Wandlungen des Freiheitsraumes
in den privaten Unternehmungen
Rektoratsrede von
Prof. Dr. Walter Müller
Verlag Paul Haupt Bern 1969
Alle Rechte vorbehalten
Copyright ©1969 by Paul Haupt Berne
Printed in Switzerland
Druck: Paul Haupt Bern
Die Intentionen eines Betriebswirtschafters, der den Freiheitsraum in
den privaten Unternehmungen als Thema seiner Rektoratsrede wählt,
können sich nicht darauf richten, Freiheit im umfassenden, einzig vom
Philosophen ganz zu ergründenden Sinn ins Auge zu fassen. Nur eine
spezielle, mit der betriebswirtschaftlichen Fragestellung unmittelbar
verknüpfte Ausdrucksform von Freiheit steht hier zur Diskussion: Die
Chance des einzelnen, in der Unternehmung sein Verhalten nach dem
eigenen Wertsystem und der eigenen Beurteilung der Verhaltensfolgen
richten zu können. Freiheit ist in dieser Ausdrucksform identisch mit
dem Freisein von Fremdbestimmung und insofern der politischen Freiheit
am nächsten verwandt.
Mit unserer Kenntnis der Wirklichkeit wäre eine solche Umschreibung
des zentralen Begriffs des Themas schwer verträglich, wenn wir nicht
sogleich beifügen würden, das in der Unternehmung die Chance der
Selbstbestimmung nie unbegrenzt gegeben sein kann. Erste Schranken
werden dem Freiheitsraum des Einzelnen durch die Gesamtzielsetzung
der Unternehmung gesetzt. Raum für die Selbstbestimmung besteht im
äußersten Fall nur insoweit, als diese Zielsetzung verschiedenen Interpretationen
zugänglich ist und verschiedene Verhaltensweisen sich zur
Erreichung eines fixierten Zieles gleich gut eignen. Mit diesen Schranken
des Freiheitsraumes und anderen Notwendigkeiten der Fremdbestimmung
in der Unternehmung haben wir uns zunächst zu befassen.
Bewußte Zielsetzungen fassen inhaltlich geklärte Wünsche in einer
Formulierung, die alle nötigen Massstäbe und Anweisungen für die Wahl
der besten oder einer befriedigenden Verhaltensweise in sich enthält.
Indem Wünsche sich durch diese Formulierung in Zielsetzungen verwandeln,
erhalten sie zugleich die Qualität von Werten und damit die
diesen eigene normative Potenz: die Fähigkeit, menschlichem Verhalten
eine bestimmte Richtung zu geben. Diese normative Potenz besitzen
auch die Gesamtzielsetzungen der Unternehmungen und aller anderen
sozialen Verbände. Sie stellen das Verhalten des Mitgliedes in den
Dienst des Verbandes und begründen dadurch letztlich auch jede verbandliche
Ordnung, die sich in der Übereinstimmung zwischen dem tatsächlichen
Verhalten oder Verhaltensergebnis des einzelnen Mitgliedes
und den entsprechenden Erwartungen der anderen Mitglieder zu erkennen
gibt und am Grad solcher Übereinstimmung auch gemessen
werden kann.
In jeder privaten Unternehmung wird diese Ordnung in einem gewissen
Maße autoritär hergestellt. Sie beruht insoweit also nicht auf einer
selbstbestimmten Unterstellung des Einzelnen unter das Gesamtziel,
sondern auf direkten Weisungen von Vorgesetzten. Diese autoritäre
Prägung zeigen nicht nur die privaten Unternehmungen des westlichen
Wirtschaftssystems, sondern auch die Unternehmungen in den sozialistischen
und kommunistischen Wirtschaftsordnungen. Selbst die im
Verlaufe der Geschichte in Unternehmungen gelegentlich ausprobierten
Rätesysteme vermochten nicht ohne Vorgesetzte auszukommen. Die
Autorität in den privaten Unternehmungen ist deshalb nicht auf das
Eigentum an den sachlichen Produktionsmitteln zurückzuführen, dessen
Einfluss sich in der Regel auf die personelle Besetzung der obersten
Unternehmungsspitze beschränkt, sondern allein auf unternehmungseigene
Notwendigkeiten. Wie sind diese Notwendigkeiten aus den
Gegebenheiten der Unternehmung zu erklären und welches sind die
ihnen entsprechenden Ordnungsmittel?
In die Umschreibung der Gesamtzielsetzung der Unternehmung können
nur sehr allgemeine Maßgrößen für die Bewertung von Verhaltensweisen,
z. B. die Erhaltung der Existenz, die Erzielung von Gewinn, die
Pflege einer guten Arbeitsatmosphäre aufgenommen werden. Sie bedarf
deshalb mit dem Wachstum der Unternehmung und dem Wandel der
Umwelt immer wieder einer neuen Interpretation. Als Grundlage für
Entscheide über die Finanzierung, die Investitionen in Anlagen und die
Personalbeschaffung hat sich die Unternehmung einen längerfristigen
Aktivitätsspielraum zurechtzulegen, und kurzfristige Aktivitätsziele für
Absatz und Produktion müssen zeigen, wie dieser Spielraum in der
jeweiligen Situation ausgenützt werden soll. Diese schwierige Interpretationsaufgabe
kann nur von einzelnen, dazu auch besonders ausgebildeten
Personen an der Unternehmungsspitze sachgemäss gelöst werden.
