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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

53. Sonsanni und Surukku

Sonsanni sagte zu Surukku: "Wir wollen unsere Mütter verkaufen und dafür Kühe erwerben." Surukku sagte: "Ich bin einverstanden." Sie banden ihre Mütter an, um sie zum Markt zu führen. Surukku führte seine Mutter an einem dicken, festen Strick. Sonsanni führte seine Mutter an einem dünnen Faden. Sonsanni sagte zu seiner Mutter: "Wenn wir am Marktplatze fast angekommen sein werden, dann reiße die Schnur durch und reiße aus. Dann verstecke dich in der Höhle des großen Baumes, der vor dem Marktplatze ist. Dort werden wir dann schlachten!"

Sonsanni und Surukku machten sich auf den Weg und führten ihre Mütter fort. Sie kamen fast bis zum Markte. Da riß sich Sonsannis Mutter los und rannte fort. Sonsanni rief: "Surukku, Surukku! Meine Mutter ist durchgebrannt, meine Mutter ist durchgebrannt!" Surukku sagte: "Wenn deine Mutter fortgelaufen ist, so macht das nicht soviel. Wir haben ja noch die meine, und wenn wir die verkaufen, so genügt das, eine schöne Kuh dafür zu erwerben." Inzwischen lief die Mutter des Sonsanni zu dem Baume nahe dem Marktplatze und versteckte sich in dem Baumloch.

Sonsanni und Surukku kamen auf dem Marktplatz an. Sie verkauften die Mutter Surukkus. Surukku sah eine Kuh, die war krank, und sie entleerte sich ständig nach hinten. Surukku lief hin, duckte sich darunter und fing den Unrat auf. Er fraß den Unrat. Er rief: "Die ist fett, die ist fett, die kaufen wir!" Sie kauften die Kuh. Sie nahmen die Kuh an den Strick. Sie führten die Kuh fort. Sie führten die Kuh bis an den großen Baum vor dem Marktplatze. Da sagte Sonsanni: "Hier wollen wir die Kuh schlachten; hier wollen wir abkochen!" Surukku sagte: "Es ist gut." Sie lagerten unter dem Baume. Sie töteten die Kuh. Sie zogen der Kuh das Fell ab.



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Sonsanni sagte: "Wir haben kein Feuer. Du bist schneller als ich. Lauf du hin und hole Feuer. Ich will inzwischen die Kuh zerlegen. Ich werde wohl damit fertig sein, wenn du wiederkommst." Surukku ging fort, um Feuer zu holen. Sonsanni zerlegte die Kuh und warf alles Fleisch in die große Baumhöhle, in der seine Mutter war. Dann machte er ein Loch und vergrub den Schädel der Kuh in die Erde, so daß nur die Hörner heraussahen.

Surukku suchte im Busch vergeblich nach Feuer. Endlich kam er zurück. Als Sonsanni Surukku kommen sah, lief er ihm schnell entgegen und rief: "Komm schnell, komm schnell! Bangu (die Erde) ißt unser Fleisch, und ich bin zu schwach, um es zu hindern! Komm schnell!" Surukku kam eilig herbeigelaufen. Surukku sah den Kopf der Kuh aus der Erde herausragen. Er packte ihn bei den Hörnern und zog. Er zog nur den Schädel heraus. Er sagte: "Es ist zu spät. Bangu hat schon alles aufgefressen. Es ist zu spät. Von der Kuh haben wir nichts mehr zu essen. Komm, wir wollen schlafen gehen!" Sie legten sich unter dem Baume zum Schlafen nieder.

Als Sonsanni und Surukku unter dem Baume einschliefen, fing Sonsannis Mutter an, das Fleisch zu essen. Sie aß und aß und warf die Knochen herunter auf den Kopf Surukkus. Surukku wachte auf, griff mit der Hand auf den Kopf und sagte: "Nein, ist der Samberle (Hagel) in diesem Jahre hart!" Die Mutter des Sonsanni warf wieder Knochen herab. Surukku sagte wieder: "Nein, ist der Samberle in diesem Jahre hart!" Endlich merkte Surukku, daß es Knochen waren. Surukku sagte: "Ich merke, was du gemacht hast. Es war nicht Bangu, der die Kuh gegessen hat, sondern du und deine Mutter haben die Kuh gegessen, die ich mit meiner Mutter bezahlt habe. Du hast mir alles Fleisch gestohlen. Du hast es deiner Mutter gegeben, die oben im Baumloch sitzt. Warte mir aber! Ich werde jetzt Kono Sogondi (den Strauß) holen, damit er das Loch da oben säubert. Ich werde euch sauberer Gesellschaft schon helfen." Damit lief Surukku von dannen.



