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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM FISCHER UND DEM DÄMON

Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß einst ein Fischersmann war, hochbetagt, der hatte ein Weib und drei Kinder und lebte in großer Armut. Nun war es seine Gewohnheit, sein Netz viermal am Tage auszuwerfen, doch nicht öfter. Eines Tages ging er um die Mittagszeit aus und kam zur Meeresküste, wo er seinen Korb hinlegte; und indem er sein Hemd aufschürzte, ging er ins Wasser, warf sein Netz aus und wartete, bis es zum Grunde sank. Dann faßte er die Stricke zusammen und zog, aber er fand das Netz sehr schwer; und so sehr er auch daran zerrte, er konnte es nicht heraufziehn. Da trug er die Enden ans Land und trieb einen Pfahl in den Boden und band das Netz daran. Dann entkleidete er sich und tauchte ins Wasser, rings um das Netz, und hörte nicht auf, daran zu zerren, bis er es heraufgebracht hatte. Erfreut stieg er wieder ans Land, zog seine Kleider an und trat zum Netze hin; aber er fand darin nur einen toten Esel, der ihm die Maschen zerrissen



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hatte. Als er das sah, rief er betrübt aus: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah, dem Erhabenen, Allmächtigen!' Dann sprach der Fischer: ,Dies ist eine sonderbare Art des täglichen Brotes'; und er begann in Versen zusprechen:

O der du tauchest ins Dunkel der Nacht und ins Verderben,
Kurz deine Muh; denn durch Arbeit wirst du kein Brot erwerben.
Du siehst das Meer, und du siehst den Fischer ums Brot sich mühn,
Wenn die Gestirne der Nacht in flimmerndem Lichte erglühn.
Jetzt taucht er mitten hinein, und die Wogen umpeitschen ihn wild;
Doch er blickt stetig aufs Netz, wie es auf und nieder schwillt.
Und saß er dann endlich einmal des Nachts froh über den Fang
Eines Fisches, dem der Haken des Webs in den Gaumen drang -
Dann kauft ihn jemand ihm ab, der seine ganze Nacht
Geschützt vor der Kälte behaglich in schönstem Wohlsein verbracht.
Preis sei Ihm, dem Herrn, der geben und nehmen kann:
Der Eine erjaget den Fisch, der Andre verspeiset ihn dann.

Darauf sprach er: ,Auf und daran! Es muß ein Wunder geschehen, so Gott der Erhabene will.' Und er fuhr fort:

Wirst du vom Unglück geplagt, so wappne dich dagegen
Mit des Allgüt'gen Geduld; das stärket dich allerwegen.
Klage es nicht den Menschen; dann wurdest du doch nur klagen
Über den Mitleidsvollen zu denen, die Mitleid versagen.

Nun machte er den toten Esel aus dem Netze frei, preßte das Netz aus, und breitete es dann aus; und er stieg von neuem ins Meer und sagte dabei: ,Im Namen Allahs!' und warf es aus und wartete, bis es sich setzte. Darauf zog er daran, doch es war noch schwerer und lag noch fester als das erste Mal. Jetzt aber glaubte er, es seien Fische darin, und er befestigte das Netz, entkleidete sich, ging ins Wasser, tauchte und mühte sich ab und zerrte, bis er es losgemacht und aufs trockene Land hinaufgebracht hatte. Da fand er einen großen irdenen Krug darin, der voll Sand und Schlamm war; und als er das sah, war er bekümmert, und er sprach diese Verse:



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O Mißgeschick, höre auf;
Und hörst du nicht auf so verschnauf!
Ich ging und suchte mein Glück;
Da fand ich, mein Glück blieb zurück.
Manch Dummer hat seinen Stern;
Und den Weisen bleibet er fern.

Darauf warf er den Krug fort, preßte sein Netz aus, säuberte es, bat Allah den Erhabenen um Verzeihung und ging zum dritten Mal wieder zum Meer, um das Netz auszuwerfen; und er wartete, bis es sich setzte, und zog daran und fand Scherben, zerbrochenes Glas und Knochen darin. Da ward er sehr ärgerlich, weinte und sprach diese Verse:

So ist das Glück: du kannst es weder lösen noch binden;
Bildung weder noch Kenntnisse lassen das Glück dich finden.
Glück und Reichtümer sind allein vom Geschicke beschieden,
Manches fruchtbare Land, manch dürres Land gibt es hienieden.
Des Schicksals wechselnde Launen senken manch aufrechten Mann;
Doch ver das Glück nicht verdient, den heben sie himmelan,
O Tod, so komme zu mir, das Leben ist nichts mehr wert,
Wenn der Falke versinkt und der Erpel wolkenwärts fährt.
Kein Wunder darum, siehest du den Edlen ohn Hab und Gut,
Den dürftigen Lumpen, wie er im Reichtum hervor sich tut.
Der eine Vogel durchflieget die Welt von Ost bis West;
Der andere gewinnt alles Glück, verließ er auch nie das Nest.

Darauf hob er die Augen zum Himmel und sagte: ,O Allah! du weißt doch, ich werfe mein Netz täglich nur viermal aus; dreimal hab ich es jetzt geworfen, und mir ward nichts zuteil. Also gib mir diesmal, o Allah, das tägliche Brot.' Und nachdem er den Namen Gottes angerufen hatte, warf er nochmals das Netz ins Meer und wartete, bis es sich setzte; dann zog er daran, aber er konnte es wieder nicht heben, denn es war am Boden festgehakt. Da rief er aus: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah!' und dann sprach er:



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Pfui über die Welt, die sich also benahm!
Ich lebe in ihr in Elend und Gram.
Ist des Menschen Leben auch morgens noch klar,
Sie reicht ihm abends den Leidenskelch dar.
Und doch, so war's einst: Fragte man sich:
Wer lebet im Glück', so wies man auf mich.

Da entkleidete er sich und tauchte zum Netz hinunter und mühte sich, bis er es ans Land gebracht hatte. Dann öffnete er das Netz und fand darin eine langhalsige Flasche aus Messing, die mit etwas angefüllt war; die Öffnung war mit einem Bleiverschluß versiegelt, und dieser trug das Siegel unseres Herrn Salomo, des Sohnes Davids -über beiden sei Heil! Als der Fischer das sah, freute er sich und sagte: ,Die will ich auf dem Kupfermarkt verkaufen, denn sie ist zehn Golddinare wert.' Dann schüttelte er sie; er fand sie schwer und fest verschlossen, und so fuhr er fort: ,Weiß der Himmel, was mag wohl in dieser Flasche sein! Ich will sie öffnen und sehen, was darin ist, und dann will ich sie verkaufen.' Darauf zog er sein Messer und schnitt an dem Blei, bis er es von der Flasche gelockert hatte. Dann legte er sie seitwärts auf die Erde und schüttelte sie, damit ihr Inhalt herausflösse. Aber es kam nichts heraus; da verwunderte er sich höchlichst. Plötzlich jedoch drang ein Rauch aus der Flasche hervor, der bis hoch zum Himmel aufstieg und dahinkroch über die Oberfläche der Erde; als der Rauch seine volle Höhe erreicht hatte, zog er sich zusammen und verdichtete sich und geriet in Bewegung und ward zu einem Dämon, dessen Scheitel die Wolken berührte, während die Füße auf dem Boden standen. Sein Kopf aber war wie eine Kuppel, seine Hände wie Worfschaufeln, seine Beine so lang wie Masten und sein Mund weit wie eine Höhle; seine Zähne glichen großen Steinen, seine Nasenflügel Karaffen, seine Augen zwei



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Lampen, und sein Blick war wild und finster. Als nun der Fischer den Dämonen sah, zitterten seine Muskeln, seine Zähne klapperten, sein Speichel trocknete ein, und er wußte nicht mehr, was er beginnen sollte. Da sah der Dämon ihn an und rief: ,Es gibt keinen Gott außer Allah, und Salomo ist der Prophet Allahs'; und er fügte noch hinzu: ,O Prophet Allahs, töte mich nicht; siehe, nie wieder will ich dir im Wort widersprechen noch mich empören wider dich durch die Tat.' Der Fischer aber sprach: ,O Mârid', nennst du Salomo den Propheten Allahs? Salomo ist doch tot seit tausendundachthundert Jahren, und wir leben jetzt am Ende der Zeiten! Was ist deine Geschichte und dein Erlebnis, und weshalb kamst du in diese Flasche?' Als nun der Mârid die Worte des Fischers hörte, sprach er: ,Es gibt keinen Gott außer Allah; frohe Botschaft, o Fischer!' Da fragte der Fischer: ,Was für eine frohe Botschaft bringst du mir?' Und er erwiderte: Daß ich dich noch in dieser Stunde eines schlimmen Todes sterben lassen werde.' Nun rief der Fischer: ,Du verdienst für diese frohe Botschaft, o Dämonenmeister, daß der Himmel dir deinen Schutz entzieht, o du Verruchter! Weshalb willst du mich töten, und weswegen verdiene ich den Tod, ich, der ich dich aus der Flasche befreit und dich aus der Tiefe des Meeres gerettet und aufs trockene Land gebracht habe?' Doch der Dämon sprach: ,Wähle dir nur, welchen Tod du sterben und auf welche Art du ums Leben kommen willst.' Der Fischer fragte: ,Welches ist mein Verbrechen, und wofür solche Strafe von dir?' Darauf der Dämon: ,Höre meine Geschichte, o Fischer!' Der Fischer erwiderte: ,Rede und sei kurz in deinen Worten, denn wahrlich, mein Lebensatem schwebt mir in der Nase.' Da sprach



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der Dämon: ,Wisse, o Fischer, ich bin einer von den ketzerischen Dämonen, und ich empörte mich wider Salomo, den Sohn Davids über beiden sei Heil! — zusammen mit Sachr, dem Dämon; darauf sandte der Prophet seinen Minister Asaf zu mir, den Sohn des Barachija; und der schleppte mich wider meinen Willen und führte mich in Fesseln vor, wobei ich Angst zeigte, ohne daß ich es wollte; und er stellte mich vor ihn hin. Als Salomo mich sah, sprach er über mich die Beschwörungsformel und hieß mich den wahren Glauben annehmen und seinen Befehlen gehorchen; ich aber weigerte mich, und da verlangte er nach dieser Flasche, schloß mich darin ein und versiegelte sie mit Blei, in das er den höchsten Namen preßte, und gab den Dämonen Befehl, mich fortzutragen und mich mitten ins Meer zu werfen. Dort lag ich hundert Jahre, während ich in meinem Herzen sagte: ,Wer immer mich befreit, den will ich auf ewig reich machen.' Aber das ganze Jahrhundert verstrich, ohne daß mich einer befreite. Und als das zweite Jahrhundert begann, sagte ich: ,Wer immer mich erlöst, dem will ich die Schätze der Erde öffnen.' Aber wieder befreite mich niemand, und so verstrichen vierhundertsahre. Da sprach ich: ,Wer immer mich erlöst, dem will ich drei Wünsche erfüllen.' Aber niemand befreite mich. Da geriet ich in große Wut und sprach zu mir selber: ,Wer mich hinfort noch erlöst, den will ich töten, und ich will ihm die Wahl geben, welchen Tod er sterben will'; und da nun also du mich erlöst hast, so gebe ich dir die Wahl, welchen Tod du sterben willst.' Als der Fischer diese Worte des Dämonen gehört hatte, rief er: ,Gottes Wunder, daß ich gerade jetzt zu deiner Befreiung kommen mußte!' Dann bat er den Dämon: ,Schone mein Leben, so wird Allah dein Leben schonen; und töte mich nicht, daß nicht Allah jemandem Macht über dich gibt, der dich dann tötet.' Da erwiderte



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der Mârid: ,Es hilft nichts, sterben mußt du; so erwähle dir als eine Gnade von mir die Todesart, auf die du sterben willst.' Aber trotzdem der Fischer sah, daß der Dämon dazu entschlossen war, wandte er sich nochmals an ihn, indem er sprach: ,Laß ab von mir zum Lohne dafür, daß ich dich befreit habe. 'Der Dämon erwiderte: ,Ich will dich doch gerade nur deshalb töten, weil du mich befreit hast.' ,O Scheich der Dämonen', sagte der Fischer, ,ich tue dir Gutes und du vergiltst mir mit Bösem! Wahrlich, der alte Spruch lügt nicht, wenn er sagt:

Wir taten Gutes; jedoch das Gegenteil ward unser Lohn.
Bei meinem Leben, so handelt doch nur ein Hurensohn!
Und wer unwürdigen Leuten wohltätige Hilfe leiht,
Dem wird vergolten wie jenem, der die Hyäne befreit.'

