strategie Ich habe oben die Kodifikation als gesetzgeberische Operation bezeichnet, die auf Überwindung einer vielfachen Zersplitterung des Privatrechts gerichtet war und uns daher primär als Vereinheitlichung eben dieses Rechts vorkommt. Worauf ich in diesem dritten Punkt aufmerksam machen möchte, ist der Umstand, dass auch die Entwicklung, die zur Verkündung der Verfassung geführt hat, als Vereinheitlichung im weiteren Sinne gesehen werden kann. Verfassung und Kodifikation gehören auch deswegen zusammen, weil sie beide Ergebnisse einer und derselben egalitären Strategie sind 27. Inder Tat hatten im XIX. Jahrhundert sowohl die politische als auch die zivilistische Regelung Ordnungen zu überwinden, die noch im Feudalen verankert und bereits aus diesem Grunde sachlich, territorial und persönlich zersplittert waren. Vor dem Hintergrund der sich allmählich ausbreitenden bürgerlichen Gleichheit erschienen feudale Prinzipien unlogisch, unübersichtlich, willkürlich, verworren. Sie verliehen vielfältige und voneinander stark abweichende Freiheiten, Privilegien, Prärogativen, welche der neue Staat unmöglich dulden konnte und wollte. Er beseitigte sie schliesslich durch eine neue Ordnung, die sich demgegenüber als logisch und einfach gab, weil sie alle bisherigen Unterschiede der Einheit und Gleichheit aufopferte, die fortan Staat und Gesellschaft prägen sollten 28. Und noch konkreter: a) Repräsentative Demokratie und Privatrechtskodifikation gingen beide von der Annahme aus, alle Bewohner eines Staates seien nun in derselben formellen Art gleich ernstzunehmen: Hier als Citoyens, denen dieselben politischen Rechte

zustanden, dort als Bourgeois, die mit derselben Rechtsfähigkeit ausgestattet waren. Womit freilich nicht die persönlichen Unterschiede verschwunden waren, sondern bloss die Bereitschaft der Rechtsordnung, sie zu berücksichtigen bzw. sich danach auszurichten.

b) Verfassung und Kodifikation hatten zudem auch äusserlich einheitlich auszusehen und damit sogar in ihrer Erscheinungsform (als umfassende und systematisch aufgebaute Gesetze) jene Gleichheit widerzuspiegeln, die sie subjektiv vermittelten 29;

c) und schliesslich war im XIX. Jahrhundert die Gesamtkodifikation des Privatrechts oft das Echo der politischen Zentralisation, die Antwort des Privatrechts auf eine bereits erfolgte Staatsbildung gewesen, was sowohl mit dem Beispiel grosser Nationakstaaten 30 als auch mit jenem unseres Bundesstaates 31 belegt werden kann.

Soll das soeben Gesagte zusätzlich veranschaulicht werden, so am besten durch die Erwähnung zweier gesetzlicher Bestimmungen, die eng miteinander verbunden sind: Durch die Art. 4 BV und 11 ZGB. Der erste erklärt, dass alle Schweizer vor dem Gesetze gleich sind, der zweite verleiht jedermann die Rechtsfähigkeit. Was der erste grundsätzlich verkündet, konkretisiert der zweite mit Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen. Und eigentlich liesse sich sogar behaupten, der zweite sei aus dem ersten abzuleiten, in ihm bereits mitenthalten 32, wodurch abermals die Einheit von Verfassung und Kodifikation bewiesen würde.

Privatrecht als Ergänzung des politischen Selbstbestimmungsrechts

Mit dem vierten Beispiel betreten wir ein Gebiet, über das bereits viel geschrieben wurde und das hier nur gestreift werden soll: Jenes der Auswirkung der politischen Demokratie auf die Gestaltung des privatrechtlichen Gesetzbuches 33. Dieses hatte — jedenfalls in der Schweiz — zu einer Aufwertung der Privatautonomie zu führen 34, ja konnte überhaupt nur unter solchen Vorzeichen volkstümlich werden und damit geeignet erscheinen, der kantonalen Vielfalt des Privatrechts ein Ende zu setzen. Was heisst aber im einzelnen Aufwertung der Privatautonomie? Im wesentlichen zweierlei: Einerseits radikale Abschaffung bisheriger genossenschaftlicher Schranken der Vertragsfreiheit zum Zwecke der Geschäfts- und Verkehrsförderung bzw. zur Aktivierung des Marktes, andererseits Schaffung von Wahlmöglichkeiten überall dort, wo auf berufliche oder lokale Sonderinteressen Rücksicht genommen werden konnte. Das Gesetzbuch hat Wesentliches zur Verwirklichung dieses Anliegens geleistet, auch wenn es nicht vorhersehen konnte (oder wollte), dass alle seine Wahlmöglichkeiten bald genug der Logik des Marktes zum Opfer fallen würden 35. Es verstand sich daher —und einzig darauf kommt es vorliegend an -als «Ergänzung und Vollendung der öffentlichen Rechtsordnung», das heisst des politischen Selbstbestimmungsrechtes,

als Ausstrahlung der republikanischen Selbstverwaltung, wie sie bisher gerade auch bei der Ausarbeitung des kantonalen Privatrechts von der direkten Demokratie gewahrt worden war. Nur seine freiheitliche Ausgestaltung machte aus ihm eine «Rechtsordnung der Volkstümlichkeit», erst diese konnte der politischen Freiheit ebenbürtig sein 36. Woraus sich ergibt, dass republikanische Verfassung und liberale Kodifikation auch nach zeitgenössischer Auffassung zusammen zu gehören hatten.

Das Privatrecht der demokratischen Bewegung

Ich komme somit zum letzten Beleg: Verfassung und Privatrecht erscheinen eng miteinander verbunden und wirken auch dann zusammen, wenn man sie im Zuge der demokratischen Bewegung beobachtet. Diese war in einigen Kantonen der deutschen Schweiz in den 60er Jahren entstanden und zielte auf Verwirklichung der direkten Demokratie durch Einräumung gesteigerter Teilnahmemöglichkeiten, wie sie beispielsweise das Referendum und die Initiative gewähren konnten. Das von ihr primär anvisierte Ziel war eindeutig der Staat: Er hatte sich einer Mitwirkung aller Teile der Bevölkerung zu öffnen, weil er nur dadurch zu einem echt demokratischen werden konnte. Davon ausgehend griff aber die Bewegung in das Soziale über und zielte auf Beseitigung jener Zustände, die zwischenmenschliche Abhängigkeiten hatten entstehen lassen und dadurch auch den Bestand der politischen Demokratie gefährden konnten 37. Konkret gemeint sind jene Situationen, die Vorrechte vermittelten, Missverhältnisse herbeiführten, Ausbeutung ermöglichten und so im weiteren Sinne soziale Gegensätze darstellten. Sie hatten nun auch durch Erlass zwingender gesetzlicher Bestimmungen einem ebenfalls demokratischen Privatrecht zu weichen 38. Woraus sich ableiten lässt, und das ist für unsere Beweisführung von Bedeutung, dass nicht ein beliebiges, sondern nur ein bestimmtes Privatrecht geeignet war, den Forderungen des demokratischen Staates zu entsprechen. Wie dieses konkret auszusehen hatte? Zur Illustration einige Beispiele: Es war in einem Code unique zu erlassen 39, hatte sich zur erbrechtlichen Gleichbehandlung der Geschlechter zu bekennen 40, musste einer arbeiterschützenden Fabrikgesetzgebung zum Durchbruch verhelfen 41 und sollte zudem eine grundlegende Reform der Kredit-, namentlich der Hypothekargesetzgebung verwirklichen 42. Alles Massnahmen, wie sie letzten Endes von der Verfassung gefordert wurden. Denn durch sie galt es, soziale Missstände auszugleichen, um eine effektivere demokratische Partizipation zu ermöglichen.

Von der Rangordnung zwischen Verfassung und Kodifikation

Fünf beispielhafte Situationen liegen somit vor uns, in denen die Zusammengehörigkeit bzw. Komplementarität von Verfassung und Gesetzbuch zum Ausdruck kommen. Sie belegen dadurch unsere These -mit gewissen Vorbehalten, auf die ich


noch zurückkommen werde. Aber sie sagen noch lange nichts über die Rangordnung aus, die zwischen ihnen bestanden haben mag. Wie hat sie ausgesehen, wozu hat sie geführt? Die Antwort scheint sich zunächst aus unseren Beispielen zu ergeben, wonach die Verfassung den Vorrang eingenommen, das Gesetzbuch zeitlich und materiell vorausbestimmt, als wegweisender Erlass die Grundlinien der Gesellschaft selbst festgelegt und der privatrechtlichen Kodifikation nur noch das ausführende Detail überlassen habe. Das hat auch der Hierarchie der Normen entsprochen: Gegenüber der Verfassung sei das Privatrecht in abgeleitete Position geraten.

Bekennt man sich zu dieser Höherrangigkeit des Verfassungsrechts, so huldigt man einer Betrachtungsweise, die den Erscheinungsformen des Rechts, und ihnen ausschliesslich, verhaftet ist. Sie gibt sich mit dem zufrieden, was an der Oberfläche erscheint und fragt kaum nach den Realitäten, die sich hinter den Formen ausbilden und stets verändern. Stellt man aber unsere Frage in einen grösseren Zusammenhang, berücksichtigt man neben der Dogmen- auch die Sozialgeschichte, so sieht das Bild anders aus. Es zeigt uns nämlich eine Gesellschaft, die sich im XIX. Jahrhundert allmählich vom Staat loslöst und autonom gestaltet; in der die Privatautonomie der einzelnen Rechtssubjekte nun zum tragenden organisatorischen Prinzip der wirtschaftlichen Tätigkeit wird; und die schliesslich noch fest daran glaubt, dass eine unsichtbare Hand das Zusammenwirken freier Individualentscheidungen zur automatischen Herbeiführung des Gesamtwohles leite 43. Eine solche Gesellschaft ist in jeder Hinsicht tonangebend; ihre Optionen, vor allem jene wirtschaftlicher Art, gehen allen übrigen vor, auch den politischen. Soweit sie rechtlicher Art sind, liegen sie jenem Recht zugrunde, das die Privatautonomie erfasst und von aussen absichert.

