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ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

Die Beschneidung.

—Dasjenige Fest, welches bei den Mandevölkern die größte Bedeutung hat, ist neben der Bestattung die Beschneidung. Ich habe Beschneidungsfeste in Sanu und in Falaba,also bei Bammana und Mahnke erlebt und habe somit einen Uberblick über Unterschiede und Interna. Ich kann sagen, daß die Feier bei beiden Völkern ziemlich gleich verläuft. Wenn ich die Berichte unter der Rubrik "Mahnke" und nicht unter der Maske Bammana bringe, so geschieht das, weil mir bei ersteren bessere Berichterstattung zuteil wurde, und weil an der Hand zahlreicher Spuren just vergangener Festzeit im Malinkegebiet südlich des Fie reichlich Erklärung floß.

Die Beschneidung heißt bei den Mahnke "Kebaja". Die Bedeutung, die sie, zumal für die Knaben, hat, geht schon aus der langen Vorbereitung hervor, der sie sich zu unterwerfen haben. Sangere kebaja -beginnt der Spruch. Im nächsten Jahre soll beschnitten werden. Dann: "Senetjama-nke sangere ibe kebaja", lautet die Aufforderung an Burschen und Bauern. Bestellt den Acker recht und weit, denn im nächsten Jahre soll beschnitten werden! Die Knaben selbst müssen ordentlich mit anpacken, damit Vaters Acker reich trägt, denn die Beschneidungszeit erfordert viel Korn, sehr viel Korn. Dann hörte ich aber noch den schönen Satz von einem alten Mann: "Je mehr der Bursch im Jahre vorher arbeitet, desto besser besteht er die Beschneidung!" Wir werden sogleich sehen, daß dies nicht der einzige hygienisch gut durchdachte Grundsatz ist, der im Sittenkreise zum Ausdruck kommt. Der allgemeine Fleiß trägt jawohl auch gute Früchte, und so kann man im kommenden Herbste sagen: "Njo (Hirse), siama sorola anke keneke." Es hat viel Hirse, da können wir beschneiden. —Alle Welt freut sich über gute Ernte, auf fröhliche Festtage. Damit ist aber die Grundlage geschaffen, die für die dabei erwünschte Vergnüglichkeit notwendig ist. Essen und Trinken, und zwar viel Essen und Trinken ist die einzig reelle Basis für eine geistige Extravaganz.

Von allen Leuten des Dorfes sind wohl nur die eigentlichen Hauptpersonen des Festes nicht ganz froh gestimmt. Die Knaben



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von 11 bis 14 Jahren und Mädchen von 10 bis 16 sind zwar schon lange des Kommenden gewärtig, aber unangenehm ist und bleibt der Ausblick auf diese Operation. Die Mädchen des Schmerzes wegen, die Buben mehr, weil sie sich vor etwaiger Schande fürchten. Die guten Eltern sind sich dieses Gemütszustandes ihrer Sprossen sehr wohl bewußt und tun alles, was in ihrer Macht steht, ihnen Aussicht und Sache selbst leicht zu machen. Die kleinen Mädchen werden nun gemästet, die Buben gemästet und aufgekratzt. Schon lange vorher erhalten die Mädels von der Mutter täglich die beliebte "Monni"-Speise, während die Buben etwa einen Monat lang vor der Beschneidung mit kräftigendem Karanjinini genährt und allabendlich zum Tanze versammelt werden. Auch geht schon beizeiten ein Bote bei den angesehenen, verwandten und befreundeten Familien umher, um ihnen die Nachricht zu bringen: "Aissamba lobadinima solici beke", sie sollen zum Solici und zur Beschneidung kommen.

Die Wochentage heißen bei den Mahnke:

Sibiridung =Sonnabend,
Karidung Sonntag,
Tenedung Montag,
Talatadung Dienstag,
Arabadung =Mittwoch,
Arkamissadung =Donnerstag,
Ardjumadung Freitag.

