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LEONID SOLOWJOW


ACHTES KAPITEL



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DIE DÄMMERUNG SENKTE SICH BEREITS auf die Stadt herab, als Nasreddin den Platz des Basars erreichte.

In den Garküchen flammten helle Feuer auf, und bald umgab ein Kranz von Lichtern den Platz. Am nächsten Tag sollte großer Basar sein. Eine Kamelkarawane nach der andern schritt weich und ruhig vorüber und verschwand in der zunehmenden Dunkelheit. Der traurige, gleichförmige Klang ihrer Glöckchen wollte nicht enden. Kaum war in der Ferne das Geläut der einen Karawane verstummt, da ertönte schon das der nächsten, die den Platz erreichte, und das hörte nicht auf, als wäre es die Finsternis selbst, die das leise zitternde Tönen erzeugte. Von allen Enden der Welt war das Geläut hierhergebracht worden, es kam von indischen, ägyptischen, arabischen, afghanischen und iranischen Glöckchen, und Nasreddin hätte diesem Geläut bis in alle Ewigkeit lauschen mögen. Aus dem Teehaus nebenan erscholl der dumpfe Rhythmus eines Tamtams, von den Klängen eines Dutars - einer zweisaitigen Zupfgeige -begleitet. Und die Stimme eines unsichtbaren Sängers schwang sich zu den Sternen empor, pries die Geliebte und klagte über sie.

Dieses Lied folgte Nasreddin, als er sich ein Nachtlager suchte.

»Ich habe für mich und meinen Esel nur einen halben Tanga«, sagte er zum Besitzer der Herberge.

»Für einen halben Tanga kannst du auf der Matte schlafen, aber ohne Decke«, entgegnete dieser.



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»Und wo lasse ich meinen Esel?«

»Als ob ich mich um den auch noch kümmern könnte!«

In dieser Herberge gab es keinen Pferch für die Pferde.

Nasreddin ertastete im Dunkeln eine eiserne Klammer, die irgendwo herausragte. Daran band er seinen Esel, ohne sich darum zu kümmern, was das für eine Klammer war. Dann ging er in die Herberge und legte sich sogleich zur Ruhe, denn er war sehr müde.

Im Halbschlaf hörte er plötzlich seinen Namen nennen. Er öffnete die Augen.

Unweit von ihm saßen im Kreise einige Männer, die zum Basar gekommen waren, und tranken Tee. Es waren ein Hirt, ein Kameitreiber und zwei Handwerker. Einer von ihnen erzählte halblaut:

»Nasreddin, so heißt es, ging eines Tages in Bagdad über den Basar. Plötzlich hörte er Lärm und Geschrei aus einer Garküche. Wie ihr wißt, ist Nasreddin sehr neugierig. Er ging sogleich hinein und sah, wie der dicke, rotmäulige Wirt einen Bettler am Kragen schüttelte, weil der Bettler nicht zahlen wollte.

,Was ist denn das hier für ein Lärm?' fragte unser Nasreddin.

,Dieser Landstreicher', brüllte der Wirt, ,dieser verfluchte Strolch, kam in meine Küche -mögen seine Eingeweide verdorren! Er holte einen Brotfladen aus der Tasche und hielt ihn so lange über den Bratspieß, bis er nach Hammelfleisch roch und noch einmal so gut



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schmeckte. Dann aß er den Fladen auf, und nun will er nicht zahlen. Mögen ihm die Zähne im Munde verfaulen!'

,Stimmt das?' fragte Nasreddin den Bettler streng, der vor lauter Angst kein Wort hervorbrachte und nur mit dem Kopf nickte.

,Das ist nicht gut', sagte Nasreddin. ,Es ist unrecht, fremdes Gut ohne Bezahlung zu benutzen.'

,Hörst du, was dieser ehrwürdige Mann dir sagt, du zerlumpter Strolch?' fragte der Wirt erfreut.

,Hast du Geld?' fragte Nasreddin den Bettler. Dieser holte schweigend ein paar Kupfermünzen aus der Tasche. Gleich streckte der Wirt seine fette Pfote aus.