***
Während Surukku fort war, legte Sonsanni eine Schlinge um das Baumloch. Er nahm das Ende in die Hand und kroch in dem Baume hoch herauf in die Zweige. Nach einer Weile kam Surukku mit Kono Sogondi an. Surukku sagte zu Kono Sogondi: "Hole mir das Fleisch und das Gesindel da oben aus dem Baumloch!" Kono Sogondi reckte seinen Hals mächtig in die Höhe. Er steckte den Kopf just in das Loch, da zog Sonsanni die Schlinge an.



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Sonsanni zog den Kopf des Kono Sogondi in die Höhe. Kono Sogondi hing an seinem Halse und an der Schnur des Sonsanni.

In Angst und Schmerz ließ Kono Sogondi ein Ei fallen. Kaum sah das Surukku, so schrie er in heller Freude: "Sieh da, meine Lieblingsspeise! Sieh das Ei des Kono Sogondi! Zieh, Sonsanni, zieh! zieh! Ein Ei ist immer für mich, eins für dich. Zieh, Sonsanni, zieh!" Sonsanni zog. Kono Sogondi ließ noch ein Ei fallen. Sonsanni sagte (bei sich): "Jetzt ist es genug, jetzt will ich Surukku verjagen." Er sagte zu Kono Sogondi: "Ach, was behandelt dich Surukku schlecht! In welche Falle hat er dich gelockt. Ich werde dich aber befreien." Sonsanni ließ den Strick los. Kono Sogondi kam auf die Erde. Er stürzte sich voller Wut auf Surukku. Surukku floh entsetzt in eine Höhle. Surukku schrie: "Sonsanni hat das getan! Ich habe es nicht getan!" Kono Sogondi sagte: "Glaubst du, ich hätte nicht gehört, wie du gerufen hast: ,Ziehe, zieh! Ein Ei ist immer für mich, eins für dich! Zieh! Zieh!' Glaubst du, ich hätte das nicht gehört? Sonsanni hat mich befreit. Du hast mich töten wollen. Jetzt will ich warten, bis du herauskommst." Kono Sogondi steckte eine Feder aus seinem Schwanze vor die Höhle. Dann ging er fort.

Als Kono Sogondi fort war, kamen Sonsanni und seine Mutter von dem Baume herab. Sie nahmen das übriggebliebene Fleisch von der Kuh. Sie nahmen die zwei Straußeneier und gingen nach Hause. Surukku schlich sich von Zeit zu Zeit nach der Öffnung der Höhle. Dann sah er die Feder und rannte schnell wieder fort. Surukku hatte Hunger und Durst. Surukku kam immer wieder an den Ausgang der Höhle und floh immer wieder zurück, wenn er draußen die Straußenfeder sah.



***
Surukku lief in der Höhle unruhig hin und her. Eine alte Frau kam des Weges. Sie hörte das. Sie fragte: "Nun, wer läuft denn da unten so hin und her?" Surukku antwortete: "Ich bin es; ich warte, daß Kono Sogondi da oben fortgeht, um mich nach Hause zur Mahlzeit zu begeben. Denn ich habe Appetit." Die alte Frau rief: "Ach, aber hier ist ja gar kein Kono Sogondi!" Surukku sagte: "Aber ich sehe doch von hier aus die Schwanzfedern!" Die Frau sagte: "Aber das ist ja nur eine Adjollo" (Feder). Surukku kam aus seiner Höhle heraus.

