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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

Das bürgerliche Leben in Wagadugu*.

Wenn einem Weibe die Brüste schwellen, wenn gewisse Übelkeiten eintreten und die sonst anscheinend nicht so sehr regelmäßig funktionierende Menstruation ausbleibt, so erhebt sich unter den Frauen ein Streit, ob man es mit einem Schwangerschaftsfalle zu tun habe. Ist der Fall einmal festgestellt, so hört für die junge Mutter das Geschlechtsleben unbedingt auf, und zwar für einen Zeitraum von -alles in allem -vier Jahren. —Vielleicht ist die Beobachtung erwähnenswert, die ich im Sudan und am Nil sowohl wie im südlichen Kongobecken mehrmals machte, daß junge Frauen im Anfange der ersten Schwangerschaftsperiode, zumal im Gesicht, häufig den sonst so zarten, samtartigen Teint verlieren und auf ziemlich trockenem Grunde Pickelabsonderungen zeigen. Auf meine Fragen, ob diese Frauen etwa krank seien, wurde mir immer die Antwort gegeben, daß dies im Gegenteil ein Zeichen besonderer Gesundheit sei.

Schon im üblichen Leben hat jede Mossifrau im Gehöfte ihres Mannes ihre eigene Hütte. Sobald sie schwanger ist, wird diese



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kleine Behausung in noch viel höherem Grade die Stätte unbeirrter, friedlicher Zurückgezogenheit, die kein Mann, auch der eigene Gatte nicht, zu betreten wagen wird. Die schwangere Frau verrichtet ihre Arbeiten genau wie jede andere und läßt sich durch ihren Zustand in keiner Weise hindern, ihre Haus- und Ackerarbeiten bis zum letzten Moment zu verrichten. Die schwangere Frau heißt bei den Moss, Tutulepuga oder Tutule-poka (bei Malinke: mussu kono-ma).

Sobald die Stunde der Entbindung gekommen ist, versammeln sich einige alte Frauen im Hause der Kreißenden. Es sind vier alte Frauen (= puga niasse) zur Geburt vonnöten. Die Frau kommt nieder in der Froschstellung, von oben und vorn greift ihr die erste um die Brust, die zweite von oben und hinten um den Leib. Die dritte Alte hockt hinter der Gebärenden, die Frucht erwartend, bereit, sie aufzufangen, die vierte endlich hält zur Seite Wasser zur Reinigung bereit. Ist das Kind erschienen, so schneidet eine Alte mit einem Rasiermesser die Nsare, d. i. die Nabelschnur, möglichst lang ab. Eine andere nimmt die Dogon-njibo, d. i. die Nachgeburt, in einem Topfe auf. Das Geschirr mit der Nachgeburt wird auf das Feld getragen dahin, wo ein Jole oder Jore, d. i. ein Termitenhaufen, ist. Neben dem Jole wird eine Grube in die Erde gemacht und der Topf hineingebettet.

Das neugeborene Kind wird säuberlich gewaschen. Um den Njuga, d. i. Nabel, in Ordnung zu bringen, hält die Mutter ständig eine alte Topfscherbe mit Baumbutter in Bereitschaft über dem Herd, so daß das Fett angenehm warm ist. Jede halbe Stunde taucht sie den Daumen hinein und drückt mit gefettetem Finger die Basis der Nabelschnur massierend in den Kinderleib hinein, damit kein Nabeibruch - den ich übrigens hier weit seltener sah als bei den Mandestämmen - entstehe. Bei solcher Behandlung mit Baumbutter trocknet die Nabelschnur ohne Eiterung gewöhnlich nach 4-5 Tagen ein und fällt ohne schädliche Folgen glatt ab. Die Mutter wickelt die Nabelschnur in einen Baumwollstreifen, gräbt ein Loch in die Hütte und vergräbt das Bündelchen dahinein aufs sorgfältigste. Im übrigen verläßt sie während der ersten 7 Tage nicht die Hütte.

Über das Erscheinen von Zwillingen (=kinkirsi) freut man sich. Üble Vorbedeutungen, wie wir sie in einigen Zusammensetzungen in Wahiguja angetroffen, behaupten die Leute nicht zu kennen. Knaben werden einfach als logo oder rogo, Mädchen als poko bezeichnet. Die Namengebung erfolgt am siebenten Tage seitens des Vaters. Die Vornamen der Mossi enthalten eine Fülle eigenartiger Sinnworte. Leider waren meine Dolmetscherkräfte in Wagadugu nicht stark genug, um größere Mengen mit sichergestellter



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Bedeutung einheimsen zu können. Anscheinend bereitete den Eingeborenen meine Ausfragerei in diesem Sinne keine große Freude, und mein Dolmetscher war nicht geschickt genug, nebenbei und unbemerkt seine Beobachtungen zu machen. Hier das, was ich sammeln konnte. Man nennt:

Seruare, ein Kind, das in der regenlosen oder auch in einer schlechten Jahreszeit geboren worden ist.

Tapo (Bogen), ein Kind, das zur Kriegszeit geboren worden ist:

Tenkuma, ein Kind, das zu einer Zeit, in der zwischen zwei Nabas Streit, d. h. also nur Zwiespalt und kein offener Krieg, herrschte.

Rogo, einen Knaben, auf den man Hoffnungen in Bezug auf Erhaltung des Stammbaumes setzt. Er heißt einfach "Mann" und entspricht dem "Gorko" der Fulbe und dem "Gorgi" der Wolof.

Tibo, ein Kind das geboren ist, nachdem man lange auf Nachkommenschaft wartete und nachdem zum Zwecke der Familienvermehrung auf einem Opferplatze Anruf und Darbringung erfolgte.

Tibilla, ein Mädchen, das nach einem "Tibo" geboren wurde.

Noga, d. h. "Huhn", ein Kind, das geboren ward, nachdem die Mutter, während es mit ihm schwanger ging, versehentlich bei der Arbeit ein Küken tottrat.

Nobila, d. h. Küken, ein Kind, das nach einem Noga geboren worden ist.

Passeke-dajologo, ein Kind, das geboren wurde, nachdem schon mehrere oder alle von der gleichen Mutter geborenen Kinder gestorben sind. Passeke-dajologo soll soviel heißen, wie daß das Kind wohl nicht lange genug leben werde, um dazu zu kommen, sich eine der bekannten, bei den Mossi üblichen Ledertaschen herzustellen.

San-dogo, ein Kind, das geboren wurde, wenn während der Zeit, da die Mutter mit ihm schwanger ging, Besuch aus der Ferne kam. Das Wort zerfällt in sana = Reise, dogo oder rogo = Mensch.

Sambila wird ein Kind genannt, das nach einem San-dogo geboren wird. Anscheinend ein Knabe.

Sampoka, ein Kind, das anscheinend als drittes in dieser Serie erscheint. Dies ist jedenfalls ein Mädchenname.

Risi, ein Knabe, der auf Opferanruf an die Erde hin geboren wurde.

Tengfisi, ein Mädchen, das auf Opfer-anruf an die Erde hin geboren wurde.

Robi oder Debi, d. h. Holz, ein Kind, das geboren ist, nachdem schon eine große Anzahl anderer Kinder vorhanden ist.



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Kuguri, d. h. Stein, ein Kind, das so hart und lebensfest werden soll wie ein Stein. Bedeutung aber unsicher.

Tenga, d. h. Erde.

Kubudu-Naba, d. 11. Kornherr.

Bila, d. h. Kleine.

Joko, ein Kind, das während heißer Kriegszeit geboren ist. Was das Recht an den Kindern betrifft, so ist Grundlage aller Familienorganisation das Gesetz, daß die der Ehe entsprossenen Kinder nach Recht und Pflicht dem Vater gehören. Kinder, die von unverheirateten Mädchen geboren werden, gehören dem Mogo-Naba, und werden im kaiserlichen Hofdienst angestellt. Ebenso gehören dem Herrscher alle aus dem Ehebruch einer verheirateten Frau entsprossenen Kinder, aber diese mußte der Mogo-Naba früher unbedingt verkaufen. Man sah die Ehebruchkinder, die "Kampiri", als ein Unglück für das Land an und sagte sogar, daß, wenn die Kampiri irgendwo durch Kacken den Boden verunreinigen, dies sehr schlimm für diese Stelle sei und daß man sie deshalb möglichst schnell außer Landes verkaufen müsse. —Übrigens ist diese Anschauung auch den zentralen Mande nicht ganz fremd, und wem ein Ehebruchkind bei den Malinke das Kleid besudelt, der eilt sich ganz besonders schnell, es gründlich mit Wasser zu reinigen, während man sonst dem Kleinkinderschmutze eine außerordentlich natürliche und harmlose Nachsichtigkeit entgegenbringt und den Satz naturalia non sunt turpia hochhält.

Bei dem Vorherrschen der Vaterrechte im allgemeinen fallen kleine Besitzrechte der Kinder an die Vatersbrüder ganz besonders auf. Der Bube kann z. B. eines Tages, wenn er unbeachtet ist, beim Vaterbruder ein schönes Messer, einen Säbel, ein Bündel Pfeile oder derartige Werkstücke der Eisenkunst entwenden und verstecken. Der Mann wird dann den Verlust entdecken, er wird böse werden, wird überall suchen und bei allen Leuten untersuchen, er wird immer zorniger, aber er findet die Sache nicht. Endlich beginnt er nachzudenken: Der Brudersohn fällt ihm ein. Der Schlingel wird geholt. Der Mann fragt: "Hast du das und das genommen?" Der Junge sagt: "Ja", und - die Sache ist erledigt. Der Vaterbruder hat nicht das Recht, das Stück zurückzuverlangen, er darf gegen den Jungen nicht einmal böse werden oder ihn gar schlagen. Der entwendete Gegenstand gehört dem Buben.

Noch weiter geht das Recht dem Mutterbruder gegenüber. Dem Mutterbruder darf der Junge sogar ein Huhn und, wenn er reich ist, auch wohl einen Hammel und, wenn er gar ein sehr großer Naba ist, ein Stück Rindvieh stehlen. Dem Jungen geschieht nichts, wenn er entdeckt wird, und der sog. Raub bleibt sein Eigentum. Die Leute, die mir in obiger Weise das Recht gegenüber dem Vaterbruder auseinandersetzten,



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schilderten mir die räuberische Verkehrsform im Hause des Mutterbruders ähnlich intim. Dessen Frau selbst spielt hier nicht selten die geistige Urheberin solcher Taten. Sie sagt z. B. zu dem auf kurzen Besuch einmal vorsprechenden Neffen: "Siehst du, das hier gehört anderen Leuten. Das hier gehört aber dem Bruder deiner Mutter. Sage aber niemand, daß ich es dir gesagt habe." Der kleine Räuber nimmt dann das, was er nehmen darf, was also dem Mutterbruder gehört, und gibt der Frau ein wenig davon ab. Gewöhnlich handelt es sich bei diesen berechtigten Diebereien um Nahrungsmittel. Jedenfalls tut man dem Buben nichts.

Mir scheint aber, daß gerade in der Verteilung der Raubgerechtsame in Gerät und Nahrungsmitteln unter Vaterbruder und Mutterbruder wichtige Formen alter Organisation gegeben sind.

Nun der Entwicklungsgang der Kinder. Die im Mossigebiete ansässigen Mande-Diula behaupten, daß die Kinder der Mossi-fing (d. h. der schwarzen Mossi) auffällig langsam aufkämen und erst viel später als die Mandevölker Geistes- und Körperkultur erreichten. Und in der Tat steht das im Einklang mit den Daten, die mir die Mossi selbst gegeben haben. Nach ihnen ist der Gang folgender: Das erste Wort amina, d. h. Mutter, wird lallend und bewußtlos mit fünf Monaten zuerst herausgebracht. In dieser Zeit beginnen die Kinder auch zu kriechen. Nach einem Lebensjahre ist das Wort ,amina' aber erst verständlich. Erst jetzt beginnen sie das eine oder andere zu verstehen und sich an Bäumen, Geräten, Hauswänden usw. aufzuwinden -Versuche, die mit vielem Fallen und Schreien verbunden sind. Mit zwei Jahren können die Kinder im allgemeinen ein wenig laufen, und damit ist der Zeitpunkt gekommen, in dem die Mutter anfängt, ihren Unterricht zu erteilen. Sie zeigt auf Dinge und Menschen und wiederholt dabei häufig: "Das ist ein Baum" oder "das ist ein Korb" oder "das ist dein Vater" usw. usw. Bei diesem Verfahren lernen die Kinder außerordentlich schnell und können sich dann nach einem halben Jahre mit ihrer Umgebung verständigen.

Wenn das Kind fünf Jahre alt ist, kann der Vater zu ihm schon sagen: "Bring mir Feuer zum Anzünden meiner Pfeife!" Das Kind kann es und führt es aus. Die Mutter läßt das Mädchen in diesem Alter Korn für Speisebereitung bringen und zeigt ihm alle Handgriffe. Das Kind begreift es schnell, wenn auch die ersten Versuche noch mancherlei Mißerfolge zutage fördern. Dann muß das Kind auch bald mit dem Wassertopf zum Brunnen und Wasser holen. Aber mancher Topf geht dabei noch in Scherben, ehe die Kleine die Kunst des Gleichgewichts auskundet. — Überhaupt ist das Erziehungsprinzip nicht ein solches, welches sich scheut, irgendeine Sache der Erziehung preiszugeben. Der Mehlbrei verbrennt, und



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so entsteht ein Verlust, der Topf zerbricht, und wieder ist es eine Besitzminderung. Aber eine alte Mandemutter setzte mir einmal auseinander, wenn man immer danebenstehe und jeden Handgriff des Kindes überwache, aus Angst, das Kind möge etwas verderben, so erhalte man sich wohl einige Sachen, das Kind lerne aber sehr langsam. So solle man das Kind sich selbst überlassen und die Sache dem eventuellen Untergange preisgeben. Dann erlerne das Kind sichere Handgriffe. Diese außerordentlich vernünftige Pädagogik, die man natürlich weniger bei armen als bei reichen Völkern findet, herrscht nach dem, was ich oben wiedergab, auch bei den Mossi in Wagadugu.

Den Knaben fällt mit sieben Jahren die erste ernste Arbeit zu. Sie müssen mit den älteren Brüdern zusammen Heu zum Dachdecken und Stroh zum Sekkoflechten herbeibringen. Da die Bündel für die Kleinen nicht viel kleiner bemessen werden als für die Großen, so erleben die Bürschlein zunächst manchen Sturz, und man sagt, daß die Buben vor dem neunten Jahre nicht so recht brauchbar seien. Im übrigen läßt der, der ein Pferd besitzt, den kleinen Jungen Heu schneiden, es dem Tiere reichen und auch sonst für seine Wartung sorgen. Wer Ziegen besitzt, läßt das Kind Ziegen hüten; der Rinderbesitzer vertraut ihm die Kälber an.

Knaben werden im Wagadugugebiete mit acht Jahren, Mädchen mit sieben Jahren beschnitten. Jeder Mossi kann das der Sitte nach ausführen, keiner besonderen Kaste liegt das ob, und jedermann ist nur bemüht, ältere geschickte und in solcher Sache erfahrene Hände für die Herrichtung seiner Kinder zu gewinnen. Das Präputium =jogongo wird möglichst weit vorgezogen und mit einem Schnitt eines starken Messers abgetrennt. Es wird in den Busch geworfen und vergraben. Sigiri, die Klitoris, wird von einer alten Frau mittels eines kleinen Rasiermessers deren Spitze beraubt und diese gleichfalls verscharrt. Diese Operation gab Veranlassung zu fröhlichen Festen und Gelagen. An einem Sonnabend abend versammelt sich die Verwandtschaft und Freundschaft eines Dorfes zu Trommelei und Tanz. Am folgenden Morgen geht die Handlung vonstatten.

Danach bleiben die Mädchen im Dorfe, für die Burschen ist aber außerhalb der Niederlassung eine kiero genannte Hütte errichtet. Dort verbringen sie mit einigen Alten zusammen die Zeit bis zur Heilung der Wunde. — Nur dann und wann kommen sie tagsüber ins Dorf, um Essen zu holen. Die Tracht besteht in einem langen Überhang, der durch Zusammennähen der Stoffe unter den Armen mit Ärmeln versehen wird. Hosen tragen sie nicht. Die Alten überwachen im Kiero die Wundbehandlung und sorgen dafür, daß kein Streit unter den Burschen entsteht. Endlich lassen sie die Jungen



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am Abend bis spät in die Nacht hinein und vom allerersten Morgen an bis in den Tag hinein den "Djelle"-Tanz ausführen. Der Djelle ist ein Platztanz. Die Jungen stehen im Kreise, wenden den Körper rechts herum, links herum, schwenken die Arme, singen. — Diese Art von Tänzen wird von einem großen Teile der Sudanvölker geübt, und es scheint ihr irgendwie eine richtige hygienische Idee ahnend zugrunde zu liegen. Mit Bestimmtheit zielen alle Maßnahmen der südlichen Stämme im westlichen Sudan, die die Beschneidung kennen, dahin, zu vermeiden, daß Errektionen der wunden Glieder die Heilung aufhalten, und wahrscheinlich ist für die an Bewegung gewöhnten jungen Körper eine Blutverteilung durch die Platztänze ein gesundes Ersatzmittel für die sonst geübte starke Übung jungsprossender Körperkraft. Auch daß man die Jungen in dieser kalten Jahreszeit in kalten Strohplattenhäusern schlafen läßt, statt in warmen Lehmhütten, zeigt Verstand. Die Burschen tragen einen Stab in der Hand. Die Rasselinstrumente, die Wasamba der Mande, fehlen hier.

Von einer hochinteressanten Sittenübung hörte ich hier. Im Osten oder Nordwesten von Wagadugu sollen Mossistämme (?) wohnen, die als Sunkuire bezeichnet zu werden scheinen. Man gibt den Familien, die die nachfolgend zu schildernden Sitten üben, den Namen sigimse (Sing.: siginga). Bei denen werden Knaben und Mädchen nach der Beschneidung drei Jahre lang in der Kiero gehalten. Die Kiero ist ziemlich weit entfernt von dem Orte - nur in großen Orten wird die Sitte geübt - errichtet. Das Kleid der jungen Leute besteht nicht wie sonst in Baumwollstoffen, sondern aus Fell oder Leder. Die Burschen werden als Bankoeng-dapa, die Mädchen als Bankoeng-paraba bezeichnet. Die jungen Leute führen während der drei Jahre eine Art Räuberleben im Kleinen und haben die Berechtigung, sich nach jeder Richtung hin auszutoben. Sie überfallen Frauen und Mädchen und sonstige schwache Leute, die umhergehen, berauben und schlagen sie. Nur dann und wann kommen sie in die Stadt, um Essen zu besorgen. In der Kiero dürfen sie miteinander liebeshandeln, soviel sie wollen, dürfen sich nach Belieben der Verliebtheit hingeben, doch besteht das Gesetz, daß kein Mädchen geschwängert werden darf. Mädchen, die in der Kiero Kinder zur Welt bringen, töten darum die Leibesfrucht sogleich nach dem Erscheinen. Manchmal heiraten sich die Paare, die sich so in der Kiero zusammenfanden, meistens aber fliegen die Neigungen nachher auseinander, wie ein aufgescheuchter Schwarm von Schmetterlingen; und wenn, wie wir gleich sehen werden, das Liebesrecht auch über die Gesetze der Ehe herrscht, so bleiben diese Liebeleien doch eben immer solche, und es werden damit keine neuen Grundlagen für familiäre oder soziale Organisation geschaffen.



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Treten wir nun in das Studium des Geschlechtslebens ein, so erscheint gleichsam als Überschrift über diesem Thema der Satz: Das Liebesleben der Mädchen ist frei. Niemand und kein Gesetz, kein Mutter- oder Vaterwort hindert sie daran, mit ihrem Körper das anzufangen, was ihnen angenehm ist. Es bestand für sie keinerlei geschlechtliche Beschränkung, auch dann nicht, wenn sie verlobt waren. Und wir werden gleich sehen, daß das gewöhnlich der Fall war, und daß die Übung des freien Geschlechtsverkehrs weit und in ausgesprochener Form in das Eheleben hineinragte.

Bei den Mossi war es in älteren Zeiten durchaus Sitte, daß die jungen Burschen sich schon mit ganz kleinen, noch lange nicht geschlechtsreifen Mädchen verlobten. Der junge Bursche, der es auf solch ein Kind abgesehen hatte, machte sich bei der Mutter beliebt. Er brachte der zukünftigen Schwiegermutter im ersten Jahre aus Hirsestroh geflochtene Türen (Sekkoplatten), nachher schleppte er Brennholz herbei. Dann schenkte er ihr 500 Kauri, ein Huhn. Hierauf gab er ihr in jedem Januar zwei Sekkoplatten und ein Huhn. Das alles geschah mehr oder weniger unbemerkt, und darum bekümmerte sich vor allen Dingen eine Persönlichkeit gar nicht, nämlich das war die angehende Erwählte selbst. Sie wuchs heran und trat in das Anfangsstadium der Weiblichkeit. Dann verliebte sie sich, liebte und kümmerte sich nicht im geringsten darum, ob die Mutter sie inzwischen an irgendeinen anderen vergab.

Wenn die Mutter eine Zeitlang diese kleinen Geschenke angenommen hatte, sagte sie wohl eines Tages zum Vater des Mädchens: "Der junge Mann da macht mir immer hübsche Geschenke, man sollte ihm auch einmal eine Freude bereiten und ihm z. B. ein hübsches Mädchen zur Frau geben." Der Vater antwortete dann etwa: "Ich habe kein hübsches Mädchen, meine Töchter sind alle häßlich."

Das war eine Redensart, die sich gehörte und von anständiger Lebensform zeugte, denn es stand einem Vater, wenn er auch noch so stolz auf seine Töchter sein mochte, nicht an, seine Töchter anders als häßlich zu nennen. Die Mutter antwortete dagegen: "Wenn du auch nur häßliche Töchter hast, so macht das nichts. Gib doch das, was wir haben, denn der junge Mann scheint es zu verdienen."

Eines Tages sagte dann der Brautvater zum Brautwerber: "Tue Asche auf den Kopf!" Wenn der Bursche das hörte, wußte er, daß er nahe der Erfüllung seiner Wünsche angelangt wal. Er sagte das, was der Brautvater zu ihm gesprochen hatte, alsbald seinen Diem-tasse. Die Diem-tasse sind die Burschen seines Alters, die mit ihm gleichzeitig erzogen und beschnitten wurden. Diese Zusammengehörigkeit erstreckte sich nicht so weit, als man bei



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anderen Stämmen findet. Sie erschöpfte sich in der Zeit, da die Burschen ihre erste Frau heirateten. Jeder Freier hatte das Recht, seine Diem-tasse zusammenzurufen. Jeder gab ihm als Beisteuer zur Brautschenkung 100 Kauri. Dann nahmen der Bräutigam und die Diem-tasse jeder eine Handvoll Holzasche und machten sich auf den Weg, den Schwiegervater zu begrüßen. Sie kamen bei ihm an. Sie warfen sich vor dem Schwiegervater auf die Erde. Sie streuten sich die Asche auf den Kopf, sprangen auf und benahmen sich wie närrisch. Einige gellten laute Schreie hinaus, andere schlugen die Erde, andere riefen: "Wir haben eine Frau bekommen! Wir haben eine Frau bekommen!"

An dem Tage brachte der Bräutigam im Hause des Schwiegervaters allerhand Geschenke dar. Der Hausverwalter - das war zuweilen der Sklavenaufseher, zuweilen auch ein Schwager erhielt 1000 Kauri. Dem jungen Schwager wurden 500 Kauri zuteil. Den reichsten Schatz aber erhielt der Großvater väterlicherseits. Der bekam nicht weniger als 10000 Kauri. Es ist aber noch nicht gesagt, daß der junge Mann an diesem Tage schon seine Braut einholen kann. Er muß warten, bis sie groß genug ist, Kinder zu gebären, und bis dahin kann sie sich einen oder, wenn der auch abgetan ist, noch einen zweiten Liebhaber anschaffen. Ist die Erwählte aber genügend entwickelt, so bringt der Bräutigam dem Schwiegervater einen Hammel, ein Huhn und 1000 Kauri, fordert seine Frau, nimmt sie und führt sie in die Saka (das Gehöft der Sippe) seines Vaters oder Bruders, in der ihm jetzt ein eigenes Haus errichtet worden ist.

Etwa 12 Monate blieb das junge Ehepaar in dem Gehöft des Mannes. Dann, zur Zeit des Basagafestes, nahmen sie ein Huhn, 200 Kauri und ein Türsekko. Damit kehrten sie in das Heimatsgehöft der jungen Frau zurück und brachten die erwähnten guten Dinge der Schwiegermutter als Geschenk dar. Derselbe Besuch wiederholte sich um die gleiche Jahreszeit ein Jahr später. Diesmal bekam die Schwiegermutter nur die 200 Kauri, während Huhn und Sekko dem Vater zufielen. — Nach diesen beiden offiziellen Besuchen besuchte das junge Paar das Gehöft der Schwiegermutter (der Eltern der Frau) nur noch, wenn der Schwiegervater oder die Schwiegermutter gestorben war und wenn die Anstandspflicht es gebot, zur Bestattung zu kommen.

Dieses war die allgemein übliche Form der Verschreibung. Sie fing mit Jugendverlobung an, bekümmerte sich um die Gefühle und Wünsche des Mädchens ganz und gar nicht und war summa summarum nichts anderes als eine Zeremonialehe. Daneben - wenn auch selten genug -kamen Liebesehen vor. Ein Mädchen, das nicht verlobt war, verliebte sich, gewöhnlich auf der Reise, beim Marktgang,



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jedenfalls fast stets auswärts, in einen jungen Mann. Waren sich beide einig, so zahlte der junge Mann an den Schwiegervater eine nicht allzu hohe Summe, ein für allemal, und die Sache war kurz und bündig geregelt. — Diese Form der Ehe ward wenig geübt und war wenig angesehen. Als ich es wagte, den Mossi die Frage vorzulegen, ob diese Form der Ehe nicht beide Teile mehr befriedigt habe, ward ich ausgelacht und mir ward höhnisch auseinandergesetzt, daß bei diesen Ehefrauen die Frauen ihren Mann und umgekehrt bald über hätten und die Frauen meist mit einem Geliebten davonliefen. (Allerdings wird unter dem wohl nahen, europäischen Druck diese Eheform in Zukunft mehr entwickelt werden.)

Und das letztere will bei den Mossi etwas heißen. Ich habe oben auseinandergesetzt, daß im Wagadugugebiete die Mädchen gar nicht um ihre Meinungen und Wünsche bei dieser Gelegenheit befragt werden, daß sie aber vor der Ehe schon ihre zwei bis drei Liebhaber oder Dolleramba (Sing.: dolle) gehabt haben. Diese Dolle-Institution bleibt als Liebesventilator bei der generellen Form der Mossiehe mehr oder weniger offen anerkannt und fast stets gebilligt auch für die ersten Zeiten des Ehelebens der jungen Frau bestehen. Die sich daraus ergebenden Szenen, die mir mit großer Ernsthaftigkeit und Genauigkeit verschiedentlich geschildert wurden, bieten eine solche Fülle humoristischer Einzelheiten, daß sie fraglos zu den merkwürdigsten gehören, die das afrikanische Völkerleben bietet.

Die junge, in oben geschilderten konventionellen Formen verheiratete Frau, die, wie gesagt, schon zwei, drei oder auch wohl gar vier Liebhaber hinter sich hat, tritt nach einiger Zeit vor ihren Herrn und Gebieter mit der Frage: "Gestattest du mir, daß ich einmal heim zu meiner Mutter gehe, mich nach ihrem Befinden umzusehen?" Der junge Ehemann weiß genau, worum es sich handelt. Und doch verlangt die Sitte von ihm, daß er als anständiger und weitherziger Gatte antwortet: "Ja, reise einmal zu deiner Mutter." Die junge Frau packt ihr Bündel und geht, und der Mann seufzt und kümmert sich nicht darum, welchen Weg sie einschlägt. Er weiß Bescheid.

Die Frau sucht ihren letzten Dolle auf. Ihr letzter Liebhaber hat aller menschlichen Wahrscheinlichkeit nach sich auch inzwischen verehelicht und hat eine Pacha, eine Hausfrau, Ehegattin. Aber die wandernde junge Ehefrau, die ihren Gatten mit der Begründung verließ, ihre Mutter besuchen zu wollen, kommt jetzt als die Pogosada (Geliebte) ihres früheren Dolle (Liebhabers) zurück, und in dem Augenblicke, da sie auftritt, da sie, die Pogosada, im Hofe ihres Freundes erscheint, hört bei dem Dolle das Herrinnenrecht seiner Pacha, seiner Gemahlin, auf.

Die Pogosada begrüßt den Dolle. Der Dolle begrüßt die Pogosada.



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Dann fängt der Dolle ein Huhn, gibt es seiner Pacha und sagt zu ihr: "Bereite uns ein gutes Gericht. Diese Nacht mußt du übrigens außerhalb des Hauses schlafen." — Abends hat die Pacha ihr gutes Gericht mit Huhn und Zutaten bereitet, bringt es in das Haus, in dem der Hausherr mit seiner Pogosada sitzt und schmaust, Die Hausfrau bedient die beiden, reicht wie eine Sklavin die Speisen. Nachher trinken Dolle und Pogcsada ihre Kanne Dam, d. i. Hirsebier, aus. Ist die Pogosada sehr gut aufgelegt und durch den vergnüglichen Zustand und die Freude auf das bevorstehende Eiinnerungsfest mildtätigen Sinnes geworden, so ruft sie die Pacha herein und reicht ihr ein Schälchen Dam.

Danach betten sich Dolle und Pogosada auf dem Ehelager und sind glücklich, und dabei mag die Erinnerung an vergangene Zeiten einen bacchantischen Taumel entfesseln. Denn so trocken und materiell im allgemeinen der schwarze Mann erscheint und ist und handelt, ebenso sicher ist, daß er sentimentale Regungen kennt, und sentimentale Regungen sind verwässerte Poesie. Diese Poesie fehlt diesen Nächten nicht. — Die Pacha aber schläft als heute entthronte Herrin vor der Haustür, und auch das wieder mag dem Sinn der Pogosada ein Triumphgefühl verleihen. Auch die Negerin ist Weib - sogar sehr Weib!

Am frühen Morgen beginnt schon ganz früh der Sklavendienst der armen Pacha. Sie muß warmes Wasser bereiten und in das Haus tragen, damit die Liebenden sich waschen können. Nachher hockt sie am Herde und bereitet für Pogosada und Dolle gute Speisen, so daß die Liebenden neue Schlemmereien üben können. Doch ist der Pacha nur gestattet, aufzutragen. Dann hat sie vdeder im Hintergrunde zu verschwinden. Wenn sie sich beschwert, so zuckt Pogosada die Achseln und sagt: "Warum machst du es nicht wie ich? Hast du nie einen Dolle gehabt?" Und so geht es fort, bis die Pogosada wieder geht und den Heimweg antritt. Dann schenkt der galante Dolle ihr noch 1000 Kaurimuscheln, und für die Pacha kommt die letzte Demütigung: sie muß das Bündel der Pogosada bis zur Gemeindegrenze tragen. Dann aber ist sie von dem quälenden Geiste befreit und zieht mit dem Rechte der Ehe wieder in ihr Häuslein ein.

Und die Pogosada geht heim, dahin, wo sie auch Pacha ist, und ihr Mann sagt im allgemeinen nichts - es sei denn, daß die Gattin allzulange als Pogosada des alten Liebhabers wegblieb. In solchem Falle kracht es ein wenig. Der Mann sagt: "Ich erlaubte dir, fünf Tage wegzubleiben, und du bleibst einen Monat? Was unterstehst du dich?" Was soll er auch sonst machen? In den meisten Fällen kennt auch er diesen verspäteten Minnedienst aus eigener Erfahrung, und hat auch er seine Pacha schon, eben die vor ihm stehende



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Sünderin, gelegentlich vor die Türe gesetzt, weil eine alte Pogosada ihn besuchte.

Natürlich kommt dann und wann eine Eifersuchtsszene zum Durchbruch. Die Frau erhält wohl einmal ordentliche Schläge, aber das ist so selten, daß in Wagadugu keiner sich eines solchen Falles erinnert. Vom Hörensagen aus alter Zeit weiß man, daß hier und da einmal ein Ehegatte in ganz besonderen Zorn geriet und solchen Liebeshandels wegen das Schwert gezogen hat. Es soll auch vorgekommen sein, daß ein Ehemann sein Eherecht mit dem Lebensblut des Dolle besiegelt hat, doch war das schlimm genug für ihn. Er mußte dann die Frau, um deren Treue er kämpfte, dem Kaiser geben, und der vergütete mit dem aus ihrem Verkaufe gezogenen Gewinn der Familie des Getöteten den Menschenverlust. Doch das sind Fälle von Rechtsentscheidungen, von denen man nur noch dem Gerücht nach weiß. Keiner hat sie erlebt. Und vom Dolle etwa eine Entschädigung wegen Ehebruchs einzufordern, das wäre nach der Ansicht der Südmossi einfach lächerlich gewesen. Soviel weiß man noch: wer gegen solche Sitte anging, bekam nie wieder eine Frau.

