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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DER GROSSMUT JAHJAS GEGEN DEN BRIEFFÄLSCHER

Zwischen Jahja ihn Châlid und 'Abdallâh ibn Mâlik el-Chuzâ'i herrschte geheime Feindschaft, die sie aber nicht zur Schau trugen. Und der Grund ihrer Feindschaft war der, daß der Beherrscher der Gläubigen Harûn er-Raschîd dem 'Abdallâh ibn Mâlik mit herzlicher Liebe zugetan war, während Jahja ibn Châlid und seine Söhne sagten, 'Abdallâh bezaubere den Beherrsche der Gläubigen. Schließlich, nachdem so eine lange Zeit verstrichen war, während der Groll in ihren Herzen nagte, begab es sich, daß er-Raschîd dem 'Abdallâh ibn Mâlik el-Chuzâ'i die Statthalterschaft von Armenien übertrug und ihn



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dorthin entsandte. Als jene nun dort seinen Herrschersitz eingenommen hatte, kam zu ihm ein Mann vom Volke des Irak; der besaß treffliche Bildung, Scharfsinn und Verstand, aber er lebte in dürftigen Verhältnissen, sein Besitz war von ihm gewichen, und sein Ansehen war verblichen. Und er hatte einen Brief gefälscht, der von Jahja ibn Châlid an 'Abdallâh ibn Mâlik geschrieben sein sollte, und war zu jenem nach Armenien gereist. Als er nun bei dem Tore des Statthalters ankam, übergab er das Schreiben einem von dessen Kammerherren; der nahm es entgegen und überbrachte es dem 'Abdallah ibn Mâlik el-Chuzâ'i. Als dieser es geöffnet und gelesen und den Inhalt erwogen hatte, erkannte er, daß es gefälscht war; daher befahl er, den Mann kommen zu lassen. Wie der dann vor ihm stand, flehte er den Segen des Himmels auf ihn herab und pries ihn und die Männer an seinem Hofe. 'Abdallâh ihn Mâlik aber sprach zu ihm: ,Was hat dich bewogen, eine so weite und mühevolle Reise zu machen und mir einen gefälschten Brief zu bringen? Doch sei guten Mutes, wir wollen deine Mühe nicht enttäuschen!' Da gab der Mann zur Antwort: ,Allah schenke unserem Herrn Wesir ein langes Leben! Wenn dir meine Ankunft lästig ist, so suche doch nicht nach einem Vorwande, mich abzuweisen; denn Allahs Welt ist weit, und der Ernährer lebt! Der Brief, den ich dir von Jahja ihn Châlid gebracht habe, ist echt und nicht gefälscht.' Doch 'Abdallâh erwiderte: ,Ich will einen Brief an meinen Verwalter in Baghdad schreiben und ihn anweisen, er solle darüber nachforschen, wie es mit diesem Schreiben steht, das du mir gebracht hast. Wenn es wirklich echt und keine Fälschung ist, so will ich dich zum Emir über einen Teil meines Landes einsetzen, oder wenn du ein Geschenk vorziehst, so will ich dir zweihunderttausend Dirhems geben und außerdem noch edle



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Rosse und Kamele und ein Ehrengewand. Wenn das Schreiben aber gefälscht ist, so gebe ich Befehl, daß man dir zweihundert Stockschläge verabfolgt und dir den Bart schert.' Darauf befahl 'Abdallâh, ihn in ein Gemach zu bringen und ihn dort mit allem zu versehen, was er brauche, bis sich die Sache mit ihm aufgeklärt habe. Dann schrieb er einen Brief an seinen Verwalter in Baghdad des Inhalts: ,Zu mir ist ein Mann gekommen mit einem Schreiben, von dem er behauptet, es sei von Jahja ibn Châlid. Ich habe meine Bedenken über dies Schreiben; es ist nun deine Pflicht, ohne Verzug sofort selbst hinzugehen und dich über die Sache mit diesem Schreiben zu vergewissern. Dann sende mir eilends Antwort, damit wir wissen, was an ihm wahr und was an ihm falsch ist!' Als dieser Brief in Baghdad angekommen war, saß der Verwalter auf -

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 307 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: '>Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Verwalter des 'Abdallâh ibn Mâlik el-Chuzâ'i, als der Brief bei ihm in Baghdad angekommen war, sofort aufsaß und sich zum Hause des Jahja ibn Châlid begab. Er fand ihn im Kreise seiner Tischgenossen und Vertrauten sitzen, sprach den Gruß vor ihm und überreichte ihm den Brief. Jahja ibn Châlid las ihn und sprach dann zu dem Verwalter: ,Kehre morgen zu mir zurück, auf daß ich dir eine schriftliche Antwort geben kann!' Nachdem der Verwalter weggegangen war, wandte Jahja sich zu seinen Tischgenossen und fragte sie: ,Was verdient jemand, der einen Brief auf meinen Namen fälscht und ihn zu meinem Feinde bringt?' Da gab ein jeder von den Genossen eine eigene Antwort, jeder von ihnen nannte eine besondere Art von Strafe. Aber Jahja sprach zu ihnen: ,Ihr irrt in dem, was ihr sagt. Das,



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was ihr mir ratet, stammt aus niedrigen und häßlichen Anschauungen. Ihr alle wißt doch, wie nahe 'Abdallâh dem Beherrscher der Gläubigen steht, und ihr wißt ferner um die grimme Feindschaft, die zwischen mir und ihm besteht. Nun hat Allah der Erhabene diesen Mann auserkoren und ihn zu einem Mittel der Versöhnung zwischen uns beiden bestimmt; er hat ihn dazu geeignet gemacht und ihn ausersehen, das Feuer des Grolles in unseren Herzen zu löschen, das seit zwanzig Jahren immer heftiger brennt; durch seine Vermittlung soll unser Streit geschlichtet werden. Darum geziemt es mir, zu bewirken, daß seine Pläne gelingen, und ihn in eine bessere Lage zubringen. Ich will also für ihn einen Brief an 'Abdallâh ibn Mâlik el-Chuzâ'i schreiben, in dem ich ihn bitte, er möchte ihn aufs höchste ehren und ihm immerdar Gnade und Gunst gewähren.' Als die Genossen das hörten, wünschten sie ihm reichen Segen und staunten ob seiner Hochherzigkeit und seiner unendlichen Großmut. Dann ließ er Papier und Tintenkapsel bringen und schrieb an 'Abdallâh ihn Mâlik mit eigener Hand einen Brief des Inhalts: ,Im Namen Allahs, des barmherzigen Erbarmers! Dein Brief ist eingetroffen - Allah schenke dir ein langes Leben! —, und ich habe ihn gelesen. Ich freue mich, daß es dir wohl ergeht, und bin froh, daß es gut um dich steht, und daß deiner Glückseligkeit Gedeihen beschieden ist. Du hast den Verdacht, daß jener ehrenwerte Mann in meinem Namen einen Brief gefälscht und kein Schreiben von mir erhalten habe; aber dem ist nicht so. Denn ich habe den Brief selbst geschrieben; er ist nicht gefälscht. Ich hoffe, du wirst in deinem Edelmut und deiner Güte und bei dem Adel deiner Natur jenem ehrenwerten und trefflichen Manne seine Hoffnung und seine Wünsche erfüllen, ihm die gebührende Ehre erweisen, ihm zu seinem Ziele verhelfen und



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ihn auszeichnen durch die reiche Güte deiner Hände und durch Gnaden ohne Ende. Was du nur an ihm tust, das erweisest du mir, und ich bin dir dankbar dafür.' Dann schrieb er die Aufschrift des Briefes, versiegelte ihn und übergab ihn dem Verwalter; und dieser stellte ihn dem 'Abdallâh zu. Als der ihn gelesen hatte, war er über seinen Inhalt erfreut; er ließ alsbald jenen Mann kommen und sprach zu ihm: ,Welche von den beiden Gaben, die ich dir versprochen habe, dir lieber ist, die will ich dir zuteil werden lassen!' ,Ein Geschenk'. erwiderte der andere, ,ist mir lieber als alles andere.' Da ließ er ihm zweihunderttausend Dirhems geben, ferner zehn arabische Rosse, fünf davon mit seidenen Decken und fünf mit reichverzierten Prunksätteln; dazu noch zwanzig Kisten mit Kleidern, zehn Mamluken, die auf Pferden beritten waren, und eine geziemende Anzahl von kostbaren Edelsteinen. Schließlich verlieh er ihm noch ein Ehrengewand, und indem er ihm seine Gunst bezeigte, entsandte er ihn nach Baghdad mit großer Pracht. Wie jener dort ankam, begab er sich zum Hause des Jahja ibn Châlid. ehe er noch die Seinen aufsuchte, und bat um Einlaß bei ihm. Da trat der Kammerherr zu Jahja ein und sprach: ,Hoher Herr, an unserer Tür steht ein Mann von vornehmem Aussehen, von schöner Erscheinung und von sichtlichem Wohlstande, mit vielen Dienern; der begehrt Einlaß bei dir.' Jahja gab die Erlaubnis, ihn einzulassen; und als jener vor ihn trat, küßte er den Boden vor ihm. ,Wer bist dw' fragte Jahja. Der Mann gab zur Antwort: ,Mein Gebieter, ich bin's, der dem Schlage des Schicksals erlegen war; da hast du mich aus dem Grabe der Mißgeschicke wieder lebendig gemacht und mich in das Paradies meiner Wünsche gebracht. Ich bin's, der das Schreiben in deinem Namen gefälscht und es zu 'Abdallâh ibn Mâlik el-Chuzâ'i getragen hat.' Da fragte Jahja weiter:



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,Wie hat er an dir gehandelte Was hat er dir gegeben?' Und jener gab ihm zur Antwort: ,Dank deiner Hand und deiner edlen Gesinnung, dank deiner allüberragenden Gütigkeit und deiner allumfassenden Freigebigkeit, dank deiner erhabenen Hochherzigkeit und deiner unendlichen Vortrefflichkeit hat er mir so viel gegeben, daß er mich zum reichen Manne machte und mich zu Besitz und Wohlstand brachte. Ich habe alle seine Geschenke und Gaben herbeischaffen lassen; hier stehen sie an deiner Tür. Der Befehl ist dein, und die Entscheidung soll in deinen Händen sein!' Doch Jahja entgegnete ihm: ,Der Dienst, den du mir geleistet hast, ist mehr wert als das, was ich an dir getan habe. Ich stehe bei dir in großer Dankesschuld, und dir gebührt von mir der freigebigen Hand reichliche Huld; denn du hast die Feindschaft, die zwischen mir und jenem hochgeachteteten Manne bestand, in Freundschaft und Liebe verwandelt. Und so will ich dir denn das gleiche an Geschenken geben, was 'Abdallâh ibn Mâlik dir gewährt hat.' Darauf befahl er. ihm Geld und Rosse und Kisten mit Gewändern in gleicher Zahl zubringen, wie sie 'Abdallâh ihm gegeben hatte. Und so ward jenem Manne sein früherer Wohlstand wieder zuteil durch die Großmut dieser beiden edlen Männer.

Ferner wird erzählt


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