Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_08-0004 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

91. Das Stiefkind

Ein Mann heiratete zwei Frauen, von denen die eine viel besaß und die andere nichts. Die wohlhabende Frau ward schwanger, gebar ein Mädchen und starb, als es noch klein war. Die arme Frau ward nicht schwanger. Als die wohlhabende aber gestorben war, nahm sie nicht nur das Mädchen, sondern auch alles Gold und alle Besitztümer der Nebenfrau in ihre Hütte hinüber.

Die Gespielinnen des kleinen Mädchens kamen, um es abzuholen. Die Frau sagte: "Es kommt nicht mit, denn ich habe ihm noch nicht zu essen gegeben." Die anderen Kinder sagten: "Oh, wir können warten." Dann suchte die Frau langsam den Kuskus, gab dem Kinde ein wenig und ließ es gehen. Das Kind ging mit den anderen fort.

Am Tage vor dem großen Feste wollten die Freundinnen das Mädchen wieder abholen, um hinzugehen und sich die Haare zu ordnen. Die Frau warf alle Arten von Hirse durcheinander. Die Mädchen sagten: "Wir wollten die Freundin abholen, um für das Fest gemeinsam die Haare zu ordnen." Die Frau sagte: "Das Mädchen war schlecht. Es hat alle Hirse durcheinandergeworfen. Nun soll



Atlantis Bd_08-164 Flip arpa

sie mir diese erst auseinander lesen. Das Mädchen kann heute nicht mitgehen." Da sagten die anderen Mädchen: "Früher, ehe deine Nebenfrau starb, hattest du nichts als alte Körbe und alte Kleider. Was du nun hast, verdankst du der Mutter dieses Mädchens. Und nun gibst du nicht einmal zu, daß dieses Mädchen sich zum Feste die Haare bereiten läßt." (Kabeta'a kunda = Haare zurechtmachen, ordnen.) Die Freundinnen gingen.

Das Mädchen weinte und weinte. Da kam eine Tinginje (Ameise) und fragte: "Was weinst du?" Das Kind sagte: "Ich wollte mit den Freundinnen hingehen, um mir zum Feste die Haare ordnen zu lassen. Da warf meine Abassi sina mussu oder Abani ndjini (Nebenfrau der Mutter) alle Hirse durcheinander und sagte, ich dürfe nicht eher weggehen, als alle Hirse richtig verlesen sei." Tinginje sagte: "Laß gut sein, ich werde das ordnen." Tinginje rief alle, alle Ameisen zusammen. Die Ameisen begannen die Auslese, und bald war die Arbeit vollendet. Das Mädchen wollte nun zu allen seinen Freundinnen gehen. Die Stiefmutter sagte ihr aber: "Erst bringe mir im Hause in Ordnung, was du verdorben hast." Das Mädchen sagte: "Es ist fertig." Eine Schlange fragte (leise): "Soll ich deine Stiefmutter totbeißen ?" Das Mädchen sagte: "Nein, laß es!" Die Mutter sagte: "Wenn du fertig bist, dann geh, denn dann ist nichts weiter im Hause zu tun." Das Mädchen ging.

Die Freundinnen hatten gesagt: "Wenn du noch nachkommst, so gehe am Kreuzweg vor der Stadt den Weg, auf den wir Gras werfen, und nicht den anderen." Das Mädchen kam an den Kreuzweg. Der Wind hatte aber inzwischen das Gras ergriffen und es auf den anderen Weg gelegt. Das Mädchen ging so den falschen Weg. Nachdem das Mädchen ein Stück weit gegangen war, traf sie Uarrabamussu (die Löwin). Uarrabamussu fragte: "Wo gehst du hin?" Das Mädchen sagte: "Ich folge meinen Freundinnen, um mir die Haare ordnen zu lassen." Uarrabamussu sagte: "Das kann ich dir auch machen. Mein Mann ist gerade im Busch auf der Jagd. Ich habe also Zeit. Wenn mein Mann während der Arbeit dazukommt und wenn er auch etwas dagegen sagt, daß ich dir die Haare mache, so laß dich das nicht ängstigen. Fordere, daß ich fortfahre." Das Mädchen sagte: "Ich werde so handeln."

Uarrabamussu begann, dem Mädchen die Haare zu machen. Uarraba kam dazu. Uarraba sagte: "Laß das!" Das Mädchen sagte: "Nein, mach' mir meine Haare." Uarraba zerriß darauf das Mädchen und sagte nochmals: "Laß das!" Das Mädchen sagte:



Atlantis Bd_08-165 Flip arpa

"Nein, mach' mir meine Haare." Da setzte sie der Löwe wieder zusammen. Die Löwin machte aber die Haare sehr schön. Sie flocht immer in ein Haar Gold, in ein Haar Silber. Als sie fertig war, setzte sie dem Mädchen eine Kappe (wie dies landesüblich ist) darüber und sagte: "Wenn dich jemand nach dem Namen derer fragt, die dir die Haare so schön gemacht hat, so sage ihn nie!" Das Mädchen sagte: "Ich will es befolgen." Das Mädchen ging.

Am anderen Tage kamen die Freundinnen, um sie zum Tamtam abzuholen. Die Abassi sina mussu sagte aber einfach: "Heute geht sie nicht zum Tamtam." Die Freundinnen gingen betrübt von dannen. Erst ganz spät am Abend erlaubte die Stiefmutter dem Mädchen, zum Tamtam zu gehen. Es ging; als es aber hinkam, da war der Tamtam just zu Ende.

Das Mädchen ging langsam nach Hause. Ehe es daheim eintrat, tanzte es noch allein auf der Straße umher. Sie war allein draußen. Da kam Surukku an. Heimlich und schnell schlüpfte das Mädchen in das Haus.

Ebenso ward es am zweiten Tage. Ebenso ward es am dritten Tage. Am vierten Tage stahl sich das Mädchen heimlich vom Hause weg und ging zum Tamtam. Das Mädchen tanzte. Das Mädchen nahm beim Tanze die Kappe ab. Es begann zu regnen. Das Mädchen setzte die Kappe wieder auf.

(Beim Schlusse wird der Erzähler unsicher, und nach einigem Sträuben gibt er zu, daß die Erzählung noch weitergehe, daß er aber den Schluß vergessen habe.)


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt