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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM SCHLACHTHAUS- REINIGER UND DER VORNEHMEN DAME

Es geschah einmal zur Wallfahrtszeit, als das Volk den Umzug um die Kaaba ausführte und der Platz ringsum dicht gedrängt voller Menschen war, da ergriff ein Mann den Vorhang, der um das heilige Haus hing, und schrie aus seines Herzens Grund: ,Ich flehe dich an, o Allah, laß sie wieder ihrem Gatten zürnen, damit ich mich mit ihr vereinigen kann!' Das hörten einige von den Pilgern, und die packten ihn und brachten ihn vor den Emir des Pilgerzugs, nachdem sie ihn zuvor satt Prügel zu kosten gegeben hatten. Dann sprachen sie: ,O Emir, wir fanden diesen Burschen am heiligen Orte, wie er das und das sagte.' Der Emir befahl, er solle gehängt werden; aber der Mann rief: ,O Emir, beim Gesandten Allahs - Er segne ihn und gebe ihm Heil! —, höre zuerst, was ich zu berichten und zu erzählen habe; dann tu mit mir, was du willst!' Da gebot der Emir: ,Erzähle!'

,Wisse denn, o Emir,' so sprach der Mann, ,ich hinein Abortreiniger, und ich arbeite in den Schafschlächtereien, ich schaffe das Blut und den Unrat zu den Misthaufen. Eines Tages traf es sich, als ich mit meinem beladenen Esel dahinzog, daß ich die Leute weglaufen sah und einer von ihnen mir zurief: ,Bieg in die Gasse dort ein, damit man dich nicht totschlägt!' Ich fragte: ,Was gibt's denn, daß die Leute davonlaufen?' Da antwortete mir ein Eunuch: ,Die Frau eines vornehmen Mannes kommt dort, und die Eunuchen treiben das Volk vor ihr aus dem Wege; sie schlagen alle Leute, ohne Rücksicht auf irgendeinen zu nehmen!' Ich bog also mit dem Esel in eine Seitengasse ein. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 283. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Mann weiter erzählte: ,Ich bog also mit dem Esel in eine Seitengasse ein und blieb stehen, um abzuwarten, bis die Menge sich zerstreute. Da sah ich die Eunuchen mit Stöcken in den Händen kommen, und bei ihnen waren etwa dreißig Sklavinnen, unter denen eine Dame einherschritt; die war einem Weidenzweig oder einer durstigen Gazelle gleich und an Schönheit, Anmut und Liebreiz vollkommen; und alle wetteiferten, ihr zu dienen. Als sie zu dem Eingang der Gasse kam, in der ich stand, wandte sie sich nach rechts und nach links. Dann rief sie einen Eunuchen. und der trat an sie heran. Nachdem sie ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte, kam der Eunuch plötzlich auf mich zu und packte mich an; da stoben die Zuschauer auseinander. Nun kam noch ein anderer Eunuch; der nahm meinen Esel und ging mit ihm fort. Darauf band der erste Eunuch mich mit einem Stricke und schleppte mich hinter sich her, ohne daß ich ahnte, um was es sich handelte. Das Volk aber lief hinter uns her und rief: ,Das ist nicht von Allah erlaubt! Was hat dieser arme Abortreiniger getan, daß er mit Stricken gebunden wird?' Und sie redeten auf die Eunuchen ein: ,Habt Erbarmen mit ihm! Allah möge sich eurer erbarmen! Laßt ilm doch los!' Nun sprach ich bei mir selber: ,Die Eunuchen haben mich nur deshalb festgenommen, weil ihre Herrin den Duft des Unrats gerochen und sich davor geekelt hat; vielleicht ist sie auch schwanger, oder ihr ist sonst etwas passiert. Doch es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen!' Und so ging ich denn hinter ihnen her, bis sie zum Tor eines großen Hauses