,Warte noch, o Meister des Wohlgeschmacks', hielt ihn Nasreddin zurück. ,Hier, horch mal!'

Er schüttelte die hohle Faust vor dem Ohr des Wirtes und ließ die Münzen eine Weile klimpern. Dann gab er dem Bettler das Geld zurück und sagte:

,Ziehe hin in Frieden, armer Mann.'

,Was?' rief der Wirt aus. ,Ich habe das Geld doch gar nicht bekommen!'

,Er hat dich bezahlt, und ihr seid quitt!' antwortete unser Nasreddin. ,Er roch den Duft deines Bratens, und du hörtest den Klang seines Geldes!'«

Die Zuhörer brachen in Gelächter aus. Einer sagte warnend:

»Nicht so laut, sonst könnte man erraten, daß wir von Nasreddin sprechen.«

Woher weiß er das alles? dachte Nasreddin schmunzelnd.



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Es war freilich nicht in Bagdad, sondern in Istanbul, aber das ist ja gleich.

Nun ergriff mit halblauter Stimme ein zweiter das Wort. Es war der Hirt, und der bunte Turban verriet, daß er aus Badachschan kam.

»Es wird auch erzählt, daß Nasreddin eines Tages am Gemüsegarten eines Mollas vorüberging. Der Molla erntete gerade seine Kürbisse und hatte aus lauter Habgier seinen Sack so vollgestopft, daß er ihn kaum hochheben, geschweige denn tragen konnte. Nun stand er da und überlegte, wie er die schwere Last nach Hause bekäme. Darum freute er sich, als er plötzlich einen Vorübergehenden erblickte.

,Hör mal, mein Sohn', sagte er, ,kannst du mir nicht diesen Sack nach Hause tragen?'

Nasreddin hatte gerade kein Geld.

,Was zahlst du mir dafür?' fragte er den Molla.

,Mein Sohn, wozu brauchst du denn Geld? Ich werde dir statt dessen unterwegs drei Weisheiten sagen, und die werden dich dein Leben lang glücklich machen.'

Ich bin gespannt, was mir der Molla wohl mitteilen wird, dachte unser Nasreddin neugierig.

Er warf sich den Sack auf die Schulter und trug ihn fort. Der Weg führte steil aufwärts, an einem Abgrund entlang. Als Nasreddin stehenblieb, um ein wenig zu verschnaufen, sagte der Molla feierlich und geheimnisvoll:

,Vernimm nun die erste Weisheit. Es ist die größte seit Adams Erschaffung, und wenn du ihre ganze Tiefe



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zu ermessen vermagst, so gleichst du an Erkenntnis demjenigen, der den Sinn der Buchstaben Auf, Lain und Ra erfaßt hat, mit denen Mohammed die zweite Sure des Korans beginnen läßt. Höre aufmerksam zu: Wenn dir einer sagt, daß zu Fuß gehen besser sei als reiten, dann glaube ihm nicht. Merke dir meine Worte und denke Tag und Nacht darüber nach, dann wirst du die Weisheit erfassen, die darin enthalten ist. Doch diese Weisheit ist nichts im Vergleich zu der zweiten Weisheit, die ich dir unter jenem Baum dort offenbaren werde. Siehst du ihn, da vorn steht er.'

Schön, dachte Nasreddin. Warte nur, Molla!

Schweißüberströmt schleppte er den Sack zum Baum.

Der Molla hob den Finger.

,Lausche, denn die zweite Weisheit schließt den ganzen Koran, das halbe Scheriat und ein Viertel des Buches Tarikat in sich. Derjenige, der diese Weisheit erfaßt hat, wird nie den Pfad der Wahrheit und der Tugend verlassen. Versuche, dieser Weisheit auf den Grund zu kommen, mein Sohn, und freue dich, daß sie dir kostenlos zuteil wird. Die zweite Weisheit lautet: Wenn dir einer sagt, daß es ein Armer leichter hat als ein Reicher, dann glaube ihm nicht. Doch auch diese Weisheit ist nichts im Vergleich zur dritten, die nur verglichen werden kann mit dem Glanz der Sonne, der unsere Augen blendet, und mit der unermeßlichen Tiefe des Ozeans. Die dritte Weisheit erfährst du vor dem Tor meines Hauses. Gehen wir, denn ich habe mich genug ausgeruht!'



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,Warte, Molla', antwortete unser Nasreddin. ,Ich weiß die dritte Weisheit schon im voraus. Du wirst mir vor dem Tor deines Hauses sagen, daß ein kluger Mann immer einen Dummen findet, der ihm seinen Sack umsonst schleppt.'

Entsetzt prallte der Molla zurück. Nasreddin hatte die dritte Weisheit aufs Haar erraten.

,Lausche jetzt meiner Weisheit, o Molla', fuhr Nasreddin fort. ,Sie ist mehr wert, als deine drei Weisheiten zusammen. Beim Barte des Propheten, sie ist so tief und so einleuchtend, daß sie den gesamten Islam mit dem Koran, dem Scheriat, dem Buch Tarikat und allen anderen Büchern in sich schließt, obendrein den ganzen buddhistischen und den ganzen jüdischen Glauben und alle christlichen Irrtümer. Nein, noch nie hat es eine größere Weisheit gegeben als die, die ich dir, o Molla, jetzt anvertrauen werde. Aber bereite dich gut auf diese Weisheit vor, damit sie dich nicht allzusehr erschüttert, denn leicht verliert, wer sie hört, den Verstand, so überzeugend ist sie, so blendend und unfaßbar! Darum bereite erst deinen Geist auf sie vor. Und nun höre: Wenn dir einer sagt, diese Kürbisse hier seien nicht ein einziger Brei, dann speie ihm ins Gesicht, nenne ihn einen Lügner und jage ihn aus deinem Haus!'

Mit diesen Worten hob Nasreddin den Sack empor und schleuderte ihn in den Abgrund.

Die Kürbisse fielen heraus, kollerten über die Steine hinab und zerschmetterten in der Tiefe.



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,Wehe mir, welch ein Verlust! Ich bin ein ruinierter Mann', schrie der Molla. Und er jammerte und lamentierte, zerkratzte sich das Gesicht und gebärdete sich ganz wie ein Wahnsinniger.

,Siehst du wohl', sagte Nasreddin belehrend, ,habe ich dir nicht gleich gesagt, daß du von meiner Weisheit leicht den Verstand verlieren kannst?'«

Die Zuhörer lachten vergnügt.

Nasreddin lag in seiner Ecke auf einer staubigen Matte, die voller Flöhe war. Das haben sie also auch erfahren, dachte er. Woher nur? Wir waren doch allein an dem Abgrund, und ich hab es niemand erzählt. Sicherlich hat der Molla hinterher erraten, wer ihm seine Kürbisse schleppte, und hat es selber weitererzählt.

Der dritte Erzähler begann:

»Eines Tages kehrte Nasreddin aus der Stadt in das türkische Dorf zurück, in dem er damals wohnte. Er war müde und legte sich am Ufer eines Flusses nieder, um ein wenig zu rasten. Das gleichmäßige Rauschen des Flusses schläferte ihn ein; der Wind umwehte ihn mit seinem duftenden Atem. Nasreddin schlummerte süß und träumte, er sei gestorben. Wenn ich tot bin, dachte er, dann darf ich mich nicht bewegen und darf die Augen nicht öffnen. So lag er lange mit geschlossenen Augen im weichen Grase und fand das Totsein recht angenehm. So still und friedlich lag man da, frei von den Sorgen und Nöten, die einen im vergänglichen irdischen Leben verfolgen.



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Einige Wanderer kamen daher und erblickten Hodscha Nasreddin.

,Schaut, da liegt ein Mohammedaner', sagte einer.

,Er ist tot', fügte ein anderer hinzu.

,Man muß ihn ins nächste Dorf bringen, damit er gewaschen und würdig bestattet wird', schlug der dritte vor und nannte das Dorf, das Nasreddins Ziel war.

Die Männer hackten einige junge Bäume ab, fertigten eine Tragbahre und legten Nasreddin darauf.

Lange trugen sie ihn. Er lag ohne Bewegung, mit fest geschlossenen Augen, nicht anders als ein Toter, dessen Seele schon an die Pforte des Paradieses klopft.

Plötzlich blieben die Männer mit der Tragbahre stehen und gerieten in Streit darüber, wo sich die Furt befände. Der eine meinte, sie sei rechts, der andere behauptete, sie sei links, der dritte war für geradeaus.

Nasreddin öffnete ein wenig die Augen und sah, daß die Männer just an der gefährlichsten Stelle des Flusses standen. An dieser Stelle war schon manch Unvorsichtiger ertrunken, denn der Fluß war hier besonders tief und reißend. Um mich mache ich mir keine Sorgen, dachte Nasreddin, denn ich bin ja tot, und mir ist es gleich, ob ich im Grab liege oder auf dem Grunde des Flusses, doch diese Wanderer, die sich so um mich bemühen, die muß ich warnen, sonst könnten sie meinetwegen in Gefahr geraten. Das wäre äußerst undankbar von mir.

Er richtete sich auf, wies mit der Hand in die Richtung der Furt und sprach mit schwacher Stimme:



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,O ihr Gläubigen, als ich noch lebte, überquerte ich den Fluß stets bei jenen Pappeln dort.'

Dann streckte er sich wieder aus und schloß die Augen. Die Wanderer bedankten sich bei Nasreddin und schleppten ihn weiter, während sie mit lauter Stimme für sein Seelenheil beteten.«

Während sich Erzähler und Zuhörer vor Lachen ausschütteten und einander mit den Ellbogen stießen, brummte Nasreddin unzufrieden vor sich hin: »Alles erlogen. Ich habe gar nicht geträumt, ich sei gestorben. So ein Narr bin ich nicht, daß ich nicht weiß, ob ich tot bin oder lebendig. Ich erinnere mich noch, daß mich ein Floh furchtbar biß und daß ich ganz verzweifelt war, weil ich mich nicht kratzen konnte. Wenn ich die Flohstiche spürte, ist das doch ein Beweis dafür, daß ich lebte. Ich war einfach müde und mochte nicht gehen. Die Wanderer aber waren kräftige Burschen; was machte es ihnen aus, den kleinen Umweg in Kauf zu nehmen und mich ins Dorf zu tragen? Als sie aber den Fluß an einer Stelle überqueren wollten, die siebzehn Fuß tief war, hielt ich sie zurück. Dabei sorgte ich mich weniger um meine Familie, denn ich habe keine, als vielmehr um ihre Familien. Und jetzt bekam ich den sauren Apfel des Undanks zu kosten. Statt mir zu danken für die rechtzeitige Warnung, warfen sie mich von der Tragbahre herunter und bearbeiteten mich mit den Fäusten, und sicherlich würde mein letztes Stündlein geschlagen haben, wenn mich nicht meine schnellen Beine gerettet hätten. Ich wundere mich nur, wie die



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Menschen manchmal alle Tatsachen auf den Kopf stellen!«

Inzwischen hatte auch der vierte seine Geschichte begonnen:

»Nasreddin lebte, so erzählt man, ein halbes Jahr in einem Dorf und war dort berühmt für seinen Scharfsinn und seine treffenden Antworten.«

Nasreddin spitzte die Ohren. Wo hatte er nur diese. leise, ein wenig heisere, aber deutliche Stimme schon gehört? Vor ganz kurzer Zeit mußte es gewesen sein. Vielleicht gar erst heute? Er versuchte sich zu erinnern, aber es fiel ihm nicht ein.

Der Erzähler fuhr fort:

»Der Gouverneur des betreffenden Distrikts stellte einmal in dem Dorf, wo Nasreddin wohnte, einen seiner Elefanten unter, den die Einwohner mit Futter versorgen mußten. Der Elefant war unbeschreiblich gefräßig. Er vertilgte pro Tag fünfzig Maß Gerste, fünfzig Maß Dshugara, ebensoviel Mais und einhundert Bündel frischen Klee. Nach zwei Wochen hatte er sämtliche Vorräte der Einwohner aufgefressen. Sie waren zugrunde gerichtet und verzweifelt und wandten sich mit der Bitte, beim Gouverneur die Befreiung von dem Elefanten zu erwirken, an Hodscha Nasreddin.