Wir stellen den Freitag zuletzt, weil das der heilige, der Sonntag der Mali-nke ist, während die Bammana den Donnerstag als Feiertag hochhalten, und somit beschneiden die Mahnke am Freitag, die Bammana am Donnerstag. Naht die bestimmte Woche, so gehen nochmals Boten ins Land, um die Freundschaft und Verwandtschaft zu laden, und das Dorf rüstet selbst ordentlich zum Feste. Da gibt es noch verschiedenes auszuführen. Die Verlobten, Ehemänner oder Freunde der zu beschneidenden Frauen tragen für sie die Balogo zusammen, d. h. große, hübsch geschichtete Stöße von Brennholz. Denn eigentlich fällt diese Aufgabe ja stets der weiblichen Jugend im Haushalte zu. Da die beschnittenen Mädchen aber arbeitsunfähig sind, so muß der Haushalt auf Vorrat mit Holz versehen werden. 'Daher die Balogo. Fernerhin greifen die Mädchen fest im Haushalt mit an. Es muß für die Festtage viel D'lo oder Dolo (Hirsebier) gebraut werden, und noch können die Mädchen schaffen. Ebenso wird Korn gestampft und gesiebt, alles gereinigt, mit einem Worte eben das gemacht, was allerdings in etwas anderer Form gute Haustöchter bei uns vor Weihnachten und Pfingsten tun.



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Die Buben dagegen bauen das Büre und schichten den Kebadjiri. Das "Büre" ist das Nachtlager der Buben für die Zeit nach der Beschneidung zur Heilung der Wunde. Es ist ein mächtiger viereckiger Kasten aus Rohrplatten von ca. 5 m Breite, bis 10 oder gar 12 m Länge und 2 1/2 m Höhe. Gabelhölzer werden dementsprechend in die Erde gerammt (Zwischenraum 2-3 m), starkes Holz darübergelegt. Platten von Rohrgeflecht sind von außen als Wände an die Hölzer gebunden und von oben als Decke aufgelegt. Ist der einzige Sohn einer Familie und einer Frau unter den Beschnittenen, so erhebt sich ein von Rinde und Blättern entblößter kleiner Baum über dem Büre. So hat mein Zeichner die Beschneidungshütte auch dargestellt. Interessant ist, daß die Bammana, also die früheren Ostvölker, diese Hütte nicht Büre, sondern Gakorro, die alte Ga nennen. Ga heißt aber Hütte oder Zelt bei gewissen Völkern im Nigerbogen. Interessant ist ferner, daß wenn wir vom Büre die Rohrplatten wegdenken und dafür Lehmmauern und Lehmdecke annehmen, ein regeirechtes Bammanahaus herauskommt. Das Holzgerüst ist das gleiche.

Der Kebadjiri ist ein Holzstoß ähnlich dem Balogo, der für die Familien aufgeschichtet wird. Er ist neben oder im Büre von den zu beschneidenden Burschen selbst aufgestapelt und liefert ihnen das allabendliche Feuer für die Zeit der Heilung.

Der Arkamissadung, der Donnerstag vor der Beschneidung, kommt heran und damit gegen oder nach dem Sonnenuntergange auch die Gäste. Die bringen nach Möglichkeit Trommeln und Trommler und sicherlich irgendwelche Geschenke mit, der eine 10, der andere 40 Kola, jener ein Schaf oder Hühner oder Ziegen, oder eine ganz wohlhabende Familie auch wohl einen Ochsen. Getränk oder Bestandteile für Brei und Kuchen bringen sie jedoch nicht. Das müssen die Dörfler selbst schaffen. Eine solche Nacht zwischen Donnerstag und Freitag vor dem Beschneidungstage ist für den Mann, der Ruhe wünscht, und für den mit schwachen Nerven keine angenehme Sache. Zunächst kommt jede Fremdengruppe schon mit möglichstem Trommelgepauke und sonstigem Lärm an und zieht einmal rundum. Sind alle zusammen, dann ziehen sie mit großem Solici (= Tamtam) bei den Alten herum. Der Dugutigi ist nämlich nur Repräsentant, wirklich herrschen tun die Kiemorobalu, die Alten. Von einem Gehöft der Kiemorobalu zum nächsten, in dem ein solcher würdiger Altvater haust, pilgert der Zug. Und immer wird auf die Trommeln losgeschlagen, was das Zeug hält. Beim Dugutigi wird übrigens nur dann vorgesprochen, wenn er zu den Kiemorobalu gehört. Ist dieser Umzug beendet, so beginnt der Ankatara Solici badinubada (der Trommelbesuch) bei den einladenden Familien (badi = die Familie). Überall wird nicht nur getrommelt,



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sondern auch getrunken - nun, es ist ein Heidenspektakel, und so leicht werden meine Reisebegleiter und ich diese Nacht nicht vergessen.

Um 12 Uhr nachts tritt eine plötzliche Pause für längere Zeit ein. Es herrscht erst eine Totenstille, dann hört man die flötende Stimme des Komma (maskierter Dämon der Geheimbündler; siehe Bd. VII) durch die wie in Grabesruhe liegende Stadt ziehen. Der Komma geht um, um die Subaga oder Subacha (kannibalische Zauberer, Zaubergeister) zu verscheuchen. Die Subaga sind in dieser Nacht auch lebendig, denn sie trachten danach, die zu Beschneidenden zu erwischen. Dieser Umzug des Komma gilt als sehr wichtige Sache, und auch mir scheint er für die Entwicklungsgeschichte dieser Sitten und besonders für die Zeremonien in der Periode vor der Mohammedanisierung der Mahnke sehr wichtig. — Auch sonst wird nach Möglichkeit gegen die bösen Subaga angegangen. Gegen 4 Uhr morgens wäscht man die zu beschneidenden Kinder mit einem kräftigen Bessi (= Zaubermittel, entspricht dem Baschi der Bammana). Das soll Schutz bieten für die Zeit der Heilung und dann auch die gefürchteten Subaga fernhalten.

Nachdem auf diese Weise die Nacht würdig und mit genügendem Geräusch verbracht ist, begeben sich gegen Morgen, d. h. etwa um 1/26 Uhr, alle Männer mit den zu beschneidenden Knaben zu dem im Busch gelegenen "Fugala", d. i. der Beschneidungsplatz. Und dann erledigt sich das Werk auch sehr bald. Die Männer bilden einen Kreis, eine Art Mauer mit einer einzigen Lücke, durch die der Beschneider hereinkommt. Die Knaben stehen vor dem inneren Rand dieser Umfassungsmauer, und zwar jeder Knabe immer vor seinem älteren Bruder oder Vetter oder Vater oder welchen freundlichen Verwandten er just als Begleiter für diese schwere Stunde erhalten hat. Der Begleiter legt gewöhnlich seine Hände auf die Schultern des vor ihm stehenden Knaben. Einer der Knaben nimmt dann der Lücke in der Menschenwand gegenüber auf einem Funfing (pilzförmigen Termitenhaufen) Platz. Wenn nun ein Numudien (dien oder dieng = Sohn), ein Schmied sohn oder ein Ulussudien unter den Jungen ist, so hat der als erster auf dem Funfing Platz zu nehmen. Sind deren mehrere vorhanden, so werden sie alle vor den andern Knaben beschnitten.

Es beginnt nun der feierliche Akt. Außerhalb des Kreises wird eine Höllenmusik vollführt, indem auf kleinen Bambusflöten genannt "tulefola", auch kleinen Trommeln, "tamagfola", die unter den Arm genommen, und auf "djembefola", Trommeln, die zwischen die Beine geklemmt werden, laut geblasen und getrommelt wird. Auf etwa 10 Burschen kommt immer ein Beschneider, — es ist ein Numu, ein Schmied. Er tanzt mit seinem Messer durch



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die Lücke im Menschenkreise herein; er ist so fürchterlich und graulich als nur möglich gekleidet. Sein Kleid ist ein mächtiger, roter, faltenreicher Rock oder Überhang, gere-ule-doro-ki genannt. Allerhand Zaubermittelchen sind daran befestigt und baumeln hin und her. Sein Gesicht hat er mit Kohle schwarz angemalt. Er ist so schon ein Scheusal, und dazu schneidet er nun noch Grimassen und Fratzen, grinst, greint und grunzt nach Kräften. Aber das ist ein Teil seiner Aufgabe: er soll Angst machen, und die Burschen sollen Mut zeigen. Die Beschneidung ist für die Burschen auch eine Tapferkeitsprobe bei diesen Völkern, die auf jeden Fall bestanden werden muß. Nachdem er genügend getanzt und den ersten Burschen angegrault hat, zieht er ihm die Vorhaut, die "forrogulu", möglichst weit über die Glans und schneidet sie mit dem Kebajamurru, dem Beschneidungsmesser (murru = Messer), das so scharf ist wie ein Rasiermesser, in einem Schnitt ab. Dann wirft er sogleich die abgeschnittene Vorhaut mit kräftigem Ruck über die Menschenmauer in den Busch. Bei dieser Operation darf der Knabe keine Miene verziehen, geschweige denn strampeln, weinen oder schreien. Tut er das, so ist er für das ganze Leben verloren und verachtet. Er ist ein Feiger, ein Kerisa dinjito. Keine Frau wird ihn heiraten wollen, kein Mann mit ihm aus einer Schüssel essen. Würde er im Lande bleiben, so wäre er zu einem jämmerlichen Leben voller Spott und Schande verurteilt. Er muß dann wohl oder übel die Heimat verlassen und irgendwo in der Fremde, wo niemand von seiner Schmach weiß, seinen Lebensunterhalt suchen.

Man kann sich denken, mit welcher Spannung der ganze Kreis auf den Vorgang sieht, wie erwartungsvoll alles auf das Gesicht des Jungen blickt. In dieser Spannung kommt die Bedeutung des Kebaja für die Knaben zum Ausdruck, von der ich früher nichts wußte. Es ist eine Mannbarkeitsprobe, dasselbe wie der Sonnentanz der Indianer, die in der Folterung allerdings noch viel weiter gehen. Man kann sich aber auch den Jubel denken, der die Brust der Brüder oder Väter erfüllt, wenn der Knabe gut bestand. Sowie der Schnitt unter guten Umständen überwunden ist, stürzen, jagen, rennen die männlichen Verwandten und Freunde der Burschen in das Dorf zurück. Sie gebärden sich wie die wahren Wilden, hüpfen, springen und rasen mit lauten Rufen durch alle Gehöfte des Dorfes. Sie schreien: "Farn, farn, dien farierra" —tapfer, tapfer, der Sohn ist ein Tapferer. War der Vater im Dorfe geblieben, so rennt der die Botschaft bringende ältere Bruder zunächst zu ihm und reibt ihm den Rücken mit Erde. Dann weiß der Alte Bescheid. Ebenso geschieht es mit der Mutter, und zwar nicht nur seitens des ersten Boten - alle Welt ist bereit, den beiden freudevoll herumlaufenden Eltern Asche und Erde in die Haut zu reiben. Je mehr Knaben



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draußen beschnitten sind, desto toller wird das Treiben der im Dorfe erscheinenden Boten, Eltern, Angehörigen, Freunde. Besonders Frauen und Mütter sind wie närrisch. Sie bilden hier und da kleine Gruppen, zu 4-7, und tanzen Lieder singend im Kreise herum. Eine alte Mutter, die besonders beglückt ist, wälzt sich zum Takte der Musik im Aschenstaube hin und her. Dann und wann kommt ein Farri-farri-Brüller vorbei und schießt seine Flinte neben den alten Weibern ab, und besonders wenn der Schuß unter einem Haufen von Töpfen losgelassen ist, knallt er mächtig, und die Frauen schreien jubelnd auf. Besonders ausgelassen sind die alten Sklavinnen, die auch einen guten Tag haben. Sie haben heute keine Arbeit und hüpfen fast nackt - nur ein durchgezogenes schmales Stoffstreifchen verhüllt sie notdürftig-mit mit einigen Kerbschalen von Hof zu Hof. Sie vollführen überall ihre jeder Würde baren Tänze auf, reizen die Zuschauer durch möglichst unzüchtige Gebärden zum Lachen und strecken den Lachenden dann die leeren Schalen hin. Sie betteln und tanzen, tanzen und betteln und tragen von Zeit zu Zeit die gewonnene Füllung der Körbe (Maniok, Mais, Hirse, Bataten usw.) beiseite. Singen, Büchsenknallen und Schreien, dazu nachher das Getrommel nimmt an diesem Tage kein Ende. Kehren wir aber wieder zu den Hauptpersonen dieser Festlichkeit, zu den beschnittenen Burschen zurück.

Vor der Beschneidung durften die Burschen weder den Überhang noch eine Mütze tragen. Sogleich nach der Operation erhalten sie beides in neuer Ausgabe. Die Tobe ist der übliche, bis auf die Erde lang herabfallende und gelb gefärbte, mit Ärmeln versehene Überhang. Er heißt Berredoroki oder Brredoroki. Die gelbe Farbe wird erzielt, indem die Blätter "Brrebrrefirra" gekocht und ausgerungen werden und in dieser Flüssigkeit das Kleid längere Zeit bleibt. Das lange, gelbe Gewand tragen die Buben, bis ihre Wunde geheilt und sie aus Büre und Busch wieder in das Dorf zurückgekehrt sind. Die Wunde selbst wird zunächst nur mit heißem Wasser behandelt und gründlich gewaschen. Dann erhalten•die Burschen die Simbaragi zu essen, das ist eine Suppe aus ausgekochtem roten Pfeffer. Man kann sich denken, wie das im Innern brennt! Nachher werden sie vom Fugala unter mächtigem Wasambageklapper erst zum "Djansabojado" und dann abends in das Büre begleitet. Die Wasamba sind Kniehölzer, die am einen Ende mit der Hand gepackt und am anderen Ende mit durchbohrten, auf das Holz gereihten Kalebassenstücken versehen sind. Im rhythmischen Auf- und Abschwingen schlagen die Kürbisscherben aneinander und geben ein weithin schallendes starkes Geräusch ab. Wenn die Burschen ins Büre einziehen, sind es die Alten, die sie vor und hinter ihrem Zuge schwenken, wenn sie beim Djansabojado



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sitzen, hocken Freunde auf der Galla über ihnen und rütteln sie, und von dem Augenblicke an, wo sie zum erstenmal das Büre verlassen, und nachher während der ganzen Zeit der Zurückgezogenheit, klappern sie selbst mit dem Instrument.

Ehe ich zur Schilderung des Djansabajado übergehe, wollen wir über die ganze Zurückgezogenheitszeit der Burschen hinblicken. — Sobald sie in das Büre, das stets außerhalb der Tata oder des Stadtkreises gelegen ist, eingezogen sind, dürfen die Burschen bei den südöstlichen Mahnke, wenigstens nach altem Ritus, nicht eher in das Dörflein zurückkehren, als bis sie vom Scheema als Geheilte entlassen sind. Aber nur die Nächte verbringen sie im Büre, tagsüber weilen sie im Busch, in einem etwas entfernten Walde. Dahin ziehen sie, sobald am Morgen das gute Essen aus dem Elternhause angelangt und verzehrt ist. Im Walde selbst tun die Burschen durchaus nichts, gar nichts. Ich habe mich bemüht, nach allen Regeln der technologischen Fragekunst, irgend etwas herauszuholen, was die Annahme einer Belehrung nach irgendeiner Richtung hin bestätigt. Es wurde mir aber von so sicheren Leuten wie meinen eigenen Interpreten, die doch das gleiche in der Jugend durchgemacht haben, alles mit solcher Bestimmtheit versichert, daß an der Richtigkeit der Angabe gar nicht zu zweifeln ist. Und die Angaben lauten einstimmig, daß die Burschen im Busch nichts tun und nichts lernen. Allerdings besteht die Sitte, daß keine Frau dem Walde nahe kommen darf. Betritt sie ihn, so wird sie von den Burschen mit Stockschlägen fortgetrieben. Das soll den Zweck haben, zu verhindern, daß die Knaben sich geschlechtlich erregen und auch, daß die Frauen nicht etwa die Wunden des unverhüllten Gliedes sehen.

Am Abend kehrt der Zug der beschnittenen Knaben unter Wasambageläute ins Büre zurück. Nun wird wieder kräftig geschmaust, denn jede Mutter sorgt, daß dem Jungen tüchtige Nahrung gesandt wird, und dann beginnt die Abendunterhaltung, d. h. der einförmige Tanz vor dem Büre. Im Walde, im tukorro, hat man gefaulenzt. Da war es warm. Abends ist es in dieser Jahreszeit (Ende Dezember bis Mitte Januar) recht kalt. Also wird ein Feuer entzündet, und die Knaben bilden mit dem Scheema neben dem Feuer einen Kreis. Der Scheema ist ein alter Sklave, ein Lehrer, der die Buben führt und beaufsichtigt. Er singt jetzt auch die recht einförmigen Lieder vor, und die Burschen wiederholen sie, indem sie die Wasamba rasseln lassen. Sie drehen dazu den Körper ein wenig nach beiden Seiten abwechselnd um seine Achse. Nicht zu heftig, damit die Wunde nicht gescheuert wird. Der häufigste Text des Liedes lautet etwa: "Auf der Seite liegt der Schmutz der Beschnittenen (Blut und evtl. Eiter), geht dem Schmutz aus dem Wege!"



