ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN
HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS
1922
VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA
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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE
MIT DREI TAFELN
57. Sani, Surukku und die KüheKassari-Sani-na (das Kaninchen) hatte eine neue Weise ausfindig gemacht, zu einem guten, fetten Fleisch zu kommen. Auf den Wiesen an einem Bache, nahe dem Dorfe der Fulbe, weideten deren Kühe. Sani kroch in deren Arschloch hinein und schnitt sich überall von dem besten und fettesten Fleische ab. Er packte es zusammen, ging auf demselben Wege wieder heraus und brachte so herrliche Speise heim. Dabei hütete er sich wohl, die Herzen (= song), Nieren (= akomakudu) oder Leber (= bienje) zu verletzen. Er unternahm diese Wanderungen oft. So kam es, daß er, seine Frau und seine Kinder rund und fett wurden derart, daß es den anderen Tieren auffiel.
Die Frau Surukkus, der dicht bei dem Gehöft des Sani wohnte, beschloß eines Tages festzustellen, welches wohl die Speise war, die die Familie des Sani zur Zeit genoß. Sie ging eines Abends gegen die Essenszeit hinüber und bat Frau Sani um etwas Feuer. Sie schnüffelte dabei umher und merkte, daß aus dem Topfe über dem Feuer allerdings ein sehr feiner Duft aufstieg. Sie nahm den Brand, den ihr Frau Sani gab, mit, pißte aber, als sie ein Stück weit gegangen war, darauf, so daß er ausging und sie nochmals umkehren und das zweitemal um Feuer bitten mußte. Das wiederholte sie mehrere Male, bis endlich Sani heimkam und seine Frau ihm das Essen vor-
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setzte. Nun blieb sie ein wenig stehen, unterhielt sich mit ihm und veranlaßte ihn so, ihr eine Handvoll Essen zu reichen. Mit dem Essen und dem Feuer kehrte sie zu ihrem eigenen Manne zurück und sagte zu ihm: "Da ist von dem ausgezeichneten Essen, das Sani alle Tage hat und von dem er und seine Angehörigen dick und fett werden. Sieh, daß du erfährst, wie man es erhält."
Surukku aß davon, fand es ausgezeichnet und ging sogleich herüber zu Sani und fragte: "Sage mir, wo man das erhält, damit ich auch davon bekomme." Sani sagte: "Das ist zu schwierig!" Surukku sagte: "So wollen wir gemeinsam gehen." Sani sagte: "Gut, wir wollen morgen früh gehen, wollen aufbrechen, wenn die Hähne schreien." Surukku sagte: "Es ist gut so." Surukku ging nach Hause und schlug seine Hühner, so daß sie krähten. Er kam wieder angelaufen, weckte Sani und sagte: "Komm, die Hähne krähen!" Sani sagte: "Ach, es ist noch nicht Morgen; warte, bis die Sonne den Himmel rot färbt!" Surukku ging fort, schichtete das Holz auf, das bei seinem Hause lag, und brannte es an, so daß es ein großes Feuer gab. Dann kam er zu Sani zurück, weckte ihn und sagte: "Komm, der Himmel ist rot gefärbt." Sani sagte: "Ach, es ist noch nicht Morgen; warte, bis es Tag ist. Ich werde eine Nadel in den Strohhaufen dort werfen. Suche sie. Wenn du sie gefunden hast, können wir gehen." Surukku suchte die Nadel, und da sie im Stroh sehr schwer zu finden war, fand er sie nicht eher, als bis das Tageslicht kam. Als er die Nadel gefunden hatte, brachte er sie Sani und der sagte: "Es ist Zeit, wir können gehen."
Sani ging mit Surukku auf die Wiese am Bache, auf der die Kühe der Fulbe weideten, und sagte zu seinem Begleiter: "Wir wollen nun in eine Kuh gehen. Wir gehen durch das Arschloch hinein und schneiden uns im Innern so viel gutes und fettes Fleisch ab, als wir haben wollen. Nur darf man nicht an Herz, Nieren und Leber schneiden, sonst stirbt die Kuh und wir können nicht wieder heraus." Surukku sagte: "Gut, so wollen wir es machen." Sie krochen hinein. Kaum waren sie aber im Innern der Kuh, als Surukku unversehens und geschwind Herz, Leber und Nieren abschnitt, so daß die Kuh sofort umfiel und tot war. Surukku kroch in seiner Angst alsbald in den Magen (= furu) , Sani aber schlüpfte eilig in den Blinddarm (=kunone).
Nach einiger Zeit kamen die Leute und fanden die tote Kuh. Sie zogen das Fell ab und begannen sie zu zerlegen. Als sie den Wanst aufschnitten und den Inhalt herausgezogen hatten, trennten sie zu.
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nächst den Blinddarm auf und warfen ihn über den Bach fort. (Die Neger essen den Blinddarm nicht.) Sani schlüpfte schnell heraus und rief: "Oh, ihr habt mich mit Unrat beworfen, während ich hier ruhig lag. Ihr habt meine Kleider von oben bis unten beschmutzt." Die Leute sagten: "Wir bitten dich um Entschuldigung; der Schmutz kam aus dem Blinddarm einer Kuh, den wir weggeworfen haben." Sani sagte: "Mit der Entschuldigung ist es nicht getan." Die Leute sagten: "Komm herüber, wir wollen dir von dem Fleisch abgeben." Sani wusch sich im Bach, kam hinüber und setzte sich zu den Leuten.
Sani sagte: "Da ihr gute Leute seid und mir Fleisch abgebt, will ich euch auch sagen, was es hier gibt. Wie ich da drüben lag, sah ich, wie Surukku in die Kuh kroch und wie sie nach einiger Zeit umfiel. Sicher hat er sich im Magen versteckt. Bindet ihn fest zu und schlagt ordentlich darauf, bis er tot ist." Die Leute taten so. Als man gründlich darauf geschlagen hatte, sagte Sani: "Wartet, ich will sehen, ob er tot ist." Er schnitt ein Stück guten Fettes ab, hielt es an den Magen und sagte: "Surukku, lebst du noch?" Surukku schnüffelte. Sani sagte: "Er schnüffelt noch, schlagt weiter!" Dies wiederholte sich mehrere Male, bis endlich Surukku ausgelebt hatte und nicht mehr schnüffelte. Dann öffnete man den Magen und fand Surukku. Die Leute sagten zu Sani: "Du hast nicht gelogen. Du hast recht gehabt." Darauf gaben sie ihm einige große Stücke Fleisch und den Kopf der Kuh.
Sani nahm den Kopf und legte ihn auf einen Sumpf, so daß die abgeschnittene Seite auf der Erde im Morast war und Augen und Hörner gen Himmel sahen. Eine Nkere (Eichhörnchen) ging vorüber. Sani sagte zu ihm: "Komm in meinen Sack und bewege dich darin, so daß ich sagen kann, das wäre mein großes Zaubermittel. Ich werde dich gründlich bezahlen." Nkere war zufrieden und schlüpfte in den Sack. Sani setzte sich dann neben den Kuhkopf.
Es kamen einige Diulla des Weges. Sani sagte zu ihnen: "Die Kuh des Königs ist in den Sumpf gefallen. Wollt ihr sie herausziehen?" Die Diulla sagten: "Sehr gern!" Sie packten den Kopf und hoben ihn heraus. Sani sagte: "Ach, jetzt habt ihr den Kopf der Kuh des Königs abgerissen. Ach, was wira der König sagen?" Die Diulla befiel ein gewaltiger Schrecken. Sie sagten: "Was ist da zumachen?" Sani sagte: "Das ist eine schwierige Sache. Aber ich habe in diesem Sack ein ausgezeichnetes Zaubermittel. Wenn ihr mich bezahlt, will ich die Sache in Ordnung bringen." Die Diulla
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sagten: "Wir wollen dir viel Salz geben." Sani sagte: "So gebt das Salz!" Die Diulla gaben Sani eine halbe Last Salz und zogen weiter.
Nkere kam heraus und sagte: "Nun zahle mich. Teile das Salz!" Sani gab Nkere nur wenig ab. Nkere sagte: "Gib mehr!" Sani sagte: "Man wird dich schon nachher bezahlen." Nkere sagte: "Gut, dann gehe ich zu den Diulla und erzähle ihnen, wie du sie betrogen hast." Nkere lief fort und hinter den Diulla her. Sani rief laut: "Ihr Diulla, eben läuft mein Nkere mir fort, schlagt mir mein Nkere tot!" Die Diulla ergriffen Knüppel und warfen damit nach Nkere. Sie trafen Nkere. Nkere war tot. Ein Diulla brachte Sani Nkere. Sani sagte: "Danke sehr!" Die Diulla gingen weiter.
Sani nahm sein Fleisch, das Salz, Nkere und ging damit nach Hause.
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