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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DSCHUBAIR IBN 'UMAIR UND DER HERRIN BUDÛR

Eines Nachts ward der Beherrscher der Gläubigen von Unruhe geplagt, und der Schlaf mied ihn; unablässig warf er sich von der einen Seite auf die andere in seiner großen Unruhe. Und als er das nicht mehr ertragen konnte, ließ er Masrûr kommen;



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zu dem sprach er: ,Masrûr, such mir jemanden, der mich von dieser Unruhe befreit!' ,Mein Gebieter,' gab er zur Antwort, ,willst du dich vielleicht in den Garten des Palastes begeben und dir all die schönen Blumen dort ansehen und auf den schönen Reigen der Sterne schauen und auf den Mond, der zwischen ihnen erstrahlt und sich im Wasser spiegelt?' Der Kalif erwiderte: ,Masrûr, nach dergleichen sehnt meine Seele sich nicht!' ,Mein Gebieter,' fuhr jener fort, ,sieh, in deinem Schlosse sind dreihundert Odalisken, von denen jede ihr eigenes Gemach hat; befiehl, daß eine jede von ihnen sich in ihr Gemach zurückzieht, und dann mache bei ihnen die Runde und erfreue dich an ihrem Anblick, ohne daß sie darum wissen!' Doch der Kalif erwiderte: ,Masrûr, das Schloß ist mein Schloß. und die Mädchen sind mein Eigentum; doch sehnt meine Seele sich nicht nach dergleichen.' ,Mein Gebieter,' sagte Masrûr darauf, ,befiehl, daß die Gelehrten und weisen Männer und Dichter vor dir erscheinen und miteinander disputieren und dich unterhalten mit Gedichten und dir Erzählungen von mancherlei Art berichten!' Der Kalif aber erwiderte: ,Nach dergleichen sehnt meine Seele sich nicht.' ,Mein Gebieter,' hub nun Masrûr wieder an, ,befiehl, daß die jungen Leute, die Zechgenossen und die Männer von Geist zu dir kommen und dir lustige Einfälle darbieten!' Auch darauf erwiderte der Kalif: ,Masrûr, nach dergleichen sehnt meine Seele sich nicht.' Nun rief Masrûr: ,Mein Gebieter, dann laß mir den Kopf abschlagen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 328. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Masrûr dem Kalifen zurief: ,Mein Gebieter, dann laß mir den Kopf abschlagen!



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Vielleicht kann das deine Unruhe bannen und treibt deine Schlaflosigkeit von dannen.' Da lachte er-Raschîd über seine Worte und sprach zu ihm: ,Masrûr, sieh nach, wer von den Zechgenossen an der Tür ist!' Masrûr ging hinaus, und als er zurückkehrte, sprach er: ,Mein Gebieter, wer an der Tür ist, das ist 'All ibn Mansûr, der Schalk aus Damaskus.' ,Bring ihn mir!' rief er-Raschîd; da ging Masrûr fort und brachte den Mann. Wie dieser nun eingetreten war, sprach er: ,Friede sei mit dir, o Beherrscher der Gläubigen!' Der Kalif erwiderte seinen Gruß und fuhr dann fort: ,Ibn Mansûr, erzähle uns eine von deinen Geschichten!' Jener fragte darauf: ,O Beherrscher der Gläubigen, soll ich dir etwas erzählen, das ich mit eigenen Augen gesehen habe, oder etwas, das ich nur gehört habe?' Der Beherrscher der Gläubigen antwortete ihm: ,Wenn du etwas Seltsames erlebt hast, so erzähle es uns; denn was nur berichtet wurde, ist nicht so viel wert wie ein eigenes Erlebnis.' ,O Beherrscher der Gläubigen,' hub 'All darauf an, ,leih mir dein Ohr und dein Herz!' Der Kalif sprach: ,Ihn Mansûr, ich höre auf dich mit dem Ohre mein, ich schaue auf dich mit dem Auge mein, und ich lausche dir mit dem Herzen mein.' Nun erzählte 'Alî:

,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, ich erhalte alljährlich einen Sold von Mohammed ibn Sulaimân el-Hâschimi, dem Sultan von Basra. Als ich nun einmal wie gewöhnlich zu ihm ging und bei ihm eintrat, fand ich ihn gerade bereit, zu Jagd und Hatz auszureiten. Ich sprach den Gruß, und er erwiderte ihn; dann fuhr er fort: ,Ibn Mansûr, reit mit uns auf die Jagd!' Doch ich gab ihm zur Antwort: ,Mein Gebieter, ich kann nicht reiten. Laß mich drum im Hause der Gäste wohnen und vertrau mich der Obhut der Kammerherren und Verwalter an!' Das tat er, und dann begab er sich auf die Jagd. Ich wurde



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mit allen Ehren behandelt und mit der schönsten Gastfreiheit bewirtet; und nun sprach ich in meinem Sinne: ,Bei Allah, seltsam, daß ich nun schon seit langem immer von Baghdad nach Basra komme und doch von Basra nichts kenne als den Weg vom Schlosse zum Garten und vom Garten zum Schlosse! Wann böte sich mir je wieder eine solche Gelegenheit wie diesmal, um mir Basra nach allen Seiten hin anzusehen? Ich will mich sofort aufmachen und allein umherziehen zu meinem Vergnügen und zur Verdauung der Speise!' Ich legte also meine prächtigsten Gewänder an und ging in Basra umher. Nun weißt du, o Beherrscher der Gläubigen, daß dort siebenzig Straßen sind, von denen eine jede siebenzig irakische Parasangen lang ist. Ich verirrte mich bald in einer von ihren Gassen, und da überkam mich der Durst. Und während ich, o Beherrscher der Gläubigen, so umherwanderte, sah ich plötzlich eine große Tür vor mir, mit zwei Ringen aus Messing, vor der Vorhänge aus rotem Brokat herniederhingen. Neben der Tür stand auf jeder von beiden Seiten eine Bank, und über ihr befand sich ein Gitterwerk, bedeckt mit Weinreben, deren Schatten auf die Tür fielen.

Ich blieb stehen, um mir dies Haus zu betrachten; und während ich so dastand, geschah es, daß ich plötzlich eine klagende Stimme vernahm, die aus einem betrübten Herzen kam; und sie begann in süßen Weisen vorzutragen und mit diesen Versen ihr Leid zu klagen:

Jetzt ist mein Leib die Stätte der Leiden und der Sorgen
Um eines Rehes willen, des Haus und Heimat fern.
Ihr Winde von Zarûd', erregt ihn, der mich quälet,
Und geht zu meinem Lieb, bei Allah, eurem Herrn,
Und scheltet ihn; vielleicht rührt Schelten ihm das Herz!



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Und lauscht er eurer Rede, so gebet gute Worte; Erzählt ihm, welche Not sie, die da lieben, plagt. Seid mir durch euer Tun, ich bitte euch, gefällig, Und weiset auf mich hin, und wenn ihr sprechet, sagt: ,Wie quälst du deine Sklavin durch herben Trennungsschmerz!
Sie hat doch nicht gesündigt, noch auch je widersprochen;
Sie weihte keinem andren ihr Herz und tat kein Leid;
Sie brach die Treue nicht, noch tat sie je ein Unrecht.'—
Und lächelt er, so saget in aller Freundlichkeit:
Welch hohes Glück für sie -dein Kommen nur gewährt's!
Sie denket deiner stets so, wie es sich gebühret;
Ihr Aug ist immer wach, sie klaget und sie weint.'
Bezeigt er seine Gunst, so ist das Ziel gewonnen;
Doch wenn in seinem Antlitz ein Zornesblick erscheint -
,Wir kennen sie ja nicht', so sprechet wie im Scherz.

Da sprach ich bei mir selber: ,Wenn sie, die so singt, schön ist, dann sind Anmut und Feinheit der Rede und Wohllaut der Stimme in ihr vereint.' Darauf trat ich nahe an die Tür heran und begann den Vorhang ganz langsam zu heben, und nun erblickte ich eine Maid, die erstrahlte wie der volle Mond, wenn er in der vierzehnten Nacht am Himmel thront; sie hatte zusammengewachsene Augen, die versonnen schauen; ihre Brüste waren wie zwei Granatäpfel gepaart, ihre Lippen wie zwei Chrysanthemen zart; ihr Mund schien Salomos Siegel zu sein, und ihrer Zähne Reihn raubten den Sängern und Erzählern Verstand, den Verstand, sowie ein fur sie die Worte fand:

Wer reihte der Geliebten euch auf, ihr Perlenzähne?
Und wer gab deinem Munde Kamillenglanz und Wein?
Und wer lieh deinem Lächeln des jungen Morgens Schimmer?
Und wer schloß deinen Mund mit Karneolen ein?
Wer dich nur sieht, der irret umher, erstaunt. berückt:
Wie mag es dem ergehen, den dein Kuß beglückt?



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Und wie ein anderer sagt:

O du Perlen mund der Freundin.
Sei dem Karneole mild!
Streite nicht mit ihm um Vorrang;
Du bist ihm der Schönheit Bild.

Kurz, sie vereinte in sich alle Reize der Lieblichkeit, und sie war eine Versuchung für Frauen und Männer weit und breit; wer sie sah, dem ward das Anschauen ihrer Schönheit nie zu lang, so wie der Dichter von ihr sang:

Sie tötet, wenn sie kommt; und wendet sie den Rücken,
So geben alle Menschen sich ihr in Liebe hin.
Der Sonne gleichet sie, dem Vollmond auch; und dennoch
Kommt Sprödigkeit und Härte ihr niemals in den Sinn.
Die Gärten Edens tun sich auf in ihrem Kleide;
Der helle Vollmond kreist auf ihrem Halsgeschmeide.

Während ich nun durch eine Spalte des Vorhangs zu ihr hinschaute, wandte sie sich plötzlich um und sah mich an der Tür stehen; sogleich rief sie ihrer Sklavin zu: ,Sieh nach, wer an der Tür ist!' Die Sklavin trat zu mir heran und sprach zu mir: ,Alter, schämst du dich denn nicht? Paßt schamloses Gebaren zu grauen Haaren?' ,Herrin,' erwiderte ich ihr, ,die grauen Haare geb ich dir zu; doch wenn du von schamlosem Gebaren sprichst, so glaube ich doch nicht, daß ich mich bei meinem Kommen eines solchen schuldig gemacht habe.' Da rief ihre Herrin: ,Gäbe es wohl ein schamloseres Gebaren, als wenn du in ein Haus eindringst, das dir nicht gehört, und in einen Harem schaust, der nicht der deine ist?' ,Meine Gebieterin,' gab ich ihr zur Antwort: ,ich habe dafür eine Entschuldigung.' Und als sie fragte: ,Wie kannst du dich denn entschuldigen?' entgegnete ich ihr: ,Ich bin ein Fremdling und so durstig, daß ich vor Durst umkomme!' Sie sprach: ,Wir nehmen deine Entschuldigung an.' - -«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 329. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Dame sprach: ,Wir nehmen deine Entschuldigung an.' Dann rief sie eine ihrer Sklavinnen und sprach zu ihr: ,Lutf, gib ihm einen Trunk aus dem goldenen Krug!' Die brachte mir einen rotgoldenen Krug, der einen Schmuck von Perlen und Edelsteinen trug; der war mit einer Mischung von Wasser und feinstem Moschus angefüllt und in ein Tuch aus grüner Seide eingehüllt. Ich begann zu trinken, doch zog ich mein Schlürfen in die Länge, indem ich immer verstohlen zu ihr hinüberschaute, bis ich mich fast zu lange dabei aufgehalten hatte. Dann gab ich der Sklavin den Krug zurück, blieb aber noch stehen. Da sprach die Herrin: ,Alter, geh deiner Wege!' Doch ich erwiderte ihr: .Meine Gebieterin, ich bin voll trüber Gedanken!' ,Worüber?' fragte sie. Ich antwortete: ,Über den Wechsel der Zeit und der Dinge Unbeständigkeit.' Da fuhr sie fort: ,Du tust recht daran; denn die Zeit ist voller Wunder. Doch was für Wunderdinge sind es, die du erlebt hast, daß du darüber nachsinnen mußt?' Ich erwiderte ihr: ,Über den Herrn dieses Hauses sinne ich nach; denn er war, als er noch lebte, mein Freund!' Auf ihre Frage: ,Wie hieß er denn?' gab ich zur Antwort: ,Mohammed ibn 'All, der Juwelier; er besaß großen Reichtum. Hat er etwa Kinder hinterlassen?' ,Jawohl,' sprach sie, ,er hinterließ eine Tochter des Namens Budûr; die hat all seinen Reichtum geerbt.' Nun rief ich: ,Es scheint, du bist seine Tochter!' Lächelnd sagte sie: ,Jawohl'; doch sie fügte hinzu: ,Alter, du hast schon zu lange geplaudert, jetzt geh deiner Wege!' ,Ich muß wohl fortgehen,' erwiderte ich, ,aber da ich sehe, daß deine Reize verbleichen, so erzähle mir, wie es



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um dich steht! Vielleicht wird Allah dir durch mich Trost gewähren.' Da sagte sie: ,Alter, wenn du zu den verschwiegenen Leuten gehörst, so will ich dir mein Geheimnis offenbaren. Sage mir, wer du bist, damit ich weiß, ob du des Vertrauens würdig bist oder nicht; denn der Dichter sagt:

Nur der verläßliche Mann bewahret das Geheimnis;
Und das Geheimnis ist bei den besten Menschen versiegelt.
Ich hütete mein Geheimnis in einem verschlossenen Hause:
Die Schlüssel dazu sind verloren, und das Tor ist verriegelt.'

Darauf sprach ich zu ihr: ,Meine Gebieterin, wenn du wissen willst, wer ich bin, so vernimm: ich bin 'Alt ibn Mansûr. der Schalk aus Damaskus, ein Tischgenosse des Kaufen Harûn er-Raschîd.' Als sie meinen Namen hörte, erhob sie sich von ihrem Sessel, sprach den Gruß zu mir und fuhr fort: ,Sei willkommen, Sohn des Mansûr! Jetzt will ich dir erzählen, wie es um mich steht, und dir mein Geheimnis anvertrauen. Ich bin eine Liebende, die von ihrem Geliebten getrennt ist.' Da sagte ich zu ihr: ,Meine Gebieterin, du bist schön; und du kannst sicher nur einen Schönen lieb haben. Wer ist es denn, den du liebst?' Sie antwortete: ,Ich liebe Dschubair ibn 'Umair esch-Schaibâni, den Emir der Banu Schaibân.' Und dann schilderte sie mir einen Jüngling, wie es in Basra keinen schöneren gab. Nun fragte ich sie: ,Meine Gebieterin, habt ihr euch schon beim Stelldichein erblickt oder sind Briefe zwischen euch hin und her geschickt t' Sie antwortete: ,Jawohl; doch wir liebten nur mit den Zungen, Herz und Seele waren nicht von der Liebe durchdrungen. Denn er hat die Treue gebrochen und nicht gehalten, was er versprochen.' ,Meine Gebieterin,' fragte ich weiter, ,was war denn der Grund eurer Trennung?' Sie gab zur Antwort: ,Der Grund war dieser: Eines Tages saß ich da, und diese meine Sklavin kämmte mir die Haare. Als sie



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mit dem Kämmen fertig war, flocht sie mir die Zöpfe; und da meine Schönheit und Anmut sie berückten, beugte sie sich über mich und küßte meine Wange. In dem Augenblick trat er unversehens zu mir ein, und als er sah, daß die Sklavin meine Wange küßte, wandte er mir von Stund an zornig den Rücken, entschlossen, mich ewig zu meiden, und sprach diese beiden Verse beim Scheiden:

Soll ich mich in die Liebe mit einem andern teilen,
So lasse ich mein Lieb und leb für mich allein.
In dem geliebten Wesen, das anders in der Liebe
Als der Geliebte will, kann doch nichts Gutes sein.

Und von der Zeit an, da er sich abwandte, bis auf den heutigen Tag, o Sohn des Mansûr, ist kein Brief von ihm zu mir gekommen, noch hab ich eine Antwort von ihm vernommen.' ,Was willst du nun turn' fragte ich; da antwortete sie: ,Ich möchte ihm durch dich einen Brief senden. Wenn du mir eine Antwort von ihm bringst, so sollst du von mir fünfhundert Dinare erhalten. Und wenn du mir keine Antwort von ihm bringst, so gebe ich dir für deinen Weg hundert Dinare.' ,Tu, was dir gut dünkt!' sagte ich, und sie erwiderte: ,Ich höre und gehorche!' Dann rief sie eine ihrer Dienerinnen und sprach zu ihr: ,Bring mir Tintenkapsel und Papier!'; und nachdem die ihr beides gebracht hatte, schrieb sie diese Verse:

Geliebter mein, wozu dies Meiden und dies Hassen?
Wohin hat unsre Nachsicht und Güte sich gewandt?
Warum bist du von mir geschieden und gewichen?
Dein Antlitz ist nicht mehr, wie ich es einst gekannt!
Ja, die Verleumder haben dir falsch von mir berichtet;
Du glaubtest ihren Worten, da taten sie's noch mehr.
Und hast du dem Geschwätz einst Glauben beigemessen,
Nun du es besser weißt, leih ihnen kein Gehör!
Sag mir, beim Leben dein, was hast du denn vernommen?



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Du weißt doch, was man schwätzt, und übst Gerechtigkeit.
Und ist es wahr, daß ich so sprach, so hat die Rede
Doch Deutung, ja, sie hat doch auch ein scheckig Kleid.
Und wäre es ein Wort, das Allah offenbarte,
So hat das Volk die Tora' fälschlich ausgelegt.
Wie wurden doch vor uns die Menschen oft verleumdet!
Sieh, gegen Joseph auch ward Jakob einst erregt.
Wir alle, ich und du und der Verleumder, gehen
Zum großen Tag, an dem wir vor dem Richter stehen.

Danach versiegelte sie den Brief und reichte ihn mir; ich nahm ihn und begab mich zu dem Hause des Dschubair ibn 'Umair esch-Schaibâni. Dort erfuhr ich, daß er auf die Jagd geritten war; darum setzte ich mich nieder, um auf ilm zu warten. Und während ich so dasaß, kehrte er plötzlich von der Jagd heim. Doch als ich ihn auf seinem Rosse erblickte, o Beherrscher der Gläubigen, ward mir durch seine Schönheit und Anmut der Verstand geraubt. Er aber schaute um sich und sah mich an seiner Haustür sitzen. Kaum hatte er mich erblickt, da stieg er von seinem Renner ab, eilte auf mich zu, umarmte mich und begrüßte mich, und mir war es, als ob ich die ganze Welt mit allem, was in ihr ist, umarmte. Dann führte er mich in sein Haus, ließ mich auf seinem eigenen Pfühl ruhen und befahl, den Speisetisch zu bringen. Da brachte man einen Tisch aus chorasanischem Chalandsch-Holze mit goldenen Füßen, auf dem sich allerlei Speisen befanden, mancherlei Fleisch, gebraten und geröstet, und andere gute Dinge. Nachdem ich mich an den Tisch gesetzt hatte, sah ich ihn genauer an und fand, daß dies Gedicht auf ihm geschrieben stand:' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 330. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet 1 Das ist das Alte Testament; vgl. Band Il, S. 653, Anmerkung 1 und 2.



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worden, glücklicher König, daß 'All ibn Mansûr des weiteren erzählte: ,Als ich mich an den Tisch des Dschubair ibn 'Umair esch-Schaibâni gesetzt hatte, sah ich ihn genauer an und fand, daß dies Gedicht auf ihm geschrieben stand:

Kehr ein bei dem Geflügel an der Stätte der Pfannen
Und zieh vom Platze des Bratens und Hackfkeisches nicht von dannen!
Beweine die Töchter des Flughuhns, wie ich sie immer beweine,
Mit dem gerösteten Fleisch und den Küken im Vereine.
Wie traurig ist mein Herz doch um zwei Arten von Fischen,
Die man auf frischem Brote in Stufen pflegt aufzutischen!
Ach, wie reichlich war einst das Mahl! O welches Vergnügen,
Wenn das Gemüse einsank in den Essig aus den Krügen!
Und ebenso auch der Reis mit Büfelmilch -da drangen
Die Hände tief hinein in ihn bis fiber die Stangen! —
O meine Seele, Geduld! Gott ist's, der Gnade leiht
Und der, bist du im Elend, dich bald davon befreit.

Nun hub Dschubair ibn 'Umair an: ,Strecke deine Hand nach unserer Speise aus und tu unserem Herzen wohl, indem du von unserer Nahrung issest!' Ich erwiderte ihm jedoch: ,Bei Allah, ich werde nicht einen einzigen Bissen von deiner Speise essen, bis du mir meinen Wunsch erfüllt hast!' Als er dann fragte: ,Was ist dein Begehrt' zog ich den Brief hervor und gab ihn ihm. Aber nachdem er ihn gelesen und seinen Inhalt verstanden hatte, zerriß er ihn und warf ihn auf den Boden, indem er rief: ,Ibn Mansûr, jeden Wunsch, den du hast, will ich dir gewähren, nur nicht den einen, den die Schreiberin dieses Briefes ausspricht; denn ihren Brief zu beantworten vermag ich nicht.' Da wollte ich ihn im Zorne verlassen, aber er ergriff meinen Saum und sprach zu mir: ,Ibn Mansûr, ich will dir erzählen, was sie zu dir gesagt hat, obwohl ich damals nicht bei euch war.' ,Was hat sie mir denn gesagt?' fragte ich; er antwortete darauf: ,Hat dir die Schreiberin dieses Briefes nicht



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gesagt: ,Wenn du mir eine Antwort von ihm bringst, so sollst du von mir fünfhundert Dinare erhalten; und wenn du mir keine Antwort von ihm bringst, so gebe ich dir für deinen Weg hundert Dinare?' Wie ich das bejahte, fuhr er fort: ,Bleib heute bei mir, iß und trink, sei vergnügt und guter Dinge, und nimm dir dann fünfhundert Dinare mit!' Darauf blieb ich bei ihm, aß und trank, war vergnügt und guter Dinge und unterhielt mich mit ihm. Schließlich fragte ich ihn: ,Hoher Herr, gibt es in deinem Hause keinen Saitenklang?' Er gab mir zur Antwort: ,Das ist wahr, seit einiger Zeit trinken wir ohne Saitenklang.' Dann ließ er eine seiner Sklavinnen kommen, indem er rief: ,Schadscharat ed-Dürr!' Da antwortete ihm eine Sklavin aus ihrer Kammer und kam mit einer Laute von indischer Arbeit, die in einen Beutel aus Seide gehüllt war. Sie setzte sich, legte die Laute in ihren Schoß und spielte auf ihr einundzwanzig Weisen. Dann kehrte sie zu der ersten Weise zurück, ließ ein Lied erklingen und begann diese Verse zu singen:

Wer nicht der Liebe Süße und Bitterkeit gekostet,
Der weiß nicht, was es heißt, vereint und fern zu sein.
So auch, wer von der Liebe rechtem Pfade abwich,
Weiß nicht, ob glatt sein Weg ist oder rauher Stein.
Das Volk der Liebe hab ich immerdar getadelt;
Da mußte ihre Süße und Bitterkeit mir nahn.
Ich trank in vollen Zügen ihren bittren Becher,
Und ihrem Herrn und Diener ward ich untertan.
Wie manche Nacht verweilte bei mir mein Trautgeselle!
Ich sog von seinen Lippen den honigsüßen Tau.
Wie rasch vergingen uns die Nächte beieinander!
Kaum war die Nacht gekommen, da schien des Morgens Grat,.
Das Schicksal schwor, es wolle ob unsrer Trennung walten;
Jetzt machte nun das Schicksal seinen Schwur zur Tat.
Das Schicksal hat bestimmt; sein Spruch ist unerbittlich.
Wer widerspricht dem Herrn, wenn er befohlen hat?



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Als die Sklavin ihre Verse beendet hatte, stieß ihr Herr einen lauten Schrei aus und sank ohnmächtig nieder. Und die Sklavin rief: ,Möge Allah dich nicht strafen, Alter! Wir trinken schon seit geraumer Zeit ohne Gesang aus Furcht, unser Herr möchte von einem solchen Anfall ergriffen werden wie jetzt. Doch jetzt geh in jene Kammer und schlaf dort!' So ging ich denn in das Gemach, das sie mir zeigte, und schlief in ihm bis zum Morgen. Da sah ich plötzlich, wie ein Sklave zu mir kam, der einen Beutel mit fünfhundert Dinaren trug; und er sprach: ,Hier ist, was mein Herr dir versprochen hat! Geh jedoch nicht wieder zu der Dame zurück, die dich gesandt hat; und es sei so, als ob du nie etwas von dieser Sache gehört hättest und auch wir nicht darum wüßten.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte ich, nahm alsbald den Beutel und ging meiner Wege. Aber ich sprach bei mir selber: ,Diese Dame erwartet mich seit gestern; bei Allah, es ist nicht anders möglich, ich muß zu ihr zurückkehren und ihr berichten, was zwischen mir und ihm vorgefallen ist. Denn wenn ich nicht zu ihr zurückkehre, so wird sie mir und allen denen fluchen, die aus meinem Lande kommen.' Ich ging also zu ihr und fand sie hinter der Tür stehen. Sobald sie mich erblickte, rief sie: ,Sohn des Mansûr, du hast nichts für mich ausgerichtet!' Ich antwortete ihr: ,Wer hat dir das kundgetan' Da fuhr sie fort: ,Sohn des Mansûr, mir ward noch eins offenbar, und das ist: als du ihm den Brief reichtest, da hat er den Brief zerrissen und weggeworfen und zu dir gesagt: ,Ibn Mansûr, jeden Wunsch, den du hast, will ich dir erfüllen, nur nicht den Wunsch der Schreiberin dieses Briefes; denn ich vermag ihr keine Antwort zu geben.' Da wolltest du ihn im Zorne verlassen, er aber ergriff deinen Saum und sprach zu dir: ,Ibn Mansûr, bleib heute bei mir, denn du bist mein Gast; iß und trink, sei vergnügt und guter



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Dinge und nimm dir fünfhundert Dinare mit.' Da bist du bei ihm geblieben, hast gegessen und getrunken, bist vergnügt und guter Dinge gewesen und hast dich mit ihm unterhalten. Dann sang noch eine Sklavin die und die Weise und das und das Lied, und zuletzt sank er ohnmächtig nieder.' Da fragte ich sie, o Beherrscher der Gläubigen: ,Bist du denn bei uns gewesen?' Und sie gab mir zur Antwort: ,Sohn des Mansûr, hast du nicht das Dichterwort gehört:

Der Liebenden Herz hat Augen zu sehn,
Was all die Schauenden nicht erspähn.

Doch, o Sohn des Mansûr, Tage und Nächte gehen in ihrem Wechsel nicht über die Dinge dahin, ohne sie zu verändern.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 331. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Dame sprach: ,O Sohn des Mansûr, Tage und Nächte gehen in ihrem Wechsel nicht über die Dinge dahin, ohne sie zu verändern.' Dann hob sie ihren Blick gen Himmel und betete: ,Mein Gott, mein Herr und Gebieter, wie du mich mit der Liebe zu Dschubair ibn 'Umair heimgesucht hast, so suche auch ihn heim mit der Liebe zu mir; mach, daß die Liebe aus meinem Herzen in sein Herz übergehe!' Darauf gab sie mir hundert Dinare für meinen Weg; ich nahm sie und begab mich zum Sultan von Basra. Den traf ich, wie er gerade von der Jagd zurückgekehrt war; ich erhielt mein Jahrgeld von ihm und zog wieder nach Baghdad. Als nun das nächste Jahr kam, begab ich mich wie gewöhnlich nach der Stadt Basra, um mein Jahrgeld zu holen, und der Sultan ließ es mir auszahlen. Doch als ich nach Baghdad zurückkehren wollte, kam mir das Erlebnis mit der Dame