Nasreddin erklärte sich dazu bereit, sattelte seinen Esel, der, wie jedermann weiß, so faul, störrisch und gefräßig ist wie ein Frosch, ein Schakal, eine Schlange und eine Spinne zusammen. Er sattelte also diesen Esel



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und ritt davon, nicht ohne vorher eine Summe als Lohn für seine Bemühungen vereinbart zu haben. Die Summe war so hoch,, daß viele Dorfbewohner ihre Häuser verkaufen mußten und zu Bettlern wurden. Das hatten sie Hodscha Nasreddin zu verdanken.«

»Hm«, klang es aus der Ecke. Es war Nasreddin, der sich auf seiner Matte hin und her warf und nur mit Mühe den Zorn unterdrückte, der in ihm kochte.

»Nasreddin ging also in den Palast«, fuhr der Erzähler fort. »Dort stand er lange unter den Dienern und Bittstellern und wartete darauf, daß ihm der erlauchte Gouverneur, im Glanz seiner Macht der Sonne gleich, seinen hohen Blick zuzuwenden geruhe, der dem einen Glück, dem anderen aber den Untergang verheißt. Und als der Gouverneur, der seine Umgebung überstrahlte wie die silberne Sichel des Mondes die Sterne und aus ihr hervorragte wie die schlanke, duftende Zypresse aus dem Dorngestrüpp, nach einiger Zeit geruhte, Nasreddin zu beglücken und ihm sein Antlitz zuzukehren, auf dem Adel und Weisheit leuchteten wie Rubine und Diamanten an einem Ring, da erschrak Nasreddin vor diesem Glanz und dieser Würde; das Blut stockte ihm in den Adern, der Angstschweiß brach ihm aus, er wurde blaß wie der Tod, und seine Knie zitterten wie der Schwanz eines Schakals.«

»Hm«, klang es wiederum aus der Ecke, doch der Erzähler achtete nicht darauf und fuhr fort:

»,Was willst du?' fragte der Gouverneur mit seiner



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edlen, wohltönenden Stimme, die an das Gebrüll des Löwen erinnerte.

Vor Angst war Nasreddin kaum seiner Zunge mächtig. Seine Stimme klang wie das Winseln einer stinkenden Hyäne.

,O hoher Gebieter', antwortete er. ,O Sonne unseres Distrikts, die allen Lebenden Glück und Freude spendet, erhöre deinen nichtswürdigen Sklaven, der es nicht wert ist, die Schwelle deines Palastes mit seinem Barte abzuwischen. Gnädig hast du geruht, einen deiner Elefanten in unserem Dorf unterzubringen, auf daß er da gefüttert werde. Und damit sind wir nicht einverstanden.'

Der Gouverneur runzelte die Stirn und glich einer Gewitterwolke. Nasreddin verneigte sich vor ihm bis zur Erde, wie ein Schilfhalm vor dem Sturm.

,Ihr seid nicht einverstanden? Warum nicht?' fragte der Gouverneur. ,Antworte rasch, oder klebt dir die Zunge in deinem dreckigen Maul?'

,W—w-wir', stammelte der feige Nasreddin, ,wir sind nur deshalb nicht einverstanden, erlauchter Gebieter, weil das arme Tier ganz allein ist und sich so einsam fühlt und sich langweilt. Der Elefant ist ganz schwermütig geworden, und die Dorfbewohner werden es auch, wenn sie ihn anschauen. Und darum haben sie mich zu dir gesandt, o Edelster der Edlen, o Zierde dieser Welt, um dich zu bitten, daß du uns die Gnade erweisest, uns auch noch eine Elefantenkuh zum Füttern zu schicken.'



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Der Gouverneur war mit dieser Antwort sehr zufrieden und befahl sofort, einen zweiten Elefanten ins Dorf zu schicken. Als Zeichen seiner Gnade gestattete er Nasreddin, seinen Schuh zu küssen, und Nasreddin tat es mit solchem Eifer, daß ein Fleck auf dem Schuh des Gouverneurs blieb und Nasreddins Lippen schwarz wurden.

In diesem Augenblick unterbrach Nasreddin den Erzähler mit Stentorstimme.

»Du lügst!« donnerte er. »Du lügst, du schamloser Bastard von Fröschen, Schlangen, Spinnen und Schakalen! Deine Zunge, deine Lippen sind schwarz wie dein ganzes Innere, du räudiger Hund, weil du die Stiefel der Machthaber leckst! Nasreddin hat sich noch nie vor einem Machthaber verneigt! Du verleumdest Nasreddin! Du lügst! Hört ihm nicht zu, ihr Gläubigen! Jagt ihn zum Teufel, den Erzlügner, der das Gute verleumdet. Straft ihn mit eurer Verachtung! Wendet eure Augen und eure Herzen von ihm ab!«

Er stürzte vor, um den Verleumder eigenhändig am Kragen zu packen, doch verblüfft hielt er inne, als er das flache, pockennarbige Gesicht und die unruhigen gelben Augen des Dieners erkannte, der sich mit ihm über das Geländer der Todesbrücke gestritten hatte.

»Aha«, rief Nasreddin aus. »Sieh mal an, der treue und ehrliche Diener seines Herrn! Du dienst also noch einem anderen Herrn, dessen Namen du aber verheimlichst. Wieviel zahlt dir der Emir für die Verspottung und Verleumdung Nasreddins überall in den Tee-



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stuben? Wieviel zahlt er dir für dein Gespitzel, für jeden, den du verraten, für jeden, den du ans Messer geliefert hast, der deinetwegen ins Gefängnis geworfen, in Ketten gelegt oder in die Sklaverei verkauft wurde? Ich habe dich erkannt, du gemeiner Spitzel des Emirs !«

Der Spion, der bis dahin regungslos dagestanden und erschrocken auf Hodscha Nasreddin geblickt hatte, klatschte plötzlich in die Hände und rief mit lauter Stimme:

»Wache! Hierher!«

Nasreddin hörte die schweren Schritte der Wache, die herbeigeeilt kam, hörte das Klirren der Speere und Schilde. Ohne Zögern sprang er zur Seite und schlug den Spitzel nieder, der ihm den Weg vertrat.

Da vernahm er das Stampfen der Wache, die von der anderen Seite des Platzes gelaufen kam.

Wohin er auch hastete, überall rannten ihm Wachen entgegen. Schon glaubte er sich verloren und rief, so laut er konnte: »Ich bin umzingelt! Leb wohl, mein treuer Esel!«

Da geschah etwas Verblüffendes. Noch heute erinnert man sich in Buchara daran und wird es auch nie vergessen; zu groß waren der Tumult und die Zerstörungen, die der Zwischenfall hervorrief.

Der Esel, da er die klagende Stimme seines Herrn vernahm, rannte auf ihn zu und schleifte dabei eine riesige Trommel hinter sich her. Vorhin in der Dunkelheit hatte Nasreddin nicht bemerkt, daß die Klammer,



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an die er den Esel band, zu der großen Trommel gehörte, mit deren Hilfe ihr Besitzer an hohen Feiertagen die Leute in seine Teestube rief. Die Trommel stieß gegen einen im Weg liegenden Stein und erdröhnte. Der Esel blickte sich um, und wieder prallte die Trommel mit Getöse an einen Stein. Da wurde dem Esel klar, daß die bösen Geister, die seinen Herrn verfolgten, nun auch ihm ans Fell wollten. Entsetzt brüllte er auf und raste mit hocherhobenem Schweif über den Platz.

»Verdammt, meine Trommel«, schrie der Teehausbesitzer und jagte hinter dem Esel drein.

Vergebliche Mühe! Wie ein Sturmwind brauste der Esel dahin, und je schneller er lief, um so ohrenbetäubender wurde der Lärm, den die Trommel hervorbrachte. Die Leute in den Teestuben gerieten in Aufregung, sprangen von ihren Sitzen hoch und erkundigten sich, was geschehen sei, weshalb man zu so ungewohnter Stunde die Trommel schlage.