Dieses ist aber das Privatrecht des Gesetzbuches. Obwohl es zeitlich meist nach den liberalen Verfassungen erlassen worden ist und inhaltlich den verfassungsmässigen Grundrechten zu entsprechen hatte, geht es ihnen dennoch materiell vor, ist ihnen vorgeordnet. Was mit anderen Worten auch bedeuten mag, dass die Verfassung privatrechtsakzessorisch war. Nach der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft und nach dem Erlass des liberalen Privatrechts übernimmt sie eine bloss garantistische Funktion. Das liberale Gesellschaftsmodell verurteilt sie dazu, erwartet von ihr nunmehr bloss untergeordnete Dienste 44. Darüber hinaus verkörpert dieses Modell zudem das Primat der Wirtschaft gegenüber der Politik, der Gesellschaft gegenüber dem Staat und duldet daher nicht, dass die Wirtschaft nach denselben demokratischen Gesetzen organisiert werde, die dem Staat zugrunde liegen. Eine solche Ausdehnung «des konstitutionellen Systems im Fabrikbetrieb» 45, wie sie schon immer postuliert worden ist 46, hätte die Unterordnung der wirtschaftlichen Entwicklung unter die Politik bedeutet, damit den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft und mit ihr des kapitalistischen Produktionssystems gefährdet. Daran musste sie schliesslich scheitern

III. Einige Gegenbeispiele

Damit wäre ich im wesentlichen am Schluss meiner Ausführungen, wenn da nicht einige Gegenbeispiele lauern würden, die mit meiner These scheinbar schwer in Einklang zu bringen sind, belegen sie doch das Gegenteil von dem, was ich anfänglich behauptet habe, nämlich die Koexistenz einer nicht liberalen Verfassung mit einem bürgerlichen Gesetzbuch bzw. das Zusammengehen einer noch feudalen Struktur mit einer bereits bürgerlichen Einrichtung, wie es die eingangs zitierte bernische Episode zeigt. Lassen sie sich erklären und in unsere Ausführung einbauen? Wir wollen es im Folgenden prüfen und zweierlei Situationen unterscheiden, um am Schluss die bernische Entwicklung nochmals unter die Lupe zu nehmen.

Autoritäre Verfassung und bürgerliche Kodifikation

Beginnen wir mit der Koexistenz einer autoritären Verfassung und eines bürgerlichen, liberalen Gesetzbuches, wie sie beispielsweise in Frankreich zur Zeit der Inkraftsetzung des Code civil festgestellt werden kann. Sie lässt sich nur verstehen, wenn man weiter ausholt und auf die Revolutionszeit zurückgeht. Diese hatte sowohl in politischer als auch in sozialer Hinsicht Neuland betreten, indem sie erstmals politische Freiheiten in der Form von demokratischen Mitwirkungsrechten gewährte. Zudem sorgte sie durch die Aufhebung der Standesvorrechte und der persönlichen Unfreiheit, durch die Umwandlung feudalen in bürgerliches Eigentum sowie durch die Einräumung der Handels- und Gewerbefreiheit für die Einrichtung einer bürgerlichen Gesellschaft 47. Der Code civil konnte an diese etablierte und bereits verbürgerlichte Gesellschaft anknüpfen und zu deren adäquaten rechtlichen Ordnung werden, wodurch Freiheit und Gleichheit im sozialen Bereich weiter garantiert wurden. Anders dagegen im politischen Bereiche: Denn hier hatten die napoleonische Konsularverfassung von 1799 sowie die Empire-Verfassung von 1804 die politischen Freiheiten der Revolutionszeit zurückgenommen und die Citoyens von jeglicher politischen Mitwirkung ausgeschlossen. So hatte sich im Verfassungsrecht das autoritäre Prinzip durchgesetzt, während im bürgerlichen Recht am Freiheitsprinzip festgehalten wurde. Diese Auflösung der ursprünglichen Einheit von Verfassung und Privatrecht lässt sich leicht als Ergebnis gegenseitiger Konzessionen erklären: Das französische Bürgertum verzichtete auf die Wahrnehmung politischer Rechte, wenn der starke Herrscher seinerseits die Autonomie der Gesellschaft anerkannte. Dieser Verzicht war der Preis, den das Bürgertum zahlen musste, um den Genuss der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit zu behalten. Andererseits brauchte Napoleon die Zustimmung der Bourgeoisie zu seiner Politik und konnte sich diese durch die Gewährleistung bürgerlicher Freiheiten erkaufen. Eine glückliche Konvergenz hat somit in napoleonischer Zeit das Zusammenleben gegensätzlicher Prinzipien bzw. die Geltung eines


liberalen Privatrechts ohne liberale Verfassung ermöglicht 48. Dieses konnte die Rückkehr der Monarchie überdauern, weil die dadurch stattfindende Restauration auf politische Bereiche beschränkt blieb. Konsequenterweise garantierte auch die Charte constitutionnelle von 1814 die bestehende bürgerliche Sozialordnung, unter ausdrücklicher Anerkennung der ungebrochenen Geltung des Code civil 49.

Feudale Verfassung und bürgerliche Kodifikation

Völlig anders ist dort die Lage, wo bürgerliches Privatrecht von einer Monarchie verkündet wurde, deren Strukturen noch ganz in der feudal-ständischen Organisation wurzelten. Denn hier koexistierten tatsächlich widersprüchliche Momente. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts treffen wir solch eigenartige Situationen an vielen Orten. Zunächst in Österreich, wo 1812 das ABGB in Kraft gesetzt wurde. Sodann in Deutschland, wo die Rheinbundstaaten nach 1806 die Rezeption des französischen Code civil einleiteten und mit recht unterschiedlichem Ergebnis abschlossen. Und schliesslich in Italien, wo die 1814 restaurierten Monarchien Zivilgesetzbücher erliessen, die nach dem französischen Vorbild gestaltet waren. Diese Situationen scheinen alle vorerst genau das zu belegen, was unsere These ausschliessen wollte, nämlich das totale Auseinanderdriften von politischer und Sozialer Entwicklung. Sieht man allerdings näher hin und prüft man sie im einzelnen, so sieht das Ergebnis schon anders aus. Denn es verrät, was den Unterschied zur französischen Situation ausmacht und hier entscheidend wirkt: In allen diesen Fällen hatte sich noch keine bürgerliche Gesellschaft ausgebildet, die neben dem Staat existierte und sich autonom organisierte. Die ländliche Sozialverfassung war hier vielmehr noch eng mit dem Staat verbunden, mit feudal-patrimonialen Strukturen verwoben, wie sie beispielsweise in der noch bestehenden Grundherrschaft zum Ausdruck kamen.

Was sich wirklich ereignete, belegt überdeutlich das historische Material. In allen erwähnten Beispielen hat sich nämlich die noch ständische Verfassung uneingeschränkt behaupten können und das bereits bürgerliche Gesetzbuch in seiner monarchischen Staates, was den Weg zur Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft freilegen würde; oder aber erweist sich die feudale Verfassung als widerstandsfähiger, was eine tendenzielle Neutralisierung des bürgerlichen Gesetzbuches nach sich ziehen würde. Im ersten Falle müsste sich die Verfassung der neuen Lage anpassen 50, im zweiten das Gesetzbuch das Nachsehen haben. Was sich wirklich ereignete, belegt überdeutlich das historische Material. In all den erwähnten Beispielen hat sich nämlich die noch ständische Verfassung uneingeschränkt behaupten können und das bereits bürgerliche Gesetzbuch in seiner Bedeutung verschiedentlich relativiert, wenn nicht gerade wieder ausser Geltung gesetzt. In Österreich hing es ganz von den politischen Gesetzen ab, wie und wo das ABGB zur Anwendung kommen konnte. Es durfte sich erst nur in jenen (schmalen)

Räumen entfalten, in denen ihm kein ständisches oder sonstiges politisches Sonderrecht entgegenstand, weil lediglich hier der Staat bürgerliche Freiheiten gestattete. Dies war aber im Jahre 1812 eine Ausnahme und sollte es noch lange bleiben 51. In den deutschen Rheinbundstaaten war dem Anschluss an das französische Privatrecht keine Agrarrevolution vorausgegangen 52. Die Adelspolitik hatte sich durchgesetzt und das sozialreformerische Programm des Gesetzbuches regelrecht blockiert So kam es nirgends zu einer unveränderten Rezeption: Meist blieben gerade jene Bestimmungen des Code unberücksichtigt, deren Anwendung die Auflösung des feudalen Eigentums bewirkt hätte 53. Bleiben schliesslich noch die vorunitarischen Staaten Italiens. Auch sie tanzen nicht aus der Reihe, weil sie aus ihren Gesetzbüchern all das sorgfältig entfernten, was die rechtliche Gleichheit aller Staatsbürger ausgemacht hätte 54. Somit verzichtete ihr Privatrecht -das zwar nach Massgabe des französischen Modells entworfen worden war -gerade auf das, was dieses auszeichnete und zum Symbol des bürgerlichen Privatrechts werden liess. Fassen wir daher zusammen: Alle diese Beispiele zeigen zunächst, dass sich feudale und bürgerliche Momente nicht vertragen konnten, dass zwischen ihnen keine eigentliche Koexistenz möglich gewesen ist 55. Zweitens wird aus ihnen ersichtlich, dass die Beibehaltung einer ständisch-feudalen Verfassung die Inkraftsetzung, Geltung oder Entfaltung eines eigentlichen bürgerlichen Gesetzbuches verhindert hat. Unsere Beispiele lehren nicht die Unabhängigkeit des Privatrechts vom politischen System 56, sondern beweisen gerade das Gegenteil und bestätigen somit unsere These. Der Berner Fall Nun lässt sich, aufgrund der gewonnenen Einsichten, auch der Berner Fall besser einordnen und erklären. Was an ihm auffällt und uns zu beschäftigen hat, ist dabei nicht die Episode an sich —ein Beispiel neben anderen, wichtigeren —, sondern das, was die Berner Historiker seit je in ihm haben sehen wollen. Sie werteten das kantonale Civilgesetzbuch als eigentliche Kodifikation des bürgerlichen Rechts und betrachteten diese als eine Ursache der Erschütterung bzw. Zerstörung des aristokratischen Regimentes der Patrizier. Das Recht des Gesetzbuches habe primär Geltung beansprucht, damit örtliche Statutarrechte und Freiheiten verdrängt und jene bürgerliche Gleichheit herbeigeführt, der schliesslich der patrizische Stadtstaat zum Opfer fallen musste 57. Dieser These möchte ich heute entgegentreten, aber auch nur soweit dies meine eigene Fragestellung erfordert 58. Sie scheint mir nämlich schon deswegen unglaubwürdig, weil sie die verfassungsändernde Funktion des Privatrechts masslos überschätzt. Wenn man weiss, wie langsam rechtliche Mühlen mahlen und dazu auch berücksichtigt, dass der erste Teil des CGB erst 1826 in Geltung gesetzt wurde, so müsste man in der Beurteilung der von diesem Recht ausgehenden politischen Stosskraft recht vorsichtig werden. Vor allem aber scheint mir die Prämisse


dieser These mehr als zweifelhaft: Sie erblickte im CGB —wie bereits gesagt — eine regelrechte Kodifikation des bürgerlichen Rechts, die für alle Staatsbewohner einheitlich galt und dadurch in Widerspruch zur Verfassung des Staates geraten musste. Dieser Überzeugung möchte ich folgende Einsicht entgegenstellen: Das bernische CGB war keine bürgerliche Privatrechtskodifikation, sondern brachte eine Neuordnung des Privatrechts hervor, die mit der noch feudalen Struktur der politischen Macht vollkommen übereinstimmte. Wesentliche Züge des bürgerlichen Rechts fehlten ihr, wofür gleich zwei Beispiele geboten werden sollen.

a) Beachtenswert scheint mir zunächst Art. 3 der Promulgationsordnung von 1826. Er lässt vorerst - und anders, als es die 3. Satzung vorgesehen hatte —lokale Statuten in Geltung und verschiebt die vorbehaltsiose Inkraftsetzung des ganzen kodifizierten Rechts auf die Zeit, in der «die Revision des Civil-Gesetzbuches vollendet sein wird». Da dies erst nach 1831 eintrat, galt im patrizischen Staat das neue Privatrecht nur subsidiär bzw. nur dort, wo ihm die lokale Überlieferung nicht entgegenstand. Zwar begründete auch dies eine Einheit, allerdings nur eine beschränkte, die sich erst nach Berücksichtigung der altrechtlichen Zersplitterung etablieren konnte und dieser eigentlich bloss ergänzend zur Seite trat. Auf diese Weise konnte die Kontinuität zur bisherigen Ordnung gewahrt werden.

b) Hinzu kommt ein Umstand, der sich auf die tatsächliche Entfaltung des neuen Privatrechts, namentlich des Sachenrechts, negativ ausgewirkt haben dürfte, nämlich die ausgebliebene Bodenentlastung. Dieses Recht war an sich bürgerlich gestaltet, sah infolgedessen im Eigentum die Befugnis, «unter den gesetzlichen Bedingungen über die Substanz und die Nutzungen einer Sache willkürlich und ausschliessend zu verfügen» (Satzung 377). Aber es garantierte auch in vollem Umfang «die bestehenden Gesetze über die Lohns-, Zins- und Zehntrechte» (Satzung 394) sowie die daraus abgeleiteten subjektiven Ansprüche. Damit hatte das Eigentumsrecht des CGB ein regelrechtes Janusgesicht: Fortschrittlich in der theoretischen Konzeption, aber reaktionär in der praktischen Anwendung. Denn gegenüber einer Realität, die noch ganz durch die Teilung und besser noch Zersplitterung des Eigentums geprägt war, und dadurch bald zum Hindernis jeglicher effizienten Verfügung über den Wert des Eigentumsgegenstandes werden sollte, vermochte das prinzipielle Bekenntnis zur individualistischen, absoluten Eigentumsfreiheit nichts auszurichten. Diese brauchte Entfaltungsräume, die vorderhand noch ganz durch die feudale Wirklichkeit besetzt waren. Das ist übrigens auch der Grund, warum in allen übrigen Kantonen die Kodifikation des Privatrechts erst nach Durchführung der Bodenentlastung in Kraft gesetzt wurde, zu welcher erst in der Regeneration der entscheidende Schritt getan wurde 59. Als man endlich gegen Ende der vierziger Jahre und auf Initiative der Radikalen 60 auch in Bern mit der Aufhebung des Zehnten, der Feudallasten sowie der übrigen Grundzinse ernst machte, war das CGB schon seit zwanzig Jahren in Kraft. Aber die bürgerlichsten seiner Bestimmungen waren auf dem Papier und das materielle Sachenrecht vorderhand ein feudales geblieben.

Somit können wir auch die Behandlung der Berner Episode mit der Bemerkung abschliessen, dass sie im Grunde —wie die übrigen Gegenbeispiele auch —die absolute Gleichschaltung zwischen Verfassung und Privatrecht, und zwar genauer zwischen einer patrizischen Verfassung und einem feudalen Privatrecht, voll bestätigt.

IV. Ausblick

Späte Umkehrung der Rangordnung

Was ist aus alledem geworden, besonders aus der Lehre, die Beispiele und Gegenbeispiele gleichermassen vermittelt haben, aus der These der Zusammengehörigkeit von liberaler Verfassung und bürgerlichem Privatrecht, aus dem Prinzip der Höherrangigkeit des Privatrechts und dergleichen mehr? Haben sie sich bis auf den heutigen Tag erhalten können, oder sind auch sie von der stürmischen Entwicklung der letzten hundert Jahre überrollt worden? Mit dem Versuch, diese und ähnliche Fragen kurz und mindestens andeutungsweise zu beantworten, sollen unsere Überlegungen abgeschlossen werden.

Auszugehen ist dabei von der sozialen Lage, wie sie sich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in den westeuropäischen Ländern immer deutlicher abzuzeichnen begann: Diese war weniger durch Freiheit und Gleichheit als durch Zwang und Abhängigkeit bestimmt. Dieser Gesellschaft hatte das Privatrecht ein Versprechen abgegeben, das es unmöglich einlösen konnte. Denn tatsächlich wurde die Zurückhaltung des Staates nicht nur zur Ermöglichung privatautonomer Selbstentfaltung der Einzelnen, sondern auch zur Ausbildung sozialer Antagonismen und privater Machtbereiche genutzt" Die Gleichheit, die das Privatrecht generell verkündete, war bloss formeller Art. Sie gewährte eine Freiheit, die —angesichts unterschiedlicher Startbedingungen -auch der Legalisierung von Ausbeutung diente 62. So stiftete die Privatautonomie weniger Ausgleich und Gemeinwohl denn Ungleichheit und private Macht.

Diese Entwicklung -ich darf sie beinahe als bekannt voraussetzen, so allgemein und unübersehbar ist das Auftreten der «sozialen Frage» —rief wieder den Staat auf den Plan. Er erhielt nun die Aufgabe, den schlimmsten Auswüchsen der Privatinitiative durch korrigierende und ausgleichende Massnahmen zu begegnen. Soweit dies als nötig erachtet und gewünscht wurde, durfte er wieder Räume belegen, die bislang ausschliesslich dem privaten Wettbewerb vorbehalten waren 63. Zusammenfassend kann man mit anderen Worten sagen, dass die Entfesselung der Privatautonomie Probleme schuf, die ohne staatliche Hilfe unlösbar bleiben mussten. Dies wiederum erschütterte bzw. relativierte die Privatautonomie in ihrer wegleitenden Aufgabe empfindlich.

Die Intervention des Staates sowie der direkte Einsatz des öffentlichen Rechts zur


Bewältigung sozialer Probleme blieben freilich nicht ohne Folgen für die Beziehung der beiden Rechte zueinander. Denn sie implizierten eine Aufwertung des öffentlichen Rechts und eine entsprechende Schrumpfung des Stellenwertes des privatrechtlichen Gesetzbuches, wie sie bis anhin durch das ideologische Primat des Privatrechts undenkbar, ja ausgeschlossen gewesen waren. An dessen Stelle etablieren sich eine neue Beziehung und eine umgekehrte Rangordnung. Das öffentliche Recht erobert eine Position nach der anderen zurück, bildet bald nicht mehr nur die äussere Prämisse zur Entfaltung privatautonomer Herrschaft, sondern misst neu den Raum aus, innerhalb dessen diese Herrschaft überhaupt gedacht werden kann, wie die jüngste Entwicklung im Mietrecht und im Arbeitsrecht gut zu belegen vermag.

Vom Rangverlust des Gesetzbuches

Spricht man unter solchen Umständen vom Rangverlust und besser noch von der Schrumpfung des Geltungsbereiches des Gesetzbuches, so evoziert dies vielfältige Hypothesen und Abläufe, die alle das Primat des Gesetzbuches irgendwie in Frage stellen, aber nicht alle auch dessen Beziehung zur Verfassung berühren. Dreierlei gilt es hier auseinanderzuhalten.

a) Einerseits die allmähliche Überschattung der zentralen Rolle des Gesetzbuches durch sonstiges Privatrecht, das sich immer mehr ausserhalb der Kodifikation ausbildet und immer weniger von ihr abhängt, weil es der Lösung schichtspezifischer Probleme gewidmet ist. Welche Entwicklung mag zu einer solchen Dekodifikation geführt haben? Es war die Entwicklung, die soeben dargestellt worden ist und die zur Entstehung der sozialen Frage geführt hat. Sie hatte nämlich gezeigt, dass die Gesellschaft, an die sich das Gesetzbuch generell und mit dem Anspruch auf ausschliessliche Geltung wendete, weniger homogen war als erwartet und erhofft worden war. Ihre Einheit war eher Fiktion als Realität. So begannen voneinander getrennte soziale Gruppen den Wunsch nach Privatsonderrecht anzumelden und Druck auszuüben, damit ihm entsprochen werde. Damit droht jene soziale Vereinheitlichung auseinanderzufallen, die zugleich Lebensgesetz und Hauptwirkung der Kodifikation bedeutet hatte. So scheint denn der Augenblick nicht mehr weit, in dem uns diese Entwicklung zwingt, anders über die zentrale Rolle der Kodifikation zu denken, als dies bisher der Fall gewesen ist 64.

b) Andererseits hat die Notwendigkeit, Massnahmen gegen die freiheitswidrigen Folgen der Ausübung privater Rechte zu ergreifen, eine andere Beziehung zwischen öffentlichem und privatem Recht möglich gemacht, nämlich eine solche der Kooperation und der gegenseitigen Ergänzung, die ein ganzheitliches Verständnis der Rechtsordnung wieder hat aufleben lassen. Unter solchen Umständen

führen wieder Brücken vom öffentlichen zum Privatrecht: In Gestalt einer immer umfangreicheren öffentlich-rechtlichen Gesetzgebung, die sich — wie es das Beispiel des öffentlichen Baurechts besonders gut zeigt — nun nicht mehr damit begnügt, äussere Existenzbedingungn eines Rechts festzulegen, die vielmehr bewusst auf positive Korrektur und Gestaltung, auf Schaffung jener Infrastrukturen zielt, die zur Ermöglichung und Absicherung privatrechtlicher Freiheiten unumgänglich geworden sind 65. Auf diese Weise wird von Jahr zu Jahr das öffentlich-rechtliche Gewebe um das Gesetzbuch dichter und vielfältiger. Es beherrscht das Umfeld des Privatrechts, wirkt sich auf die Valenz des Gesetzbuches aus und bestimmt den Raum seiner Geltung immer wieder neu.

Mit anderen Worten sind ohne seine Berücksichtigung Aussagen über die effektive Tragweite privatrechtlicher Herrschaft kaum mehr möglich. Werden sie dennoch -sozusagen mit Scheuklappen —gewagt, so arten sie unweigerlich zu Verzer rungen der Wirklichkeit aus. Ich weiss natürlich, dass dies bequem und ideologisch nützlich sein kann. Dass es einen Sinn haben kann, etwa vom Eigentum zu erzählen, es sei als eigentlich unbeschränkte Herrschaft im Privatrecht entstanden, dort geregelt und erst im nachhinein -daher unwesentlich - vom öffentlichen Recht beschränkt worden. Ich meine nur, dies wäre weder glaubwürdig noch besonders praxisnah, daher besser zu unterlassen.

c) Vor allem aber gehören all die Fälle hierher, in denen die vorne erwähnten und einer Korrektur bedürftigen Missstände Widersprüche zwischen den privatrechtlichen Freiheiten und den Grundrechten der Verfassung offenlegen — etwa zwischen der Vertragsfreiheit und der Handels- und Gewerbefreiheit, um nur ein Bei spiel zu erwähnen 66. In diesen Fällen erscheint es naheliegend und durchaus begrüssenswert, die fälligen Korrekturen dadurch vorzunehmen, dass man den Widerspruch aufhebt und das Privatrecht vermehrt im Lichte der Verfassung sieht, auslegt und ergänzt 67. Was damit gemeint sein könnte, soll in einem letzten Punkt berührt werden.

Grundrechtsverwirklichung im Privatrecht

Die Prämisse einer solchen Methode ist ein Verständnis der Grundrechte, das über das rein Defensive hinausgeht und diesen Rechten auch konstitutive Bedeutung für die ganze Rechtsordnung zuerkennt. Grundrechte sind demnach nicht bloss Mittel zur Abwehr staatlicher Gewalt, sondern zugleich auch Grundlagen, Mass und Ziel der staatlichen Ordnung überhaupt. Sie sind Grundprinzipien, die bei jeder staatlichen Tätigkeit zu berücksichtigen und auch im sozialen Bereich zu verwirklichen sind. Sie gelten — so lautet die breviloquente Formulierung —nicht nur in der vertikalen, sondern auch in der horizontalen, zwischenmenschlichen Beziehung. Von dieser Erkenntnis ausgehend, ergeben sich zwei zusammenhängende Ansichten, nämlich die Lehre von der verfassungskonformen Auslegung allen Rechts, somit auch des Privatrechts, und jene von der Drittwirkung der Grundrechte. Die


erste meint, dass auch das Gesetzbuch in offener Beziehung zu seiner Verfassung steht und von ihr aus gedacht und interpretiert werden muss 68. Dies wird auch in jenen Ländern vorbehaltlos anerkannt, indenen eine neuere Verfassung das bisherige ältere Zivilgesetzbuch umdeutet, ja dessen regelrechte Uminterpretation nahelegt, wie etwa in der Bundesrepublik und in Italien 69. Die zweite, die Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte 70, ist noch tiefgreifender und erwartet sowohl vom Privatrechtsgesetzgeber als auch vom Privatrecht anwendenden Richter eine offene Berücksichtigung jener Werte, die das Wesen der Grundrechte ausmachen.

Diese Werte sollen nicht nur vom Staat, sondern auch von den Mitmenschen beachtet, somit in der zwischenmenschlichen Beziehung verwirklicht werden, damit privatrechtliche Rechtsausübung nicht mehr in Widerspruch zur Verfassung gerate. Seitdem nicht mehr bestritten, sondern leicht nachgewiesen werden kann, dass nicht nur staatliche, sondern auch rein soziale Machtausübung privatrechtliche Freiheiten zu gefährden vermag, setzt sich diese Lehre auch bei uns zusehends durch 71 und gestaltet die Rangordnung zwischen Verfassung und Kodifikationen neu 72. Von ihr ausgehend sind bereits zahlreiche privatrechtliche Bereiche nach Massgabe grundrechtlicher Werte aus- und umgestaltet worden, und zwar sowohl durch den Gesetzgeber selber als auch durch den Richter. Erinnert sei hier an die Durchsetzung der Geschlechtergleichheit im Ehe- und Familienrecht, die in Erfüllung eines verfassungsmässigen Auftrages (Art. 4 II BY) erfolgte 73; an die Beachtung der Koalitionsfreiheit bei der gesamtarbeitsvertraglichen Regelung von Arbeitsverhältnissen 74, insbesondere auch bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen 75; an die Geltung der Religionsfreiheit auch im Verhältnis zwischen Ehegatten 76; an die Anerkennung einer sogenannten privatrechtlichen Handels- und Gewerbefreiheit 77 im Vorfeld der Kartellgesetzgebung 78 sowie an den privatrechtlichen Schutz der Persönlichkeit 79.

Schluss

Andere Beispiele müssen unerwähnt bleiben, und weitere werden bestimmt noch hinzukommen, sobald die Notwendigkeit einer solchen Öffnung gegenüber dem Verfassungsrecht Allgemeingut auch unserer Zivilistik geworden ist. Heute ist es noch nicht soweit. Widerstand wird gelegentlich noch von den Privatrechtlern im Namen der Autonomie der altehrwürdigen zivilistischen Methode geleistet. Aber auch diese Methode ist dem geschichtlichen Wandel unterstellt. Sie wird sich —will sie nicht bloss juristische Denkmalpflege werden —einem anderen Verständnis öffnen müssen, jenem, wozu die heute umrissene Geschichte unweigerlich und unaufhaltsam drängt. Dieses wird zwar nicht alle unsere sozialen Probleme lösen, weil ohnehin nur die wenigsten von ihnen durch bloss rechtliche Massnahmen zu bewältigen sind. Aber bestimmt wird es dazu beitragen, unter widerstreitenden Interessen Ausgleiche zu ermöglichen, die diesen Namen verdienen.

