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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

Die Bestattung.

Das, was ich von den heute allgemein geübten Bestattungssitten der Malinke erfuhr, zeigt, daß diese Sittengruppe einen sehr starken Prozentsatz islamischer Riten übernommen hat*. Sobald ein Mensch gestorben und die Nachricht von dem Ereignis nach den verschiedenen Himmelsrichtungen gesendet

* Die altursprüngliche Bestattung der Malinke war noch bis vor kurzem im Lande Gonnu-Kurru und Konkodugu von den Kumaga-siu geübt. Hier, zwischen dem Senegal und Futa Djallon bewohnen sie noch sippenmäßig getrennt die Bergspitzen. Ihre Toten hüllen sie in Ochsenhäute und setzen sie in Berghöhlen bei.



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ist, wird er zweimal gewaschen, einmal mit Ndji djugu, gewöhnlichem Wasser, und dann mit Salindji, d. h. dem Wasser, das dadurch heilig wurde, daß die großen Marabut sich vor dem Gebet darin wuschen. Nach der doppelten Wäsche legt man den Leichnam auf eine Matte, damit er abtropfen kann, und sobald er ganz trocken ist, wickelt man ihm zwei bis sieben und mehr Stoffstücke um. Je wohlhabender, desto mehr Stoff. Alsdann wird er auf den großen Platz getragen.

Inzwischen sind schon aus der Nachbarschaft Leute gekommen, die beim Ausheben der Grube helfen. Erst wird ein Kanal in die Tiefe, dann aber ein Querkanal unter der Erde nach der Seite geführt. In diese Seitenhöhle wird noch am gleichen Tage der Leichnam gebettet. Wenn es ein König war, der starb, so sendet jedes benachbarte Dorf zwei Totengräber, so daß ein großes und tiefes Erdwerk geschaffen werden kann. Außerdem beginnt in solchem Falle sogleich ein mächtiges Bereiten von Nahrungsmitteln, denn es werden viele, viele Fremde aus der Gegend zusammenströmen. Der Bruder oder Sohn des verstorbenen Herrschers schlachtet zwei bis zehn und mehr Ochsen und läßt das Fleisch in den einzelnen Haushaltungen verteilen, denen dann die Aufgabe zufällt, für die Fremdlinge Brei zu bereiten.

Auf dem großen Platze, auf dem die Leiche ausgestellt ist, versammeln sich inzwischen die Marabut, an deren Spitze der Leiter derselben Aufstellung nimmt, während sich die anderen wie bei jedem großen Salaam in langer Reihe gliedern. Dieser Totensalaam wird stehend absolviert. Die Hände werden seitwärts der Brust in der Höhe der Schultern mit gespreizten Fingern und nach vorn gewendeten Handflächen gehalten. Der erste Marabut dankt laut Gott, daß er den König (oder sonstigen Toten) seinerzeit schuf, ihm ein langes, ehrenreiches Leben und guten Namen gab und ihm nun erlaubt, in das Land der Seligen einzugehen. Darauf wendet er sich an das versammelte Volk und fragt, ob der Tote irgendeinem oder ob irgend jemand dem Verstorbenen etwas schulde. Alle Verpflichtungen müssen hier genannt, vertreten und auch geregelt werden, wobei der erste Erbe des Toten als Gläubiger oder Schuldner alle Verpflichtungen übernimmt. Ist dieses erledigt, so wird der Tote in seine Höhle gebettet, und dann wird das Grab geschlossen, indem jeder Anwesende einige Hände voll Erde hineinwirft. — War es ein König oder sonst ein angesehener Mann, so wird das Grab im Dorfe, sonst vor der Ortschaft angelegt.

Darauf folgen Gebets- und Volksfeste, zuerst am Tage nach dem Tode und der Bestattung das Sufollo Saraka, das einen Tag währt, und eine Woche später das ausgedehntere Tiliwolungala Saraka. Den Marabut, die zu diesem Feste kommen, macht man Geschenke



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an Fleisch und Kola, sobald sie ankommen, damit sie sich sogleich heimisch fühlen. Außerdem folgen fröhliche Leichenschmausereien.

Während dieser Feste singen dann, wenn der Verstorbene kein Marabut war, die Dialli zur großen Sorong (Gitarre), die ich leider nicht sah. Sie erzählen und singen die Geschichte der Sippe des Verstorbenen und berichten über sein eigenes Leben, seine Kriege usw. Es ist sehr wünschenswert, daß man bei Lebzeiten sich möglichst gut mit den Dialli stellt und ihnen häufige Geschenke macht, damit sie bei dieser Gelegenheit den eigentlichen Ruhm für die Nachwelt gründen. Deshalb zahlen die Erben den Sängern auch bei den Leichenschmausen größere Beträge als Geschenk. — Dieses ist, glaube ich, die große und starke Quelle, aus der alle jene Adern fließen, die wir so emsig aufsuchen und deren genaue Kenntnis uns vielleicht noch die Möglichkeit gibt, die ältere Geschichte des westlichen Sudan zu rekonstruieren. Denn was hier gesungen wird, geht als Gemeingut in den geistigen Volksbesitz über, und bei jedermanns Tode wird die Geschichte seiner Sippe, seiner Familie, das Leben und Wirken vom Vater, Großvater bis in früheste Zeiten hinauf geschildert und so die allgemeine Kenntnis erweitert und vertieft. — Gelegentlich des Todes islamischer Glaubensangehöriger singen die Dialli heute nicht mehr. Also wird diese Quelle sehr bald versiegen, auch schon aus diesem Grunde.

Während Sorong und Balafon klingen, wird die Erbschaftsverteilung vorgenommen. Der Bruder erhält die Frauen und Kleider des Toten, unter die Söhne wird alles andere Hab und Gut, also Geld, Äcker, Vieh usw. geteilt, und zwar tritt keinerlei Bevorzugung des Erstgeborenen ein, außer wenn es sich um den Antritt einer Reichs- oder Dorfherrschaft handelt. Ist ein König jung gestorben, so daß seine Nachkommen noch Kinder sind, so verwaltet der Bruder des Herrschers das "Reich" und alle privaten Besitztümer, bis die Kinder erwachsen sind. Sehr oft treten allerdings dann kleine Vergeßlichkeiten ein und es mag so kommen, daß die Herrschaft nicht wieder in die Königslinie zurückkehrt, sondern ein für alle Mal in dem Stamme des Erbschaftsverwalters bleibt. — Stirbt irgendein Mensch ohne alle Verwandtschaft im Dorfe und ohne daß jemand in der Nähe einen Verwandten kennt, so greifen die Alten sein Besitztum und geben es dem Dorfchef zur Verwaltung. Der Dorfchef muß das Gut drei Jahre lang verwalten und darf es selbst während dieser Zeit nicht nutznießen. Sollte sich in diesem Zeitraume kein Erbe melden, erst dann fällt es ihm als Besitz zu. Der Volksausdruck sagt: "Der Dugutigi darf das Erbe dann essen."


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