Mittlerweile hatte die letzte Kamelkarawane -fünfzig Lasttiere, mit Geschirr und Kupferblech beladen - den Platz des Basars erreicht. Als die Kamele etwas Rundes, Brüllendes, Springendes, Fürchterliches gewahrten, das mit Donnergepolter aus der Finsternis auf sie zujagte, gerieten sie außer sich vor Entsetzen und rannten voll panischer Angst nach allen Seiten auseinander; das Geschirr und die Blechplatten fielen klirrend und polternd zu Boden.

Im nächsten Augenblick herrschte auf dem Platz



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und in den angrenzenden Straßen ein wüstes Durcheinander. Ein Dröhnen, Donnern, Wiehern, Brüllen, Heulen, Prasseln und Klirren erfüllte die Luft und vereinte sich zu einem geradezu höllischen Getöse. Niemand wußte, was geschehen war. Hunderte von Kamelen, Pferden und Eseln hatten sich losgerissen, rasten in der Finsternis umher und galoppierten über die auf der Erde verstreuten scheppernden Kupferbleche hinweg. Mit lautem Gebrüll rannten die Treiber, Fackeln schwingend, hinterher. Aus den Häusern kamen verschlafene Menschen gestürzt, die von dem Lärm aufgewacht waren. Verstört, halbnackt liefen sie über den Platz. Sie wußten nicht, wohin sie sich wenden sollten, stießen einander und erfüllten die Dunkelheit mit verzweifeltem Geschrei; denn sie glaubten nicht anders, als daß der Weltuntergang angebrochen sei. Auch die Hähne erwachten, schlugen mit den Flügeln und krähten. Die Verwirrung wuchs und breitete sich über die ganze Stadt aus. Plötzlich feuerten die Kanonen auf der Stadtmauer, denn die Wache vermutete, es sei ein Feind eingedrungen. Die Kanonen des Palastes begannen ebenfalls zu schießen; die Palastwache wähnte, ein Aufstand habe begonnen. Von den zahllosen Minaretten erklangen die erschrockenen Stimmen der Muezzins. Alles rannte durcheinander und wußte nicht, wohin. Und im dichtesten Getümmel lief Nasreddin, den umherhastenden Pferden und Kamelen geschickt ausweichend, den Trommeltönen seines Esels nach, die schließlich abbrachen, weil der Strick gerissen war. Die



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Trommel rollte den Kamelen vor die Füße, die entsetzt zurückprallten und einige Speicher, Vordächer, Teestuben und Marktbuden einrissen.

Nasreddin hätte den Esel lange suchen können, wenn er nicht zufällig auf ihn gestoßen wäre. Der Esel war ganz von Schaum bedeckt und zitterte.

»Komm schnell«, sagte Nasreddin und zog das Tier hinter sich her. »Hier ist es zu laut für uns. Was ein kleiner Esel in einer großen Stadt nicht alles anrichten kann, wenn man ihn an eine Trommel bindet! Schau, was du angestellt hast. Du hast mich zwar vor der Wache gerettet, aber mir tun dennoch die armen Einwohner von Buchara leid; sie werden vor morgen früh nicht zu sich kommen. Wo finden wir jetzt ein ruhiges, abgeschiedenes Eckchen für uns?«

Nasreddin beschloß, auf dem Friedhof zu übernachten; denn er nahm mit Recht an, daß die Toten keinesfalls Fackeln schwingen oder schreiend und brüllend umherlaufen würden, mochte die allgemeine Verwirrung auch noch so groß sein.

Damit beendete der Empörer und Unruhestifter Hodscha Nasreddin den ersten Tag seines Aufenthalts in der Heimat und machte auch diesmal seinem Beinamen alle Ehre. Er band den Esel an einen Grabstein, streckte sich behaglich auf einem Grabhügel aus und schlief alsbald ein. In der Stadt hörten Lärm, Geschrei und Kanonendonner noch lange nicht auf.