Die mit dem technischen Fortschritt und dem ökonomischen
Wachstum untrennbar verbundene Arbeitsteilung verlangt ferner eine
Zerlegung des Aktivitätsspielraumes der Unternehmung in Aufgabengebiete
für Gruppen und Teilgruppen von Personen und letztlich für einzelne
Unternehmungsangehörige und eine Auflösung der kurzfristigen
Aktivitätsziele in Teilziele für jede Stufe dieser mit der Unternehmungsorganisation
im wesentlichen gleichbedeutenden Aufgabenhierarchie.
Die Unternehmungsspitze kann solche Zielkonkretisierungen nur noch
für die obersten Stufen der Hierarchie vornehmen. Die Unmöglichkeit,
alle für den vollständigen Zielkonkretisierungsprozeß nötigen Informationen
bei einer Stelle zu konzentrieren, zwingt dazu, diesen Prozess für
die weiteren Stufen an eine Hierarchie von Vorgesetzten zu delegieren.
Neben den verschiedenen Arten von Zielanweisungen kennt die Praxis
als ein weiteres Ordnungsmittel autoritärer Prägung auch Vollzugsanweisungen,
durch die einem Mitarbeiter bestimmte instrumentale Verhaltensweisen
zur Erreichung einer vorgegebenen Zielsetzung auferlegt
werden. Diese Anweisungskompetenz stützt sich vorzugsweise auf das
Argument, die mit der Vorgesetztenhierarchie gekoppelte Verantwortung
erlaube es dem Vorgesetzten nicht, instrumentale Entscheide größerer
Tragweite ganz dem Mitarbeiter selbst zu überlassen.
Ziel- und Vollzugsanweisungen sind die Ordnungsmittel im Bereiche der
eigentlichen Aktivität. Daneben ordnen in den Unternehmungen, wie in
alten anderen sozialen Verbänden, Interaktionsnormen die zwischenmenschlichen
Kontakte, das gegenseitige Benehmen bei jeder Art gemeinsamer
Tätigkeit und bei der Austragung von Konflikten. Diese Interaktionsnormen
beruhen auch in den Unternehmungen größtenteils auf
allgemeinen gesellschaftlichen Konventionen und auf persönlichen Haltungen.
Die Unternehmung besitzt jedoch die Möglichkeit, diese Ordnungsmittel
durch unternehmungsindividuelle Normen autoritärer Prägung
zu ergänzen.
Die jeweilige Kombination der verfügbaren Ordnungsmittel verleiht der
Ordnungsstruktur der einzelnen Unternehmung ihre Eigenart und dem
Freiheitsraum des einzelnen im speziellen seine Dimension. Das ist nunmehr
an den Beispielen der traditionellen Ordnungsstruktur und einiger
neuerer Ordnungskonzepte näher aufzuzeigen.
Die traditionelle Ordnung stützt sich grösstenteils auf Vollzugsanweisungen.
Der personellen Hierarchie fehlt in der Regel, von rudimentären
Ansätzen abgesehen, die Überdeckung durch eine formalisierte, aus der
Zerlegung des Aktivitätsspielraumes der Unternehmung gewonnene
Hierarchie von Aufgabengebieten. Kurzfristige Aktivitätsziele werden
den Mitarbeitern ebenfalls nicht allgemein und systematisch, sondern
nur gelegentlich, bei besonderen Anlässen, vorgegeben. Der einzelne
kann deshalb sein Aufgabengebiet und die unmittelbaren Ziele seiner
Tätigkeit zumeist nur indirekt und ungefähr aus den ihm erteilten Vollzugsanweisungen
erkennen. Die Interaktionsnormen dieser Ordnungsstruktur
sind ganz auf die gesellschaftlichen Konventionen und die persönliche
Haltung der einzelnen Vorgesetzten ausgerichtet.
Ein Vorgesetzter kann nie alle Vollzugshandlungen durch Anweisungen
lenken und mit den abgegebenen Weisungen nie alle Einzelheiten des
tatsächlichen Verhaltens festlegen, aber die Grenzen des Freiheitsraumes
des einzelnen Mitarbeiters sind in der traditionellen Ordnung
im allgemeinen doch sehr eng gesteckt. Die Unbestimmtheit des Aufgabengebietes
und die Unklarheit über die kurzfristigen Aktivitätsziele
beschränkt die Verantwortung des Mitarbeiters im wesentlichen auf die
ihm auferlegten Vollzüge. Der Vorgesetzte wird dadurch zu einem intensiven
Gebrauch seiner Ordnungsmittel gedrängt, und der orientierungslose
Mitarbeiter kann sich seinerseits gezwungen sehen, zur eigenen
Rückendeckung fehlende Vollzugsanweisungen anzufordern. Die Grenzen
des Freiheitsraumes bleiben überdies —trotz seiner Enge —fließend.