Nicht immer war und ist es die Frau, die alte Liebeshändel wieder aufnimmt. Auch der Mann knüpft zuweilen wieder die Erinnerung an vergangenes Glück und Hoffnung auf künftige, verjüngte Liebe aneinander. Aber während die Pogosada frei und frank den Dolle aufsucht, muß er einen Umweg einschlagen. Ich hörte von zwei Arten solcher Anknüpfung.

Der verliebte Mann begibt sich auf die Wanderschaft und sucht den Marktflecken auf, auf dem er an großen Markttagen aller Wahrscheinlichkeit nach seine alte Geliebte treffen wird. Nachdem der Marktbesuch vielleicht das eine oder andere Mal mißglückt ist, trifft er sie dort.

Vielleicht trägt sie gerade Kolanüsse zum Verkaufe. Der Liebhaber erblickt sie, ruft ihr also laut und ohne Auffälligkeit zu: "Kolanüsse? Die suche ich gerade. Was kosten sie? Zeig her!" Die Frau hockt nieder, zieht das Blätterwerk, unter dem die Nüsse feucht gehalten werden, beiseite und zeigt die Früchte. Der Mann hockt vor ihr nieder. Er betrachtet die Nüsse, sucht einige große Exemplare heraus und - während nun alle Welt rundherum glaubt, die beiden verhandelten wegen der Kolanüsse, die emsig gewogen und betrachtet werden, sagt er: "Warte, ich will in einigen Tagen mein Elternhaus besuchen; dann komme ich bei dir vorüber. Ich komme in vier (oder so) Tagen." — Sie sagt: "Es ist gut!" Worauf er aufsteht, gleichgültig gähnend und sich dehnend und sagt: "Die Kolanüsse sind mir zu teuer." Dann geht er weg, sie packt ihren Kram zusammen und geht von dannen. Alle Welt aber



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denkt: Da hat sich ein Handel um Kolanüsse zerschlagen; und ist doch dabei ein Handel um Liebe perfekt geworden! Diese Leute sind eben so abgefeimte und diskrete Ränkespinner und Schauspieler, daß man es kaum glauben kann.

Eine zweite Form, sich der Geliebten zu nähern, besteht darin, daß man sich möglichst harmlos an deren Nebenfrau wendet. Wenn ein Mann mehrere Frauen hat, so nennen diese sich untereinander Pugutu.

Sagen wir, ein Mann habe zwei Frauen, die kleine A und die große B. Ein Liebhaber will sich nähern, weiß sie aber nicht anzutreffen. Da wendet er sich denn an die kleine A, schenkt ihr einige Kolanüsse und sagt: "Verzeih mir, wenn ich mich an dich wende, und erlaube mir, daß ich dir einige Kolanüsse schenke. Ich möchte aber gern einmal mit deiner Pugutu zusammenkommen. Willst du mir helfen?" Der Liebhaber kann versichert sein, daß die kleine A ihm hilft, denn hier bei den Mossi wirkt die Vorliebe der Frauen, Liebende zusammenzubringen. Wie anders die Mande! Bei denen wirkt vor allem eine zweite weibliche Triebkraft, eine Art Mißgunst, ein Streben, der anderen das unmöglich zu machen, was man selbst nicht kann und haben darf. Die Mandefrauen achten eifersüchtig darauf, daß keine Sina-mussu, keine Mitfrau etwas merke, wenn eine von ihnen eine Heimlichkeit in solchen Dingen vorhat. Wenn irgendwo ein stilles Verhältnis solcher Art blüht - und es kommt das bei dem Frauenreichtum trotz aller Sittenstrenge sicherlich doch oft genug vor -, so ist es in demselben Augenblicke beendet, da eine Mitfrau etwas merkt. (Vgl. dazu, was im Bd. IX über die Ehefrauen der Nupe zu berichten ist.) Und hier bei den Mossi tut jede Frau zur Förderung des Verkehrs ihrer Pugutu, was sie kann.

Solchergestalt spielt sich das Liebes- und Eheleben in bunten Wechselbildern ab. Die freie Liebe der Liebenden hat hier ihr Recht, auch jenseits der Ehe - aber streng wird bei der Geburt eines Kindes nachgerechnet, ob nicht etwa die berühmten zehn Mondmonde vorher gerade die Mutter "eine Besuchsreise zu ihrer Mutter" unternommen hat. Und wenn das der Fall ist, so wird der neue Erdenbürger als Kind der Frau in ihrer Eigenschaft als Pogosada und nicht als Kind der Frau in ihrer Eigenschaft als Pacha angesehen, d. h. man stellt so genau als möglich fest, ob dieses Kind ein eheliches ist oder nicht, und wenn letzteres erkannt wird, dann wird es dem Mogo-Naba übergeben, daß der es verkaufe und damit das Land vor Unglück schütze.

So äußert sich das Liebes- und Eheleben im südlichen Mossilande: die Ehe hat die Aufgabe der Kindererzeugung, die Ehe der Mossi ist eine echte Sippenehe, d. h. sie verliert wohl ihr ausschließliches Recht, wenn die Liebe naht, die Liebe kann das



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Recht der Ehe zeitweise suspendieren, aber sie darf kein Kind ersprießen lassen.

Wenn ein Mann erkrankt, so wird er in diesem Lande von seinem Bruder gepflegt, und wenn der den Leidenden einmal verläßt, um Medikamente zu besorgen, eigener Angelegenheit nachzugehen oder in Erwartung des kommenden Endes die letzten Vorbereitungen zu treffen, so treten die Schwestern und die Mutter als Sorgende an seine Stelle. Niemals aber etwa die Gattin. Besondere Ärzte gibt es unter den Mossi nicht, einer glaubt an dieses Tipa (Medikament; Plural: tip-damba), einer an jenes. Jeder sorgt seiner Idee nach und fürchtet dabei, daß die Tip-damba des anderen etwa Pewere-damba (Sing.: pewere, d. h. böse Zaubermittel gleich den Korte der Mande) sein können. Man kuriert solange man kann, man vollführt auch allerhand Zauber- und Opferdienst, aber wenn man sieht, daß nicht mehr zu helfen ist, dann genügt auch die Erkenntnis, daß jener eben sterben mußte.

Erst dem Toten gegenüber stehen der Gattin wieder Rechte zu. Den Sterbenden trägt man in das Haus seiner ersten Frau. Man bereitet gleichzeitig ein neues Gewand vor, bringt eine Ziege und ein Huhn zur Stelle. Hat der Leidende geendet und liegt er nun aufgebahrt im Hause der ersten Frau, so rasiert man ihm zuerst den Kopf, wäscht ihm dann den Leib. Hierauf legt man ihm eine kleine Hose an, und darüber zieht man das moderne, lange Beinkleid, Überhang und Mütze, alles neu hergestellte, noch nicht verwendete Kleidung. Nunmehr wickelt man ihn in eine Strohmatte, verschnürt das so entstehende Paket und geht zur Opferung über. Man hält Huhn und Ziege dem Verstorbenen hin und sagt: "Hier hast du ein Huhn, hier hast du eine Ziege als Wegzehrung." Das Huhn wird darauf nicht durch einen Messerschnitt wie sonst, sondern mit einem Schlag des Kopfes gegen den Boden getötet. Auch die Ziege wird nicht gleich in üblicher Weise hingeschlachtet, vielmehr wird ihr Kopf erst dreimal gegen den Boden gestoßen. Dann rösten die Arbeiter sich das Fleisch beider Tiere hinter dem Hofe und verzehren es. Das Herkommen will es, daß erstens kein Familienmitglied davon genießt, und zweitens, daß das Fleisch bei der Handlung nicht gekocht, sondern nur geröstet wird.

