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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

Die Geburt.

Die Mahnke nehmen nicht an, daß dem ersten Bei.. schlafe gleich die Konzeption folge. Sie halten mehrmaligen geschlechtlichen Verkehr für notwendig, um die außerordentlich erwünschte Fruchtbarkeit der Weiber zu erzielen. Gewahrt der Gatte, daß das Weib an Unwohlsein leidet, sich erbricht, tiefer liegende Augen hat - alles das beobachtet der Mahnke -, so schließt er auf baldige Familienvermehrung. Er ist vernünftig genug, um dem Ausbleiben der Menstruation keinen allzu großen Wert beizumessen. Denn: "Das kann noch kommen, aber wenn die Frau immer unwohl ist, das ist sicherer." Also gibt ihr der Mann viel und gut zu essen, zumal viel Fleisch. Wenn der dritte Monat um ist, die Frau die Periode der Übelkeit überwunden hat und ständig die Menstruation ausbleibt, gilt die Sache als sicher, und nun heißt es, gleich etwaigen unglücklichen Zufällen vorbeugen und die Zeit der Geburt gut vorzubereiten.

Fehlgeburten und Totgeburten kommen vor und sind sehr gefürchtet. Also muß eine Sicherung geschaffen werden, und demnach bestellt der Mann beim Marabut ein Amulett, das aus einem fein in Leder gebundenen Koranspruche besteht und an einer Schnur befestigt ist. Dies "Sabe" übergibt der angehende Vater seiner Schwester, und die nähert sich eines Tages möglichst unauffällig ihrer Schwägerin und wirft es ihr unversehens über, so daß das Sabe als Berlocke auf die Brust fällt. Dann ruft sie der Mutterwerdenden zu: "Habe Zuversicht!" Nun weiß die junge Frau und die Familie, was bevorsteht, und nun wird alles vorbereitet. Wenn der achte Monat kommt, kauft der Ehemann genügend Honig (=li) und Carte (Baumbutter), sorgt für ein gutes Sirife (Rasiermesser) und Matten, und alsdann harren Mutter und Vater der Dinge, die da kommen sollen.

Zuerst sitzt - so sagt der Mahnke - das Kind wie ein ausgewachsener Mensch im Mutterleibe, und der Kopf liegt zwischen den Brüsten (!). Dann dreht sich das Kind eines Tages herum, um "den Leib der Frau zu verlassen", und gleichzeitig fangen die Wehen an. Es werden drei alte Frauen geholt. Es müssen unbedingt drei sein. Die Stunde naht. Die Frau legt oder kniet sich in der "Ting" genannten Stellung am Boden nieder, d. h. sie kniet mit auseinander gebogenen Beinen und auf den Boden gestützten Händen auf eine Matte hin und wartet, daß das junge Lebewesen nach hinten hin den Ausweg aus seiner Hülle sucht. Die erste der



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alten Frauen hat die Aufgabe, den Mutterleib von oben umfassend und pressend zu kneten, "damit sich das Kind nach hinten begibt und nicht wieder zurückdrängt". Die zweite Frau sitzt hinter der Kreißenden und erfaßt sobald als nur möglich die Frucht mit den Händen. Die Präliminarien der Entbindungsprozedur scheinen bei den Mahnke schnell vorüberzugehen und die Preßwehen in schneller Folge hintereinander einzutreten. Nach den Angaben, die ich erhielt, tritt der Kopf immer zuerst heraus. Also die zweite Alte hält den Kopf des erscheinenden Kindes, die dritte hantiert mit dem Sirife, dem Rasiermesser. Zuerst wird die umgebende Hauthülle, "der Sack", wie sich der Mahnke ausdrückt, aufgetrennt, dann die Nabelschnur durchschnitten.

In dem am Kinde bleibenden Teil der Nabelschnur (= baradjullu) macht die dritte Alte einen Knoten. "Hautsack" und Nachgeburt ("dussu" genannt) werden besonders behandelt. Die Dussu wird in einen kleinen Topf getan, der Topf verschlossen. Alsdann wird direkt vor der Tür des Hauses, in dem die Entbindung stattgefunden hat, ein Loch gegraben und der Topf hineingesetzt. Danach füllt man die Öffnung mit Erde, macht sie aber durch einen Stein gut erkennbar. Der Volksgebrauch verlangt, daß derjenige, der das Loch gräbt, in einem fort ein freundliches Gesicht mache und ja nicht etwa zornig dreinschaue. Auch muß er den Kopf hübsch gerade halten und darf ihn nicht hin und her drehen, denn ernstes Aussehen und Kopfwenden schadet dem jungen Menschenkinde, mit dem das Dussu erschienen ist. Wenn später das Kind kränkelt und nicht recht gedeiht, so hält man es dreimal hintereinander über die Stelle, an der ein Stein die Verborgenheit des Dussu anzeigt. Darauf wird das Kind schnell gesund werden.