Den immer punktuell auf eine bestimmte Verhaltensweise gerichteten
Vollzugsanweisungen fehlt die Fähigkeit der Grenzziehung. Abhängig
von den autoritären Neigungen des Vorgesetzten bleibt deshalb die
Freiheit ohne Sicherheit, ohne Schutz vor zufälligen, willkürlichen
Eingriffen. Vollzugsanweisungen sind außerdem kurzlebig, sie folgen
sich Tag für Tag, wenn nicht stündlich und richten sich immer an eine
einzige Person, welche in der Regel die möglichen Verhaltensweisen
genau kennt und die Anweisung deshalb deutlich als Mißachtung des
eigenen Beurteilungsvermögens empfinden muss. Es ist ebenso sehr
diesen speziellen Eigenschaften der Vollzugsanweisung wie ihrem starken
Eingriff in die Sphäre der Selbstbestimmung zuzuschreiben, daß
sie als eine besonders unangenehme Ausdrucksform von Autorität angesehen
wird.
Die Anfechtung traditioneller Ordnungsstrukturen und insbesondere der
Protest gegen autoritäre Ordnungsmittel gehören zum wichtigsten Diskussionsstoff
unserer Zeit. Neue Ordnungskonzepte für die Universitäten
und die Kirchen beschäftigen über den Kreis der unmittelbar Beteiligten
hinaus eine breitere Öffentlichkeit. Die Ordnungsprobleme der Unternehmungen
haben bisher keine so allgemeine Aufmerksamkeit gefunden.
In der Wissenschaft werden sie dagegen schon seit vielen Jahren
intensiv erörtert, und im Kreise der Unternehmungen ist in jüngerer Zeit
ebenfalls eine lebhafte Auseinandersetzung mit der traditionellen Ordnungsstruktur
und ein bewußtes, vielfach mit großem Einsatz und
drängendem Eifer betriebenes Suchen nach neuen Ordnungskonzepten
in Gang gekommen.
Man hätte gegen die traditionelle Ordnungsstruktur wohl schon immer
einwenden können, sie schränke durch die einseitige Verwendung der
Vollzugsanweisung als Ordnungsmittel den Freiheitsraum des einzelnen
Mitarbeiters in unnötiger, ja sogar in einer für die Unternehmung schädlichen
Weise ein. Die Kritik setzte jedoch erst ein, als in der Praxis
Schwierigkeiten auftraten, die innerhalb der traditionellen Ordnungsstruktur
nicht mehr bewältigt werden konnten. Mit den ständig verbesserten
Möglichkeiten, komplexe Entscheidsituationen gründlich zu
durchleuchten und über ein sorgfältiges Prozedere optimale Entscheide
zu finden, sind die Aufgaben der Vorgesetzten immer umfangreicher und
komplizierter geworden. Die Einführung der neuen Entscheidmethoden
bewirkte deshalb eine dauernde Überlastung der bereits im Übermass
mit den Vollzugshandlungen ihrer Mitarbeiter beschäftigten Vorgesetzten.
Als man sich daraufhin intensiv um eine Verminderung dieser
Arbeitsbürde zu kümmern begann und dabei auch die Möglichkeiten
einer Reduktion der Vorgesetzteneingriffe in den Aufgabenbereich der
Mitarbeiter überprüfte, konnte es sachlichem, von Bestrebungen um die
Erhaltung autoritärer Positionen unbeirrtem Denken nicht entgehen,
das durch viele Vollzugsanweisungen Entscheidungen auf die Ebene
des Vorgesetzten gehoben werden, die ein gut geschulter, über speziellere
Erfahrungen verfügender und mit der zu bewältigenden Situation
enger vertrauter Mitarbeiter selbst besser fällen könnte.
Die Reduktion der den Vorgesetzten hemmenden Arbeitsbürde und die
Aussicht auf bessere Entscheide wären für sich allein schon Grund
genug, die Vollzugskompetenzen in möglichst großem Umfange auf
den Mitarbeiter zu übertragen. Für eine solche Delegation spricht darüber
hinaus aber auch die immer wieder geäußerte, empirisch bisher
allerdings weder eindeutig bestätigte noch widerlegte Annahme, die
Vergrößerung des Freiheitsraumes werde eine größere Bereitschaft
der Mitarbeiter zu guten Leistungen nach sich ziehen. Im übrigen wissen
heute neben den Unternehmungsleitungen auch große Teile des Personals,
dass die Legitimation der Vollzugsanweisungen als Ordnungsmittel
fragwürdig und damit die Notwendigkeit, sich solchen Anweisungen
zu fügen, zweifelhaft geworden ist. Sie zeigen deshalb auch
immer weniger Bereitschaft, sich mit der durch die Vollzugsanweisungen
geprägten traditionellen Ordnungsstruktur abzufinden. Selbstbestimmung
im Bereiche des Vollzugs ist vor allem für die gehobeneren
Schichten der Angestelltenschaft zu einem wichtigen Kriterium bei der
Wahl des Arbeitsplatzes geworden.
Die Kritik an der traditionellen Ordnungsstruktur und das Verlangen
nach mehr Selbstbestimmung haben die Entwicklung von Ordnungskonzepten
angeregt, in denen explizit formulierte Zielanweisungen zum
tragenden Ordnungsmittel erhoben werden. In einer Grundanweisung
wird eine allgemeine Umschreibung des Aufgabengebietes gegeben;
dazu gesellen sich spezielle, kurzfristige Aktionsziele, die im Zuge der
Entwicklung neuer Führungstechniken immer mehr in allgemeine, verschiedene
Zielsetzungen koordinierende Pläne aufgenommen werden.
Die weiterhin notwendig erscheinenden Vollzugsanweisungen werden
in dieser Ordnungsstruktur nach Möglichkeit generalisiert und als überindividuelle
Freiheitsbeschränkungen in die Form unternehmungspolitischer
Grundsätze gekleidet. Individuelle Anweisungen des Vorgesetzten
an einen Mitarbeiter bleiben lediglich noch für Ausnahmesituationen
vorbehalten. Mit diesem Ordnungskonzept geraten allerdings die traditionellen
Vorstellungen von der Verantwortlichkeit des Vorgesetzten für
das Verhalten seiner Mitarbeiter in Widerspruch. Eine solche Verantwortlichkeit
kann nur noch für die Auswahl, Schulung und laufende
Information des Mitarbeiters und für die Zielsetzung selbst bestehen.
Dagegen hat der Mitarbeiter allein für seine Wahl der Vollzugshandlungen
einzustehen.
Im erweiterten Freiheitsraum der neuen Ordnungsstruktur wird der Einzelne
mit seinen Fähigkeiten viel stärker auf die Probe gestellt als in
der Enge der Vollzugsanweisungen der traditionellen Ordnung. In der
Bewährung gewinnt er deshalb auch ein klareres Bewusstsein seines
Wissens und Könnens, das sich mit einigen unter der traditionellen Ordnung
eingelebten Interaktionsnormen nicht mehr leicht verträgt. In der
Praxis werden deshalb in den neuen Ordnungskonzepten auch neue
lnteraktionsnormen eingeführt, von denen man hofft, dass sie rasch dem
Bereich der Konventionen einverleibt und damit als ausdrückliche Weisungen
bald überflüssig werden. Solche Normen dienen nicht nur dazu,
autoritäres Vorgesetztengehaben zu eliminieren, das heute ebenso Anstoß
erregt wie eine übermäßige Einschränkung des Selbstbestimmungsraumes.
Sie regeln auch den Verlauf heiklerer formeller Gespräche,
z. B. den Ausdruck eines Tadels, und sie ordnen insbesondere
die Art und Weise der Austragung von Konflikten, indem neben speziellen
Gesprächsformen auch sorgfältig formulierte Beschwerderechte
geschaffen werden.
Dieses neue Konzept findet in der Wirtschaft nur langsam Eingang. Die
dem Wettbewerb ausgesetzten Unternehmungen sind existentiell zu
empfindliche Gebilde, als dass mit ihrer Ordnungsstruktur leichthin
experimentiert werden dürfte. Konsequent durchformalisierte Realisationen
der neuen Struktur verdienen deshalb heute noch immer die
Auszeichnung der Pionierleistung. Die abwartende Haltung vieler Unternehmungen,
aufgelockert vielleicht nur durch einige tastende Versuche,
erklärt sich überdies auch daraus, dass bei der Umstellung auf die neue
Ordnungsstruktur nach aller Erfahrung beträchtliche Schwierigkeiten
entstehen. Trotz aller Forderungen, mehr frei zu sein, müssen die Mitarbeiter
an den Freiheitsgebrauch gewöhnt und dabei insbesondere
immer wieder davon abgehalten werden, sich in offener oder versteckter
Form — zur Rückendeckung — beim Vorgesetzten doch wiederum Vollzugsanweisungen
einzuholen. Den Vorgesetzten ist die Aufgabe auferlegt,
sich von ihren Verhaltenserwartungen zu lösen und sich bewußt
zu werden, daß die Erfüllung von Zielerwartungen auch dann als Ordnung
zu gelten hat, wenn die Vollzugshandlungen der Mitarbeiter durchaus
nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen. Bisher selbstverständliche
autoritäre Denkweisen müssen zugunsten einer überlegeneren
Sachlichkeit aufgegeben werden.
Indem die neuen Ordnungsstrukturen die Fähigkeit des Mitarbeiters zur
selbständigen Verwirklichung ihm vorgegebener Ziele ausdrücklich
anerkennen, führen sie nahezu von selbst auch zu einer Mitsprache des
Mitarbeiters bei allen ihn betreffenden Entscheidungen. Vom Mitarbeiter
wird normalerweise erwartet, daß er selbst, versehen mit allen Informationen
aus seinem Aufgabenbereich die Formulierung seiner Zielsetzung
und der zur Bewältigung von Ausnahmesituationen noch vorbehaltenen
Vollzugsanweisungen entwirft, dem Vorgesetzten beantragt
und gegen Einwendungen auch vertritt, In manchen Ordnungsreglementen
werden solche Erwartungen als Pflichten des Mitarbeiters niedergelegt.
Nimmt dieser sie ohne Scheu wahr, so birgt die Mitsprache allerdings
auch Konfliktmöglichkeiten in sich. Da der Vorgesetzte entscheidet,
können zwischen ihm und dem Mitarbeiter erhebliche, offen zum
Ausdruck gebrachte Meinungsdifferenzen bestehen bleiben.
In der traditionellen Ordnung mit ihrem stark autoritären Einschlag wird
die offene Darlegung von Meinungsdifferenzen gegenüber dem Vorgesetzten
und eine Kritik an seinem Verhalten leicht als Disziplinlosigkeit
beurteilt und eine Beschwerde gegen den Vorgesetzten deshalb kaum
zugelassen. Einer solchen Einstellung ist die Einsicht fremd, nao Konflikte
auch in der Unternehmung eine positive Funktion erfüllen können.
In einer freimütigen Aussprache zwischen Vorgesetzten und einem Mitarbeiter
über abweichende Auffassungen lassen sich bei beiden Partnern
die Informationen über die zu bewältigende Situation vervollständigen,
vorgegebene Wertungen können geklärt und beidseitige Vorausschätzungen
der Effekte möglicher Verhaltensweisen einander angeglichen
werden. In solchen Aussprachen liegt deshalb eine besondere
Chance, überholte Routineentscheide als solche zu erkennen, die täglichen
Entscheide zu verbessern und eigentliche Innovationsvarianten
zu entwickeln. Die Beschwerde ist der legale Weg des Mitarbeiters, der
Unternehmung allenfalls die gleichen Vorteile auch gegen den Widerstand
eines Vorgesetzten zu verschaffen. Die Möglichkeit der sachlichen
Austragung von Konflikten vermag überdies der Unternehmung fähige
Mitarbeiter zu erhalten, die andernfalls lieber den Arbeitsplatz wechseln
würden, als sich falschen Entscheiden zu beugen. Die Austragung von
Meinungsdifferenzen, die Beschwerde und Schlichtung werden deshalb
in den neuen Ordnungskonzepten mit besonderer Sorgfalt geordnet.
Die heute in privaten Unternehmungen den Interaktionsnormen gewidmete
Aufmerksamkeit, die Sorgfalt, mit der neue Normen entwickelt
werden und die Mühe, die man darauf verwendet, solche Normen möglichst
gut einzuführen und bei allen Beteiligten bald zur Konvention
werden zu lassen, steht in scharfem Gegensatz zur Untätigkeit, in der
die Universität gegenüber dem Problem ihrer eigenen lnteraktionsnormen
verharrt. An vielen deutschen Universitäten hat die schrittweise und
zuletzt vollständige Erosion aller Normen dieser Art zu einem Ordnungsvakuum
geführt, das auch die eigentlichen Zweckbereiche der Forschung
und Lehre in ein Chaos zu verwandeln droht. Im Ordnungsvakuum
der lnteraktionsnormen gedeiht nur noch der Terror. Über ähnliche
Verhältnisse haben wir uns glücklicherweise an schweizerischen
Universitäten nicht zu beklagen. Dass aber auch bei uns da und dort
die lnteraktionsnormen abzubröckeln beginnen, kann keinem aufmerksamen
Beobachter, beispielsweise der Ereignisse an unserer Universität,
kurz vor Ende des Sommersemesters, entgehen. Solche Erscheinungen
decken ein Problem und eine aktuelle Ordnungsnotwendigkeit
auf. Wir sollten den Mut haben, uns damit zu befassen.
Die eigentlichen Probleme der Universität liegen nicht bei den bestehenden,
sich weitgehend mit den allgemeinen gesellschaftlichen Konventionen
deckenden lnteraktionsnormen, obwohl einige von ihnen
heute in Zweifel gezogen werden. Es sind vielmehr die vorhandenen
Ordnungslücken, welche uns beschäftigen müssen. Vor allem fehlen
lnteraktionsnormen, welche erlauben würden, auch schwierigere Fälle
von Meinungsverschiedenheiten in einer geordneten und sachlichen
Art auszutragen. Die Universität kennt keine Normen, die einem Studenten
oder einem Assistenten oder irgendeiner Gruppe zeigen würden,
wie man sich im Konfliktfalle gegenüber der anderen Partei zu verhalten
hat. Soweit ich zu sehen vermag, gibt es nicht ein einziges sorgfältig
formalisiertes Beschwerderecht, und für schwere Konfliktfälle ist nirgends
eine obligatorische Schiedsstelle vorhanden. Alle diese Lücken
können nur durch die Universität selbst geschlossen werden. Sie muss
die nötigen Normen selbst entwickeln, auch wenn deren Inkraftsetzung
zum Teil durch eine Genehmigung seitens der Behörden erfolgen muss.
Ich appelliere an alle Angehörigen der Universität, sich zu dieser Selbstordnung
in gemeinsamer Anstrengung zusammenzufinden.
Kehren wir zu den privaten Unternehmungen und ihren Ordnungsproblemen
zurück. Obwohl die Vollzugsanweisungen als tragendes Ordnungsmittel
der traditionellen Struktur ihre Legitimation weitgehend verloren
haben, wird die Notwendigkeit von Autorität in den Unternehmungen
nirgends grundsätzlich in Frage gestellt. Aber jedes autoritäre
Ordnungsmittel wird heute — vor allem in der Wissenschaft — aufmerksamer
und kritischer beurteilt als früher. Man ist in diesem Sinne freiheitsbewußter
geworden und damit zugleich bereitwilliger, auch in der
Unternehmung auf eine der Grundüberzeugungen der westlichen Kultur
zu vertrauen: dass der Mensch in der Freiheit mehr und Besseres leiste
als unter autoritärer Führung. Aus dieser Haltung heraus (vorerst dagegen
noch kaum aufgrund entsprechender empirischer Befunde) wird,
zur Hauptsache in der Wissenschaft und —allerdings noch sehr selten —
auch in der Praxis, das auf den Zielanweisungen und einer intensiven
Mitsprache beruhende Ordnungskonzept in der Richtung eines nochmals
vergrößerten Freiheitsraumes weiterentwickelt.
Alle diese Bestrebungen sind auf das direkte Wirkungsfeld des einzelnen
Unternehmungsangehörigen ausgerichtet. Sie unterscheiden sich dadurch
klar von jenen Ordnungskonzepten, die unter der Bezeichnung
Mitbestimmung der Arbeitnehmer diskutiert werden. In Deutschland sind
bestimmte Kapitalgesellschaften von Gesetzes wegen dazu verpflichtet,
demokratisch gewählte Vertreter der Arbeitnehmer in bestimmter Funktion
als vollberechtigte Mitglieder in das oberste Unternehmungsorgan,
den Aufsichtsrat, aufzunehmen. Die Repräsentanten sind dazu berufen,
in den Entscheidungsprozessen die Gesichtspunkte und Interessen der
Arbeitnehmer zur Geltung zu bringen. Diese Ordnung ist letztlich politisch
motiviert. Sie dient dem Versuch, über eine Demokratisierung der
obersten Unternehmungsleitung den bestehenden und von alters her
ideologisch noch verschärften Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit
zu verkleinern. Die Freiheit im Wirkungsfeld des Einzelnen wird von
dieser Art der Demokratisierung jedoch nicht berührt.
Der erstrebten Vergrößerung des Freiheitsraumes bereits viel näher
liegen die Wirkungen einer in vielen Unternehmungen sich in aller Stille
vollziehenden Veränderung der Vorgesetztenautorität. Die Vorbereitung
der wesentlichen Entscheide im Bereich des Marktes und der Produktion
wird heute durch die immer weiter in die Zukunft vorverschobenen
Planungshorizonte und die Verwissenschaftlichung der Entscheidmethoden
so kompliziert, dass sie normalerweise die Kräfte eines einzelnen
bei weitem übersteigt. Sie muß zwangsläufig in die Hände ganzer
Gruppen von Mitarbeitern gelegt werden. Zur Hauptsache werden für
solche Aufgaben spezialisierte Stäbe eingesetzt. Diese legen ihrem Vorgesetzten
fertige Entscheidentwürfe vor, zu denen er häufig nur noch
ja sagen kann, weil ihm die Informationen und Methoden für die eigene
Beurteilung fehlen. Die Vorgesetztenkompetenz bleibt formal erhalten,
aber inhaltlich entleert sie sich. Man spricht nicht zu Unrecht von der
Macht der Stäbe. Als Gegengewicht zu solchen Machtpositionen und in
der Absicht, einen viel größeren Kreis von Unternehmungsangehörigen
an der Vorbereitung wesentlicher Entscheide zu beteiligen, wird die
Bearbeitung einzelner grösserer Innovationsprojekte immer mehr je
einer dazu speziell zusammengesetzten Kommission anvertraut, In manchen
Unternehmungen sind heute viele Mitarbeiter in stärkerem Maße
in wechselnden Kommissionen beschäftigt als in ihrem angestammten,
in der Aufgabenhierarchie ausgesonderten Tätigkeitsbereich. Ein amerikanischer
Autor hat für diese Organisationsform den guten Ausdruck
Matrizenorganisation gefunden. Sie zeigt dieselbe Wirkung wie die Einschaltung
von Stäben: Der materielle Gehalt der Vorgesetztenautorität
wird in starkem Masse von den in den Kommissionen arbeitenden Mitarbeitern
übernommen. Was den Vorgesetzten neben der formalen Entscheidungskompetenz
häufig noch bleibt, ist die Rolle des Schiedsrichters
zwischen divergierenden Meinungen innerhalb der vorbereitenden
Kommissionen.
Und nun zu den Ordnungskonzepten, welche zur Vergrößerung des
Freiheitsraumes direkt bei den autoritären Ordnungsmitteln ansetzen.
Eine ebenfalls in der Schweiz in einigen Unternehmungen zu beobachtende
Tendenz geht dahin, dem Mitarbeiter nicht nur in weitestgehendem
Masse die Vollzugskompetenzen, sondern auch die Wahl der Zielsetzung
für seinen Tätigkeitsbereich selbst zu überlassen. Abgesehen
von den allgemeinen Aufgaben der Information und der Kontrolle, die
der Vorgesetzte immer zu erfüllen hat, beschränkt sich in dieser Ordnungsstruktur
seine Einwirkung auf den Mitarbeiter auf die gemeinsame
Diskussion aller Aspekte der Zielwahl sowie auf die Kritik einer vollzogenen
Wahl und ihrer Ergebnisse. Der Entscheid liegt jedoch beim
Mitarbeiter. In der Gesamtbeurteilung der Zielwahl und der erzielten
Ergebnisse durch den Vorgesetzten wird sodann darüber befunden, ob
dem Mitarbeiter sein Aufgabengebiet weiterhin anvertraut bleiben darf.
