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LEONID SOLOWJOW


VIERZEHNTES KAPITEL



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JUST IN DIESEM MOMENT GING DER Wucherer Dschafar in der Nähe vorüber. Er trug einen Beute! mit Gold- und Silberschmuck, den er für Güldschan gekauft hatte.

Wenngleich die Frist beinahe abgelaufen und der Wucherer von lüsterner Ungeduld erfüllt war, so siegte doch seine Habgier, als er Nasreddins Stimme vernahm, der seine billigen Waren anpries.

Der Wucherer trat näher, und die Menschenmenge lichtete sich schnell, denn jeder dritte schuldete ihm Geld.

Dschafar erkannte Nasreddin wieder.

»Du bist ja der Mann, der mich gestern aus dem Wasser gezogen hat?« sagte er. »Woher hast du denn soviel Waren?«

»Du selbst hast mir doch gestern einen halben Tanga gegeben, ehrwürdiger Dschafar. Ich habe ihn in Umlauf gesetzt, und das Glück war meinen Geschäften günstig gesinnt.«

»An einem Morgen hast du so viel Waren eingehandelt?« rief der Wucherer erstaunt aus. »Mein Geld hat dir wahrlich Glück gebracht. Wieviel willst du für den ganzen Haufen?«

»Sechshundert Tanga!«

»Du hast den Verstand verloren! Schämst du dich nicht, von deinem Wohltäter einen solchen Preis zu verlangen? Du bist mir schließlich für deinen Erfolg zu Dank verpflichtet. Mehr als zweihundert Tanga zahle ich nicht.«



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»Fünfhundert«, antwortete Nasreddin. »Aus Hochachtung vor dir, ehrwürdiger Dschafar!«

»Undankbarer! Ich sage dir noch einmal, daß du das alles mir verdankst!«

»Und du verdankst mir dein Leben«, antwortete Nasreddin ungeduldig. »Du hast mir dafür allerdings nur einen halben Tanga gegeben, aber dein Leben ist nicht mehr wert, also hast du mich auch nicht übervorteilt. Wenn du kaufen willst, dann nenne einen richtigen Preis.«

»Dreihundert.«

Nasreddin schwieg.

Der Wucherer wühlte lange in den Sachen herum, schätzte sie mit erfahrenem Auge ab, und als er sah, daß er all die Röcke, Feze und Schuhe für siebenhundert Tanga wieder verkaufen konnte, erhöhte er sein Angebot:

»Dreihundertfünfzig.«

»Vierhundert.«

»Dreihundertfünfundsiebzig.«

»Vierhundert.«

Nasreddin blieb fest. Der Wucherer ging und kehrte wieder zurück, er feilschte um jeden Tanga und erklärte sich schließlich mit vierhundert einverstanden. Mit Handschlag wurde der Handel abgeschlossen. Stöhnend und klagend zählte der Wucherer das Geld ab.

»Bei Allah, diese Ware kostet mich das Doppelte ihres Wertes. Aber so bin ich! Ich erleide Verluste, weil ich zu gutmütig bin.«



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»Falsches Geld«, unterbrach ihn Nasreddin und reichte ihm eine Münze zurück. »Außerdem sind das nicht vierhundert, sondern dreihundertachtzig Tanga. Du scheinst kurzsichtig zu sein, ehrwürdiger Dschafar.«

Der Wucherer mußte die falsche Münze umtauschen und zwanzig Tanga zulegen. Dann mietete er für einen Vierteltanga einen Träger, lud ihm die Sachen auf und gebot ihm, hinterherzukommen. Der arme Träger brach unter der Last beinahe zusammen.

»Wir haben denselben Weg«, sagte Nasreddin und machte lange Schritte, denn er konnte es kaum erwarten, Güldschan wiederzusehen. Der Wucherer kam mit seinem lahmen Bein nicht nach.

»Wohin eilst du denn so?« fragte er und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

»Dahin, wo auch du hineilst«, antwortete Nasreddin, und in seinen schwarzen Augen spielten verschmitzte Fünkchen. »Wir gehen in derselben Angelegenheit zur selben Stelle, ehrwürdiger Dschafar.«

»Du weißt ja nicht, was ich vorhabe«, antwortete Dschafar. »Wenn du es wüßtest, würdest du mich sicherlich beneiden.«

Nasreddin antwortete mit fröhlichem Lachen:

»Wenn du wüßtest, was ich vorhabe, Wucherer, würdest du mich noch zehnmal mehr beneiden!«

Der Wucherer runzelte die Stirn, die freche Antwort gefiel ihm nicht.

»Du verstehst es nicht, deine Zunge zu wahren. Deinesgleichen



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müßte zittern, wenn er mit mir spricht! Es gibt wenige Menschen in Buchara, die ich beneide. Ich bin reich, und meine Wünsche kennen keine Hindernisse. Ich wünschte mir das schönste Mädchen von Buchara, und noch heute wird sie mein.«

In diesem Augenblick begegnete ihnen ein Kirschenverkäufer mit einem Korb voll Kirschen auf dem Kopf. Im Vorbeigehen entnahm Nasreddin dem Korb eine Kirsche mit langem Stiel und zeigte sie dem Wucherer.