Im übrigen wird das neugeborene Geschöpfchen sogleich in Wasser gebadet, in dem viel Seife aufgelöst ist, und auch die Mutter wird in der Hütte gehörig gereinigt und gebadet. Während der Entbindung erhält sie schon einen guten Löffel voll Honig, damit die Nachgeburt sich schnell löst und abgeht. Nach der Geburt wird sie kräftig ernährt und bleibt während acht Tagen ununterbrochen zu Hause. Natürlich nährt jede Malinkefrau ihr Kind selbstetwa bis zum zweiten Jahre. Dem Kinde wird im übrigen eine außerordentlich reinliche Behandlung zuteil. Die Nabelschnur wird morgens und abends mit dem Fett der Pflanzenbutter eingerieben und soll schon nach 2-3 Tagen abfallen. Interessant sind einige Beobachtungen über den Wechsel der Hautfarbe, die ich bei den Malinkekindern machen konnte. Während ich aus dem Kassaigebiet gewohnt bin, die rosige Farbe des Neugeborenen schon nach 2-3 Tagen in die Farbe der Negerkinder umgebildet zu sehen, sah ich hier ,Kinder', die noch am 5. und 6. Tage die ihrer Rasse und ihrem



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Lande zugehörige Färbung nicht erreicht hatten. Erst am 6. oder 7. Tage war das hier übliche lichte Kakao-Schokoladen-Braun erreicht.

Am Tage nach der Geburt werden an alle Verwandten und Freunde Nachrichten über die Geburt und das Geschlecht des jüngsten Familiensprossen gesandt, und die senden als Beitrag zur Feier des ersten Familienfestes Huhn oder Hammel. Dieses Familienfest wird acht Tage nach der Geburt gefeiert und sein Hauptzweck ist der der Namengebung. Diesen Namen des Kindes wählt der Vater. Er teilt ihn dem Sänger oder Schmied mit, der die Prozedur der lauten Verkündung vollzieht. Am Tage selbst verläßt die Mutter zum erstenmal die Entbindungshütte, überreicht dem auserkorenen Sänger oder Schmied das Kind, und der nennt dann den Namen mit den Worten: "Soundso soll er heißen!" Hinterher wird gegessen und getrunken und ein rechtes Tänzchen zur Paukenbegleitung veranstaltet.

Es gibt aber einen hochinteressanten Fall, in welchem der Vater das Recht verliert, dem Kinde den Namen zu geben. Dieser Fall tritt ein, wenn eine Frau mehrmals hintereinander Fehlgeburten oder die Geburten toter Kinder zu überstehen hat, oder wenn ihre Kinder immer sterben und sie deshalb erklärt: "Wenn ich wieder ein Kind haben werde, so soll es zu einem Schmied kommen." Ein solches Gelübde entspricht etwa dem Brauche mittelalterlicher Damen, die in gewissen Fällen ihre Sprossen schon vor der Geburt dem Kloster weihten. Wenn ein solches, vorher durch Gelübde bestimmtes Kind geboren wird, wird es in die Hütte eines Schmiedes getragen und dieser gefragt, ob er das Kind hinnehmen wolle. Der antwortet dann: "Ja, gib es, ich will esnehmen wie ein Stück Eisen" (=nege). Statt "Eisen" sagt er wohl auch "Blasebalg" (=gulu), "Holzkohle" (= buguri) oder "die eiserne Röhre im Blasebalg" (= dinga). Und dieses Nege, Gulu, Buguri oder Dinga usw. stellt dann den Namen des Kindes dar. Das Kind bleibt nun beim Schmied und kehrt erst, wenn es erwachsen ist, ins Elternhaus zurück.

Diese Sitte erachte ich als sehr wichtig für das Kriterium der heute so wenig angesehenen Schmiedekaste. Man vergesse nicht, daß sie es auch sind, die alle kleinen Amulette usw. herstellen, und daß immer dann, wenn in irgendeinem Punkte des Lebens irgendwelche religiösen Lücken im Volksbedürfnis entstehen, die die mohammedanische Religion nicht auszufüllen vermag, der Volksbrauch sich immer wieder an die heute so wenig geachtete Schmiedekaste wendet (vgl. Bd. VI 5. 26 ff.). In diese Gruppe der Erscheinungen gehört die der beschriebenen Sitte.


Copyright: arpa, 2015.

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