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gelangten. Dort traten sie ein, ich hinter ihnen, und dann schritten sie weiter hinein mit mir, bis ich zu einer weiten Halle kam, die so schön war, daß ich sie gar nicht beschreiben kann, und die mit herrlichem Gerät ausgestattet war. Dann kamen auch die Frauen in jene Halle herein, während ich gebunden bei dem Eunuchen stand und mir sagte: ,Jetzt wird man mich sicher in diesem Hause so lange foltern, bis ich sterbe, ohne daß jemand etwas von meinem Tode erfährt.' Doch bald führte man mich in einen lieblichen Baderaum neben der Halle; und wie ich mich dort befand, kamen plötzlich drei Sklavinnen herein, setzten sich um mich herum und sprachen zu mir: ,Zieh deine Lumpen aus!' Da streifte ich mir meine Lappen vom Leibe; und nun begann eine von ihnen mir Füße und Beine zu reiben, eine andere wusch mir den Kopf; und die dritte knetete mir den Leib. Als sie damit fertig waren, legten sie mir ein Bündel Kleider hin und sprachen zu mir: ,Zieh die an!' Ich rief: ,Bei Allah, ich weiß nicht, wie ich sie anziehen soll!' Da traten sie zu mir und zogen mich an, indem sie sich über mich lustig machten. Schließlich brachten sie auch noch Fläschchen voll Rosenöl und besprengten mich damit. Danach ging ich mit ihnen in eine Halle, die war auch so schön und so reich geschmückt und ausgestattet, daß ich sie, bei Allah, nicht beschreiben kann. Wie ich in diese Halle eingetreten war, fand ich dort eine auf einem Lager aus Bambusrohr sitzen' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 284 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Mann weiter erzählte: ,Wie ich in diese Halle eingetreten war, fand ich dort eine auf einem Lager aus Bambusrohr sitzen, dessen Füße aus



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Elfenbein waren; und vor ihr stand eine Schar von Sklavinnen. Als sie mich erblickte, erhob sie sich vor mir und rief mich heran. So ging ich denn zu ihr, und sie befahl mir, mich zu setzen. Ich setzte mich neben sie, und dann gab sie den Sklavinnen Befehl, Speisen zu bringen; die brachten mir darauf kostbare Speisen von jeglicher Art, und ich weiß gar nicht, wie sie hießen, ich habe auch in meinem Leben derlei nicht kennen gelernt. Von denen aß ich, soviel wie ich konnte; und nachdem die Schüsseln abgetragen und die Hände gewaschen waren, befahl sie, Früchte zu bringen. Sofort wurden die vor sie gebracht, und sie lud mich ein zu essen. Ich tat es, und als wir mit der Mahlzeit fertig waren, gebot sie einigen Dienerinnen, die Weinflaschen zu bringen; da brachten sie Weine von mancherlei Art. Darauf zündeten sie auch noch allerlei Weihrauch in den Räucherschalen an, und eine Sklavin, die so schön war wie der Mond, schenkte uns ein beim Klange von Saitenspiel. Nun wurden wir beide trunken, ich und die Herrin, die bei mir saß; ich glaubte aber bei alledem, daß ich schliefe und träumte. Zuletzt befahl sie einigen Sklavinnen, uns an einer anderen Stätte ein Lager auszubreiten. Als die an der Stelle, die sie ihnen angewiesen, das Bett bereitet hatten, erhob sie sich und führte mich an der Hand zu jenem Lager. Dort legte sie sich nieder, und ich ruhte bei ihr bis zum Morgen; und sooft ich sie an meine Brust drückte, sog ich den Duft des Moschus und der anderen Wohlgerüche ein, und ich glaubte nicht anders, als daß ich im Paradiese wäre, oder daß ich schliefe und träumte. Als es Morgen ward, fragte sie mich, wo ich wohnte, und ich antwortete: ,Da und da.' Darauf hieß sie mich gehen und gab mir ein Tuch, das aus Gold und Silber gewirkt war und in dem etwas gebunden war; sie fügte noch hinzu: ,Dafür geh ins Bad!' Darüber freute ich mich, aber ich