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Budûr in den Sinn, und ich sprach: ,Bei Allah, ich muß doch zu ihr gehen und nachschauen, was sich zwischen ihr und ihrem Geliebten zugetragen hat!' So ging ich denn zu ihrem Hause, und da ich den Platz vor ihrem Tore gekehrt und gesprengt fand und Eunuchen, Diener und Sklaven dort stehen sah, so sagte ich mir: ,Vielleicht hat der Gram ihr Herz überwältigt, und sie ist tot, und irgendein Emir ist in ihr Haus eingezogen.' Deshalb verließ ich die Stätte und ging wieder zum Hause des Dschubair ihn 'Umair. Doch dort fand ich die Bänke zerbrochen, und ich sah keine Diener mehr an seiner Tür wie sonst; da sagte ich mir: ,Vielleicht ist auch er gestorben.' Ich blieb an der Tür stehen, indem ein Tränenstrom über meine Wange rann, und ich über das Haus mit diesen Versen zu klagen begann:

Ihr Herren zogt von hinnen, indem mein Herz euch folgte:
Kehrt heim, daß meine Freude mit euch mir wiederkehr!
Ich stand an eurem Hause, beweinte eure Stätte:
Die Träne rann herab, die Lider bebten schwer.
Nun frage ich das Haus und frag die Trümmer weinend:
Wo ist er, der mit Güte und Huld uns einst erfüllt?
Es spricht: Zieh deines Wegs, die Freunde sind verschwunden
Von ihren Lagerstätten, sie ruhn im Staub verhüllt! Uns nehme Allah nie, in allem Lauf der Zeit,
Den Anblick ihrer Schöne und ihrer Herrlichkeit!

Während ich die Bewohner jenes Hauses mit diesen Versen beklagte, o Beherrscher der Gläubigen, da trat plötzlich ein schwarzer Sklave aus dem Hause zu mir heraus und rief: ,Alter, schweig! Deine Mutter soll dich verlieren! Warum beklagst du dies Haus mit solchen Versen?' Ich erwiderte ihm: ,Ich kannte es, als es noch einem meiner Freunde gehörte.' ,Wie hieß der?' fragte der Sklave; und ich antwortete: ,Dschubair ibn 'Umair esch-Schaibâni.' Da rief er: ,Was ist denn mit ihm



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geschehen? Da lebt er doch noch -Gott sei Dank! in seinem alten Reichtum. Wohlstand und Besitz; nur hat Allah ihn mit der Liebe zu einer Dame heimgesucht, die da die Herrin Budûr heißt. Er ist von ihrer Liebe ganz hingerissen, und durch die große Sehnsucht und Pein ward er wie ein weg geworfener harter Stein; wenn ihn hungert, so sagt er nicht: speiset mich; wenn ihn dürstet, so sagt er nicht: tränket mich.' Da sagte ich: ,Bitte um Erlaubnis, daß ich zu ihm eintreten darf!' Doch er sprach: ,Mein Gebieter, willst du zu einem eintreten, der Verstand hat, oder zu einem, der keinen Verstand hat?' Ich erwiderte: ,Ich muß auf jeden Fall zu ihm gehen.' So ging er denn hinein, um Erlaubnis zu erbitten; und alsbald kehrte er mit der Erlaubnis zurück. Nun trat ich zu Dschubair ein, und ich fand ihn wie einen Stein am Wegesrand, der kein Zeichen und keine Andeutung verstand. Ich redete ihn an; doch er gab mir keine Antwort. Da sprach einer seiner Diener zu mir: ,Mein Gebieter, wenn du irgendwelche Verse auswendig weißt, so trag sie ihm vor mit lauter Stimme; dadurch wird er wach werden und dann mit dir reden.' Ich trug darauf diese beiden Verse vor:

Hast du Budûr vergessen? Hast du dich stark gemacht?
Kommt deinem Aug der Schlaf? Durchwachst du jede Nacht?
Wenn jetzt die Tränen dein in Strömen immer fließen,
So wirst du ew'ge Freud im Paradies genießen!

Als er diese Verse hörte, schlug er die Augen auf und sprach: ,Willkommen, o Sohn des Mansûr, jetzt ist der Scherz zum Ernst geworden!' Ich erwiderte ihm: ,Mein Gebieter, kann ich dir vielleicht einen Wunsch erfüllen?' ,Jawohl,' antwortete er. ,ich möchte ihr einen Brief schreiben und ihn durch dich an sie senden. Wenn du mir eine Antwort von ihr bringst, so sollst du von mir tausend Dinare erhalten; und wenn du mir



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keine Antwort von ihr bringst, so gebe ich dir hundert Dinare für deinen Weg.' ,Tu, was dir gut dünkt!' sprach ich.' ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 332. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ibn Mansûr des weiteren erzählte: ,Tu, was dir gut dünkt!' sprach ich. Da rief er eine seiner Sklavinnen und befahl: ,Bring mir Tintenkapsel und Papier!' Nachdem sie ihm gebracht hatte, was er verlangte, schrieb er diese Verse:

Ich bitte dich bei Gott, o Herrin, sei mir gnädig;
Denn sieh, die heiße Liebe nahm mir den Verstand.
Die Liebesleidenschaft zu dir nahm mich gefangen,
Bedeckte mich mit Schmach und mit des Leids Gewand.
Einst dacht ich, meine Herrin, gering wohl von der Liebe
Und glaubte, daß sie einfach und leicht zu tragen sei.
Doch als sie mir die Brandung in ihrem Meere zeigte,
Fügt ich mich Gottes Ratschluß, sprach die Gequälten frei.
Willst du mir gnädig sein, zeig mir dein Angesicht;
Wenn du mich töten willst, vergiß die Fürsprach nicht!

Darauf versiegelte er den Brief und reichte ihn mir; ich nahm ihn und brachte ihn zum Hause Budûrs. Nachdem ich wie früher den Vorhang ganz langsam gehoben hatte, erblickte ich plötzlich zehn hochbusige Jungfrauen, wie Monde anzuschauen, und in ihrer Mitte saß die Herrin Budûr. wie der Vollmond inmitten der Sternenschar, oder wie die Sonne am Himmel, wolkenlos klar; kein Schmerz und kein Kummer war an ihr zu sehen. Während ich mich noch darüber wunderte, fiel ihr Blick auf mich, und als sie mich an der Tür stehen sah, rief sie mir zu: ,Sei mir gegrüßt, herzlich willkommen, o Sohn des Mansûr! Tritt ein!' Ich trat ein, und nachdem



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ich den Gruß gesprochen hatte, überreichte ich ihr den Brief. Doch wie sie ihn gelesen und seinen Inhalt verstanden hatte, lächelte sie und sprach zu mir: ,Sohn des Mansûr, der Dichter hat nicht gelogen, wenn er sagt:

Ertragen will ich meine Lieb geduldig,
Bis daß von dir zu mir ein Bote kommt.

Sieh, Ibn Mansûr, ich will dir eine Antwort für ihn schreiben, damit er dir gibt, was er dir versprochen hat.' Ich erwiderte ihr: ,Allah lohne es dir mit Gutem!' Dann rief sie eine Sklavin und befahl: ,Bring mir Tintenkapsel und Papier!' Nachdem sie ihr gebracht hatte, was sie verlangte, schrieb sie ihm diese Verse:

Wie kommt's, daß ich die Treue hielt, die du gebrochen?
Du sahest mich im Recht und übtest doch Verrat.
Du warst es, der begann mit Trennung und mit Härte
Und mich verriet; bei dir ward der Verrat zur Tat.
Ich hielt den Bund mit dir inmitten aller Menschen;
Ich wahrte deine Ehre, ja, ich schwor bei dir,
Bis ich mit eignem Auge schaute, was mich quälte;
Da hört ich die Berichte, die häßlichen, von dir.
Soll meine Ehre schwinden, wenn ich die deine liebe?
Bei Gott, hättst du geehrt, so ehrte ich dich nun.
Doch jetzt will ich zum Trost das Herz von dir befreien,
Ich will dich von mir schütteln, auf ewig von mir tun.

Da rief ich: ,Bei Allah, meine Gebieterin, zwischen ihm und dem Tode steht nur noch, daß er diesen Brief lese!' Dann zerriß ich das Schreiben und fuhr fort: ,Schreib ihm andere Verse als diese!' ,Ich höre und willfahre!' gab sie zur Antwort und schrieb nun die folgenden Verse anilin:

Jetzt fand ich Trost; der Schlaf erquickte meine Augen;
Denn aus der Tadler Mund vernahm ich, was geschah.
Mein Herz gehorchte mir, ich konnte dein vergessen;
Und meine Lider fühlten, da!) die Ruhe nah.



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Wer sprach, die Trennung sei so bitter, hat gelogen;
Ich merkte, daß das Fernsein wie Zucker schmecken kann.
Ich hasse jeden, der mit Kunde von dir nahet,
Und wende mich von ihm, seh ihn voll Ekel an.
Mit allen ,»einen Gliedern hab ich das Band zerrissen;
Das sehe der Verleumder! Wer's weiß, der mag es wissen!

Doch wieder rief ich: ,Bei Allah, meine Gebieterin, wenn er diese Verse liest, so wird die Seele seinen Leib verlassen!' Nun fragte sie mich: ,Sohn des Mansûr, ist es mit seiner Leidenschaft wirklich so weit gekommen, daß du solches sagen kannst?' Ich erwiderte ihr: ,Hätte ich noch mehr als das gesagt, so wäre auch das nur die Wahrheit. Doch Verzeihung ist eine Tugend der Edlen.' Als sie meine Worte vernommen hatte, rannen ihre Augen von Tränen über, und sie schrieb ihm einen Brief, wie ihn bei Allah, o Beherrscher der Gläubigen, niemand in deiner Kanzlei schreiben kann; darin schrieb sie diese Verse:

Wie lang noch diese Spröde und dieser böse Leumund?
Du hast den Neidern wahrlich an mir genuggetan.
Vielleicht beging ich Unrecht, ohne es zu wissen;
Sag mir, was hat man dir denn von mir kundgetan?
Ich möchte dich, mein Lieb, so warm willkommen heißen,
Wie Lid und Auge mein zum Schlaf, Willkommen' spricht.
Du trankest ja der Liebe ungemischten Becher;
Wenn du mich trunken siehst, so tadle du mich nicht!

Als sie den Brief zu Ende geschrieben hatte' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 333 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ibn Mansûr des weiteren berichtete: ,Als Budûr den Brief zu Ende geschrieben hatte, versiegelte sie ihn und reichte ihn mir; da sprach ich



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zu ihr: ,Meine Gebieterin, dies Schreiben heut des Kranken Pein und kann den Durstigen von seiner Qual befrein!' Darauf nahm ich den Brief und ging fort; aber sie rief mich noch einmal zurück, als ich sie schon verlassen hatte, und sprach zu mir: ,Sohn des Mansûr, sage ihm: Sie wird heute nacht bei dir zu Gaste sein.' Darüber war ich hocherfreut, und ich trug den Brief alsbald zu Dschubair ibn 'Umair. Als ich zu ihm eingetreten war, sah ich, daß er mit den Augen nach der Tür starrte und auf die Antwort harrte. Nachdem ich ihm den Brief übergeben hatte, öffnete er ilm und las ihn, und sobald er seinen Sinn verstanden hatte, stieß er einen lauten Schrei aus und sank ohnmächtig nieder. Doch bald kam er wieder zu sich und rief: ,Sohn des Mansûr, hat sie diesen Brief mit eigener Hand geschrieben und mit ihren Fingern berührt?' Ich fragte: ,Mein Gebieter, schreiben die Menschen vielleicht mit den Füßen?' Doch bei Allah, o Beherrscher der Gläubigen, ich hatte noch kaum meine Worte an ihn zu Ende gesprochen, da hörten wir schon das Klirren ihrer Fußspangen in der Vorhalle und sahen sie eintreten. Sobald er sie erblickte, sprang er auf als ob er ganz gesund wäre, und umarmte sie, wie das Um sich um das Auf schlingt', und die Krankheit, die nicht weichen wollte, verließ ihn sogleich. Darauf setzte er sich nieder; aber sie setzte sich nicht. Als ich sie nun fragte: ,Meine Gebieterin, warum setzest du dich nicht?' gab sie mir zur Antwort: ,Sohn des Mansûr, ich will mich nur unter einer Bedingung, die zwischen uns beiden ausgemacht ist, niedersetzen.' Da fragte ich weiter: ,Was ist das für eine Bedingung, die zwischen euch beiden besteht?' Doch sie erwiderte: ,Niemand darf um die