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Auch unter diesen Liedern habe ich vergebens einem tieferen Sinne, irgendeinem wertvollen Inhalte nachgespürt. Und ich habe an manchem Abend derartige Lieder singen gehört und mir übersetzen lassen. — Hat man sich genügend erwärmt, geht man schlafen. Der Scheema hat darauf zu achten, daß des Nachts die Kinder die Beine gespreizt halten. Er geht herum und sieht nach, ob dies Gebot auch innegehalten wird. Der Grund dafür ist, daß beim Schließen der Beine leicht Erektionen entstehen, die der Wunde schaden und Schmerzen erregen. Trifft er geschlossene oder gekreuzte Beine, so schlägt er mit einem Stock zu. Erektionen müssen nach Möglichkeit vermieden werden. Der Genuß von Kaba-djerra, altem Mais, soll sehr günstig sein. Im übrigen wird auch mit Schlägen dagegen angegangen. Knaben, die arg darunter leiden, rennen mit dem Kopfe gegen die Hauspfeiler. Das soll sehr gut sein und das Blut zurückdrängen. Übrigens wird den Jungen vor der Beschneidung immer wiederholt, sie sollten ja nicht den Beischlaf ausüben. Das dürfe man vor der Beschneidung nicht. Täte man es, so könnte man sehr krank werden. Die Knaben kehren sich meist nicht nach dem Gebot und beginnen ein vergnügliches Geschlechtsleben so früh wie nur möglich. Die Alten sagten mir, sie glaubten selbst nicht etwa, daß das Beischlafen vor der Beschneidung Krankheiten hervorriefe, aber es sei eine alte Erfahrung, daß Knaben, die den Koitus gewöhnt seien, unter Erektionen mehr litten als in ihrer Mannheit noch unerprobte Burschen, und deshalb warne man vor dem frühzeitigen Koitieren. Nun, jedenfalls ist nach 4 bis 6 Wochen die Wunde geheilt, die Burschen sind nunmehr als "Erwachsene" mit Mütze und Überhang in das Dorf zurückgekehrt. — Dem "Scheema" statten die Burschen dann in der Weise ihren Dank ab, daß sie ihm einen Acker bestellen, der "scheema-senne" genannt wird. Im übrigen sind sie jetzt die erwachsenen Arbeiter ihres Vaters.

Am gleichen Tage wie die Knaben, aber einige Stunden nachher, werden auch die dazu bereitgestellten Mädchen und Frauen von einer Numussu (=Schmiedefrau) beschnitten. Zunächst werden den vor Angst zitternden Kleinen die Haare geordnet. Schon bei diesem Vorgang liebt man es nicht, wenn die Männer allzu eifrig zusehen. Dann werden sie eine nach der andern in eine entfernter liegende Hütte geführt. Das Mädchen legt die Hände im Nacken zusammen, hockt nieder, und die Frau des Schmiedes schneidet mit einem scharfen Messer die Biekisse, die Spitze der Klitoris, ab. Danach eine gründliche Wäsche. Die beschnittenen Weiber bleiben unter Aufsicht älterer Frauen in ihrer entlegenen Hütte. Wenn sie in der darauffolgenden Zeit ausgehen, so haben sie ein weißes Tuch über den Kopf geschlungen, tragen in der einen Hand eine Kalebasse,



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die durchlöchert und mit Steinchen oder Kernen gefüllt ist (die bei den Mahnke Ngossongosombarni, bei den Bammana Ngossoma genannte Schüttelkalebasse), und klappern. In der anderen Hand haben sie einen Stab. Sie gehen in einer Reihe, wie die Gänse. Mein Zeichner hat eine charakteristische Skizze dieses Aufzuges geliefert.

Ich habe mich bemüht, eine Erklärung für den Grund der Beschneidung zu erfahren. Hinsichtlich der Knaben erhielt ich die übliche Erklärung: "Weil es die Väter so gemacht haben." "Weil es mehr Kinder gibt." "Weil man sehen muß, ob der Knabe ein Tapferer ist." Anders bei den Frauen. Zuerst sagte man mir: "Bei den Wolof sind nur die Männer, nicht die Frauen beschnitten; die Frauen der Wolof riechen übel aus den Geschlechtsteilen. Die Mahnke, Soninke und Bammana beschneiden aber die Mädchen und die Frauen, und daher riechen sie nicht übel!" Nachher aber hörte ich von den Mali-nke sagen: "Wenn die Spitze der Klitoris nicht beizeiten abgeschnitten wird, wird die Klitoris zu groß und schließt zuletzt die Vagina so weit, daß der Penis nicht mehr eindringen kann." — Bei der Beschneidung erwähnte ich oben "Mädchen und Frauen". Bei den westlichen, sich als "rein" bezeichnenden Mahnke werden nur Mädchen beschnitten, und wenn ein Mädchen ein Kind vorher bekommt, wird es nichts mit der Beschneidung. Andererseits treten bei diesen Westvölkern die Mädchen auch etwa 1-2 Monate später, d. h. wenn die Wunde geheilt ist, in den Stand der Ehe. Das ist im Osten nicht der Fall. Eine Frau kann hier heiraten und sogar - was häufig ist - Kinder zur Welt bringen, ohne schon die Beschneidung erlebt zu haben. Das wird dann häufig nachgeholt, und im Zuge der rasselnden, beschnittenen ,Mädchen' sieht man im Osten des Nigers manche Frau mit einherschreiten, die einen kleinen Nachkömmling auf dem Rücken trägt. Es sind das nicht Mädchen, die eines kleinen Fehltritts Bürde schleifen, sondern es sind ehrbare, anständige Frauen. Ehe ich aber zur Schilderung der Ehe übergehe, muß noch der eigentliche Abschluß des Beschneidungsfestes, die Djansa-bojado-Zeremonie geschildert werden, die am Nachmittag des Beschneidungsfestes stattfindet.

Die Djansa-bojado-Zeremonie wird im Norden und im Süden des östlichen Malinkegebietes verschieden gefeiert. Im Süden ziehen die Freunde und Verwandten von einem Hofe, in dem beschnitten wurde, zum anderen, und so zerreißt man die schöne Geschlossenheit des Bildes, das die Sitte im Norden bildet, wo das ganze Dorf die ganze Feierlichkeit gemeinsam erlebt. Demnach will ich die nördliche Sittenform besprechen. — Etwa gegen 1/2 4 Uhr kommt unter mächtigem Klappern der Wasamba der Zug der beschnittenen



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Knaben auf den Dorfplatz. Auf ausgebreiteten Matten setzen sich die in die großen Mäntel gehüllten Burschen einer neben dem anderen vor der Galla nieder, auf deren Rand je über einem Burschen ein Freund mit der Wasamba Platz nimmt. Unter dem neben ihnen sich erhebenden mächtigen Banianenbaume sind einige gewaltige Tonkrüge mit gutem Hirsebier aufgestellt. Hier nehmen nun die alten Leute, in ihrer Mitte der Dorfchef, Platz, und sie verfehlen nicht, das fröhliche Ereignis gehörig zu begießen. Den Alten gegenüber bildet als dritte Seite des freien Platzes, zunächst der Galla, die Kapelle der Trommler ein Stück Wand und etwas weiter der vierten, von den Zuschauern gestellten Seite, zu schließen sich die beschnittenen Mädchen an, die ebenfalls auf Matten sitzen und von den hinter ihnen bockenden Müttern liebevoll mit Fliegenwedeln und Kleiderzurechtzupfen bedacht werden. Die Kapelle klappert, die alten Weiber hinter den beschnittenen Mädchen plappern, die Alten trinken und prahlen laut, die Jugend tobt um die Menschenansammlung herum, einige durch den Trubel beunruhigte Pferde wiehern, Kühe brüllen, Schafe blöken, die Sonne brüht, und gleich wird die von der schwitzenden Menge mit schlechten Gerüchen geschwängerte Luft auch noch vom Staube gehörig erfüllt werden was alles man in Europa nicht gerade wünschenswert (im Sinne der Hygiene) für die soeben operierten Kinder erachten würde. Die Burschen und Mädels sitzen denn auch recht phlegmatisch mit stumpfsinniger Miene und geschwollenen Augen als Opfer und Hauptbeteiligte gar niedergeschlagen da. Die Zeremonie beginnt, wenn die Kapelle sich eingetrommelt hat. Zuerst kommen einige Frauen angetanzt, sie tragen über der Schulter irgendwelche Gegenstände und in der Rechten eine Korbschale. Die Frauen tanzen einige Zeit rund herum, dann kommen andere hinzu. Auch hier wieder gebärden sich einige ganz alte Weiber besonders begeistert und steißwackeln und kopfnicken und beinschlenkern, daß es nur so eine Art hat. Dann kommen die Männer, junge Burschen mit Gewehr und Schwert. Alles dieses Volk kümmert sich erst gar nicht um die Mädchen, sondern tanzt eifrig vor den Burschen auf und ab und im Kreise herum. Vor und zwischen den Knaben stehen Korbschalen. Wenn man im Kreise genug getanzt hat, so zeigt man in einem letzten gravitätischen Rundtanze seine Gaben dem Volke, das auf der Galerie hinter den Wasamba klappert, das hinter den Alten am Baume und auf der vierten Seite steht. Dann legt man sie in den Körben vor den Knaben nieder. Die kleinen Geschenke für die Burschen bestehen in Hirse, Baumwolle, Kolanüssen, Erdnüssen usw. usw. Hat man das geleistet, so tanzt man mit seinem symbolischen Gegenstande fürs erste ab und rüstet sich zu einem zweiten Tanze vor den Mädchen.