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sprach bei mir selbst: ,Wenn nur fünf Heller darin sind, so habe ich dafür heute mein Mittagessen.' Dann verließ ich sie, aber mir war, als verließe ich das Paradies. Und ich kam wieder zu dem Stall, in dem ich wohnte; dort öffnete ich das Tuch, und ich fand in ihm fünfzig Goldstücke. Nachdem ich die vergraben und mir für zwei Heller Brot und Zukost gekauft hatte, setzte ich mich an die Tür und verzehrte mein Mittagessen. Dann dachte ich über mein Schicksal nach und blieb bis zur Zeit des Nachmittagsgebetes sitzen; da kam plötzlich eine Sklavin und sprach zu mir: ,Meine Herrin verlangt nach dir.' Sogleich begab ich mich mit ihr zu der Tür jenes Hauses, und nachdem sie für mich um Einlaß gebeten hatte, trat ich ein und küßte den Boden vor der Herrin. Sie aber befahl mir, mich zu setzen, und ließ Speise und Trank bringen wie zuvor. Darauf ruhte ich wieder bei ihr, wie ich es in der Nacht vorher getan hatte. Am nächsten Morgen reichte sie mir ein zweites Tuch, in dem wiederum fünfzig Goldstücke waren. Ich nahm sie, ging fort, und als ich zu Hause ankam, vergrub ich sie. In dieser Weise verbrachte ich eine Zeit von acht Tagen: ich ging zu ihr um die Zeit des Nachmittagsgebets und verließ sie wieder mit Tagesanbruch. Als ich aber in der achten Nacht bei ihr ruhte, stürzte plötzlich eine Sklavin herein und sprach zu mir: ,Rasch, geh hinauf in die Kammer dort!' Da eilte ich in jene Kammer hinauf und entdeckte, daß sie nach der Straße zu lag. Und wie ich dort saß, erscholl plötzlich ein lauter Lärm und ein Getrappel von Pferden auf der Straße. Ich sah zum Fenster hinaus, das sich über der Haustür befand, und erblickte einen jungen Mann zu Roß, gleich dem Monde, der in der Nacht seiner Fülle aufgeht; eine Schar von Mamluken und Kriegern zu Fuß begleitete ihn. Er ritt auf die Tür zu, saß ab, trat in die Halle ein und sah die Herrin auf dem Lager sitzen. Zuerst



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küßte er den Boden vor ihr, dann trat er auf sie zu und küßte ihr die Hände; aber sie sprach kein Wort zu ihm. Doch er entschuldigte sich immerfort demütig vor ihr, bis er sie wieder versöhnt hatte; dann ruhte er die Nacht über bei ihr.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 285. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Mann weiter erzählte: ,Als nun ihr Gatte die junge Herrin versöhnt hatte, ruhte er bei ihr die Nacht über. Am nächsten Morgen aber kamen die Krieger zu ihm, und er ritt mit ihnen von Hause fort. Da kam sie zu mir herauf und sprach zu mir: ,Hast du jenen Mann gesehene' Als ich es bejahte, fuhr sie fort: ,Er ist mein Gatte; doch ich will dir erzählen, was mir mit ihm begegnet ist. Es begab sich eines Tages, daß wir miteinander in unserem Hofgarten saßen; da stand er plötzlich von meiner Seite auf und blieb eine lange Weile von mir fern. Schließlich wurde ich es müde, auf ihn zu warten, und da ich mir sagte, daß er wohl im Aborte sei, so begab ich mich zu dem stillen Örtchen, fand ihn aber nicht dort. Darauf ging ich in die Küche, und als ich dort eine Sklavin sah, fragte ich sie nach ihm. Die zeigte ihn mir, wie er bei einer von den Küchenmägden lag. Nun schwor ich einen feierlichen Eid, ich wolle mit dem schmutzigsten und ekelhaftesten Manne Ehebruch treiben. Und an dem Tage, an dem der Eunuch dich festnahm, war ich schon vier Tage lang in der Stadt umhergezogen auf der Suche nach einem solchen Kerl; doch ich fand niemanden, der schmutziger und ekelhafter gewesen wäre als du. Darum ließ ich dich holen, und nun ist geschehen, was uns von Allah vorherbestimmt war. Ich aber bin meines Eides ledig.' Dann fügte sie noch hinzu: ,Wenn mein Gatte sich noch einmal der



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Magd naht und bei ihr liegt, so will ich dir wiederum gewähren, was du bei mir genossen hast.' Als diese Worte von ihr in meine Ohren klangen, während ihre Blicke in mein Herz wie Pfeile drangen, da rannen meine Tränen, ja, meine Augenhöhlen wurden vom Weinen wund, und ich sprach die Worte aus des Dichters Mund:

Gewähre mir zehn Kusse auf deine linke Hand,
Der noch mehr Ehre als der rechten Hand gebührt!
Denn deine Linke hat ja noch vor kurzer Zeit,
Als du dich säubertest, an dein Gesäß gerührt.

Darauf befahl sie mir, von ihr fortzugehen. Im ganzen habe ich von ihr vierhundert Goldstücke erhalten, und von denen bestreite ich meine Ausgaben. Nun bin ich hierher gekommen, um Allah, den Gepriesenen und Erhabenen, zu bitten, daß ihr Gatte noch einmal wieder der Küchenmagd nahe, auf daß ich mein früheres Glück wieder genieße.'

Als der Emir des Pilgerzuges die Geschichte jenes Mannes vernommen hatte, ließ er ihn frei und sprach zu den Umstehenden: ,üm Allahs willen, betet für ihn; denn er ist entschuldbar!'

Ferner wird erzählt


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