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EIN MENSCHENALTER BOTANISCHER FORSCHUNG

REKTORATSREDE GEHALTEN AN DER 76. STIFTUNGSFEIER DER UNIVERSITÄT BERN

AM 26. NOVEMBER 1910
VON
PROFESSOR DR. ED. FISCHER.
BERN
AKADEMISCHE BUCHHANDLUNG VON MAX DRECHSEL 1911

BUCHDRUCKEREI E. BOLLMANN, LAUPEN-BERN.

EIN MENSCHENALTER BOTANISCHER FORSCHUNG. 1)

Bei der Stiftungsfeier unserer Hochschule am 13. November 1875 sprach mein Vater, Professor Ludwig Fischer in seiner Rektoratsrede über die hauptsächlichsten Richtungen und Aufgaben der wissenschaftlichen Botanik. Wenige Jahre zuvor hatte in Würzburg bei demselben Anlasse der bekannte Pflanzenphysiologe Julius Sachs einen ähnlichen Gegenstand behandelt, nämlich den gegenwärtigen Zustand der Botanik in Deutschland, und im Jahre 1875 erschien aus seiner Feder die "Geschichte der Botanik vom 16. Jahrhundert bis 1860", ein Werk, das in meisterhafter Darstellung den Werdegang dieser Wissenschaft in ihren verschiedenen Einzelgebieten zeichnet.

Es war vielleicht nicht ganz zufällig, dass in jener Zeit solche Rückblicke und Zusammenfassungen entstanden, denn es hatte damals die Botanik eine grosse Zeit hinter sich, eine Periode, in der Fortschritte erzielt worden waren, wie nie zuvor. Die Verbesserungen des Mikroskopes und seine allgemeiner gewordene Verwendung bei wissenschaftlichen Untersuchungen hatten einen klaren Einblick in den anatomischen Aufbau des Pflanzenkörpers gebracht. Man war auch dazu gekommen sich, wenigstens in den grossen Zügen, ein Bild zu machen von dem Stoffwechsel der Pflanze, von ihren Wachstumsvorgängen und ihren Reizbewegungen. Unter dem Einflusse von Schleidens Kritik war an Stelle der rein deskriptiven Pflanzenkunde die entwicklungsgeschichtliche Forschung in den Vordergrund getreten: Durch die Arbeiten eines Nägeli und Pringsheim, eines Tulasne und de Bary


und vieler anderer waren ungeahnte Einblicke in das Leben und die Fortpflanzungsverhältnisse der Algen und Pilze gewonnen worden. Es hatten Hofmeisters klassische Untersuchungen über den Generationswechsel die Beziehungen der höheren Kryptogamen zu den Phanerogamen in ein ganz neues Licht gerückt. Und dann war im Jahre 1859 Darwins Buch von der Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl erschienen, das der Descendenztheorie zum Durchbruch verhalf und damit auch in der Botanik eine neue Epoche einleitete, eine Fülle von neuen Anschauungen und vor allem auch von neuen Fragestellungen brachte.

Das sind nur einige der wichtigsten Fortschritte, auf die damals, in den siebenziger und zu Anfang der achziger Jahre zurückgeblickt werden konnte. Seither ist ein Menschenalter verstrichen und heute möchte ich es nun wieder versuchen einen Rückblick auf den hinter uns liegenden Zeitabschnitt zu werfen. Gewährt es doch einen besonderen Reiz ein Stück Geschichte unseres Faches an uns vorüberziehen zu lassen, das wir miterlebt und an dem wir mitgearbeitet haben, die Kollegienhefte und Lehrbücher aus unserer Studentenzeit mit dem zu vergleichen, was wir heute selber lehren! Freilich muss ich hierbei von vorneherein um Nachsicht bitten: Es ist ja bekanntlich nicht so leicht, eine unmittelbar hinter uns liegende Zeit zu beurteilen und namentlich auch den Wert der einzelnen Fortschritte richtig einzuschätzen: Man wird, ohne es zu wollen, manches überschätzen, anderes unterschätzen. Vor allem aber spielt hier der subjektive Eindruck gewaltig mit: wir sind ja heute notgedrungen alle mehr oder weniger Spezialisten auch innerhalb unseres Faches und wir entgehen daher nur schwer der Gefahr gewisse Gebiete, die unserem Interesse näher liegen, auf Kosten anderer zu bevorzugen.

Der Zeitabschnitt, von welchem wir sprechen wollen, ist vor allen früheren dadurch ausgezeichnet, dass eine viel grössere Summe von Forschungsarbeit geleistet worden

ist als je zuvor. Bei dem stets wachsenden Interesse für die Naturwissenschaften hat sich an dieser Arbeit auch eine immer zunehmende Zahl von Forschern aus allen Nationalitäten bis zum fernen Osten beteiligt. Wesentlich gefördert wurden diese Untersuchungen durch die Vervollkommnung der Hülfsmittel und technischen Verfahren: Vor allem erfuhr das Mikroskop wieder bedeutende Verbesserungen, bis zu der Konstruktion des Ultramikroskopes, von dem wir freilich heute noch nicht zu beurteilen vermögen, In wie weit es der Botanik wesentliche Dienste zu leisten berufen ist. Ein sehr wichtiges Hülfsmittel für die mikroskopische Untersuchung der Zellen und Gewebe bietet ferner die Anwendung des Mikrotomes und der in neuerer Zeit sehr ausgebildeten Färbungsverfahren. Früher standen dieselben nur in der tierischen Histologie im Gebrauche. Neuerdings werden sie aber auch von den Botanikern verwendet und haben grosse Dienste geleistet, namentlich da, wo es sich um das Studium der feineren Bauverhältnisse der Zellen handelt. Eine zunehmende Bedeutung kommt endlich auch dem Experimente zu. Physiologische Forschungen sind ja von jeher ohne Experiment undenkbar gewesen. Aber in neuerer Zeit bricht sich mehr und mehr die Erkenntnis Bahn, dass es auch zur Lösung von entwicklungsgeschichtlichen, morphologischen und systematischen Fragen unentbehrlich ist. Ich denke hier besonders auch an die Kulturversuche: Die Bakteriologie verdankt bekanntlich ihre grossartigen Fortschritte zum grossen Teile ihren wohlausgebildeten Verfahren zur Herstellung von Reinkulturen; aber auch bei den Pilzen und Algen spielen diese eine immer grössere Rolle. Und bei den höheren Pflanzen lassen sich Erblichkeits- und Descendenzprobleme nicht anders erfolgreich bearbeiten als durch sorgfältig durchdachte Kulturversuche.

Allein so hoch die Bedeutung dieser Hülfsmittel und Verfahren eingeschätzt werden muss, so sind sie doch für den Fortschritt der Botanik nicht einzig massgebend gewesen. Die Entwicklung einer Wissenschaft hängt vielmehr in erster Linie ab von den Gedankengängen und Fragestellungen,

welche sie während eines bestimmten Zeitabschnittes beherrschen. Und wenn wir die hinter uns liegende Periode überblicken, so treten uns in der Tat solche entgegen, die dieser Zeit einen ganz bestimmten Stempel aufdrücken: Es ist dies einerseits die starke Betonung physiologischer und biologischer Gesichtspunkte in allen Gebieten der Botanik und andererseits die Herrschaft der Descendenztheorie, welche unsere Auffassungen in den sogenannten beschreibenden Naturwissenschaften in so tiefgreifender Weise modifiziert hat.

Bekanntlich war im Jahre 1667 von Hooke zum erstenmale der zellige Aufbau des Pflanzenkörpers nachgewiesen worden. Anfangs sah man in demselben bloss eine Struktureigentümlichkeit der Pflanzen. Allein nach und nach wurde man gewahr, dass die bläschenförmigen Hohlräume, welche man Zellen nannte, auch verschiedene feste, flüssige und halbflüssige Substanzen enthalten und man lernte auch die verschiedenen Lebensvorgänge kennen, die sich hier abspielen. So wurde die Zelle zum Elementarorgan der Pflanze. Bei näherer Untersuchung brach sich aber immer mehr die Erkenntnis Bahn, dass unter den verschiedenen Bestandteilen der Zelle der wesentlichste derjenige ist, welchen zuerst Hugo Mohl als Protoplasma bezeichnet hat und für den die Zoologen während längerer Zeit den Ausdruck Sarkode gebrauchten. Dieser allein ist der eigentliche lebende Leib der Zelle. — Nun hatte schon im Jahre 1848 Matthias Jakob Schleiden die Zelle, und dann im Jahre 1861 Brücke den Protoplasmakörper als einen Organismus bezeichnet, und diese Vorstellung hat sich auch seither mehr und mehr als eine richtige erwiesen: man erkannte, dass der Protoplasmakörper sich in verschiedene Organe gliedert, von denen jedes auch seine besondere Funktion besitzt. Es sind dies, um nur die wichtigsten zu nennen, das Cytoplasma, der Zellkern, die Centrosomen und die nur bei pflanzlichen Zellen vorkommenden Chromatophoren. Das nähere Studium dieser


Organe und ihrer Funktionen war nun eine der Hauptaufgaben der botanischen Forschung in dem hinter uns liegenden Zeitabschnitte. Man erkannte, dass der Zellkern, die Farbstoffträger und andere Teile nicht, wie es noch in den Siebenzigerjahren die meisten Botaniker glaubten, im Protoplasma beliebig auftreten und wieder verschwinden können, sondern dass ihnen eine gewisse Selbständigkeit zukommt und dass sie sich durch Teilung vermehren. Die moderne Färbetechnik ergab namentlich für den Zellkern äusserst komplizierte Bauverhältnisse, die bei pflanzlichen und tierischen Zellen völlig übereinstimmen. In Bezug auf die Funktion dieser Gebilde weiss man zwar schon längst, dass die chlorophyllführenden Farbstoffträger die Assimilation der Kohlensäure besorgen und dadurch eines der wichtigsten Organe für die Ernährung der Pflanzen darstellen. Es wurde aber weiter festgestellt, dass es farblose Chromatophoren gibt, die Stärkekörner oder Oelkörper bilden. Die äusserste Schicht des Protoplasmakörpers reguliert den Stoffeintritt in die Zelle, sie spielt ferner auch eine Rolle bei der Bildung der Zellhaut und dürfte als reizperzipierendes Organ dienen, während sich in den innern Partien des Cytoplasma andere wichtige Stoff- und Kraftwechselvorgänge abspielen. Ganz besonders eingehend hat sich aber die Forschung der Neuzeit mit der Bedeutung des Zellkernes beschäftigt. Man konstatierte, zuerst auf zoologischem und dann auch auf botanischem Gebiete, dass bei den Befruchtungsvorgängen stets eine Kernverschmelzung stattfindet. Man stellte ferner fest, dass mit der Teilung der Zellen sehr kompliziert verlaufende Kernteilungen Hand in Hand gehen, durch welche eine möglichst gleichmässige Zuteilung der Kernbestandteile auf die Tochterzellen zu Stande kommt. Diese Beobachtungen in Verbindung mit andern Erwägungen führten dazu, den Kern und insbesondere die sogen. Chromatinsubstanzen desselben als den — allerdings vielleicht nicht ausschliesslichen — Träger der erblichen Eigenschaften anzusehen. Wenn das aber der Fall ist, so muss der Kern auch in tiefgehender Weise die Gestaltungs- und Entwicklungsvorgänge


der Zelle und des Pflanzenkörpers überhaupt beherrschen. Namentlich ist in neuester Zeit gezeigt worden, dass der Generationswechsel seine tiefere Begründung in bestimmten Verhältnissen des Zellkernes findet. Es würde mich aber zu weit führen auf diese wichtigen Fragen, die heute noch stark im Flusse sind, näher einzutreten.

Wenn die Betrachtung der Gliederung des Protoplasmakörpers dazu führt, ihn als einen Elementarorganismus anzusehen, so darf doch andererseits diese Auffassung nicht allzu einseitig in den Vordergrund gestellt werden; denn sobald man es mit höheren Pflanzen zu tun hat sind ja die Zellen nicht von einander unabhängig, sondern stehen in enger Wechselbeziehung zu einander: nicht nur sind sie gegenseitig fest verbunden, nicht nur findet zwischen ihnen ein reger Stoffaustausch statt, sondern die Untersuchungen der letzten Decennien haben auch gezeigt, dass fast in allen Pflanzenteilen die Protoplasmakörper benachbarter Zellen durch feine Verbindungsfäden untereinander im Zusammenhange stehen. "Die Zellen haben" wie Reinke sich ausdrückt "zu Gunsten des Gesamtorganismus auf einen Teil ihrer Selbständigkeit verzichtet."

Das führt uns nun zu einer kurzen Besprechung der neueren Forschungen und Anschauungen auf dem Gebiete der pflanzlichen Gewebelehre. Hier haben sich seit den siebenziger Jahren ähnliche Wandlungen vollzogen wie in der Zellenlehre. Längst wusste man ja — das hatten schon die ältesten Phytotomen seit Malpighi und Grew festgestellt, — dass die höheren Pflanzen aus sehr verschiedenartigen Geweben bestehen. Man hatte diese Gewebe auch in ihrem Aufbau, in ihrer Anordnung und in ihrer Entwicklung sehr eingehend untersucht. In klassischer Darstellung finden wir diese Verhältnisse verarbeitet in de Bary's Vergleichender Anatomie der Vegetationsorgane der Phanerogamen und Farne aus dem Jahre 1877. — Allein auch hier trat nach und nach der Gedanke mehr in den Vordergrund, dass alle diese verschiedenen Gewebe nicht nur Baubestandteile des Pflanzenkörpers sind, sondern dass sie auch als

Organe für bestimmte Lebensfunktionen dienen und dass sie als solche auch bestimmte Einrichtungen aufweisen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe geeignet machen. Diese Auffassung ist zum erstenmale von Schwendener consequent durchgearbeitet worden für das sogenannte mechanische Gewebesystem, d. h. jene Gewebe, die dem Pflanzenkörper seine Festigkeit verleihen. Seine im Jahre 1874 erschienene Studie über "das mechanische Prinzip im anatomischen Bau der Monocotylen" wurde der Ausgangspunkt für eine neue Richtung in der pflanzlichen Gewebelehre, welche man physiologische Pflanzenanatomie genannt hat. Sie wurde von Schwendeners Schülern weitergepflegt und ausgebaut und hat durch Haberlandt eine vorzügliche zusammenfassende Darstellung erfahren. Anfänglich begegnete freilich diese neue Richtung mancherlei Bedenken. Man scheute das Eindringen einer teleologischen Betrachtungsweise in die Pflanzenanatomie: auch lag die Gefahr nahe, dass in der Deutung der Erscheinungen der subjektiven Auffassung ein zu grosser Spielraum gelassen werde. Allein es zeigte sich doch, dass hier ungemein fruchtbare und anregende Gesichtspunkte geboten wurden, und durch die nötige Kritik und Kontrolle der Deutungen durch das Experiment liessen sich ja auch die hauptsächlichsten Klippen vermeiden. So ist nun die Pflanzenanatomie zu einer Einteilung der Gewebe nach physiologischen Gesichtspunkten gelangt. Neben dem mechanischen Gewebesystem unterscheidet man zum Beispiel ein Absorptionssystem, das zur Aufnahme des Wassers und der darin gelösten Nährstoffe dient, ein Assimilationssystem, in welchem aus Kohlensäure und Wasser die organische Pflanzensubstanz gebildet wird, das Leitungssystem, welches dem Transport von Stoffen in der Pflanze dient, ein Speichersystem, in welchem Wasser oder Reservestoffe für besondere Zeitpunkte aufbewahrt werden, ein Durchlüftungssystem, das dem Gasaustausche der Pflanze mit der Aussenwelt dient. Das für weitere Kreise interessanteste Ergebnis der physiologischanatomischen Forschung ist es aber unzweifelhaft, dass man heute auch von "Sinnesorganen" der Pflanzen spricht. Man