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Geheimnisse der Liebenden wissen.' Dann legte sie ihren Mund an Dschubairs Ohr und wisperte ihm leise Worte zu. ,Ich höre und gehorche!' rief Dschubair, erhob sich und flüsterte einem seiner Sklaven etwas zu. Der verschwand auf kurze Zeit und kehrte dann mit einem Kadi und zwei Zeugen zurück. Nun holte Dschubair einen Beutel mit hundert Dinaren und sprach: ,Kadi, vermähle mich mit dieser Dame auf Grund dieser Morgengabe!' Der Kadi sprach zu ihr: ,Sprich: ich willige darin ein!' Nachdem sie gesagt hatte: ,Ich willige darin ein', ward der Bund zwischen den beiden geschlossen. Darauf öffnete sie den Beutel und nahm eine Handvoll Gold aus ihm heraus; das gab sie dem Kadi und den Zeugen. Dann reichte sie den Beutel mit dem Rest des Geldes ihrem Gemahl zurück, und der Kadi und die Zeugen gingen fort. Ich blieb noch eine Weile bei ihnen in lauterer Fröhlichkeit, bis der größte Teil der Nacht verstrichen war. Da sagte ich bei mir selber: ,Siehe, sie sind ein hebend Paar, das lange Zeit einander entfremdet war. Ich will darum aufstehen und an einem anderen Orte fern von ihnen schlafen, um sie miteinander allein zu lassen.' Also erhob ich mich, aber sie ergriff den Saum meines Gewandes und rief: ,Was ist's, das deine Seele dir sagte' Ich antwortete: ,Ist es nicht so und so?' Doch sie entgegnete: ,Bleib sitzen! Wenn wir von dir befreit sein wollen, werden wir dich schon fortschicken.' Nun blieb ich bei ihnen, bis es fast Morgen ward; da sagte sie zu mir: ,Sohn des Mansûr, geh in das Zimmer dort; wir haben es für dich zum Schlafgemach herrichten lassen.' Ich begab mich dorthin und schlief bis zum Morgen. Als es Tag war, kam ein Sklave zu mir mit einem Becken und einer Kanne; ich nahm die religiöse Waschung vor und sprach das Frühgebet. Dann setzte ich mich nieder; und wie ich so dasaß, kamen plötzlich Dschubair und seine



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Geliebte aus dem Bade im Hause, und beide preßten ihre Locken aus. Ich wünschte ihnen einen guten Morgen und beglückwünschte sie zu ihrem Wohlergehen und ihrer Vereinigung und fügte hinzu: ,Was mit Wenn und Aber begann, das endete in Zufriedenheit.' Dschubair erwiderte: ,Du hast recht. und dir gebührt eine Ehrengabe.' Dann rief er seinen Schatzmeister und sprach zu ihm: ,Bring mir dreitausend Dinare!' Als der ihm einen Beutel mit dreitausend Goldstücken gebracht hatte, sprach er zu mir: ,Nimm, bitte, dies von uns an!' Doch ich entgegnete: ,Ich nehme es nur an, wenn du mir sagst, wie es kam, daß die Liebe von ihr zu dir überging, nachdem du ihr so sehr abgeneigt gewesen warst.' Er sprach: ,Ich höre und gehorche! Wisse denn, wir haben ein Fest, das nennen wir das Neujahrsfest; an ihm ziehen alle Menschen in Booten aus und fahren auf dem Flusse spazieren. Auch ich fuhr mit meinen Freunden spazieren, und da erblickte ich ein Boot mit zehn Jungfrauen, wie Monde anzuschauen, und in ihrer Mitte diese Herrin Budûr mit ihrer Laute. Auf ihr spielte sie elf Weisen; dann kehrte sie zu der ersten Weise zurück und sang diese beiden Verse:

Kein Feuer brennt so heiß wie das in meinem Innern;
Wie meines Herren Herz -kein Felsen ist so hart.
Mich wundert's, wie sein Wesen sich nur zusammenfügte:
Ein Herz von Stein in einem Leibe, weich und zart.

Da rief ich ihr zu: ,Sing die beiden Verse und die Weise noch einmal!' Aber sie wollte nicht.' ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 334. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschubair erzählte: ,Da rief ich ihr zu: ,Sing die beiden Verse und die Weise



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noch einmal!' Aber sie wollte nicht; nun befahl ich den Fährleuten, sie mit Orangen zu bewerfen, und sie taten das so lange, bis wir fürchteten, das Boot, in dem sie war, könnte sinken. Dann fuhr sie ihrer Wege. Aber so ist es gekommen, daß die Liebe aus ihrem Herzen in mein Herz überging.' Darauf wünschte ich den beiden Glück, daß sie nun miteinander vereint waren, nahm den Beutel mit seinem Inhalt und begab mich wieder nach Baghdad.'

Da weitete sich dem Kaufen die Brust, und die Unruhe und Beklemmung, die ihn gequält hatten, wichen von ihm.

Ferner erzählt man


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