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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

29. Bakurrobe

Eine Frau hieß Bakurrobe. Die wußte immer alles mit ihrem guten Rate zum besten zu kehren. Jeder, der zu ihr kam, brachte ihr ein Geschenk mit.

Ein junger Mann heiratete ein junges Mädchen. Bald darauf ging er auf Reisen. Als er zurückkam, fand er, daß ein fremder Mann bei seiner Frau schlief. Er nahm im Zorne ein Messer und schnitt ihm den Hals durch. Die junge Frau sagte: "Kennst du den, den du getötet hast?" Der Mann sagte: "Nein, es ist mir auch ganz egal, denn da er bei dir schlief, hatte ich das Recht, es so zu machen." Die Frau sagte: "Wir wollen Licht anzünden." Sie zündeten ein Bündel Stroh an und leuchteten den toten Mann ins Gesicht. Er fuhr zurück und sagte: "Das ist der Sohn des Königs."

Die Frau sagte: "Das ist nun eine schlimme Sache. Morgen wird man dich und mich töten." Der Mann sagte: "Ja, morgen wird der König mit uns bös verfahren." Die Frau sagte: "Wir wollen ein Geschenk nehmen und gemeinsam zu Bakurrobe gehen. Die wird uns einen Rat geben." Die beiden gingen also zu Bakurrobe und fragten sie um Rat. Bakurrobe sagte: "Das ist sehr einfach. Hier in der Stadt wohnt ein Schmied mit Namen Numu Mpie, der ist allgemein durch seine Grobheit bekannt, und wenn man, wie jetzt im Anfang der Nacht, zu ihm kommt und sagt: ,Mach' mir mein Messer ganz', so wird er sicher sagen: ,Mach' daß du fortkommst, ich habe jetzt keine Zeit.' Gehe zu dem, lehnt den Toten an die Tür und sagt: ,Mach' mir mein Messer ganz oder ich schneide mir den Hals durch.' Wenn er dann die grobe Antwort gibt, so laßt den Toten fallen und lauft fort." Der junge Mann sagte: "So ist es gut, ich werde es machen."

Er nahm den Leichnam, ging zum Numu Mpie und sagte an der Tür: "Mach' mir mein Messer ganz oder ich schneide mir den Hals ab." Der Numu antwortete: "Mach', was du willst, aber laß mich in Ruhe. Ich habe keine Zeit." Darauf ließ der Mann den Leichnam fallen und lief leise von dannen. Der Numu hörte den Fall. Er sagte: "Was ist denn das?" Er nahm Stroh zum Leuchten und ging heraus. Da lag ein Mann. Er leuchtete ihm ins Gesicht und sagte: "Das ist der Sohn des Königs, das ist eine schöne Geschichte." Er rief seine Frau und sagte: "Da hat sich der Sohn des Königs an unserer Haustür den Hals durchgeschnitten. Der König wird uns morgen alle beide töten lassen."



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Die Frau sagte: "Das ist böse. Aber wir können uns vielleicht guten Rat holen. Wir wollen Geschenke nehmen und gemeinsam zu Bakurrobe gehen, die wird uns einen Rat geben." Sie gingen also sogleich zu Bakurrobe und erzählten ihr diese Sache. Bakurrobe sagte: "Das ist sehr einfach. Vor der Stadtmauer wohnt der Räuber Suntji. Der ist sicher noch nicht daheim. Wenn er eine Beute hat, kommt er an die Mauer seines Gehöftes und sagt: ,Hrn.' Dann kommt sogleich seine Frau und nimmt die Sache über die Mauer. Packt also den Leichnam gut ein, geh hin, sag' über die Mauer ,hm', und duwirst die unbehagliche Last bald los sein." Der Numu sagte: "So ist es gut; ich werde es so machen."

Er nahm also den Leichnam, packte ihn mit seiner Frau sehr sorgfältig zu einem Ballen zusammen und trug ihn vor die Stadtmauer zum Gehöft des Räubers Suntji. Dort sagte er: "Hm!" Sogleich streckte die Frau die Hände über die Mauer. Die Frau des Räubers nahm das Paket in Empfang und sagte: "Heute hat mein Mann aber eine schwere Sache heimgebracht." Der Numu ging nach Hause. Nach einer Weile kam auch der Räuber selbst an das Gehöft, brachte den Ballen, den er heute gewonnen hatte, heran und sagte: "Hm!" Die Frau des Räubers nahm das Paket in Empfang und sagte: "Heute hat mein Mann mit zwei Unternehmungen Glück gehabt." Nachher kam Suntji herein und die Frau sagte: "Der erste Ballen, den du brachtest, war aber schwer; ich habe ihn kaum hereingebracht."Suntji sagte: "Der erste Ballen? Ich habe dir eben doch nur einen zugereicht!" Die Frau sagte: "Aber vorher hast du mir doch schon den großen, schweren Ballen gereicht." Suntji sagte: "Das war ich nicht, zeig' ihn mir!" Die Frau zeigte ihn. Suntje sagte: "Den Ballen kenne ich nicht. Ein Fremder hat ihn gebracht. Wir wollen sehen, was darin ist!" Er nahm sein Messer; er schnitt den Ballen auf; er sah den Inhalt; er sagte: "Das ist der Sohn des Königs! Ach, ich habe ihn nicht getötet. Ich habe ihn nicht getötet."