Surukku sagte: "Ich habe Hunger und muß essen, wenn es auch nur Limmoro (Fliegen) gibt!" Surukku machte sich auf die Fliegenjagd. Er suchte im Busch Fliegen zu fangen, fand aber keine. Wohl



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aber traf er Uarrabamussu (die Löwin). Er bekam einen schweren Schrecken und sagte schnell: "Ich habe gehört, daß du mehrere Junge, aber keine Milch habest. Nun habe ich, um dir nützlich zu sein, eine alte Frau herbeigebracht, die sehr bewandert in der Anwendung der Medikamente ist und die dir somit vorzügliche Mittel und Ratschläge in deiner Sache wird geben können." Uarrabamussu sagte: "Du bist wahrhaft aufmerksam, rufe mir die alte Frau!" Surukku lief zurück und rief die alte Frau.

Die alte Frau sagte zu Uarrabamussu: "Es gibt ein vorzügliches Heilmittel in deinem Falle, das sind die Arschbacken des Surukku. Diese Hinterbacken sind ein vorzügliches Heilmittel und Nahrungsmittel. Man muß sie über dem Kopf des Surukku in einem Topfe kochen." Uarrabamussu sagte: "Das soll gemacht werden!" Man hielt den Surukku fest, schnitt ihm die Hinterbacken ab und kochte sie in einem Topfe über dem Kopfe des Surukku. Uarrabamussu nahm das Gericht zu sich. Es schmeckte ihr nicht nur ausgezeichnet, sondern es verfehlte auch nicht seine Wirkung. Uarrabamussu hatte bald wieder genügend Milch in ihren Brüsten. Sie konnte ihre Kinder wieder nähren. Surukku floh von dannen. Die alte Frau blieb aber einige Zeit bei Uarrabamussu zu Gaste.



***
Nach einiger Zeit ging auch die alte Frau. Als sie ein Stück weit gegangen war, traf die alte Frau auf Surukku, der mit einer Axt (=djende) auf einem Baume Holz hackte. Als die alte Frau kam, sprang er vom Baume herab, packte sie und sagte: "Du wirst jetzt das Holz schlagen, in dem ich dich verbrennen werde." Die alte Frau stieg auf den Baum hinauf. Sie begann die Arbeit. Nach einiger Zeit rief die alte Frau: "Hooo!" — als ob sie von irgendeiner Seite angerufen worden sei und nun antworte. Surukku fragte: "Wer kommt denn?" Die alte Frau sagte vom Baum herab: "Ach, da drüben kommt die Löwin, die wieder von ihrem guten Medikament haben will." Als Surukku das hörte, lief er so schnell wie möglich davon. Die alte Frau stieg herab und ging weiter.

Nach einiger Zeit traf die alte Frau wieder den Surukku. Surukku saß am Wege und wartete auf sie. Er packte sie und sagte: "Du wirst jetzt das Holz schlagen, in dem ich dich verbrennen will." Die alte Frau stieg hinauf. Sie begann Holz zu schlagen. Surukku stand unter dem Baume und paßte auf. Die alte Frau arbeitete eine Weile, dann rief sie plötzlich ganz laut über den Busch hin: "Hier! — Hier! — Jawohl, hier! Dein alter Surukku mit den Hinterbacken ist hier!" Kaum hörte das Surukku, so rannte er



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davon, so schnell er konnte. Die alte Frau stieg aber herab, wartete eine Weile und ging dann ganz langsam ihres Weges weiter.

Nach einiger Zeit traf sie aber wiederum auf Surukku, der am Wege auf sie wartete. Surukku sagte: "Steige hinauf und schlage das Holz, mit dem ich dich verbrennen werde. Ich weiß jetzt übrigens, daß das mit dem Rufen gelogen ist. Die Uarrabamussu ist zu Hause und kommt nicht nach. Schlage also ruhig dein Holz weiter und merke dir, daß, wenn du noch einmal beginnst, so zu rufen, ich sogleich hinaufkommen werde, um dich zu töten." —Die alte Frau stieg hinauf. Sie hackte eine Zeitlang Holz, und als Surukku einmal wegsah, schleuderte sie die Axt herab, spaltete ihm den Kopf und tötete ihn auf diese Weise. Dann stieg sie herab und ging ruhig und langsam nach Hause.


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