versteht darunter gewisse Zellen oder Zellgruppen, die in besonderer Weise organisiert sind zur Perzeption von Kontaktreizen, Schwerkraft- und Lichtreizen. Dieses Resultat wird allerdings heute noch von manchen mit einer gewissen Zurückhaltung aufgenommen; diesen stehen aber andere gegenüber, welche an dasselbe die weitgehendsten Folgerungen über das Seelenleben der Pflanzen anknüpfen.

Allein nicht nur die verschiedenen Gewebe, in die der Pflanzenkörper seinem innern Aufbaue. nach gegliedert ist, stellen Organe für bestimmte Lebenstätigkeiten dar; es gilt dies vielmehr ebensosehr auch für die verschiedenen Glieder, die äusserlich an der Pflanze zu unterscheiden sind, wie Wurzeln, Stengel, Blätter und Blütenteile. Auch diese lassen in sehr mannigfacher Weise Anpassungen an ihre physiologischen Aufgaben erkennen. Wie verschieden sind zum Beispiel die Blätter ausgebildet, je nachdem sie als Laubblätter der Assimilation und Transpiration dienen, oder als Knospenschuppen junge Triebe zu schützen haben, oder bei den sogenannten insektenfressenden Pflanzen Fangapparate für Tiere darstellen, oder endlich als Staub- oder Fruchtblätter in den Dienst der Reproduktion gestellt sind. Nicht minder mannigfaltig ist die Ausbildung der Wurzeln als gewöhnliche Bodenwurzeln, als Wurzelknollen, als Stützwurzeln, als Stelzwurzeln, als Atemwurzeln, die alle ihre besonderen Aufgaben zu erfüllen haben. Aber mit dieser Anpassung an bestimmte Lebensaufgaben geht eine andere Hand in Hand, nämlich die Anpassung an bestimmte Lebensbedingungen: Je nach Klima und Standort wechseln die Form- und Bauverhältnisse der verschiedenen Glieder des Pflanzenkörpers. Wir brauchen nur daran zu erinnern, dass die Wasserpflanzen, die Wüstenpflanzen und auch die Alpenpflanzen je ihre ganz bestimmten charakteristischen Eigentümlichkeiten aufweisen. Und schon zu Ende des 18. Jahrhunderts hat Sprengel die wunderbaren Anpassungen erkannt, welche zwischen den Blütenteilen und den sie besuchenden Insekten bestehen. Die Untersuchung solcher Wechselbeziehungen zwischen den Pflanzen und ihrem

Milieu ist in neuerer Zeit stark in den Vordergrund getreten, und es ist diese biologische, oder wie man sie heute auch nennt oekologische Betrachtungsweise der Pflanzenmorphologie durch Schmeil und andere auch in den Unterricht an den Mittelschulen hineingetragen worden. Es muss in der Tat anerkannt werden, dass sie den Schüler jedenfalls weit mehr anzuregen vermag als das blosse "Staubfadenzählen." Aber gerade hier im Schulunterricht gilt es in der Anwendung dieser biologischen Richtung besonders Vorsicht zu üben; denn die Gefahr ist gross, unerwiesene Deutungen, ja oft geradezu die Phantasie stark hineinspielen zu lassen und Goethes Wort an die Ausleger wahr zu machen:

Legt ihr's nicht aus, so legt was unter.

Eine sichere Basis bietet auch in diesen morphologischen Fragen vor allem das Experiment, wie es namentlich durch Klebs und Goebel zur Anwendung gebracht worden ist.

Nachdem wir nun gezeigt haben, wie im Zeitraum, auf den wir zurückblicken, die Anatomie und Morphologie der Pflanzen von physiologischen Gesichtspunkten beherrscht war, müssen wir uns nun noch kurz der Entwicklung der Pflanzenphysiologie selber zuwenden. Die Hauptreihen von Erscheinungen, die hier in Betracht fallen, sind der Stoffwechsel, die Bewegungserscheinungen und die Vorgänge der Entwicklung. Aus der ungeheuren Fülle von Forschungen, welche die letzten Dezennien in diesen Gebieten zu verzeichnen haben, können wir natürlich nur ganz weniges herausgreifen:

Die Ernährungsvorgänge und die Atmung der Pflanzen sind schon in früherer Zeit von den Pflanzenphysiologen in ihren Hauptzügen klar gelegt worden, ich brauche nur an die Namen eines Senebier, eines Jngen-Housz, eines de Saussure zu erinnern. Die neuere Zeit hat diese Kenntnisse nach vielen Richtungen hin ausgebaut und vertieft. Freilich sind auch hier noch viele Probleme unvollständig gelöst: ich denke dabei namentlich an die Stoffumsetzungen in den Pflanzen, in die wir ja zwar heute einen weit besseren Einblick besitzen als früher, namentlich seitdem man die wichtige

Rolle erkannt hat, welche bei diesen Vorgängen den Enzymen zukommt. Ich denke auch an das mit der Ernährung der Pflanzen eng zusammenhängende Problem des Transportes des Wassers von den Wurzeln bis in die Laubkrone der Bäume, das hinsichtlich der hier wirksamen Kräfte noch immer der völligen Aufklärung harrt. Unerwartete neue Tatsachen auf dem Gebiete des Stoffwechsels der Pflanzen hat besonders die Untersuchung der einfachsten Organismen, speziell der Bakterien geliefert: Während die grünen Pflanzen nur mit Hülle der Chlorophyllkörper und unter Benützung des Sonnenlichtes als Energiequelle den Kohlenstoff aus der Kohlensäure der Luft assimilieren können, lernte man Bakterien kennen, die diesen Prozess ohne Chlorophyll auch im Dunkeln zu vollziehen vermögen. Die Energiequelle ist also hier nicht das Sonnenlicht; es treten vielmehr an seine Stelle gewisse chemische Vorgänge, die sich in diesen Bakterien abspielen, man spricht daher in diesem Falle von einer Chemosynthese, die an Stelle der Photosynthese tritt. Während ferner die höheren Pflanzen ihren Stickstoffbedarf aus den Stickstoffverbindungen des Bodens decken und den freien Stickstoff der Luft nicht benützen können, gibt es wiederum Bakterien, die dazu befähigt sind. Gewisse Formen derselben haben sich in knöllchenförmigen Auswüchsen der Wurzeln von Hülsenfrüchtlern angesiedelt, und dadurch werden auch diese in den Stand gesetzt den freien Stickstoff der Luft sich anzueignen. Für die Atmung sind die höheren Pflanzen im allgemeinen auf den Sauerstoff der Luft angewiesen; die 1861 von Pasteur entdeckten anaëroben Bakterien entwickeln sich unter Ausschluss desselben; an Stelle der normalen Atmung tritt hier die sog. intramolekulare Atmung,

Die Bewegungserscheinungen bestehen bei höheren Pflanzen bekanntlich in Lageveränderungen und Krümmungen, welche von Blättern, Stengeln oder Wurzeln vollzogen werden. Schon lange kannte man diese Erscheinungen, schon lange hatte man auch festgestellt, dass sie in vielen Fallen durch äussere Reize, wie Temperaturschwankungen, Erschütterungen, Licht und Schwerkraft ausgelöst


oder in ihrer Richtung beeinflusst werden. Die letzten Dezennien haben die Kenntnis dieser Vorgänge nach manchen Richtungen hin erweitert und vertieft, namentlich auch in Bezug auf die Reizperzeption und Reizleitung; aber dennoch sind wir heute noch weit davon entfernt einen tiefern Einblick in das Wesen derselben zu besitzen, denn das lebende Protoplasma ist auch für uns eine Welt, deren intimste Vorgänge uns noch so gut wie unbekannt sind. Besonders auffällige Bewegungserscheinungen zeigen viele einzellige Gebilde, Schwärmsporen, Spermatozoiden, Bakterien, die mit Hülfe von Geisseln oft mit grosser Lebhaftigkeit in den Wassertropfen, in welchen wir sie mikroskopisch beobachten, herumschwärmen. Auch diese Bewegungen sind in hohem Grade von Reizen abhängig: gewisse chemische Verbindungen üben eine anziehende oder abstossende Wirkung auf sie aus; bei einseitiger Beleuchtung bewegen sie sich in der Richtung gegen die Lichtquelle hin oder von ihr weg; ähnlich wirken Temperaturdifferenzen u. s. w. Gerade diese Erscheinungen, die Taxieen, wie man sie auch genannt hat, sind seit den Siebenzigerjahren Gegenstand sehr eingehender Untersuchungen von Seiten der Pflanzenphysiologen gewesen.

Eine dritte Gruppe von Lebenserscheinungen der Pflanzen kann man unter dem Titel "Entwicklung"zusammenfassen, und zwar Entwicklung des Einzelindividuums sowohl wie Entwicklung des Stammes. Hatte sich die Forschergeneration, welche uns vorangegangen ist, namentlich mit ersterer befasst, so stehen wir heute unter dem Zeichen der letzteren. Damals waren im Vordergrunde des Interesses die Untersuchungen über Wachstum, Entwicklung und Fortpflanzung, heute sind es die Fragen der Abstammung, der Erblichkeit und der Variabilität. Und wenn wir untersuchen, woher diese neuen Fragestellungen kommen, so werden wir auf die Descendenztheorie gewiesen, welche hier ganz neue Impulse gebracht hat.