»Hör mich an, ehrwürdiger Dschafar!« sagte er. »Es wird erzählt, daß einst ein Schakal an einem hohen Baum eine Kirsche erblickte. ,Diese Kirsche muß ich haben, koste es, was es wolle!' sagte er sich. Und er kletterte auf den Baum, zerriß sich das Fell an den Zweigen, und als er endlich nach zwei Stunden die Kirsche erreicht hatte und schon das Maul öffnete, um sich daran zu laben, flog ein Falke herbei, ergriff die Kirsche und nahm sie mit fort. Der Schakal kletterte wieder zwei Stunden vom Baum herunter, zerriß sich noch mehr das Fell, und als er unten angelangt war, vergoß er bittere Tränen und sprach: ,Weshalb bin ich nur hochgeklettert? Jeder weiß doch, daß die Kirschen auf den Bäumen nicht für Schakale wachsen.'«

»Du bist dumm«, antwortete der Wucherer hochmütig, »ich sehe keinen Sinn in deinem Märchen.«

»Den tiefen Sinn eines Märchens erfaßt man nie sofort«, antwortete Nasreddin. Die Kirsche, mit dem Stiel unter den Turban geschoben, hing hinter seinem Ohr.



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Der Weg machte eine Biegung. Hier saßen der Töpfer und seine Tochter auf einem Stein.

Der Töpfer stand auf. Seine Augen, in denen noch immer ein Hoffnungsschimmer gewesen, schauten traurig in die Ferne. Er dachte, daß es dem Fremden nicht gelungen sei, das Geld aufzutreiben. Stöhnend wandte sich Güldschan ab.

»Wir sind verloren, Vater«, sagte sie, und in ihrer Stimme war so viel Leid, daß selbst ein Stein geweint hätte, doch des Wucherers Herz war härter als Stein. Nur böser Triumph und lüsterne Gier spiegelten sich auf seinem Gesicht.

»Töpfer, die Frist ist abgelaufen«, sagte er. »Von nun an bist du mein Sklave, und deine Tochter ist meine Beischläferin.«

Er wollte Nasreddin kränken und erniedrigen und zog herrisch den Schleier des Mädchens zurück.

»Schau, ist sie nicht schön? Die heutige Nacht werde ich mit ihr verbringen. Nun sage mir, wer wen beneiden muß!«

»Sie ist tatsächlich sehr schön«, antwortete Nasreddin. »Hast du denn auch den Schuldschein des Töpfers?«

»Natürlich. Es geht ja nicht ohne Schuldschein. Alle Menschen sind Gauner und Betrüger. Hier ist der Schein. Hier sind die Schulden und die Frist verzeichnet. Da siehst du auch den Fingerabdruck des Töpfers.«

Er reichte den Schuldschein Nasreddin.

»Der Schuldschein ist richtig«, sagte Nasreddin.



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»Empfange nun das Geld für diesen Schuldschein. Bleibt einen Augenblick stehen, meine Verehrten«, wandte er sich an einige Vorübergehende. »Seid meine Zeugen.«

Er zerriß den Schuldschein in kleine Fetzchen und überließ sie dem Wind, der sie fortwehte. Dann öffnete er seinen Gürtel und übergab dem Wucherer das Geld, das er eben erst von ihm erhalten hatte.

Der Töpfer und seine Tochter waren so überrascht, so fassungslos vor Glück, daß sie wie versteinert dastanden. Der Wucherer aber war starr vor Zorn. Die Zeugen lachten und warfen einander schadenfrohe Blicke zu. Die Niederlage des verhaßten Wucherers freute sie.

Nasreddin nahm die Kirsche, steckte sie in den Mund, zwinkerte dem Wucherer zu und verzehrte sie laut schmatzend.

Wie ein Krampf durchzuckte es den häßlichen Körper des Wucherers. Seine Finger krümmten sich wie Krallen, der Buckel zitterte, und das gesunde Auge rollte zornig.

Der Töpfer und Güldschan baten Nasreddin:

»Sage uns deinen Namen, o Pilger, damit wir wissen, für wen wir beten können.«

»Ja«, fauchte der Wucherer, »sage mir deinen Namen, damit ich weiß, wen ich verfluchen kann.«

Nasreddins Gesicht leuchtete. Mit klarer, fester Stimme antwortete er:

»In Bagdad und in Teheran, in Istanbul und in



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Buchara - überall nennt man mich nur mit einem Namen - Hodscha Nasreddin!«

Erbleichend prallte der Wucherer zurück.

»Hodscha Nasreddin!«

Entsetzt floh er und stieß den Träger vor sich her.

Die übrigen aber riefen erfreut: »Hodscha Nasreddin! Hodscha Nasreddin!«

Güldschans Augen strahlten hinter dem Schleier. Der alte Töpfer konnte sein Glück noch immer nicht fassen; er murmelte etwas und schlug verwirrt die Hände zusammen.