Als nun der Dämon diese Worte hörte, erwiderte er: ,Säum nicht so lange; denn du mußt sterben.' Da sprach der Fischer bei sich selber: ,Dies ist ein Dämon, und ich bin ein Mensch, und Allah hat mir gesunden Verstand gegeben; so will ich denn durch meine Schlauheit und meinen Verstand sein Verderben zuwege bringen, genau wie er sich von seiner List und seiner Bosheit leiten ließ.' Darauf fragte er den Dämon: ,Bist du wirklich entschlossen, mich zu töten?' Und als jener antwortete: ,Gewißlich', rief er aus: ,Im allerhöchsten Namen denn, eingegraben in den Siegelring Salomos, des Sohnes Davids -über beiden sei Heil! —: wenn ich dich über etwas befrage, willst du mir eine wahrhaftige Antwort geben?' Der Dämon erwiderte: ,Ja', aber weil er den höchsten Namen ausgesprochen hörte, geriet er in Aufregung und sprach zitternd: ,Frag, und sei kurz!' Da sagte der Fischer: ,Du willst in dieser Flasche gewesen sein, die doch nicht groß genug ist für deine Hand noch für deinen Fuß; wie konnte sie groß genug sein, dich ganz zu bergens' Darauf der Dämon: ,Du glaubst also nicht, daß ich darin war?'



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Und der Fischer rief: ,Nein, nie werde ich es dir glauben, bis ich dich mit eigenen Augen darin sehe.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 4. Nacht anbrach, sagte ihre Schwester zu ihr: »Erzähle uns doch deine Geschichte zu Ende, wenn du nicht schläfrig bist!«und so fuhr sie fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, als der Fischer zu dem Dämonen sagte: ,Nein, nie werde ich es dir glauben, bis ich dich mit meinen eigenen Augen darin sehe', da schüttelte sich der Dämon und wurde ein Rauch über dem Meere, der sich verdichtete und langsam, langsam in die Flasche zog, bis er ganz darin war. Und siehe, da ergriff der Fischer in großer Hast die Bleikapsel, die das Siegel trug, und verstopfte damit den Hals der Flasche, und er rief den Dämon an mit den Worten: ,Wähle dir als eine Gnade von mir die Todesart, auf die du sterben willst! Bei Allah, ich will dich ins Meer hinauswerfen, und hier will ich mir eine Hütte bauen; und wer immer hierherkommt, den will ich warnen, daß er nicht fische, und will ihm sagen: hier liegt ein Dämon im Meer, der jeden, der ihn heraufholt, vor die Wahl stellt, wie er sterben und zu Tode gebracht werden will.' Als nun der Dämon den Fischer also sprechen hörte und sich gefangen sah, wollte er entschlüpfen, aber er vermochte es nicht, denn das Siegel Salomos hinderte ihn; da wußte er, daß der Fischer ihn überlistet hatte, und er sprach: ,Ich scherzte nur mit dir'; aber der Fischer erwiderte: ,Du lügst, o du schändlichster, gemeinster, elendester aller Dämonen!', und dann lief er mit der Flasche zum Meeresstrand. Rief der Dämon: ,Nein, nein!', so rief der Fischer: ,Doch, doch!' Und der böse Geist gab gute Worte, demütigte sich und sprach: ,Was willst du mit mir tun, o Fischern' ,Ich will dich wieder ins Meer werfen', versetzte der; ,wenn du eintausendundachthundert



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Jahre darin zugebracht hast, so will ich dich jetzt darin bleiben lassen bis zum Tage des Gerichts. Habe ich nicht zu dir gesagt: verschone mich, so wird Allah dich verschonen; töte mich nicht, sonst wird Allah dich töten? Aber du hörtest nicht auf meine Stimme und wolltest nicht anders als schlimm an mir handeln; nun hat Allah dich in meine Hände gegeben, und ich habe dich überlistet.' Wie der Dämon bat: ,Öffne mir, daß ich dir Gutes tue', rief der Fischer: ,Du lügst, Verfluchter, ich und du, wir stehen wie der Wesir des Königs Junân und der weise Duhm.' ,Und was ists mit dem Wesir des Königs Junân und dem weisen Dubân? Und wie ist ihre Geschichte?' sprach der Ifrît; und der Fischer begann


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