Inzwischen heben die Arbeiter das Grab aus. Es ist ein Kamin, der dem Brunnenloche gleicht, und darin ein Kanal, der sich zur Seite in der Tiefe abzweigt. Ist der Leichnam - möglichst bald nach dem Verscheiden - in den Kanal geschoben, so biingen die Frauen Wasser herbei, die Arbeiter stampfen geschlagenen Lehm und vermauern mit Lehm und Steinen den Kanalzugang. Darauf wird der Kamin zugeworfen. An Opfergaben erfolgte nur der Einwurf von 100 Kaurischnecken seitens des Erstgeborenen, "damit



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sein Vater sich Hirsebier kaufen könne". Während der Bestattung haben die Frauen daheim Wasser mit Mehl gekocht, und die heimkehrenden Arbeiter erhalten das als Getränk.

Die Mossi Wagadugus behaupten, daß jeder Tote sein eigenes Grab erhalte. Anders sei es bei den Stämmen Jatengas. Bei diesen nahm ein Grabbau mehrere Tote auf. Ist ein Mann gestorben, so öffnet man eine der Grabhöhlen, in der seit langem niemand mehr beigesetzt war und stößt die alten Knochen und Gerippe beiseite, auf daß Platz für den neuen Ankömmling werde. Wenn die Leiche untergebracht war, wurde die Höhle wieder geschlossen. Daß diese Angaben richtig sind, geht aus der Art und Verbreitung der gleich verwendeten Höhlen- und Baumgräber im Norden Jatengas hervor. Es kann nur die Frage bleiben, ob die Stämme der Wagadu-Mossi nicht auch hier und da solche Sitte üben. Denn im Westen Wagadugus ist sie auch festgestellt, und zwar in der Jatengaart. Jedenfalls ist es übrigens sicher, daß im ganzen Mossilande hier und da Baumbestattung vorkommt, wie wir sie in Ban (nördliches Jatenga) entdeckten.

Um alle Beerdigungsformen zusammenzustellen, möge zuletzt noch diejenige des Mossikaisers, des großen Naba von Wagadugu, ihrer bedeutungsvollen Eigenart nach geschildert werden. Wenn früher ein Mogo-Naba in Wagadugu starb, ward die Leiche zunächst gewaschen, dann in weiße Beinkleider und weißen Überhang gehüllt und das Haupt mit einer roten Mütze bedeckt. An den Füßen wurden Sandalen befestigt. Die Leiche blieb drei Tage lang über der Erde, und zwar wurde sie im Hause der ersten Frau des Herrschers aufgebahrt. Täglich wurde sie mit Baumbutter eingerieben Alle Leute in der Stadt und auf dem Lande waren ernst. Es fand keine Festlichkeit statt. Viele Menschen drängten sich in der Stadt zusammen. Viele weinten, und niemand wagte zu lachen. Alle hohen Würdenträger der Umgebung kamen zusammen.

Mittlerweile ward das Grab ausgehoben. Zunächst ging man mit einem runden Kamin nach unten. Davon zweigte man dann nach Süden hin einen Seitenkanal ab. Und in diesen, den Kopf nach Süden, ward die Leiche des Herrschers gehoben. Zuhinterst brachte man ein Lederkissen; auf dieses kam der Kopf des verschiedenen Herrschers zu liegen. Das Haupt lag zur Seite gewandt, so daß es auf der rechten Wange lag. Hierauf ward neben die Leiche eine Barre Salz, Kaurimuscheln, eine Holzschale mit Kolanüssen, ein Topf mit Sorghumbier sowie zuletzt ein Messer gelegt. Der Grabkamin ward nicht zugeschüttet, sondern darüber wie bei Kornurnen oder wie bei Töpfen Tonwülste übereinandergedrückt. Diese Kuppel ward aber nicht geschlossen, sondern in der Mitte verblieb ein Loch, das mit einer Steinplatte geschlossen ward.



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Der Kaiser der Mossi in Wagadugu
Tanzender Dagombafürst (Originalzeichnungen von Fritz Nansen 1909)



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Am Grabe wurden zehn Ochsen geschlachtet und geopfert. Ihr Blut ward durch die Öffnung in der Kuppel in den Grabkamin hinabgelassen. Ebenso brachte jeder, der in Zukunft von dem verstorbenen Herrscher träumte, diesem ein Opfer dar, war er wohlhabend genug, so bestand dies in einem Ochsen, dessen Blut wieder in die Tiefe gegossen ward.

Besondere Sitten beobachteten einige Bammana, die der Bestattung jenes landflüchtigen Mogo-Naba zuschauten, der seinerzeit von der französischen Regierung entthront worden war. Er war ein etwas brutaler Herr, der nach uralter Sitte seine eigenen drei Töchter geheiratet hatte und nicht duldete, daß jemand anderes mit ihnen Umgang pflegte, und mit einer von ihnen auch ein Kind gezeugt hatte. Als er gestorben war, ward ein Pferd getötet und der Schwanz desselben um einen Arm der Leiche gebunden. Dann ward ein weißer Ochse getötet und der Tote in dessen Haut gehüllt. —

Was zum Schlusse die Erbschaft angeht, so ist der älteste Sohn des Hofherrn, des Herrn der Saka (= Sippengehöft gleich dem Lu der Malinke), nach jeder Richtung Universalerbe, der auch alle Frauen des Vaters übernimmt - bis auf die eigene Mutter. Aber der älteste Sohn ist klug genug, die Brüder und Neffen, d. h. die ihm unterstellten Mitbewohner der Saka, in guter Laune zu erhalten, und dazu genügt, daß er den Brüdern alte Inventarstücke des Harems, Frauen, die nur noch zur Arbeit und Kinderwartung verwendet wurden, überläßt. Junges Blut gibt er nicht fort. Im übrigen bleibt alles genau beim alten. Rind und Pferd behalten ihren Platz, kein Sohn, kein Weib zieht fort. Der Herr des Saka, des Gehöftes, hat gewechselt - das ist alles.

Werfen wir nun noch einen Blick in das religiöse Leben der Mossi, und zwar in eine ihrer Priesterinstitutionen, die mit den Seelen der Verstorbenen zunächst zu tun hat.



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Opferpriester und Stammeswahrsager. — Die Mossi besitzen sowohl im Norden als im Süden Priester- und Wahrsagerinstitutionen, wie ich sie in dieser Form weder im Norden noch im Westen beobachten konnte. Da die entsprechenden Sitten im Wahigujagebiete und im Wagadugulande beträchtlich voneinander abzuweichen scheinen, so mag die Anschauungs- und Sittendarstellung wieder in Trennung erfolgen.

In Jatenga, richtiger in der Hauptstadt Wahiguja, werden diese Leute Bugu (Sing.), Buguba (Plural) genannt. Es sind anscheinend stets alte, erfahrene und grauhaarige Greise, und stets setzt sich der Bestand aus den "Uralten", d. h. den von Mossi im Lande angetroffenen Tenga-Demba, zusammen. Die "Burkimbo", die Vornehmen der Mossi, werden die Leute immer gern zu Rate ziehen,



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aber in ihre Reihen einzutreten, das verbietet ihnen Tradition und das Vorrecht der Altangessenen.

Hauptaufgabe der Buguba ist die Weihe und Leitung des großen tellurischen Ernteschnittfestes, des Tido usw. Sie vermitteln den Verkehr mit der heiligen Erde. Nur sie dürfen das erste Korn schneiden, das die Tengasoba mahlen. Das große Opfer- und Orakelfest der Buguba findet für alle Ortschaften im November statt. Es hat anscheinend den Namen Tido. Hier das, was ich über den Verlauf hörte, und das, was ich an Tanz selbst sah.

Alle Buguba stehen unter der Leitung eines alten Bugu, der im Dorfe Djimu im Wagadugulande wohnt und den Titel Djim(u)-Sadena trägt. Dieser oberste Bugu, der natürlich durch und durch Tenga-Demba ist, gibt eine genaue Übersicht, an welchem Tage in diesem, an welchem Tage in jenem Dorfe das Tido gefeiert werden soll. Er selbst beginnt die lange Reihe dieser Festlichkeiten und verkündet dabei alles, was im Lande der Mossi im künftigen Jahre sich ereignen wird: Ausfall der Ernte, Kriegsfälle, Krankheitsepidemien, der Tod wichtiger Persönlichkeiten usw. usw. Er selbst läßt im Lande einige Tage vor Beginn der Zeremonien ausrufen: "An dem und dem Tage findet das Tido in dem Orte, an dem und dem Tage in jenem Orte statt." Nun der Verlauf eines solchen Festes.

Der November ist der "reiche" Monat im Mossilande. In dieser Zeit gibt es überall zu essen und - was den Mossistämmen sehr wichtig ist - zu trinken. Die Ernte ist eingebracht, die Frühlingsarbeit, d. h. die neue Ackerbestellung, hat noch sehr viel Zeit. Also kann, wenn es nicht ein Jahr der Mißernte ist, jeder Ort reichlich für Beköstigung von Gästen sorgen, besonders, da diese noch allerhand Leckerbissen als Gastgeschenk mitbringen. Sobald also die Nachricht verlautet: "In X ist am xten Tage Tido", kommt von allen umliegenden Nestern das befreundete Volk zusammen. Auch die Buguba in der Nachbarschaft machen sich auf, ihrem Amtsbruder in X bei Zelebration und Festgenuß zu helfen.

In X wird inzwischen manches Hühner- und Ziegen-, evtl. auch Rinderleben vernichtet, Essen bereitet, Bier gebraut und vor allem der Haaiaufbau vervollständigt. Am Abend um 6 Uhr wird geschlachtet und die nun folgende Nacht dem Vergnügen gewidmet. Die fremden Buguba tanzen nun schon mit Kleid und im vorgeschriebenen Zeremonialschritt, die einheimischen sparen das meist bis zum anderen Morgen auf. Sie legen ihr Feierkleid erst mit Sonnenaufgang an, und damit nimmt das Fest seine Feierstimmung an. Die Buguba tanzen den Ritualtanz.

Ich habe diesen Tanz bei Wahiguja gesehen, und ich will nicht leugnen, daß er auf mich einen feierlichen Eindruck gemacht hat,



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wie überhaupt das ganze Zeremonial etwas Würdiges und Achtunggebietendes hat. Der Tanz bei Wahiguja wurde von zwei alten Buguba ausgeführt.

Der allgemeine äußere Eindruck erinnerte an die Tracht der Hottentottenweiber. Zunächst ist zu bemerken, daß die gesamte Grundlage der Maskenkleidung nicht aus Pflanzenfaserstoffen, sondern aus Leder bestand. Eine feste, starke Lendenschnur; ein Schurzfeil hinten, wie es unsere Bergleute tragen; des ferneren ein dickes Wams; ein Kopfputz, dicht mit Kaurimuscheln besetzt, den vorn noch ein mächtiger Marabutkopf und aufkiappender Gesichtsschirm schmückt; an den Armen Wedel für magische Zwecke, allerhand Schwänze; an den Fingern schwere eiserne Schellen; unter dem Marabutkopf und Augenschirm ein weißhaariger alter Kopf; solche Gestalt kann nicht leichtfertig tanzen wie ein junger Fant.

Hat der Marabutkopfauf dem Helmspitz dieser Leute eine symbolische Bedeutung? Fast möchte ich es annehmen. Sie springen oder gehen nicht, sie schreiten und staksen im Tanztakte.

Sie sind ernst und würdig, nicken und stehen gebückt da, gleich Stelzvögeln, wenn sie ausruhen. Sie blicken ernst zu Boden, stehen sinnend, den Kopf zur Seite neigend.

Wenn an dem besagten grauen Oktober- oder Novembermorgen nun unsere beiden (oder mehr) Buguba einhergestelzt sind und so in Glieder und Kopf ein wenig warm wurden, dann wird das Hühneropfer gebracht, geschlachtet, hingeworfen, beobachtet usw. Die beiden Buguba schauen in marabutischer Vogelstellung zur Erde, schlagen ein wenig gegen die schweren Eisenglocken, sie wiegen Kopf und Körper ein wenig hin und her und murmeln dabei die Namen der ganzen Herrscherreihe herunter, mit Uidi-Laogo (oder Rogo) beginnend und mit dem gegenwärtigen Mogo-Naba schließend. Dieses Zeremonial der Namensableserei hat wohl nicht für viele Leute Interesse, ein besonders großes aber für die Ethnologen, Ethnographen, Historiker, die hier derart petrifizierte Stammbäume antreffen und demnach Maßstab und Gliederung für Zeitereignisse und Zeitabschnitte im Kern des westlichen Sudan sammeln können. In jedem Orte, in dem ein Geschlecht der Burkimbo herrscht, wird so im Gedächtnis der Buguba das ortszugehörige Herrscherregister an diesem Tage gezogen.

Während dieser Liturgie zappelt das arme Huhn seine letzten Zuckungen und verendet schließlich. Liegt es nun tot auf dem Rücken da, so bedeutet das ein gutes Jahr, während die Brustlage schlechte Zeiten vorhersagt. Aber die Buguba sind "gute" Menschen. Sie lieben es nicht, ihre Dorfgenossen mit traurigen Vorhersagungen zu deprimieren. Wenn also das erste Huhn schlecht fällt, so heißt es einfach, das könne nicht gelten, denn es habe dann und



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dann der und der Dorfbewohner einen Streit angefangen, und das stimme die Gunst des Schicksalssprechers zu einer Drohung. Also ein zweites Huhn wird, nachdem auf das erste Huhn ordentlich gespuckt ist - für dieses sehr bedeutungsvolle und interessante Speien wollten die Leute keine Erklärung geben -, geschlachtet. Die Litanei hebt von vorn an. Oftmals liegt kein richtiges Glück in den Hühneropfern, dann gibt es noch eine Erklärung: Eine Kima oder mehrere Kiemsi sind unzufrieden, weil sie sich vernachlässigt fühlen. Die Kiemsi (Sing.: Kima) sind die Geister des Verstorbenen. Sie haben anscheinend einen außerordentlich starken Einfluß auf das Schicksal und so wird denn dieses Hilfsmittel häufig benutzt. "Es muß erst dem Vater dieses oder jenes Mannes ein Huhn (oder eine Ziege) geopfert werden." So lautet dann der Machtspruch der Bugula.

Aus alle diesem Hin- und Herreden ergibt sich dann der Ausblick ins neue Jahr, Beseitigung hinderlicher Folgen, schlimmer Vernachlässigung der Ahnen, Stillung von Zwistigkeiten usw. usw. Das Prognostikon für das Jahr wird gelesen - das ist die wesentliche Sache, Angelegenheit der Toten.

Leider ist das alles, was ich von diesem Bogubazeremonial sah und hörte. Es bezieht sich nur auf das Tidofest, das die Tenga-Demba feiern, und das gewissermaßen das Neujahrsfest dieses alten Volkes ist. Und wie unsere ländlichen Altvordern Blei gossen, Pantoffeln warfen und vielerlei aus kleinen Ereignissen der Jahreswende herauszulesen wußten, so hören und sehen die Tenga-Demba auf das, was die Buguba aus Huhn und Erde am Tido herausorakeln.

Ist jenes Fest im November, so ist das Opferfest der eigentlichen Mossi im Dezember. Es heißt Filiga und ist angeblich das einzige Orakelfest der Mossi Jatengas. Die Buguba sollen dabei auch eine Rolle spielen. Die Tenga-Demba Jatengas haben dagegen noch ein Opfer- und Orakelfest, das ist das Bega, das im Januar anschließend, ohne Hilfe der Buguba, gefeiert wird.

Im Wagadugugebiete führt die Bugubagesellschaft einen anderen Namen, nämlich: Plural: Bagaramba oder Bagaba, Sing.: Bagare. Die Darsteller entstammen hier jenem uralten Volke. Man versichert aber, daß es (im Gegensatze zu dem Tenga-Demba) richtige Mossi seien und kein unterworfener Stamm. — Einmal bekam ich einen Bagare zu sehen, der bei leider nur flüchtiger Inaugenscheinnahme (er drückte sich allzuschnell seitweits in den Busch)im Kleide vollkommene Übereinstimmung mit dem Bugu aufzuweisen schien.

Das Filigafest wird in Wagadugu anscheinend nicht getanzt. Das Hauptzeremonial der Bagaramba findet statt bei folgenden Gelegen-



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heiten: i. bei der Krönung eines neuen Königs und 2. beim Bagaraga genannten Feste. Das Bagaraga ist das jährliche, herbstliche Erntefest. 3. Wenn ein Mann vom Blitz erschlagen wurde, dann kommen sie zusammen und suchen den Saga-uare, den Blitzstein, der jenen tötete. Wesentlich ist es, daß ich hier wenigstens einiges über den Werdegang und den inneren Zusammenhang dieser Propheten zu hören vermochte.

