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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

115. Die starken Knaben

Ein Mann hatte neun Frauen. Die neun Frauen hatten nur ein Kind. Das Kind sagte, als es ein wenig herangewachsen war: "Ich will mir selbst einen Namen geben. Ich will in Zukunft heißen Para-bane-biga" (Kind der neun Mütter). Das Kind der neun Mütter wuchs allmählich heran. Als es etwa acht Jahre alt war, ging es zu seinem Vater und sagte: "Ich will auf Reisen gehen und mir Kameraden von meiner Art suchen. Gib mir einen Pfeil aus Eisen, einen Bogen aus Eisen und einen Stab aus Eisen." Der Vater gab es ihm. Dann zog er von dannen.

Als das "Kind der neun Mütter" ein Stück weit gegangen war, traf es einen Knaben. Der Bursche fragte den Fremden: "Wer bist du?" Der fremde Junge sagte: "Ich heiße Biga awure abong Sanga lingima tubere" (der Knabe, der einen Sangabaum ausreißt, um das Ohr auszukratzen; die Sangabäume sind sehr groß). Das "Kind der neun Mütter" sagte: "Zeige das einmal." Der andere Bursche riß einen Sangabaum aus und kratzte sich damit das Ohr aus. Das Kind der neun Mütter sagte: "Es ist gut. Das ist das, was ich brauche. Du kannst als Kamerad mit mir kommen." Die beiden gingen weiter.

Als sie ein Stück weit gegangen waren, trafen sie einen anderen Knaben. Den fragte das "Kind der neun Mütter": "Wie heißt du? Der fremde Bursche antwortete: "Ich heiße Biga ajule jeddega



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tuenga duduenda" (der Knabe, der mit seinem Bart den Himmel bedeckt). Das "Kind der neun Mütter" sagte: "Zeige das einmal!" Da breitete der andere seinen Kinnbart aus, und richtig, alles rundherum war bedeckt. Das "Kind der neun Mütter" sagte: "Es ist gut; das ist das, was ich brauche. Du kannst als Kamerad mit uns kommen." Die drei gingen zusammen weiter.

Als sie ein Stück weit gegangen waren, trafen sie einen anderen Knaben. Den fragte das "Kind der neun Mütter": "Wie heißt du?" Der fremde Bursche sagte: "Ich heiße Biga entiga akadaga tintam Mankaraga" (der Knabe, der mit einem Schritt bis Mankaraga kommt. Mankaraga ist ein Dorf von ungefäh 1180 km Entfernung). Das "Kind der neun Mütter" sagte: "Zeige das einmal!" Der fremde Bursche machte einen Schritt. Er war in Mankaraga. Er machte einen zweiten Schritt. Das "Kind der neun Mütter" sagte: "Das ist gerade das, was wir gebrauchen können. Du kannst mit uns kommen." Die vier machten sich also auf den Weg.

Sie begaben sich ein Stück weiter. Das "Kind der neun Mütter" tötete mit einem Pfeilschuß einen Elefanten. Das "Kind der neun Mütter" sagte: "Der Baumausreißer mag beim Elefanten Wache halten. Wir anderen wollen noch ein wenig in den Busch ziehen." Der Baumausreißer blieb da. Die anderen machten sich auf und gingen noch ein wenig in den Busch. Als die anderen ein gut Stück weit gegangen waren, kam eine gewaltige Riesenweihe angeflogen. Die Riesenweihe sagte: "Guten Tag, mein Freund Baumausreißer!" Der Knabe antwortete: "Guten Tag, meine Riesenweihe." Der Vogel sagte: "Willst du lieber, daß ich dich töte, oder willst du lieber, daß ich den Elefanten mitnehme ?" Der Knabe hatte Angst. Er sagte: "Nimm den Elefanten!" Darauf nahm die Riesenweihe den Elefanten und flog damit fort. Als die anderen wiederkamen, fragte das "Kind der neun Mütter": "Wo ist unser Elefant?" Der Baumausreißer sagte: "Es kam eine Riesenweihe, die wollte mich entweder töten oder den Elefanten haben. Darauf ließ ich sie den Elefanten mitnehmen." Das "Kind der neun Mütter"sagte darauf: "Du sollst dich schämen, daß du dir von einem Vogel einen Elefanten wegnehmen läßt und dein Leben für wertvoller hältst als diese Schmach!"

Am anderen Tage tötete das "Kind der neun Mütter" einen wilden Büffel. Es sagte: "Heute mag der Bartbedecker die Wache übernehmen, während wir anderen in den Busch gehen." Es kam wie das erstemal. Die Riesenweihe nahm den wilden Büffel. Das



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"Kind der neun Mütter" schalt den Feigling. Am dritten Tage tötete das "Kind der neun Mütter" wieder eine große Antilope. Es sagte: "Heute mag der Ausschreiter die Wache übernehmen, während wir anderen in den Busch gehen." Es kam wie die beiden ersten Male. Die Riesenweihe nahm die große Antilope. Das "Kind der neun Mütter" schalt den Feigling.

Am vierten Tage tötete das "Kind der neun Mütter" wieder einen großen Elefanten. Es sagte: "Heute werde ich selbst Wache halten. Ihr anderen könnt in den Busch gehen." Die anderen drei machten sich auf und gingen noch ein wenig in den Busch. Als sie eine gute Zeitspanne fort waren, kam die gewaltige Weihe angeflogen. Die Riesenweihe sagte: "Guten Tag, du ,Kind der neun Mütter'." Der Knabe antwortete: "Guten Tag, meine Riesenweihe!" Der Vogel sagte: "Willst du lieber, daß ich dich töte, oder willst du lieber, daß ich den Elefanten mit fortnehme?" Das "Kind der neun Mütter" sagte: "Wage es nicht, den Elefanten anzurühren! Mich zu töten, kannst du versuchen." Der Riesenvögel schoß nun auf den Knaben herab. Der spannte den eisernen Bogen und sandte ihm einen eisernen Pfeil in die Brust. Der Vogel stürzte getroffen herab. Dann aber griff er doch noch den Burschen an. Der Bursche versetzte ihm einen Schlag mit dem Eisenstab. Darauf verlor er fast das Bewußtsein; als er aber doch noch einmal mit dem Schnabel nach dem Knaben hackte, schnitt dieser ihm mit dem Messer den Hals durch.

Hierauf begann das "Kind der neun Mütter" dem Vogel die Federn auszuziehen. Es wurden neun Haufen, ein jeder so hoch wie eine Hütte. Nachher kamen die drei anderen an. Sie waren sehr beschwert. Das "Kind der neun Mütter" sagte aber: "Ihr seht wohl, daß ich euer richtig gewählter Führer bin."


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