Traditionelle Strukturen können nicht in einem Schritt auf ein solches
Ordnungskonzept umgestellt werden. Die meisten Mitarbeiter würden
im neuen Freiheitsraum an ihrer Aufgabe scheitern. Auch die Fähigkeit
zu selbständigem Handeln muss gelernt werden, nach pädagogischen
Prinzipien stufenweise von geringeren zu größeren Schwierigkeiten
voranschreitend, in der Unternehmung also zuerst im Vollzug und dann
erst im Bereich der Zielsetzungen. Fraglich bleibt jedoch, ob das Ordnungskonzept
in der geschilderten Form die Möglichkeit einer ausreichenden
Schulung für die zweite Stufe überhaupt zu bieten vermag. Bei
der Zielsetzung durch Vorgesetzte stimmen diese von selbst die Ziele
mehrerer Mitarbeiter aufeinander ab. Im neuen Ordnungskonzept müsste
diese Abstimmung durch Selbstkoordination zwischen den Mitarbeitern
zustande kommen, wozu jedoch hochentwickelte Fähigkeiten zur Teamarbeit
vorhanden sein sollten, die in einem im wesentlichen zweipolig
ausgerichteten Vorgesetzten-Mitarbeiterverhältnis nicht gelernt und entfaltet
werden können. Durch diesen Mangel werden vermutlich die Anwendungsmöglichkeiten
der freien Zielwahl durch den Mitarbeiter auf
relativ seltene Aufgabenpositionen mit geringem Bedürfnis nach Zielabstimmung
eingeengt.
Über diese Schranken hinaus zu einer allgemeineren Vergrösserung des
Freiheitsraumes führt nur noch eine bewußt gestaltete Teamarbeit. Vor
allem von Sozialpsychologen und Sozialpädagogen sind in jüngerer Zeit
entsprechende Ordnungskonzepte vorgelegt worden. Sie postulieren
die Beseitigung der mehrfachen, relativ unabhängig nebeneinander bestehenden,
zweipoligen Beziehungen zwischen einem Vorgesetzten und
seinen Mitarbeitern zugunsten der Vereinigung dieser Personen in einem
Team, in dem alle Entscheide über Zielsetzungen und Vollzugshandlungen
jedes Mitarbeiters durch die gemeinsame Sammlung von Informationen
und die Prüfung von Varianten vorbereitet und — wenn immer
möglich — auch gemeinsam getroffen werden.
Die Organisationsform des Teams ist den Unternehmungen an sich
schon längst bekannt. Vor allem in Europa werden mittlere und grosse
Unternehmungen häufig durch ein Kollektivorgan geleitet, dem die Vorsteher
der Hauptabteilungen als Mitglieder angehören. Viele Vorgesetzte
auf allen Stufen haben es daneben verstanden, periodische und spontane
gemeinsame Besprechungen mit den Mitarbeitern zu einer nützlichen,
nicht mehr zu missenden Einrichtung zu entwickeln.
Von diesen heutigen Formen der Zusammenarbeit heben sich jedoch
die neuen Ordnungskonzepte deutlich ab. Teamarbeit wird nicht mehr
der Initiative und dem Gutfinden des einzelnen Vorgesetzten überlassen,
sondern auf allen für die Entscheidbildung in der Unternehmung wichtigeren
Stufen zur Normalform des Ordnungsprozesses erhoben. Der
einsame Entscheid des Vorgesetzten bleibt einzig für Situationen vorbehalten,
in denen nur rasches Handeln die Unternehmung vor Schaden
bewahren kann. Neue Vorstellungen bestehen aber auch über die
Methodik und die Ziele der Teamarbeit. Anstatt sich von den Mitarbeitern
der Reihe nach Informationen und Beurteilungen vortragen zu
lassen und darauf hin seinen Entscheid bekannt zu geben, hat der Vorgesetzte,
indem er mit seinen Interventionen zurückhält und sich jedenfalls
nicht mehr als Mittelpunkt der Gesprächsrunde versteht, eine
freimütige, sich keinem Gesichtspunkt verschließende Auseinandersetzung
zu ermöglichen. Der gemeinsame Konsens in allen wichtigen
Entscheidfällen ist das eigentliche Ziel dieser Teamarbeit. Verantwortlich
für die gemeinsam besprochenen Entscheide bleibt aber immer
der Vorgesetzte.
Man muss neben den hoch gesteckten Zielen dieses Ordnungskonzeptes
auch dessen Mängel sehen. Der Prozess der Entscheidfindung
im Team ist langsam und umständlich; darüber wird schon heute in der
Praxis häufig geklagt. Ob diesem Zeitverschleiß in der Wirtschaftsrechnung
der Unternehmung, an der diese, existentiell auf sich selbst gestellt,
nicht vorbeisehen darf, durch leistungsstimulierende Wirkungen
des Abbaus autoritärer Ordnungsmittel ein ausreichendes Gegengewicht
erwächst, bleibt vorläufig, da beweiskräftige empirische Untersuchungen
fehlen, eine offene Frage.
