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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

113. Sombas Wette

Somba wettete mit einem Naba. Somba hatte behauptet: "Die Mädchen können Kinder bekommen, ohne daß sie mit einem Manne schlafen." Der Naba behauptete: "Die Mädchen müssen erst vom Manne beschlafen werden, ehe sie schwanger werden können." Somba sagte: "Es ist ganz einfach; laß ein Mädchen in ein Haus, das einen Hof hat, bringen. Sorge, daß genug Nahrung im Hause ist. Dann maure es zu und du wirst sehen, daß, wenn du nach einem Jahr aufmachst, das Mädchen ein Kind hat." Der Naba sagte: "Es ist wahr, wir können den Versuch machen." Der Naba ließ ein Haus mit einem Hof und einer hohen Mauer darumbauen. Er ließ Speise und alles Korn in Menge hineinbringen, setzte ein unberührtes Mädchen hinein und ließ dann das Haus und den Hof vermauern.

Als das Mädchen so eingemauert war, wandte sich Somba an Dajuga (eine große Ratte). Er sagte zu ihr: "Wenn du mir einen Dienst erweisen willst, an dem mir sehr viel liegt, so werde ich dich



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reichlich belohnen." Dajuga sagte: "Wenn es in meinen Kräften liegt, will ich es tun." Somba sagte: "Lege mir hier draußen ene tiefe Grube an. Von der Grube führe einen Kanal bis unter die Hütte, die der Naba zugemauert hat, und dort gehe bis an die Erdoberfläche. Wirst du das machen können?" Dajuga sagte: "Das ist keine sehr große Sache. Das werde ich tun." Dajuga machte das Loch und den Kanal bis in das Haus des eingemauerten Mädchens.

Sobald das fertig war, lief Somba durch das Loch zu dem eingemauerten Mädchen hinein. Und das machte er so oft und so lange, bis das Mädchen schwanger war, denn jede Nacht beschlief er sie. Als er das erreicht hatte, sagte er in der letzten Nacht zu dem Mädchen: "Nun klopfe den Boden in deiner Hütte recht ordentlich. Denn die Buhuli (Würmer) sind in das Erdreich gekommen. Du mußt das sehr ordentlich machen, damit die Hütte nicht einfällt." Dann ging er fort. Das Mädchen verstopfte also alle Löcher und klopfte den Erdboden sehr fest. Außen aber machte Somba auch jenes Loch zu, durch das er seinerzeit in den Kanal geschlüpft war.

Nach geraumer Zeit sagte Somba zum Naba: "Es dürfte jetzt übrigens ein Jahr verflossen sein, seitdem du das Mädchen hast einmauern lassen. Vielleicht läßt du nun einmal aufmachen und nachsehen, ob sie ein Kind zur Welt gebracht hat." Der Naba sagte: "Es ist wahr; es ist ja ein Jahr verstrichen." Er gab den Auftrag, das Haus zu öffnen. Als man hineintrat, fand man, daß das Mädchen Mutter geworden war und ein Kind hatte.

Somba sagte zu dem Naba: "Erinnerst du dich, daß ich gewettet habe, Mädchen könnten auch Kinder bekommen, ohne daß sie von einem Manne beschlafen würden ?" Der Naba sagte: "Es ist wahr." Es waren aber alte Leute da, die besprachen die Sache. Eines Tages wandte sich der Naba an sie und fragte: "Ist es wahr, was Somba behauptet?" Die alten Leute sagten: "Nein, es ist nicht wahr. Das Kind muß einen Vater haben." Der Naba sagte: "Wie kann man aber feststellen, wer der Vater des Kindes ist?"

Die alten Leute überlegten noch einmal; dann sagten sie zum Naba: "Du kannst vielleicht den Vater des Kindes auf folgende Weise feststellen: Laß alle Männer sich neue Kleider anziehen und jeden mit einem Samsa (gleich der Gommi-Speise der Mande) vor das Kind treten. Jeder soll sein Samsa dem Kinde hinreichen. Welchem nun das Kind die Arme entgegenstreckt, das ist sicher



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der richtige Vater." Der Naba sagte: "Das ist ein sehr guter Rat; So werde ich es machen lassen." Und er gab diesen Befehl nach allen Seiten.

Alle Männer kamen nun an den Hof. Jeder hatte ein neues Kleid an und einen Samsa-Kuchen in der Hand. Jeder reichte dem Kinde den Samsa-Kuchen hin. Aber alle ließen das Kind ganz gleichgültig. Endlich kam auch Somba mit seinem Samsa vorbei und hielt ihn dem Kinde hin. Sowie das Kind den Samsa Sombas sah, streckte es die Arme weit aus und lachte ganz laut. Alle alten Leute sagten: "Das ist der richtige Vater des Kindes." Der Naba sagte: "Das ist der richtige Vater des Kindes." Somba aber sagte: "Nein, ich bin nicht der Vater des Kindes. Das Kind ist ja von einem Mädchen geboren, das nie von einem Manne beschlafen war."

Der Naba sagte: "Es ist schade, daß du nicht zugibst, der Vater des Kindes zu sein; denn wenn es dein Kind wäre, würde ich Mutter und Kind dir zum Geschenk gemacht haben. So müssen wir aber einen Besitzer für die Frau und das Kind suchen. Ich will die Frau und das Kind demjenigen schenken, der mir zuerst frischbereiteten Dam (das ist Hirsebier) vorzusetzen imstande ist."

Als Somba das hörte, dachte er nach. Er wußte, daß es im Orte sehr viele gab, die viel schneller Dam zu machen verstanden als er und seine Mutter. Aber er wollte nicht gern, daß die Frau und sein Kind Leibeigene eines anderen würden. Er rief seine Mutter und sagte zu ihr: "Mache sogleich und so schnell wie möglich einen Topf mit gutem Dam. Du mußt auf jeden Fall mit deinem Dam vor allen Leuten zuerst fertig werden. Hole sogleich vom Fluß das dazu nötige Wasser, ehe noch irgend jemand anderes daran denkt. Dann werde ich es zu verhindern wissen, daß die anderen an das Wasser kommen und das nötige Wasser besorgen." Die Mutter Sombas sagte: "Gut, so will ich es machen." Sie ging sogleich hin und holte vom Fluß Wasser.

Kaum war sie vom Fluß mit dem Wasser angekommen, so ging Somba zum Fluß hinunter und setzte sich in eine kleine Hütte, die am Flußufer war. Er hatte seine Armtrommel bei sich, trommelte und sang: "Jeder, der zum Fluß geht, um Wasser zu holen, soll sich so viel Zeit lassen, erst zu hören, was die Trommel sagt. Denn die Frauen des Königs sind am Fluß, und die darf keiner sehen!" —Als nun die Leute kamen, um das Wasser zur Dambereitung zu holen, hörten sie das. Und jeder, der das hörte, kehrte sofort um; denn es stand schwere Strafe darauf, die Frauen des Königs anzusehen.



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Da so aber niemand Wasser hatte, konnte auch niemand Dani machen, außer der Mutter Sombas, die schon vordem Wasser geschöpft hatte.

So kam es, daß Somba in der Lage war, dem Naba zuerst Dani zu bringen, und so bekam er dann die Mutter und das Kind als Geschenk des Naba. — Seitdem, so sagt man, gelte die Ehe erst dann, wenn der Dani bereitet und verschenkt werde.


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