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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

116. Die starken Knaben

Eine Frau hatte neun Töchter. Acht dieser Töchter gebaren wieder jede neun Töchter, die neunte aber blieb kinderlos. Das war gerade die älteste. Eines Tages nun ward sie über diesen Zustand sehr erbittert und auf ihre Schwestern eifersüchtig. Voll wilder Gefühle lief sie in den Wald und sagte dort: "Jede meiner acht Schwestern hat neun Kinder. Ich, die älteste, aber bleibe kinderlos. Ich will im Busch eine Stelle suchen, an der ich mich selbst töte." Auf ihrem Wege traf sie Uende-naba (Gott; die Aus-



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sprache ist oft so undeutlich, daß man Uende-nam zu hören vermeint). Uende-naba fragte sie: "Was hast du? Wo willst du hingehen gehen?" Die Frau sagte: "Ich bin die älteste von neun Schwestern. Jede meiner acht Schwestern hat neun Kinder. Nur ich habe deren nicht ein einziges. Ich schäme mich dessen, und ich will hingehen und mich töten."

Uende-naba sagte: "Geh nur wieder heim. Koche Reis auf, so daß das Wasser darübersteht. Trinke das dann und schlucke auch den Reis hinunter. Sollte aber ein wenig von dem Reis beim Trinken vorbeispritzen und irgendwo am Körper dir haftenbleiben, so streiche dies Reiskorn nicht fort. Laß es da, wo es ist. Drei Tage später komm dann wieder in den Busch und suche Holz." Die Frau sagte: "Ich will es tun." Sie ging nach Hause und bereitete den Reis. Als sie ihn trank, tropfte ein wenig Reiswasser mit einem Korn herab und haftete auf der Wade. Sie ließ es da und streifte es nicht fort. Sofort begann die Stelle an der Wade wie eine Beule zu schwellen und blieb auch in diesem Zustande. Drei Tage später begab sie sich wieder in den Busch, um trockenes Holz zu sammeln. Sie stieg auf einen Tanga-Baum (Baumbutterbaum). Ein Zweig brach ab, und ein Splitter strich in die Beule an der Wade, die an der Stelle entstanden war, wo das Reiskorn hingefallen war. Kaum riß der Splitter die Beule ein wenig auf, so ward aus ihr ein Knabe geboren. Der Knabe sagte: "Mutter, komm, wir wollen zusammen ins Dorf zurückgehen. Weißt du, wie ich heiße?" Die Mutter sagte: "Nein, das weiß ich nicht, denn du bist ja eben erst und ohne daß du einen Vater hast, geboren." Der Knabe sagte: "Ich heiße Rogom-karaga-biga-nagüem-londa" (der aus der Wade geborene Knabe; karaga Wade). Sobald der Knabe das gesagt hatte, machten sie sich auf den Weg und gingen zusammen in das Dorf.

Im Dorfe sagte der Wadengeborene zu seiner Mutter: "Gehe zum Orts-Naba und sage, daß jeder ein Stück Eisen hergebe und daß man aus all dem Eisen zusammen eine Stange anfertige, die mir als Stab dienen kann; denn ich will auf Wanderschaft gehen." Die Mutter sagte es dem Orts-Naba. Der Orts-Naba ließ eine Eisenstange anfertigen. Die Eisenstange wollte man dann dem Knaben bringen. Es waren aber 25 Leute nötig, sie zu tragen, so schwer war sie. Als die 25 Leute die Eisenstange dem Knaben übergaben, nahm der sie in die rechte Hand und schlug ein wenig gegen den ausgestreckten linken Unterarm. Da zersplitterte die Stange. Der Knabe sagte: "Ihr seht, daß das nichts für mich ist. Das ist kümmerlich,



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Nehmt das Spielzeug wieder auf, bringt es zurück und sagt, man solle mir etwas Ordentliches herstellen." Die Leute gingen. Nun fertigte man eine noch viel schwerere Eisenstange an. Als man sie aufnehmen wollte, um sie dem Knaben zu bringen, gelang es nicht. Die Dorfleute waren zu schwach, um das Instrument zu tragen. Da schickte der Orts-Naba eine Nachricht an die Mutter des Kindes, die lautete: "Die Ortsleute haben nun eine sehr große, Schwere Eisenstange hergestellt, die ist aber so schwer, daß sie sie nicht tragen können. Der Wadengeborene muß also selbst kommen, sie abzuholen." Der Wadengeborene hörte die Botschaft. Er machte sich auf den Weg. Er kam zu der Stelle, wo die Stange lag, hob sie mit der rechten Hand auf und schlug sie leicht gegen den linken Unterarm. Er sagte: "Sie ist zwar nicht besonders ausgezeichnet. Immerhin mag sie ausreichen, weil keine bessere vorhanden ist." Dann ging er zu seiner Mutter und bat um die Erlaubnis, eine Wanderschaft zu unternehmen.

(Die Fortsetzung entspricht einer Wandergenossenschaftssage, wie sie z. B. in Nr. 14 der letzten Legende des vorigen Heftes Wiedergegeben ist. Das Wesentliche daraus mag kurz wiedergegeben werden: Der Wadengeborene trifft zwei Kameraden: erstens den Uerre-biga-selle-kumba (der Zweige abbricht und einpflanzt, woraus dann Aubergines emporwachsen; jedenfalls ein Zauberkräftiger), zweitens den Pia-(oder Piga-) üei-manbenda (der neun Sekko-Matten zusammenflicht, um daraus eine kleine Hose zu machen, die knapp reicht). Der Wadengeborene tötet nun erst sieben Elefanten mit der Eisenstange. Während die anderen beiden fortgehen, bleibt der Sekkohosenknabe da. Räuberin ist eine alte Frau. Der Sekkoknabe wird von ihr einfach im Busch aufgehängt. Die anderen befreien ihn zurückkommend. —Anderentags dieselbe Sache. Der Pflanzenverwandler wacht. Die Alte kommt, hängt ihn beiseite, ißt einige Elefanten und nimmt noch einige mit "für das kleine Kind, das sie daheim hat". Die zurückkehrenden anderen beiden befreien ihn. — Am dritten Tag wieder Elefantentotschiag mit der Eisenkeule des Wadengeborenen. Der übernimmt heute, als die anderen fortgehen, die Wache. Die Alte kommt. Der Wadengeborene gibt ihr mit der Eisenstange einen Schlag auf die Stirn, einen Schlag auf den Hinterkopf. Die Alte ist tot. Nun werden noch viele Elefanten getötet und mit nach Hause genommen. Sie werden von den drei Knaben so leicht getragen, als wären es Kaninchen.)


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