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Wie gesagt, tragen die Tänzer irgend etwas über den Schultern, und zwar ist dies in der Tat ein symbolischer Gegenstand. Die Bauersfrauen tragen eine Hacke, die Jäger ein Gewehr, die Fischer das Kanke genannte eigenartige Fischhackenbeil, die Holzschlägerinnen einen oder einige im Busche geschlagene Holzstangen usw. Nach seinem Berufe und der Pflege seines Berufes und Erwerbes richten sich auch die kleinen Geschenke für die Burschen. Wer Hühner hat, gibt Eier, wer Viehzucht übt, Milch, wer viel Feld hat, Getreide, die Spinnerinnen einen Faden Baumwolle und die Baumwollbäuerinnen rohe Baumwolle usw.

Dieser erste Teil der Zeremonie schließt mit einem Rundtanze ab, bei dem die Männer kräftig mit den Gewehren umherknallen. Bei den südlichen Bammana trat mehr der Kreistanz hervor, bei den Mahnke das Tanzen der Trommler selbst. Der zweite Teil verläuft trockener, bei weitem weniger differenziert. Hier tanzen einige Weiber, da ein Mann heran, und jeder gibt in die Körbe der beschnittenen Mädchen seine Gabe. Frauen bringen hier Hirse und einige Kauri, Männer nur Kauri herbei, die sie wie gelegentlich in den Brustsack greifend heraushaspeln und dann hinwerfen. Wem gilt die Gabe? Die hinter den Mädchen bockenden Mütter und alten Weiber streiten und keifen, der Geber ist längst an einen anderen Platz gesprungen und knallt irgendwo sein Gewehr ab, und die Mädchen selbst verwünschen offenbar die ganze Angelegenheit. Ihnen ist es ganz gleich, wieviel hundert oder tausend Kauri ihnen hier als Aussteuer zuteil werden. Sie würden - man sieht es ganz deutlich - am liebsten nach Hause gehen und weinen. —Übrigens gibt es unter den Geschenkgebern auch wohlhabende Protzen, und mehrmals sah ich, daß ein reicher Sängermeister oder Schmied einen Beutel nach dem anderen einzeln hochschwingend über den Platz trug und laut schrie, er, er gebe nicht eine Handvoll, er gäbe jedem Mädchen Kauris für einen Trank.

Der Abschluß besteht im ganz unbedeutenden und wenig betonten letzten Tanze, in dessen Folge den Trommlern eine Gabe an Hirse oder (im Süden) Kolanüssen zuteil wird. Mit dieser Gabe ist dann alles Tanzen und Trommeln zu Ende. Die Burschen werden in das Ga-korro oder Büre, die Mädchen in ihre Hütte geführt. Die Alten sind betrunken und vieles, was sonst noch an diesem Abend geschehen mag, bedeckt die Nacht mit wohlwollendem Dunkel. Daß manche Unordnung vorkommt, ist sicher. Ist doch alles Denken durch Handlung und Symbolik stark auf das Geschlechtsleben hingelenkt und schnarcht doch mancher alte Zecher die Melodie seiner Betrunkenheit, während die offenbar später zugeheiratete junge Gattin von den gewaltigen Sprüngen eines besonders beliebten, großen Burschen träumen mag. Ein Beleg dafür,



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daß das Fest stark dem Geschlechtsleben zuneigt, wäre, wenn es nötig wäre, das noch besonders zu beweisen, auch darin zu erblicken, daß gute Mütter in stolzer Zeremonie zum Büre oder Ga-korro wandeln und ehe noch die beschnittenen Knaben einziehen, vor der Türe das Ende eines Flaschenkürbisses eingraben, das wie ein Penis gestaltet ist und auch so benannt wird. Das soll dem Burschen für später reichen Familiensegen bringen und dafür sorgen, daß "das Haus ja nicht zerbreche", d. h. daß die Familie nicht ausstirbt.

Wie schon oben bemerkt, gehen die Mädchen sehr oft aus der Beschneidungshütte in das Haus des Gatten über, denn Jugendverlobung ist besonders in wohlhabenden Familien beliebt und verbreitet.

Im übrigen ändert die Beschneidung für die Burschen sehr wenig an der allgemeinen Lebensführung. Nur brauchen die Burschen nicht mehr zwei Tage in der Woche für die Mutter zu arbeiten. Sonst bleibt die Tätigkeit die im Dienste des Vaters, und er verfügt auch, ob die Söhne den Acker bestellen oder weben oder als Djula auf Wanderschaft ausziehen sollen. Ein wichtiger Abschnitt für den Burschen ist es, wenn er heiratet und er nun nahe dem Krale des Vaters einen eigenen Haushalt eröffnet.


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