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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN


VII. Kapitel: Lebenslauf der Mossi

Der Name des Reiches, des sog. Kaiserreiches Mossi, ist durch die arabische Chronik schon im Mittelalter bekannt geworden, und wenn wir danach Umschau halten, in welchem Punkte wir etwa den Charakter dieses Volkes, seine Daseinsform zu erkennen vermögen, so bietet uns solchen eben "das Kaiserreich Mossi" und dessen Staatsorganisation, die eine ganz andere ist als die aller Völker, die zwischen den Mossi und dem Meere bei Senegambien wohnen. Von diesen ethnographischen Gesichtspunkten aus drängt sich die Versuchung auf, zu sagen: auf der Westgrenze des Mossireiches liegt die Grenze zwischen dem westlichen und zentralen Sudan. Wer in das Gebiet der Mossi gelangt, erreicht ein Volk, dessen staatliche Einrichtungen keinerlei Ähnlichkeit mit denen des Westens haben.

Zunächst ist zu betonen, daß die Mossi (Sing. Mora-je) nicht eine einheitliche Rasse darstellen. Ich sah Mossi vom Bammanaschlage, vom Miniankatypus, sah Mossi, die rote Hautfarbe und starke, wohlgeformte Beine hatten gleich den Gersse, sah Mossi von jedem Typus, den ich sonst unter den dunklen Völkern beobachtete, und wenn jemand etwas besonders Charakteristisches in diesem Punkte hören will, so kann ich wenig mehr geben als eine negative Tatsache: ich sah nie Mossi mit sog. semitischen Zügen und nie Menschen, die in ihrem Äußeren die Zeichen einer höheren Zivilisation boten. Die Mossi repräsentieren einen verhältnismäßig brutalen Typus.

Ferner zeigen die Mossi noch außerordentlich deutlich die Struktur des Materials, aus dem sie zum heutigen Wesen eines Reiches, einer Nation heranwuchsen. In allen Teilen des Hauptreiches und der Nebenstaaten gibt es niedriger stehende Stämme, die mit bestimmten Vorrechten ausgestattet sind und eigene Namen führen, die sich aber zunächst auch als Mossi gerieren. Wir werden ihre Namen dann treffen, wenn wir die religiös-sozialen Maskenfeste in den Bereich unserer Untersuchung ziehen. Überall und in jeder Provinz als uraltes Ansassentum finden wir diese unterworfenen Stämme, von denen die vornehmen Mossi behaupten, es seien sehr primitive Stämme gewesen, denen sie, die Mossi, einst die Kultur gebracht hätten, die aber überall den Kultus mehr oder weniger ausschließlich in Händen haben, so daß man fast behaupten möchte, es habe im Wesen dieser Stämme von alters her eine Kraft gesteckt, die so mächtig war, daß sie nicht einmal durch die brutale Mossiwirtschaft ganz zu zerstören war.

Der Staatsorganismus der heutigen Mossi scheint ein sehr alter zu sein. Da wir ihn in ganz gleicher Weise auch in den entfernten



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Staaten finden, die vor langer Zeit vom Hauptreiche Wagadugu abfielen und da er sich in archaistischer, selten geschlossener Form erhalten hat, darf man annehmen, daß er in seiner heutigen Gestalt sich gleich nach Einwanderung der Mossi ins Voltaplateau gefestigt hat, daß die Maße und der Aufbau des Reiches aber seinerzeit mitgebracht wurden. Und diese Maße scheinen mir, von der südlichen Reichshauptstadt Wagadugu aus abgeschätzt, denen der Staatsbauwerke des Haussastaates, der Reiche Banu, Wadai, Darfur einerseits, und der Reiche Dahome, Benin, Aschanti andererseits proportional zu entsprechen. Hier ist vor allem auch von einer nach außen wirkenden Funktion dieser Staatengebilde zu sprechen, nämlich von der umfangreichen, ausgedehnten und wohl durch Jahrhunderte fortgesetzten Ausbeutung des Landes auf Sklaven. Die Kaiser und Könige dieser Staaten waren Sklavenhändler ersten Ranges. Als ich von Norden nach Wahiguja kam, durchschnitt ich ein Gebiet von ca. 8o km Ausdehnung, in dem nur ganz wenige, jüngst angelegte, kleine Dörfer der Fulbe usw. gelegen waren. Ein Territorium gleichen Zustandes durchmaß Dr. Hugershoff, als er von Westen nach Wagadugu kam. So umgibt eine Zone der Verwüstung diese Reiche, deren Hände im Mittelalter sicher nach der Westküste ausgestreckt waren, um dahin Sklaven abzugeben und von dort die "Segnung" europäischer Kultur zu beziehen. Wie lange historisch gedacht - dieser einträgliche Betrieb in Blüte stand, davon wußte Binger noch zu erzählen. Er sah, wie die tapferen Krieger des Kaisers von Wagadugu von Süden her ganze Reihen von Sklaven herbeibrachten.

Die Staaten haben keine geschriebene Geschichte, es besteht aber eine außerordentlich genaue Genealogie der Herrscher im Gedächtnis der Menschen. Daraus erkennen wir die Abstammung dieser Reiche, die Gründung eines kriegerischen Wagadugu im Mittelalter und den Abfall einer Provinz nach der anderen (vgl. Bd. V). Es versteht sich von selbst, daß in den Stammbäumen große Fehler enthalten sind und daß auch mancherlei darin gefälscht wurde. Immerhin scheint die dynastische Zusammengehörigkeit der Herrscher eine unbestreitbar deszendentale zu sein. Ja, ich glaube, daß der ganze Adel des Landes in letzter Linie die Gesamtheit einer Sippengruppe repräsentiert. Und von der Geschlossenheit des Adels in Abstammung und Gesamtwesen müssen wir ausgehen, wenn wir die Stellung, die sehr eigenartige Stellung des sogenannten, aber nur "sogenannten" allgewaltigen Herrschers des Landes verstehen wollen. In Wahrheit herrschen nicht diese barbarischen, grausamen Kaiser, sondern ihre Edlen hier wie anderweitig im Sudan. Werfen wir nun aber einen Blick in das Leben der Bürger dieses Reiches.


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