Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_08-0004 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

106. Somba, Katere und Baga

Zuerst waren Somba und Katere gute Kameraden. Sie stahlen zusammen Ziegen, Hammel und Hühner und fühlten sich dabei recht wohl. Eines Tages aber sagte Katere zu Somba: "Hör' mal, Somba, du paßt mir nicht mehr als Kamerad. Vor allen Dingen bist du mir zu schwach, weshalb ich immer alles tun muß, was Stärke erfordert. Dann aber arbeitest du überhaupt nicht, sondern überläßt mir den größten Teil der Arbeitsleistungen, auch wenn sie keine besonderen Kräfte erfordern. Also will ich dich nicht mehr als Kameraden haben. Ich werde mich nach einem anderen Kameraden umsehen." Somba sagte: "Wie du willst! Ich fürchte nur, es wird zu deinem Schaden sein!" Katere sagte: "Das werde ich ja sehen."

Dann lief Katere zu Baga (dem Hunde) und sagte: "Hör', mein kleiner Hund, ich will in Zukunft mit dir Kameradschaft halten. Ich bin bis jetzt mit Somba ausgegangen, und wir haben viele Ziegen, Schafe und Hühner gewonnen. Aber jetzt habe ich das Verhältnis zu ihm gelöst, denn zum ersten ist er schwach und arbeitet nicht, und dann muß ich ihm immer mehr als die Hälfte aller Beute abgeben. Deshalb will ich nichts mehr von ihm wissen und will dafür



Atlantis Bd_08-249 Flip arpa

mit dir, mein kleiner Hund, Kameradschaft schließen." Baga sagte: "Es ist gut, wir können es versuchen."

Als Somba hörte, daß Katere mit Baga Kameradschaft geschlossen habe, ging er zu Baga und sagte zu ihm: "Mein Baga, ich will dir einen Rat geben. Sei ja vorsichtig mit Katere. Ich habe gehört, daß Katere mit dir Freundschaft geschlossen hat. So sage ich dir denn, daß Katere furchtbar gierig ist. Da du nun im Dienst der Menschen bist, so ist das an sich schon gefährliche Ziegenrauben für dich doppelt gefährlich, denn wenn sie dich dabei erwischen, werden sie mit dir noch härter verfahren als mit einem anderen. Also sei vorsichtig! Sage aber auch Katere nichts, daß ich dich gewarnt habe, denn dann wird er gegen dich mißtrauisch." Baga sagte: "Ich danke dir, mein Somba, ich werde mich danach richten." Somba sagte: "Ich will dir im übrigen sagen, daß du, wenn du einmal Hunger hast, dich nur an mich zu wenden brauchst, denn ich weiß eine ausgezeichnete Honigstelle" (Honig sido). Baga sagte: "Ich danke dir, mein Somba."

Eines Tages sagte Katere zu Baga: "Komm, wir wollen uns eine Ziege holen." Baga machte sich mit Katere auf den Weg. Sie kamen bis an das Dorf. Katere sagte zu Baga: "Gehe hinein und hole uns eine Ziege heraus!" Baga sagte: "Aber was denkst du, mein Katere! Was sollte mein Herr dazu sagen, wenn ich ihm eine Ziege raube! Ich bin doch im Dienst der Menschen, und ich kann doch so etwas nicht tun." Katere sagte: "So muß ich die Ziege wohl selbst holen!" Baga sagte: "Ja, das mußt du, mein Katere!"

So lief denn Katere in das Dorf und stahl eine Ziege. Die Ziege trieb er heraus. Dann sagte er zu Baga: "Nun laufe wenigstens in das Dorf und hole uns Feuer, daß wir kochen können." Baga sagte: "Wie soll ich denn Feuer holen? Ich habe keine Hände, es anzufassen. Ich müßte es mit dem Munde nehmen. Wenn ich es aber mit dem Munde nähme, würde ich mir den Mund verbrennen. Was würde aber mein Herr dazu sagen, wenn ich einen verbrannten Mund hätte!" Katere sagte: "Es ist gut. Dann wollen wir die Ziege so in unser Lager treiben." Sie trieben die Ziege in das Lager.

In dem Lager war Somba. Somba kannte eine ausgezeichnete Honigstelle. Die Bienen hatten in einem gekrümmten, hohlen Baum ihre Waben gebaut. Dieser Baum war so gewunden, daß man nicht mit dem Kopf hineinfahren konnte, ohne steckenzubleiben. Nun hatte Somba damals noch einen schönen langen Schwanz. Mit dem Schwanze war er in die Bienenhöhle gefahren und hatte den Honig



Atlantis Bd_08-250 Flip arpa

herausgezogen. Der ganze Schwanz war noch voller Honig, als er ins Lager kam.

Einige Zeit, nachdem Somba mit seinem Honigschwanze angekommen war, kamen auch Katere und Baga mit ihrer Ziege an. Katere warf sich müde auf die Erde. Somba stand auf und ging an Katere vorüber. Er strich mit dem honigüberzogenen Schwanze Katere an der Nase vorbei und sagte: "Rieche einmal, mein Katere." Katere roch und sagte: "Das ist ja der ausgezeichnetste Honig!" Dann begann Katere den Honigschwanz abzulecken. Er war aber so gierig, daß er nicht nur den Honig, sondern auch den ganzen Schwanz nach und nach wegknabberte, und daher kommt es, daß Somba heute nur noch einen ganz kurzen Schwanzstummel hat. Danach fragte Katere: "Wo hast du diesen Honig gefunden, mein Somba?" Somba sagte: "Das will ich euch gern sagen. Der Honig ist in einem gekrümmten (besser gewundenen) hohlen Aste. Nun wißt ihr, daß ich ja leider nur ein schwaches Tier bin. Wäre ich ein starkes Tier, dann könnte ich das morsche Holz mit meinem Kopfe zerbrechen und euch den ganzen Honig bringen. So bin ich leider darauf angewiesen, meinen Schwanz in die Höhlung hineinzuschieben und so viel herauszuziehen, als eben gelingt. Aber es gibt für mich immer nur wenig und ist schwierig, während es für dich, den starken Katere, ein leichtes wäre, alles auf einmal zu ergreifen." Katere sagte: "Zeige mir doch die Stelle!"

Darauf führte Somba Katere und Baga an den gewundenen hohlen Ast und sagte: "Hier ist der Honig!" Katere roch erst daran. Er sagte: "Es ist wahr, und die Höhlung scheint ganz voll zu sein! Ich werde mit meinem Kopf das Holz aufbrechen." Er fuhr mit wilder Gier eilig hinein und zwängte den Kopf in die Windung. Nun war er ganz fest darin und konnte zunächst den Hals drehen und wenden, wie er wollte; er kam nicht wieder frei.

In seiner Herzensangst rief Katere: "Baga, lauf schnell zu meiner Mutter und sage ihr, sie solle das Erdorakel befragen, um zu erfahren, wie ich aus dieser Klemme wieder herauskomme. Lauf schnell!" Somba nahm Baga beiseite und sagte zu ihm: "Frage doch Katere, ob er dafür bezahlen und erlauben wolle, von der Ziege zu essen, die ihr geraubt habt." Baga fragte Katere laut: "Ist es erlaubt, als Bezahlung für den Dienst von der Ziege zu essen, die wir gestohlen haben?" Katere sagte: "Lauf nur schnell zu und frage meine Mutter. Von der Ziege kannst du nehmen, was du willst. Wenn ich nur bald wieder fortkomme."



Atlantis Bd_08-251 Flip arpa

Darauf liefen Baga und Somba so schnell wie möglich von dannen. Sie liefen aber nicht zur Mutter Bagas, sondern in das Lager zu der Ziege. Sie aßen die Ziege auf und ließen Katere in seiner Falle. Katere zog und zog und kam auch endlich los, aber er war arg zerschunden.

Seitdem will aber Katere von der Kameradschaft mit Baga noch weniger wissen als von der Kameradschaft mit Somba.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt