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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

45. Der Erbschaftsrichter

Ein König namens Ndji hatte drei Söhne. Er hatte drei Koffer. Eines Tages ward er krank. Er rief seine Söhne zusammen und sagte: "Ich sterbe. Nehmt mein Besitztum. Da sind drei gefüllte Koffer, jeder kann einen Koffer mit sich nehmen." Da nahm jeder einen Koffer auf und ging damit von dannen. Der Vater hatte gesagt: "Öffnet nicht, ehe ich gestorben bin." Dann starb er und wurde begraben. Die Söhne öffneten die Koffer, jeder den, den er herausgegriffen hatte. Der erste fand, daß sein Koffer angefüllt war mit Gold. Der zweite fand, daß sein Koffer angefüllt war mit Holzstücken. Der dritte fand, daß sein Koffer angefüllt war mit allerhand Erde, aber nur mit Erde,

Da sagten der zweite und der dritte Bruder: "Nein, das ist nicht gut. Wir wollen alle drei Koffer genau teilen. Unser Bruder soll jedem ein Drittel seines Goldes und jeder von uns ihm ein Drittel seines Holzes oder seiner Erde abgeben." Der erste Bruder aber sagte: "Nein, das will ich nicht. Der Vater hat nun einmal so bestimmt. Hätte einer von euch den Koffer voll Gold gezogen, würde er auch nicht teilen wollen. Das ist eben ein Zufall. Aber der verstorbene Vater hat es so bestimmt." Der zweite und dritte Bruder riefen die Dorfleute und alle weisen Männer zusammen, um denen die Sache vorzulegen und darauf eine andere Entscheidung zu treffen. Aber alle Leute sagten: "Der verstorbene Vater hat das so verfügt. Wir können nichts daran ändern; und außerdem war es ein kluger Mann, der alles nach reiflicher Überlegung tat." Die beiden Brüder wandten sich an den Herrn der ganzen Landschaft, aber der wies sie auch ab.

Es sagten aber einige: "Wendet euch alle drei an einen gewissen Mann, der heißt Kabaku (d. h. es ist merkwürdig[?]). Wenn einer euch dreien helfen kann, so ist es der." Die Brüder ließen sich die Richtung zeigen und machten sich auf den Weg.



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Als sie eine Zeitlang gegangen waren, kamen sie an ein Wasser. In dem Wasser stand ein Mann bis an den Hals. Auf seinem Rücken hatte er eine Bockshaut, die war mit Wasser gefüllt. Auf dem Kopfe hatte er eine Kalebasse voll Wasser. Der Mann weinte und jammerte. Die drei Brüder fragten ihn: "Was fehlt dir?" Der Mann sagte: ,Ich weine, weil ich vor Durst sterbe!" Da meinten die Brüder: "Das ist merkwürdig. Das wird wohl Kabaku sein." Der Mann in dem Wasser aber sagte: "Ich bin nicht Kabaku. Wenn ihr Kabaku sucht, so müßt ihr noch weitergehen. Da vor euch ist ein Dorf, das ist bewohnt und belebt, aber man kann nicht hinein, denn es ist ganz zugedeckt. In der Gegend ist vielleicht Kabaku."

Darauf gingen die Brüder weiter. Sie kamen an dem geschlossenen Dorfe vorbei. Man hörte da das Leben, Gehen und Treiben, aber es führte weder ein Weg hinein, noch einer heraus. Dann kamen sie an einen Mann, der schnitt Forgnon, und zwar schnitt er sowohl die reifen als unreifen Halme mit gleicher Gelassenheit ab. Die drei Brüder sahen das und sagten: "Das ist merkwürdig, das muß Kabaku sein!" Der Schnitter aber sagte: "Nein, ich bin nicht Kabaku; Kabaku werdet ihr aber treffen, wenn ihr auf diesem Wege weitergeht."

Die drei Brüder gingen weiter und kamen an eine Reihe von drei nebeneinander in einer Reihe liegenden Brunnenschächten. Der erste und dritte enthielten Wasser und spieen dies auch nach oben aus, und zwar der erste so, daß sein Wasser in den dritten, der dritte so, daß sein Wasser in den ersten übersprang. Der zweite Brunnen aber war trocken und wurde auch von den beiden Wasserstrahlen nicht genetzt. Die drei Brüder sagten: "Das ist merkwürdig; das muß Kabaku sein!" Aus der Tiefe des Brunnenloches aber klang eine Stimme, die rief: "Nein, hier ist nicht Kabaku. Kabaku ist noch vor euch. Erst werdet ihr noch an zwei große Töpfe kommen, von denen ihr vielleicht Näheres hören könnt."

Die drei Brüder gingen weiter. Sie kamen denn auch nach einiger Zeit an zwei mächtige Töpfe, die standen ziemlich weitab getrennt. Der eine der großen Töpfe war bis an den Rand mit Wasser gefüllt; der Boden um ihn herum war aber gänzlich trocken. Der andere Topf war leer; der Boden rund herum war aber von Wasser durchtränkt. Die drei Brüder sagten: "Das ist so merkwürdig, daß man meinen möchte, dieses wäre Kabaku selbst." Aus den Töpfen aber klang es alsogleich: "Nein, hier ist nicht Kabaku. Geht aber auf diesem Wege weiter."



