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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

Ehe- und Hochzeitszeremoniell. — Nicht jedem Mali wird vom Vater die Braut ins Haus gebracht, vielmehr recht wenigen, und die meisten Burschen müssen zumal heute schwer arbeiten, damit sie das genügende Besitztum zusammenbringen, wenn sie nach altem Brauche heiraten wollen. Wenn - denn es wird bald damit ein Ende nehmen; andere Zeiten, andere Sitten, und seitdem die Franzosen das Sklaventum gründlich abschafften, hat sich im Besitzwert und der Ehe form naturgemäß ein Wechsel vollzogen. Man hat nicht mehr einen Vater, der einige Sklaven für eine Frau hergeben will, aber verliebt ist man ebenso wie früher, und da die Sitte nicht beobachtet werden kann, wird zunächst die alte Form und Moral lax, bis sich aus dem neuen Zustand der Dinge eine neue Sitte herausgebildet haben wird. Ich beschreibe hier die Sitte der alten Zeit (der Zeit vor der Herrschaft des islamischen Rechtes der Kadi), in der aber, wie gesagt, auch nicht jedem vom Vater die Braut ins Haus gebracht wurde.

Immerhin waren Jugendverlobungen nicht selten. Das wird überall in Kastenländern so sein und zumal da, wo sehr viel auf ein Ineinanderheiraten der "guten Familien" gesehen wird. So sagte in alter Zeit denn mancher Vater zum anderen: "Höre, deine Tochter ist gut für meinen Sohn." Und dann war der Sohn oft erst 12 und das Mädchen gar erst 2-4 Jahre alt. Der Vater des Bräutigams rüstete zunächst das erste Geschenk, "bululasirauorotang"



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Beschneidungsfest der Malinke.

Szenen aus dem Festtrubel. Zug der beschnittenen Mädchen.

(Fritz Nansen 1908)



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genannt und aus 10 Kola bestehend. Dieses erhielt der Vater der Braut. Darauf folgte ein zweites Geschenk von 10 Kola für die alten Leute des Dorfes. Es hatte die Bestimmung, diese in die Sache hineinzuziehen und günstig zu stimmen, damit sie sich nicht etwa dazwischenlegen und die Sache auseinanderbringen. Während diese zweite Gabe mehr im geheimen und wie gelegentlich erfolgt, ist die dritte Sendung von 10 Kolanüssen eine offizielle und öffentliche. Sie gilt wieder den Alten, die zusammenkommen und gemeinsam mit ausgestreckten Händen die Arme darauf legen (dubaoro). Dazu sagt ein Numu oder ein Dialli in feierlicher Weise: "Hier sind Kola für die Ehe zwischen X und Y, damit sie lange dauere und Gott (Allah) gnädig sei!" Alle antworten darauf: "Ja! Gott segne die Ehe." Damit ist die erste Zeremonie der Ehe, die, wie man sieht, einen stark islamischen Anstrich hat, beendet. Bis das Mädchen herangewachsen ist, geschieht nichts weiter.

Diese Zeremonie entspricht der Jugendverlobung. Die Heirat wird geschlossen, wenn die Menstruationen und das Anschwellen der Brüste die geschlechtliche Reife bezeugen. Der Zeitpunkt der Verehelichung ist unabhängig von der Beschneidung. Einige weibliche Wesen werden in der Mädchenzeit, einige erst als Frauen dieser Operation unterzogen. Entscheidend ist aber außer der Reife des Weibes die Zahlungsfähigkeit des Mannes. Der zu zahlende Betrag entspricht der Wohlhabenheit der Familie und des Mannes und zum anderen der Schönheit und Größe der Erwählten. Körperlänge und Kraft der Gestaltwirken unbedingt steigernd auf die Preise. Es ist dies nicht nur die größere Vergnüglichkeit, die man von hoher Statur und Ebenmaß der Glieder erwartet, sondern die Rücksicht auf den zu erwartenden Kindersegen spielt dabei eine bedeutende Rolle. Der Mahnke sieht auf Rasse. Er will tüchtig aufgeschossene Sprossen als Kinder sehen und schämt sich im voraus etwaiger Krüppel. Es ist hierin bei allem Naturalismus fraglos ein gesunder Zug.

Die Zahlung erfolgt also, und zwar in der Höhe von I—3 Sklaven —immer betont, daß ich die alten Sitten schildere. Wenn mehrere Sklaven als Zahlung in Frage kommen, und wenn sie der Vater des Bräutigams aufbringen kann, so werden sie gleich überwiesen. Es ist das aber wohl ein seltener Fall gewesen. Man begnügte sich meist mit einem Sklaven als endgültige oder als Anzahlung. Wenn sich die Verhältnisse des jungen Haushalts günstig gestaltet haben, wird weitere Zahlung erfolgen; das kann aber mehrere Jahre währen. Im übrigen spielen auch jetzt wieder die kleinen Geschenke eine nicht ganz unwesentliche Rolle. Zehn Kola legt man dem Sklaven auf den Kopf, den man als Zahlung übersendet. Zehn Kola erhält der Vater, zehn der älteste Bruder, zehn der Aufseher der Sklaven, und so geht es weiter, sodaß zuletzt an 100 Kola ver



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teilt werden. Damit sind dann aber auch alle Präliminarien beendet, und die Sache wird ernst, ist perfekt.

Der Bursche hat mit Hilfe der väterlichen Familie und der Sklaven dieses Haushalts mehrere Hütten gegenüber dem Hause des Vaters oder sonst in der Umgebung gebaut. Man heiratete früher im gleichen Dorfe und im gleichen Stamme, wenn irgend möglich, jedenfalls aber in gleicher Kaste. Der Vornehme, der Sproß aus dem herrschenden Volke, der eine Numufrau, eine Frau der Schmiedekaste heiratete, "wurde jedenfalls einige Zentimeter kürzer". So sagt das Volk, und das ist keine Umschreibung. Man nahm das wirklich im Sinne der körperlichen Entwicklung an und hat mir sogar mehrere Männer gezeigt, die ein wenig kürzer geworden wären, weil sie Numufrauen beschlafen hätten. Ja, die Leute gaben es selbst lachend zu. Soweit geht der Glaube. Weiterhin hält man es für sehr unglücklich, wenn der Mann aus vornehmem Geschlechte ein Dialliweib heiratet. Man behauptet, daß sein Besitztum ab- statt zunimmt. Es ist eine lustige und vielleicht gar nicht so grundlose Parallelität, wenn mancher Bauer in Deutschland sagt: "Der Musikant kann kein Geld heiraten, und wer des Musikanten Kind heiratet, der ist auch immer im Trocknen." — Die Malinke sagen fernerhin: daß es in Mande ein Tal und darin einen großen Felstisch gäbe, — dem dürfe sich der nicht nähern, der nicht in gleicher Kaste heiratete.

Das Mädchen bringt in das Haus ihres Gatten das Haushaltungsgerät mit. Die Mutter gibt ihr mit: einige Kalebassen (zum Schöpfen, Waschen, Trinken, Brei usw.), Töpfe, einen kleinen Frauenstuhl (=kudung), Holzmörser (= kulun) mit Keule (= kulunkalang), ferner einige Stoffe und dergleichen mehr. Es gibt an diesem Tage einen großen Schmaus. Der Bräutigam hat Schaf oder Ziege oder gar einen Ochsen getötet, und so ißt und trinkt sich alle Welt gehörig satt. Bei dieser Festlichkeit tanzen die kleinen Schwestern des Bräutigams, und dann folgt die Überführung. Die Schwestern des Mannes haben die Braut neu gekleidet und gekämmt. Eine trägt sie auf dem Rücken in das neue Haus*. Sollte der Bräutigam sich nun nicht allzu große oder genügende Kräfte zu-*



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trauen, um eventuelle gewisse Widerstände zu überwinden, so versteckt er einen guten Freund an der Türe. Sind die Schmerzen der Defloration so stark, daß das Weib mit allen Gliedern sich wehrt, so wird der Freund herbeigerufen, der dann die Beine der Widerstrebenden festhält und dem Ehemanne die erste Erfüllung seiner Pflicht erleichtert. Im übrigen liegt auf dem Ruhebett, auf welchem dies Kriegsspiel der Minne stattfindet, ein weißes Tuch, und der Volksbrauch fordert, daß hierauf die Spuren der ehrenvollen Wunde ersichtlich werden. Wenn der Ehemann gegen Morgen die Zeichen auf dem Laken sieht, ergreift er sein Gewehr und schießt es einmal zur Tür hinaus ab. So kann es denn alle Welt hören, daß er zufrieden und daß das junge Weib unberührt gewesen ist.