Bekanntlich hatte Darwin in seinem Werke über die Entstehung der Arten im Jahre 1859 nicht nur den Gedanken ausgesprochen, dass die Arten sich im Laufe der Zeit verändern,

sondern er hatte vor allem auch eine ganz bestimmte Hypothese aufgestellt über die Faktoren, welche diese Veränderung bewirken; es war das die Theorie von der natürlichen Zuchtwahl oder wie sie meistens genannt wird, die Selektionstheorie. Während nun die Descendenztheorie allerorts sehr bald Zustimmung fand und heute die Anschauungen fast sämtlicher Biologen beherrscht, begegnete die Selektionstheorie von vielen Seiten einer scharfen Kritik. Und unter ihren Kritikern finden wir besonders auch Botaniker, denn diese sind grossenteils keine sehr orthodoxen Darwinianer gewesen. Neben die Darwinische Selektionstheorie traten daher sehr bald andere Descendenztheorien: Nägeli führte die Entwicklung höherer Organismen aus niederen auf innere, im Protoplasma liegende Ursachen, auf ein Vervollkommnungsprinzip zurück; und für die Entstehung der Anpassungsmerkmale nehmen die Neolamarkianer an, dass sie direkt durch Einwirkung der äusseren Umgebung, des Milieu, hervorgerufen werden und dass die so erworbenen Merkmale sich dann auch auf die Nachkommen vererben können.

Eine grosse Gefahr, welche die Descendenztheorie mit sich brachte, war die, dass hier der Spekulation Tür und Tor weit geöffnet sind, und viel ist hier gesündigt worden. Aber es trat doch im Laufe der Zeit in dieser Beziehung eine Ernüchterung ein. Man sieht je länger um so deutlicher ein, dass hier wie auf dem ganzen Gebiete der Naturwissenschaft nur der Weg der Empirie zu einem sicheren Ziele führen kann, den übrigens schon Darwin betreten hatte. Nichts ist wohl für die heutige Situation bezeichnender als die vor einigen Jahren erfolgte Gründung einer Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. Zu dieser Forschung können alle Gebiete das Material liefern: die Palaeontologie, die vergleichende Morphologie, die Systematik. In allererster Linie steht aber das Experiment, denn bei Descendenzfragen handelt es sich ja um physiologische Probleme. Und dieser Weg des Experimentes ist in der Tat mit Erfolg betreten worden. Obwohl erst in den Anfängen stehend, hat er schon ausserordentlich wichtige Materialien geliefert über

die Gesetze der Erblichkeit und Variabilität: Am 2. Oktober dieses Jahres wurde in Brünn das Denkmal eines Mannes eingeweiht, der zu seinen Lebzeiten fast ganz unbekannt geblieben ist. Es war Gregor Mendel, der in den Sechziger-Jahren eines der wichtigsten Gesetze der Erblichkeit entdeckte, indem er zeigte, dass sich in gewissen Fällen in den Bastarden die Merkmale der Eltern nach ganz bestimmten Regeln kombinieren. Dieses Mendel'sche Gesetz der Vererbung war so vollkommen in Vergessenheit geraten, dass es im. Jahre 1900 durch Correns, Tschermak und de Vries aufs neue entdeckt werden musste. Ich erinnere hier ferner an die Untersuchungen von Hugo de Vries über Oenothera Lamarkiana, welche die Aufmerksamkeit auf die Mutationen, jenes sprunghafte Auftreten neuer, erblich konstanter Formen lenkte und welche zur Begründung der Mutationstheorie führten. Nach dieser Theorie müsste man sich in der Stammesentwicklung, ähnlich wie es schon Oswald Heer getan, Perioden der Veränderung, Mutationsperioden, mit längeren Zeiten der Unveränderlichkeit abwechselnd denken.

So sehen wir wie die Descendenztheorie auf dem Gebiete der Entwicklung eine Menge neuer Fragestellungen und Forschungen angeregt hat. Aber wir würden ihr nicht gerecht werden, wenn wir nicht auch von dem befruchtenden Einflusse sprechen wollten, den sie auf die beschreibende Botanik ausgeübt hat: Die systematische Botanik war eine Zeit lang vielfach in Misskredit geraten und galt in manchen Kreisen als unwissenschaftlich, weil sie sich oft auf blosses Beschreiben, Registrieren und Klassificieren beschränkt hatte. Diese Missachtung ging mitunter so weit, dass man es für besonders wissenschaftlich ansah, das Unkraut am Wege nicht zu kennen! Hier schaffte nun die Descendenztheorie Wandel und zwar hauptsächlich nach zwei Richtungen hin. Einmal wurde durch sie der Speziesbegriff ein ganz anderer: die naturhistorische Art war nicht mehr etwas gegebenes sondern etwas gewordenes. Dadurch erhielten alle Untersuchungen, welche die Speziesabgrenzung betrafen, eine erhöhte Wichtigkeit. Die Unterscheidung der sog. "petites espèces", welche das

Studium gewisser Genera wie Rosa, Rubus, Hieracium so sehr erschwert hatten und welche uns als "biologische Arten" auch bei den Pilzen und Bakterien entgegentreten, gewann Interesse und Bedeutung, weil diese kleinsten Arten gewissermassen als Spezies in statu nascendi angesehen werden konnten.

Vor allem hatte aber die Descendenztheorie die Vorstellung gebracht, dass die systematische Verwandtschaft als Ausdruck einer Blutsverwandtschaft aufzufassen sei; das gab natürlich den Bestrebungen zum Aufbaue eines natürlichen Systems eine ganz neue Anregung. Es lässt sich das schon aus dem Umstande erkennen, dass die Publikation grosser systematischer Werke an die Hand genommen wurde, wie die "Natürlichen Pflanzenfamilien" von Engler und Prantl und das unter den Auspizien der Berliner Akademie erscheinende Riesenwerk "Das Pflanzenreich". Wenden wir nun unsere Blicke diesem Aufbaue des natürlichen Systemes seit 1875 zu:

Wohl am besten war in dieser Hinsicht der Boden geebnet in der Kryptogamenkunde. Zwar hat es auch hier nicht an Diskussionen gefehlt. Ich erinnere namentlich an die langandauernde Fehde über das Pilzsystem und die Sexualität der höheren Pilze, welche zwischen Brefeld und der Schule de Barys ausgefochten wurde. Auch gibt es hier noch wichtige Gruppen, wie die Bakterien, bei denen wir trotz der ungeheuren Fortschritte, welche ihre Erforschung zu verzeichnen hat, von einem natürlichen System noch nicht sprechen können. Aber man darf doch vielleicht sagen, dass wir heute für die Pilze und Algen von einem solchen nicht mehr allzuweit entfernt sind. — Die Verwandtschaftsbeziehungen, welche zwischen den höheren Kryptogamen und den Phanerogamen bestehen, waren in den Hauptzügen schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts durch Hofmeisters klassische Untersuchungen klargelegt worden. Aber gerade auf diesem Gebiete hat die neueste Zeit noch ausserordentlich wichtiges Material zum Ausbaue unserer Kenntnisse gebracht. Es wurde dies möglich einerseits durch die genaueste Erforschung der reproduktiven Verhältnisse mit Hülfe der modernen

mikroskopischen Technik, und andererseits trug dazu mächtig bei der gewaltige Aufschwung der Palaeophytologie in den letzten Dezennien. Die Pflanzenwelt der Vorzeit war früher meist nur an Abdrücken von Blättern und anderen Teilen untersucht worden. Seitdem man aber anfing, Dünnschliffe auszuführen, wandte sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr der mikroskopischen Untersuchung zu. Es gibt, namentlich in den palaeozoischen Ablagerungen gewisser Lokalitäten von Frankreich und England in Kiesel oder kohlensaurem Kalk eingebettete Pflanzenreste, welche nicht nur den Bau ihrer Stämme und Blätter, sondern auch die Beschaffenheit ihrer reproduktiven Teile in ganz wunderbarer Erhaltung erkennen lassen. Die Betrachtung solcher Dünnschliffe hinterlässt dem Beobachter einen tiefen Eindruck, wenn man bedenkt, dass sie die Urkunden einer so weit entlegenen Neuzeit darstellen. Besonders seitdem letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts haben sich ihnen zahlreiche Forscher zugewendet, unter denen ich besonders Renault, Williamson, Scott und Oliver nennen möchte, deren Untersuchungen uns die wichtigsten Einblicke in die Organisation vieler heute erloschener Pflanzentypen gebracht haben. — Eines der Hauptresultate dieser Forschungen an lebendem und fossilem Material bestand in der immer vollständigeren Überbrückung der Kluft zwischen den höhern Kryptogamen und den Phanerogamen oder genauer gesagt Gymnospermen, denn die Untersuchungen der Neuzeit haben dazu geführt den Abstand zwischen diesen und den Angiospermen eher zu vergrössern als zu verkleinern!

Weit weniger erfolgreich waren die Bestrebungen zur Begründung eines natürlichen Systems innerhalb der Angiospermen. Wohl lassen sich ja unter ihnen natürliche Familien bilden, wir brauchen nur an die Gramineen, Orchideen, Cruciferen, Papilionaceen, Compositen und eine Menge anderer zu denken; aber es hält hier vielfach viel schwerer, diese zu grösseren natürlichen Reihen anzuordnen, für die man an eine gemeinsame Abkunft denken könnte. So bleibt denn im Grunde auch heute noch die Frage, welche schon Linné und Albrecht Haller miteinander diskutiert hatten,

für diese Pflanzen zum grossen Teile ungelöst, und wir sind in der Gegenwart weniger denn je im Besitze eines allgemein anerkannten Systems. Nachdem Linnés künstliches Sexualsystem mit den bekannten 24 Klassen während langer Zeit die Vorherrschaft geführt hatte, fand in vielen Floren das System von de Candolle Aufnahme. Heute stehen einander die Systeme von Eichler, Engler, Hallier, Wettstein mehr oder weniger gegenüber; wir leben auch in dieser Hinsicht in einer Zeit von grossem Subjektivismus und es ist schwer vorauszusehen wann und wie wir aus diesem Zustande herauskommen werden, der allerdings auch einen grossen Vorteil hat, nämlich den, dass dadurch der Einzelne viel mehr zum Nachdenken und Prüfen gezwungen wird.

Im Einzelnen haben sich während der 35 Jahre, auf die wir heute zurückblicken, auch in dem Gebiet der beschreibenden Botanik unsere Kenntnisse ungeheuer erweitert. Durch die Aufschliessung neuer Erdgebiete und durch die wissenschaftliche Erforschung der Meere ist ein Riesenmaterial von Pflanzen zusammengebracht worden, das von Spezialisten verarbeitet wird; aber auch in der einheimischen Flora zu Lande und zu Wasser hat das immer gründlichere Studium der einfacheren Organismen nicht nur zu der Entdeckung vieler neuer Arten, sondern sogar zur Aufstellung neuer Gruppen, wie z. B. der Myxobacteriaceen, geführt.