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Die drei Brüder gingen weiter und kamen zuletzt zu einem uralten Manne mit ganz weißen Haaren, der saß am Wege. Die Brüder fragten: "Bist du Kabaku?" — "Nein," sagte der Mann, "ich bin aber der jüngste Bruder Kabakus. Geht aber diesen Weg hin, so kommt ihr an einem Mann vorbei, dessen Bart und Haar ist auf einer Seite noch ganz schwarz, auf der anderen aber schon vollständig weiß. Das ist mein älterer Bruder. An dem geht vorbei, und dann kommt ihr zu meinem ältesten Bruder, das ist ein kleiner Junge. Der ist noch nicht beschnitten. Das ist Kabaku." Die Brüder gingen weiter und kamen erst an dem älteren Bruder vorbei, der auf der einen Seite schon weißes, auf der anderen noch schwarzes Haar hatte. Endlich kamen sie an einen Baum, unter dem spielte ein noch unbeschnittener junger Bursche mit anderen Kindern Mpere, und der sagte sogleich: "Ich bin Kabaku; ihr sucht mich." Die drei Brüder sagten sogleich: "Ja, wir wollen einen Rat von dir erbitten und haben deshalb die Reise an den unverständlichen Erlebnissen vorbei zu dir unternommen."

Kabaku sagte: "Diese Dinge, die ihr gesehen habt, sind nicht so unverständlich, wie es euch scheint. Ich werde euch alles erklären: Da war der Mann, der im Wasser stand und Wasser in Kalebasse und Ledersack trug. Das ist ein Bild aller Menschen, die, je mehr sie haben, desto mehr erlangen wollen. — Da war die Stadt, die gedeckt war und aus der kein Weg herausführte, trotzdem ihr viel Leben in ihr sich regen gehört habt. Das war ein Termitenhaufen. — Ihr kamt an dem Mann vorbei, der reife und unreife Ähren mit gleichem Griffe ohne Unterschied abschnitt. Das war Gott, der unerwachsene Knaben, kräftige Männer und welke Greise gleichzeitig abschneidet. — Weiterhin kamt ihr an die drei Brunnen, deren äußere beiden das Wasser einander zuspieen, während der mittelste trocken war und von dem Überfluß der anderen beiden nichts erhielt. Das ist das Leben der Reichen, die sich Schätze untereinander zuwerfen, den Armen aber, die nichts haben, auch nichts abgeben. — Es standen dann am Wege zwei große Töpfe, deren einer leer war, während der Boden rund herum naß war, wogegen der andere wohigefüllt, der Boden rings um ihn aber trocken war. Das sind zwei Frauen, von denen die eine Kinder gebar und all ihr Inneres den Kindern mitgab, so daß sie verdorrte - die andere aber alle Lebenskraft für sich behielt. Sie gebar keine Kinder und gab nichts. — Endlich kamt ihr an uns drei Brüdern vorbei, von denen der jüngste uralt und



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ganz weißhaarig, der mittlere halbweiß und halbschwarz und der älteste, ich - Kabaku ganz schwarz und ganz jung ist. Das wurde so: Mein jüngster Bruder hatte zwei Frauen, die sehr böse wurden, da alterte er schnell und wurde der älteste. Mein zweiter Bruder hatte eine schlechte und eine gute Frau, und so ward die eine Seite weiß, die andere schwarz. Ich, der älteste, habe aber vier gute Frauen, und so bleibe ich ewig jung und wurde der jüngste."

Kabaku sagte (weiter): "Ihr streitet euch um die Erbschaft! Der eine Sohn erhielt einen Koffer mit reinem Golde. Der zweite Sohn erhielt einen Koffer, in dem war von allen Holzarten des Busches enthalten. Der dritte Sohn erhielt einen Koffer mit Erdstücken jeder Beschaffenheit des Landes. Euer Vater hat bestimmt, daß jeder einen Koffer erhält, wie er ihm gerade zufällt. Zwei von euch sind unzufrieden und wollten lieber das Gold haben. Ich kann gegen den letzten Wunsch eures Vaters nichts sagen, denn das war sehr klug. Aber ich glaube, ihr beiden könnt doch sehr wohl zufrieden sein. Der eine erhielt von allen Arten des Holzes im Lande. Also hat er das Recht über allen Busch und alle Bäume. Er kann von jedem, der Holz sucht oder Bäume fällt, Abgaben erheben. Der zweite hat von allen Erdarten. Er hat das Recht über den Boden. Niemand darf einen Brunnen auswerfen, niemand ein Loch für Rattenfang machen, niemand einen Termitenhaufen zum Hühnerfüttern abbrechen, ohne ihn zu fragen, ohne an ihn Abgaben zu zahlen. — Ich glaube mit diesen Rechten könnt ihr zufrieden sein."

Das verstanden die Brüder. Sie gingen heim.

Der erste Bruder, der den Koffer mit dem Gold geerbt hatte, kaufte sich viele Sklaven. Nun wollte er sie auf den Feldern arbeiten lassen. Er gab den Auftrag, ein neues Feld zu bestellen. Als die Sklaven die Erde aber aufbrachen, kam der dritte Bruder und sagte: "Du mußt mir Abgaben zahlen, wenn du den Boden bestellen willst." Der erste Bruder sagte: "So sollen meine Sklaven im Busch Holz schlagen." Er sandte sie in den Busch, damit sie Holz schlügen. Als die Sklaven die Arbeit begonnen hatten, kam der zweite Bruder und sagte: "Du mußt mir Abgaben zahlen, wenn du deine Sklaven im Busch Holz schlagen lassen willst." Darauf wußte nun der erste Bruder mit seinen Sklaven nichts anzufangen und teilte mit seinen beiden Brüdern sein Gold. Außerdem zahlte er ihnen von den Arbeitsergebnissen seiner Sklaven.


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