Anmerkungen

1 Statt vieler vgl. U. Th. Roth, Samuel Ludwig Schnell und das Civil-Gesetzbuch für den Canton Bern von 1824-1830, Ein Beitrag zur Kodifikationsgeschichte des schweizerischen Privatrechts, Diss. jur. Bern 1948, passim; P. Eivor; Die staatsrechtliche und politische Bedeutung der bernischen Kodifikation des privaten Rechts (1824-1830), Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 119, 1983, S. 441-457.

2 Womit nicht geleugnet werden soll, dass oft genug sowohl im Mittelalter als auch in der Neuzeit (beide Epochen liegen ausserhalb des hier untersuchten Zeitraumes) klar wird, «dass das Privatrecht bis zu einem gewissen Grade seine eigenen Wege geht und oft lange von dem Staate und dessen Veränderungen wenig affiziert wird» (so Fr. y. Wyss, Zeitschrift für Schweizerisches Recht 15, 1867, S. 27). Zum scheinbar autonomen Weg, dem das Privatrecht oft folgte (als gemeines Recht, als astaatliches Recht, als Naturrecht nat. vgl. D. Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt M. 1987, S. 28, 84-85, 206, 208, 218, 295; P. Liver, Die bernische Kodifikation, S. 443. Diese These bedürfte allerdings einer eingehenden Kritik, die auf Korrekturen durch konkrete Auslegung und ergänzende lokale Gesetzgebung verweisen sollte. Doch fehlt hier dafür der Raum. Andererseits hat der patrimoniale Charakter des altrechtlichen Staates eine weitgehende materielle Einheit aller Elemente der Rechtsordnung bestimmt gefördert.

3 Schon im XVIII. Jahrhundert wurde das ganze Verfahren der schriftlichen Aufzeichnung als Kodifikation bezeichnet, so dass man etwa von «code politique», «code civil» und «code criminell sprach: so etwa J. -J. Rousseau, Considérations sur le gouvernement de Pologne, ch. X (OEuvres complètes, Bibliothèque de la Pléiade, III, Paris 1964, S. 1001).

4 So das Dekret der Assemblée nationale française vom 24. August 1790, zit. von D. Grimm, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Privatrechtsgesetzgebung, in H. Coing, Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Band III/1, München 1982, S. 17-173, Zitat S.26.

5 Was bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts Feuerbach sehr klar gesehen hat. Vgl. P. J. A. Feuerbach, Betrachtungen über den Geist des Code Napoléon und dessen Verhältnis zur Gesetzgebung und Verfassung teutscher Staaten überhaupt, und Baierns insbesondere, in Themis, oder Beiträge zur Gesetzgebung 1, 1812, S. 3-73, besonders 62-63.

6 Einzelnes zu diesem Begriff bei G. Tarello, Storia della cultura giuridica moderna, I, Assolutismo e codificazione de! diritto, Bologna 1976, S.561, 595, 609-612, 615, 620; D. Schefold, Volkssouveränität und repräsentative Demokratie in der schweizerischen Regeneration 1830-1848, Basel/Stuttgart 1966, S. 82-92; F. Renner, Der Verfassungsbegriff im staatsrechtlichen Denken der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert, Zürich 1968, S. 21-29; R. Bäumlin, Lebendige oder gebändigte Demokratie?, Basel 1978, S. 74 ff., 81 ff.; D. Grimm, Grundlagen, S. 17.

7 Zum hier zusammengefassten Kodifikationsbegriff ausführlich P. Caroni, «Privatrecht»: Eine sozialhistorische Einführung, Basel/Frankfurt M. 1988, S. 53 ff.

8 D. Grimm, Grundlagen, S. 26, 67-69; D. Schefold, Volkssouveränität, S. 22-25.

9 Ich beschränke mich hier sowie in den drei folgenden Anmerkungen auf die Heranziehung regenerierter Kantonsverfassungen: Zürich 1831, Art. 3; Bern 1831, Art. 7-9; Luzern 1831, Art. 4; Glarus 1836, Art. 3; Fribourg 1832, Art. 4-6; Basel-Stadt 1833, Art. 3; Baselland 1832, Art. 5; Schaffhausen 1831, Art.4; Aargau 1831, Art. 10; Thurgau 1831, Art. 9; Tessin 1830, Art. 4; Waadt 1831, Art. 2.

'° Zürich 1831, Art. 7; Bern 1831, Art. 16; Glarus 1836, Art. 9; Solothurn 1831, Art. 50; St. Gallen 1831, Art. 16; Aargau 1831, Art. 15; Thurgau 1831, Art. 12; Tessin 1830, Art. 6.

11 Zürich 1831, Art. 16; Bern 1831, Art. 22; Luzern 1831, Art. 8; Baselland 1832, Art. 18-19; Schaffhausen 1831, Art. 10; St. Gallen 1831, Art. 5-7; Aargau 1831, Art. 22-23; Thurgau 1831, Art. 15; Fribourg 1832, Art. 14-15; Basel-Stadt 1833, Art. 16; Tessin 1830, Art. 37.


«Il fant quo chaque inge, comme chaque citoyen puisse avoir sens les yeux les reglos d'après lesquelles il dort se conduire, et quo la connaissance de cos reglos ne seit plus le privilegs de quelques-uns. La publication des codes, messieurs, aura pout l'affermissement de la democratie une influence dorit 'avenir vens démontrera tönte la puissance.»

Diss. jur. Zürich, in Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte 100, 1963, S. 1-203, besonders S. 21 Ziff. 17, 76, 168.

heute -Vom Sinn des Eigentums und seiner verfassungsrechtlichen Gewährleistung, Zeitschrift für Schweizerisches Recht 1981, II, S. 1-116, besonders 53-54, 103, 110.