Die Frau sagte: "Das ist nun eine schlimme Sache. Morgen wird man dich und mich töten." Der Mann sagte: "Ja, morgen wird der König mit uns bös verfahren." Die Frau sagte: "Wir wollen ein Geschenk nehmen und gemeinsam zu Bakurrobe gehen. Die wird uns einen Rat geben." Die beiden gingen also zu Bakurrobe, erzählten ihr die Geschichte und fragten sie um Rat. Bakurrobe sagte: "Die Sache ist sehr einfach! Dort von der Stadtmauer aus könnt ihr ein Feuer im Busch sehen. Da sind zwei Jäger auf einem



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hohen Baum, die nehmen Bienenstöcke aus. Nimm den Leichnam mit dahin, tritt unter den Baum und sage: ,Gebt mir Honig oder ich schneide mir den Hals durch.' Die Jäger werden dir nichts geben. Lasse aber den Leichnam fallen und laufe leise von dannen." Der Räuber sagte: "So ist es gut, ich werde es so machen."

Der Räuber Suntji nahm den Leichnam, ging mit ihm unter den Baum, in dessen Wipfel die beiden Jäger arbeiteten, und rief: "Ihr Jäger, gebt mir von dem Honig oder ich schneide mir den Hals ab." Die Jäger riefen herunter: "Mach' was du willst, zieh dir unsertwegen die Haut ab, aber Honig werden wir dir nicht geben!" Darauf ließ Suntji den Leichnam fallen und schlich sich leise von dannen. Einer der Jäger sagte: "Was fiel denn da? War das ein Stück Holz?" Der andere sagte: "Sollte der Mann sich wirklich den Hals durchschnitten haben?" Der andere sagte: "Wir wollen nachsehen." Sie stiegen herab, sie leuchteten dem Toten ins Gesicht. Sie sagten: "Das ist der Sohn des Königs!"

Der eine sagte: "Das ist eine schlimme Sache. Morgen wird man dich und mich töten." Der andere sagte: "Ja, morgen wird der König bös mit uns verfahren!" Der eine sagte: "Wir wollen ein Geschenk nehmen und gemeinsam zu Bakurrobe gehen. Die wird uns einen Rat geben." Die beiden gingen also zu Bakurrobe, erzählten die Geschichte und fragten sie um Rat. Bakurrobe sagte: "Die Sache ist sehr einfach. Nehmt den Leichnam, hüllt ihn in frische weiße Kleidung und tragt ihn an den Hof des Königs. Lehnt ihn an die Türe des Frauenhauses. Schlachtet einen Hammel und nehmt dessen Blut mit. An dem Frauenhause gießt das Blut über ihn aus, so daß es aussieht, als ob er daselbst ermordet wäre." Die Jäger sagten: "So ist es gut, wir werden es so machen."

Die Jäger gingen heim, schlachteten einen Hammel und fingen dessen Blut auf. Sie nahmen weiße Kleider und das Gefäß mit Blut mit zu dem Leichnam. Sie kleideten den Leichnam in die weißen Gewänder und trugen ihn zum Gehöft des Königs. Hier lehnten sie ihn an die Türe des Frauenhauses in einer gewissen Stellung und gossen das Blut über ihn aus. Dann liefen sie von dannen.

In der Morgendämmerung erwachte der König und stand auf. Er blickte heraus und sah, daß ein Mann an der Tür des Frauenhauses stand. Er sagte: "Oho, da ist ein Mann, der-bei meinen Frauen schlafen will. Das ist stark." Er lief hin und holte ein Gewehr, das zwei Läufe hatte. Er lud alle beide Male. Er sagte: "Den will ich selbst wegschießen." Er nahm das-Gewehr in die



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Höhe und schoß. Er nahm das Gewehr und schoß noch einmal. Die Leiche unten stürzte hin. Der König sagte zu seinen Sklaven: "Lauft hinunter und schneidet ihm den Kopf ab. Ich will nachher sehen, ob es ein Freier oder ein Unfreier ist. Wenn es ein Freier ist, so will ich ihm Haus und Familie zerstören." Die Sklaven taten so und brachten den Kopf. Der König sah ihn. Er hielt die Finger vor die Augen. Er sagte: "Ich darf nicht nach der Schuld anderer Leute ausschauen, denn ich habe meinen eigenen Sohn getötet."


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