Aber auch weitere Kreise interessieren sich für diesen Beweis bisheriger Jungfräulichkeit. Man erwartet vom jungen Ehemann den Ausdruck der Freude über die glückliche Bestätigung seiner Hoffnungen - selbstredend in der Form kleiner Geschenke. Auf den weißen Stoff mit dem Blute (= sunkurufani) legt er, um diesen Erwartungen sittengemäß zu entsprechen, zehn weiße Kola und ein weißes Huhn. Diese Sendung geht an die Eltern der jungen Frau ab. Aber alsbald will auch der ältere Bruder der Braut mit einem kleinen Geschenke bedacht sein. Nachher erfolgte in früherer Zeit, gleichwie auf Inseln der griechischen Meere, Ostafrika usw., ein feierliches Herumtragen dieses Tuches statt. Es ist uns also nicht schwer, die Zugehörigkeit dieser Sitte zu dem entsprechenden Sittenkreise und geographischen Ausbreitungsgebiet festzustellen.

Alle Angaben stimmen darin überein, daß die Sitten der Mande-. völker früher viel strenger waren. Seltene voreheliche Entgleisungen kamen bei den Mädchen vor, und die Mande waren nicht so pfiffig wie andere Völker, welche über sehr gute Täuschungsverfahren verfügen. Entdeckte der alte resp. junge Mande das Unheil, so schoß er am anderen Morgen zunächst einmal seine Flinte nicht ab. An Stelle des oben beschriebenen Geschenkes sandte er dann aber an seine Schwiegereltern ein Gericht mit Reis, einen kleinen Reisberg, in den von oben ein tiefes Loch hineingedrückt war, so daß seine Erscheinung wohl einem kleinen Krater ähnlich erschienen sein mag. Empfingen die Eltern diese vielsagende Gabe, so schüttelten sie das Haupt und sagten: "Unsere Tochter macht uns Schande; unsere Tochter macht uns Schande." Aber man sah die zurückgesandte Sünderin nicht nur mit bösen Blicken an, sondern die Brüder der Frau und die anderen männlichen Angehörigen der schwer gekränkten Familie zogen ihr die Kleider vom Leibe und behandelten sie so lange mit Stockstreichen, bis die Frau den Namen des Verführers nannte. Der so erpreßten Angabe traute



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man nicht vollkommen, sondern man stellte noch die Befragung eines gewissen Orakels an. Man schnitt einem Huhne die Kehle durch und warf es dann hin. Wenn es nach den letzten zuckenden Sprüngen auf dem Rücken liegend verschied, so war die Angabe der Frau recht. Lag es auf der Brust, so glaubte man, sie habe einen falschen Namen genannt, um den geliebten Mann, dem sie ihre erste Blüte auf den Weg gestreut hatte, zu schonen und vor schwerem Schicksal zu bewahren.

Denn diesem Verführer erging es heillos schlecht. Er ward sogleich gefangengesetzt, d. h. in das Handeisen gelegt, entkleidet und ebenfalls gepeitscht. Darauf ward er so lange mißhandelt und gefangengehalten, bis er das Sühnegeld, nämlich bis zu sieben Sklaven, bezahlt oder abgearbeitet hatte. Diese Zahlung wurde dem Ehemanne überwiesen, der außerdem das Recht hatte, sein Weib zu behalten, also daß man sagt: er habe zwar ein ungeachtetes Weib geheiratet, aber doch eine gute Sache erworben.

Im übrigen tritt auch für den Burschen mit der Verehelichung kein so großer Wechsel der Lebensführung ein. Er arbeitet weiter im Interesse der Sippe, und erst dann, wenn der Vater etwas altert und der Bursch etwas erfahrener ist, mag letzterer selbst bestimmen, welche Arbeit und Tätigkeit die wichtigste für den Augenblick ist. Immerhin muß er doch jeden Morgen den Vater begrüßen und ihm mitteilen, was er im Laufe des Tages im Interesse des väterlichen Sippenbesitzes an Arbeit vornehmen wolle.

Aber derart erweitertes Bestimmungsrecht nimmt seinen Anfang nicht unbedingt mit der Verehelichung des Sohnes, und die Abhängigkeit schwindet erst mit abnehmender Geistes- und Körperkraft des alternden Vaters. Nun nehme man aber ja nicht an, daß in jener noch nicht lange verstrichenen, älteren Zeit der Zeitpunkt der Verehelichung sehr früh lag. Mädchen übten den Beischlaf mit dem Bräutigam nicht vor dem 16. oder 17. Jahre, Männer schlossen die Ehe nicht vor dem 21. oder 22. Jahre.

Dabei betonen alle, daß in dieser Zeit absolute Keuschheit geherrscht habe und daß im allgemeinen die Männer bis zur Verehelichung ebenso keusch und unberührt vom Geschlechtsleben blieben wie die Mädchen. Ich habe diesen Angaben keinen Glauben schenken wollen; dann hat man mir diese Zeit der Sittenreinheit näher beschrieben: "Das ist der einzige Fürst Mori von Kankan - er ist ein Herr gegen 6o Jahre. Er hat bis zum 30. Jahre nicht geheiratet und kein Mädchen angesehen. Und doch war sein Vater reich genug und auch gern zu allem bereit. Aber Mori war entweder daheim und studierte mit den Marabuten die Schriften oder er war im Kriege. Jetzt würde das nicht mehr vorkommen." So lautete ein Bericht. Mir wurden viele, viele Beispiele aufgezählt. Ich kann nicht daran



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zweifeln; was ich da hörte, waren Berichte aus einem patriarchalischen Zeitalter.

Vielleicht antwortet der europäische Städter: "Das behauptet jeder, so keusch zu leben - und hinter der Scheune nimmt er heimlich; der eine schwindelt immer dem anderen keuschen Lebenswandel vor. Schon für unseren kalten Norden wäre solcher Zustand nicht anzunehmen, wieviel weniger für den heißen und hitzigen Süden!" Dieser Widerspruch würde der Anschauung unseres Volkes und wohl auch der Wissenschaft entsprechen. Ich selber habe ihn erst aufgeworfen und ungläubig gelacht. Aber ich habe mich durch viele Einzelheiten überzeugen lassen. Es gibt da Verschiedenes zu bedenken. Einmal nämlich ist ein heimliches Liebesleben in einem afrikanischen Gemeindeleben eine fast unmögliche Sache. Es ist unglaublich, wie genau ein jeder das Leben des anderen übersieht und kennt und davon auch Bericht erstattet. Es weiß jeder jedes vom anderen, und kein Schritt ist unbeachtet; wenn die Mädchen und Frauen auf die Felder gehen, so tun sie das nur in kleinen Trüpplein und nie einzeln. Geht der Weg weiter, so gehen Alte oder mehrere Männer mit. Also mit der Heimlichkeit ist es weder im Dorfe noch im Heu etwas.

Zum anderen paßt diese Keuschheit und die lange Erhaltung der Unschuld so völlig in das Gesamtbild dieses archaistischen, verknöcherten Patriarchalismus, daß sie kaum daraus entferntwerden kann. Denn für unser Zeitalter kann man es sich ja auch kaum als möglich vorstellen, daß es heute noch Völker gäbe, bei denen der Sohn der Diener seines Vaters bis zu dessen Tode ist. Das Völkerleben ist seit den Zeiten des Patriarchen nicht nur in Mesopotamien und Palästina flüssiger geworden; man kann es kaum mehr glauben, daß es ein Volk mit solchem abgeschlossenen, der Sippe entsprossenen Gemeinwesen gibt; und doch wird der Sittenzustand der älteren Malinke, wie er noch vor 50 Jahren bestand, so haarscharf umschrieben, daß nichts an dieser Eigenart weggeleugnet werden kann.


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