Die Befürworter des neuen Ordnungskonzeptes erhoffen dieses Gegengewicht
allerdings auch von besseren Entscheiden. Das Team besitzt
diese Chance, dank den Möglichkeiten einer vollständigeren Informationssammlung,
einer Erweiterung und Klärung der Wertungen und
einer umfassenderen Beurteilung der Entscheidungskonsequenzen. Aber
es hat sich zugleich der mit jedem Kollektiventscheid verknüpften Risiken
zu erwehren. Sobald wesentliche Interessen auf dem Spiele stehen,
können sich leicht informale Machtpositionen und zur Durchsetzung
solcher Interessen gebildete Koalitionen einer sachlichen Meinungsbildung
entgegenstellen. Diskussionsargumente lassen sich auch auf
Absichten zuschneiden und nicht nur auf die Sache. Der erstrebte gemeinsame
Konsens, der häufig nur als Kompromis zwischen unverändert
heterogen bleibenden Wertungen und Beurteilungen zustande
kommen kann, hat sich sowohl vor solchen autoritären Einflüssen als
auch vor seinem ständigen Begleiter, der demokratischen Mittelmässigkeit
zu hüten. Wachsamkeit braucht es schliesslich gegenüber der in
jedem Kollektiv leicht sich entwickelnden Tendenz, sich immer mehr
auch Teile des Selbstbestimmungsraumes des einzelnen Mitgliedes anzueignen.
Angebliche Koordinationsbedürfnisse können dazu ebenso
den Vorwand liefern wie eine ideologische Grundhaltung, der zufolge
— um mit den Worten eines in Ostberlin schreibenden Sozialpsychologen
zu sprechen — der Mensch im individuellen Freizügigkeitsspielraum im
echten Sinne gar nicht frei sein kann, da er sich mit dieser Freizügigkeit
ausserhalb der Bedeutungssphäre seiner Gruppe befinde. Das ist nicht
die Art, wie wir das Verhältnis von individueller Selbstbestimmung und
Mitbestimmung sehen.
Die Literatur berichtet über gute Ergebnisse einiger Versuche mit der
neuen, auf der Teamarbeit basierenden Ordnungsstruktur. In der allgemeineren
Anwendung wird die Bewährungsprobe allerdings viel weniger
leicht zu bestehen sein als in den Pionierunternehmungen, in denen
allein schon die Bereitschaft zum Experiment mit einem solchen Ordnungskonzept
den fortgeschrittenen Abbau autoritärer Ordnungsmittel
und damit das Vorhandensein relativ günstiger Erfolgsaussichten bezeugt.
Eine wirkungsvolle, ihre Gefahren achtsam vermeidende Teamarbeit
muss auf vorbereitenden Stufen aufbauen. Sie setzt Teilnehmer
voraus, die Ohren haben, um zu hören, einen kritischen, sich vor allem
auch gegenüber den eigenen Vorstellungen bewahrenden Geist und
eine Haltung, die die Sachlichkeit weder im Moment des Erfolgs noch
des Mißerfolges in den Diskussionen verrät. Damit die Anwendung der
neuen Ordnungskonzepte breiter werden kann, müssen diese hohen
Eigenschaften von vielen Menschen erworben werden. Sie zu wecken
und zu entwickeln ist eine vornehme Aufgabe.
Aus der Sicht aller hier beschriebenen Ordnungskonzepte scheint mir
keine Forderung der heutigen Studentenbewegung sinnvoller zu sein
als die, das bisher betonte Ziel der Ausbildung in den akademischen
Berufen zum allgemeineren Ziel der Persönlichkeitsbildung zu erweitern.
Überall wo Menschen gemeinsam bestimmte Aufgaben zu lösen
haben, in den Unternehmungen, Verwaltungen und in den kleineren
Arbeitsgruppen der freien Berufe, werden sich die freiheitlicheren Ordnungsstrukturen
nur bewähren, wenn die Beteiligten und unter ihnen
auch die Akademiker die ihnen durch diese Strukturen auferlegte Persönlichkeitsprobe
bestehen.
Aus dem Ziel der Persönlichkeitsbildung ergeben sich für die Universität
auch Anforderungen an ihre eigene Ordnungsstruktur. Sie werden
heute durch verschiedene Regelungen über eine Mitsprache der Assistenten
und Studenten in Universitätsorganen bereits anerkannt. Im Hinblick
auf die Revision des Universitätsgesetzes werden sie nochmals zu
überdenken und besser zu klären sein. Unabhängig von den speziellen
Formen der Zusammenarbeit haben wir uns jedoch bewußt zu bleiben,
dass die universitäre Ordnungsstruktur nicht nur einer Bildungsaufgabe
dient. In den verantwortlichen Universitätsorganen kann man nicht
Teamarbeit nur üben und nach Belieben Fehlentscheide produzieren.
Wenn die Universität ihren Dienst an der Öffentlichkeit weiterhin erfüllen
soll, so müssen sich aus gemeinsamen Besprechungen für Forschung,
Lehre und Studium gute Entscheide ergeben. Wir haben uns deshalb
vor den Risiken der kollektiven Entscheidbildung ebenso zu hüten wie
die private Unternehmung. Auch in der Universität ist die Teamarbeit mit
einer Persönlichkeitsprobe verbunden, in der nur kritische Wachsamkeit
gegenüber der Befangenheit in der eigenen Position und Sachlichkeit
bei der Beurteilung anderer Positionen bestehen kann. Wir haben Vertrauen
in die Zukunft der Universität, weil wir wissen, das in ihren
Räumen, im Lehrkörper und in der Studentenschaft diese Eigenschaften
in reichem Masse verfügbar sind.