So viel ist, glaube ich, sicher, daß die Bagaba sowohl stammesgemäß als auch sozial eine Genossenschaft bilden, der an sich alle Familien- resp. Sippenmitglieder angehören, wenn auch unter diesen vielen nur wenige zur Würde eines zelebrierenden Propheten emporsteigen. Die Neuernennung oder Einsetzung oder Entdeckung eines neuen Mitgliedes erfolgt in sehr origineller Weise: Im Gehöft der Bagaba existieren zwei Töpfe, von denen man den einen als Vertreter des anderen, der eigentliches Heiligtum ist, bezeichnen kann. Der erstere steht im Hause und am Lager des Uafugu-Naba, d. i. der Oberherr aller Bagaramba. Er ist mit Wasser gefüllt und wartet auf den Augenblick, da der eigentliche heilige Topf zerschellt. Das aber geschieht bei zwei Gelegenheiten.

Der eigentliche heilige Topf, der Bagaba-tibo, hängt an einer Schnur von der Decke eines kleinen Häuschens herab. Wenn ein großer Bagare, ein Uafugu-Naba stirbt, so rasiert man der Leiche den Kopf. Die Haare werden in den zweiten Topf getan und Wasser darauf gegossen. Dann wird der alte Bagaba-tibo zu Boden geworfen und zerschellt. Der zweite hat durch die aufgenommenen Kopfhaare des verstorbenen Schamanen heilige Kraft angenommen und wird jetzt der neue Bagaba-tibo. Wenn das große Opferfest, das Bagara ist, dann taucht der zelebrierende Uafugu-Naba seine Hand in den mit dem Haarwasser gefüllten Bagaba-tibo und streicht sich die Feuchtigkeit über den Kopf. Dadurch geht anscheinend die Weihekraft des verstorbenen Uafugu-Naba auf ihn über.

Zum zweiten aber ersetzt der zweite Topf das hängende Heiligtum, wenn bei der Weihe eines Bagarefamiliengliedes zum Hohenpriester der alte Bagaba-tipo zerschellte. Einmal nämlich im Jahre versammeln sich die Erstgeborenen des Bagaramba unter diesem Heiligtume. Wenn gerade ein gewöhnlicher Bagarepriester oder gar der Uafugu-Naba gestorben ist, dann stürzt während der Versammlung das Bagaba-tibo herab auf einen in der Versammlung, und das ist dann gleichbedeutend mit dessen Priesterernennung. Während nun einige Priester die beim Zerschellen des Bagaba-tibo herumgeflogenen Haare des letztverstorbenen Uafugu-Naba auflesen und in den zweiten Topf werfen (worauf dieser selbst Bagaba-tibo wird und die Stelle des alten Heiligtums nun annimmt), rast der neuernannte Priester gleich dem Lagam der Habbe in den Busch



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und ist ganz von religiösem Wahnsinn befallen. Sobald dem Bendere-Naba (Erztrommel- und Registraturchef des Kaisers) das mitgeteilt wird, geht der mit seinen Kameraden trommelnd in den Busch und bringt so dem neuen Priester eine Ehrung dar, worauf dessen wirre Geistesbeschaffenheit sich schnell ändert und prophetisch klarblickendem Schamanentume Raum gibt.

Der größte Augenblick der Bagarambafestlichkeiten und Würde tritt ein, wenn der Mogo-Naba gelegentlich des Bagaraga (Bagarasa oder Basaga) nach dem Verlauf des kommenden Jahres fragt. Der Oberpriester bringt dazu die Bagakuga, seine Würfelsteine, zwei oder drei oder sechs, mit. Es kamen in alter Zeit zum Bagaraga eine große Zahl von Bagaramba. Das hat in den letzten Jahren nachgelassen, doch konnte oder wollte man mir nichts Näheres darüber sagen.

Das Bagarasa war das Fest, an dem nach der Ernte, d. h. nach Vollendung des Jahres, der Eingang in einen neuen Zeitabschnitt gefeiert ward. Man wollte dabei über die Unsicherheit der Zukunftsbegriffe wegkommen, und der erste, der sich naturgemäß an die prophetische Gabe des Schamanen wandte, war der Mogo-Naba, der Kaiser. Der pflegte sich erst zu vergewissern, ob die prophetische Kunst des Bagaramba auch unbeirrt sei, und zu diesem Zwecke wandte er einen Kunstgriff an.

Der Mogo-Naba pflegte kurz vor Beginn des großen Festes durch einen seiner Sogone (Pagen) einen Armring oder so etwas verstecken zu lassen. Das wurde aber keinem Menschen sonst verraten, und der Kaiser sah die hellseherische Gabe des Bagare darin, daß er ohne jede Anregung von außen zu der Kenntnis der Sachlage kam und von selbst merkte, daß der Kaiser einen Gegenstand versteckt hatte und daß er ihn suchen müsse. Jeder der heiligen Leute, der herantrat und seinen Tanz ausführte, ohne nach dem versteckten Ringe sogleich Ausschau zu halten, ihn zu holen und dem Mogo-Naba zu bringen, mußte abtreten und galt dem Herrscher als nicht genügend geistgefüllt. Einer nach dem anderen mußte diese Probe bestehen.

War der Scharfsinnige gefunden, dann ward dem die Aufgabe erteilt, die Opfer festzustellen und zu leiten. Der Schamane erkannte dann aus divinatorischer Erhellung heraus, welche Opfer notwendig seien, um den drohenden Unglücksfällen des kommenden Jahres vorzubeugen, und er bestimmte, ob Hühner, Schafe, Ochsen usw. zur Beschwichtigung dieser oder jener Geister notwendig seien, und forderte vor allen Dingen Opfertiere für die Kimse (Sing.: kum), das sind die Seelen der Verstorbenen, damit diese kein Unglück anrichteten.

Wollte der Mogo-Naba dann noch eine bestimmte Sache wissen,



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so tanzten die Bagaramba ihren religiösen Tanz, richteten ihre Augen stier gen Himmel, rührten, auf der Stelle bleibend, die Beine und gaben dann wie aus entrücktem Zustande heraus ihre Antworten. War der Herrscher befriedigt, so konnten die übrigen Leute die Bagaramba um Offenbarungen angehen. Jeder nahm sich dann den von den Schamanen beiseite, zu dem er das größte Zutrauen hatte, und der Bagara gab seine Auskunft nach Befragung des Baga-kuga, der Orakelsteine, oder des Bugu-baga, des Orakels. Diese beiden Einrichtungen spielen überhaupt bei ihnen eine größere Rolle, und schon ehe sie vor den Kaiser traten, setzten sie sich mit den beiden Orakelformen in Verbindung. Immer wieder kehrt aber in ihren Auskünften eine feststehende Sache, "die Seele der Verstorbenen", wieder. Dieser Begriff muß für alle Anfragen herhalten. Arme Verstorbene, was hat hier eine schlaue Priesterschaft schon alles in eurem Namen aus dem Beute! der Gläubigen herausgezapft!

Aber nicht nur in harmloser Opferforderung ergingen sich diese Propheten. In alten (?) Zeiten forderten sie auch Menschenopfer! —So ward der Kaiser häufig oder regelmäßig -die Angaben widersprechen sich -aufgefordert, eine Grube auszuheben und ein hellfarbiges Mädchen sowie einen Ochsen darin zu versenken, die Grube zu füllen und über dem so geheiligten Raume seinen Sitzplatz einzunehmen. Oft auch verlangten die Propheten noch andere Opfer. So wurde anscheinend regelmäßig im Heiligtume Nogoma, im Dorfe gleichen Namens, ein Mensch für die Seele des verstorbenen Kaisers geopfert. Zumal auf dem Grabe des in Nordlanden bestatteten Kaisers Ubri (siehe Bd. V) wurden alljährlich ein oder mehrere Fulbe getötet. Ein zweiter, gleicher Platz für jährliche Menschenopferung war unter einem Baume auf dem heutigen Marktplatze in Wagadugu. Auch hier kamen nur Fulbe in Betracht. Die Tötung der Individuen erfolgte mit drei Keulenschlägen, von denen der eine auf den Nacken, der zweite auf die Brust, der dritte auf den Rücken fiel.

Ich betone nochmals, daß allen Angaben nach die geopferten Menschen "helle" Menschen oder "Fulbe" waren. Und dem entspricht die tiefe Stellung und starke Gemischtheit der Fulberasse im Mossilande. Es war hier immer ein verfehmtes Volk.


Copyright: arpa, 2015.

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