Diese Forschungen haben aber auch ein wichtiges Material gebracht zur Lösung pflanzengeographischer Probleme. Auf diese lassen Sie mich noch mit einigen Worten eintreten! Wie alle übrigen Zweige der Botanik, so stand in der hinter uns liegenden Periode auch die Pflanzengeographie unter dem Zeichen der biologischen und physiologischen Betrachtungsweise: Nicht nur die Einzelpflanze steht in ihrem Bau und in der Ausbildung ihrer Organe zu ihrer Umgebung in Beziehung. Dies gilt vielmehr auch von dem ganzen Pflanzenkleide: es hängt sehr vom Boden, von den Feuchtigkeits- und Temperaturverhältnissen ab, was für Pflanzen sich an bestimmten Lokalitäten zusammenfinden. So entstehen je nach der Beschaffenheit des Milieu verschiedene Pflanzengesellschaften


oder Pflanzenformationen. Das Studium dieser Verhältnisse hat sich in neuerer Zeit zu einem besondern Spezialgebiete ausgebildet, das man oekologische Pflanzengeographie genannt hat und welches durch Warming und Schimper grundlegende Bearbeitung erfahren hat. — Es ist aber die heutige Verbreitung der Pflanzen auch ein Produkt historischer Entwicklung, sie ist das Resultat vieler Wandlungen und Wanderungen. In neuerer Zeit hat namentlich Engler den Versuch einer Darstellung dieser geschichtlichen Entwicklung gemacht und ihm sind viele andere gefolgt. Auch über unser Land ist in pflanzengeographischer Hinsicht viel gearbeitet worden. 1879 erschien Hermann Christ's "Pflanzenleben der Schweiz", und seither ist eine rege Tätigkeit entfaltet worden zur Lösung all der interessanten Probleme, die uns auch hier entgegentreten; ich erinnere nur an die Untersuchung der verschiedenen Pflanzenformationen unseres Landes, an die Frage nach der Herkunft der einzelnen Bestandteile der Alpenflora und nach der Wiedereinwanderung der Pflanzen nach der eiszeitlichen Vergletscherung.

Nachdem wir nun die wichtigsten Forschungsrichtungen und Fortschritte an unserem Auge haben vorüberziehen lassen, welche die Botanik im Laufe des letzten Menschenalters zu verzeichnen hat, möchte ich zum Schlusse noch eines Faktors gedenken, der an all diesen Errungenschaften einen hervorragenden Anteil hat. Ich meine die botanischen Institute. Es sind ja bekanntlich auf dem Gebiete der Naturwissenschaften sehr viele wichtige Entdeckungen mit sehr primitiven Hülfsmitteln gemacht worden, und das Wichtigste bei den Forschungen bleibt doch immer die Fragestellung, mit der man an sie herantritt. Aber das, was geleistet worden ist, hätte doch niemals erreicht werden können ohne die Universitäts-Laboratorien, von denen die meisten gerade in der Zeit, auf die wir zurückblicken, errichtet worden sind. Und auch ausserhalb der Universitäten entstanden solche Arbeitsstätten: Ich denke dabei an die vielen Versuchsanstalten, welche vorwiegend praktischen Aufgaben dienen, die sich aber auch um die Wissenschaft eminente


Verdienste erworben haben. Ich denke aber weiter an jene Laboratorien, welche die Arbeit am Meer und im Gebirge, in der Arktis und in den Tropen ermöglichen. Uns steht unter ihnen obenan der botanische Garten in Buitenzorg auf Java, der unter Melchior Treubs Leitung seine gastlichen Tore den Botanikern aller Länder aufgetan hat. Es wäre Undank, wenn wir alle diese Anstrengungen und Aufwendungen von staatlicher und privater Seite mit Stillschweigen übergehen wollten.

Auch bei uns ist in dieser Beziehung vieles geschehen. Es sind gerade fünfzig Jahre verstrichen, seit hier in Bern der botanische Garten an seinem gegenwärtigen Platze angelegt und bepflanzt worden ist. Die daselbst im Jahre 1862 bezogenen Gebäude enthielten neben einem Hörsaale und Sammlungsraume nur ein kleines Arbeitszimmer für den Direktor, in welchem auch mikroskopische Kurse abgehalten wurden. Im Laufe der Zeit machte sich aber doch das Bedürfnis nach zahlreicheren Arbeitsplätzen auch für Doktoranden fühlbar und so wurden 1886 einige neue Räume eingerichtet. Allein auch diese genügten nach einer Reihe von Jahren nicht mehr. Von 1905-1907 fand daher eine nochmalige Vergrösserung des Institutes statt, so dass sich dieses nun würdig in den Kranz unserer übrigen wissenschaftlichen Anstalten einfügt.

Möge dasselbe auch fernerhin eine Stätte treuer Arbeit sein zur Mithülfe am Aufbaue unserer botanischen Wissenschaft.