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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN


II. Kapitel: Lebenslauf der Mahnke

Einleitung. Wenn irgendwo oder -wann einmal die Frage aufgeworfen werden soll, an welchem Volke am besten die Unterschiedlichkeit der Begriffe: Volk, Nation, Rasse dargelegt werden könne, so werde ich die Mali-nke als Schulbeispiel vorschlagen. Die Mahnke fühlen sich als Volk, erinnern sich ihrer einstigen Geschlossenheit als heute zersetzte Nation und betonen ihre Verschiedenartigkeit als Rasse. Und noch weiterhin geben sie reiches Material für das Studium der Gesellschaftsschichtung, die heute eine klar ausgebildete und auch scharf begrenzte, das Produkt jahrhundertelang geführter Kämpfe verschiedener Kulturformen darstellt. Der Vornehme, Adlige kann sich wohl in keinem Volke "edler" fühlen als hier bei den Mahnke.

Das Gebiet, das heute die Mahnke einnehmen, ist nicht geschlossen. Im allgemeinen kann man sagen: im Norden haben sie die Kassonke von Kayes usw., dann die Bammana von Beledugu, im Nordwesten die Bammana von Bole, im Osten jenseits des Fie die Fulbe von Uassulu, im Süden die Tommaund Tukorrostämme, im Osten die Fulbe von Bate, die Diallonke und die Fulbe von Futa Dialon als Nachbarn. Nach Südwesten sind sie weit in das Gambiabecken verschoben. Aber in das so umrandete Gebiet haben sich Niederlassungen von Fulbe, Bammana und Soninke hineingedrängt. Die Staatszusammengehörigkeit hat seit langer Zeit aufgehört; es wird Aufgabe der historischen Kapitel sein, den Beginn und die Auflösung des alten Malireiches festzulegen. Denn die Mahnke sind nichts anderes als die Nachkommen der Bürger eines Reiches, des Mahireiches, das durch Zusammenfassung einer Reihe von verschiedenen Völkern entstanden ist. Das Mahireich entstand als Bund, der sich unter der Führung eines Emirs, Amins, Amils, woraus Mali entstand, bildete. Im übrigen sind die Mahnke hervorgegangen nach dem schon in alter Zeit eingetretenen Verfall des Mandereiches, welches nördlich der heutigen Länder Sankaran und Kangaba herumlag (vgl. Bd. VI).

Die Mahnke (oder Mahinka, wie sie selbst sagen) erklären sich als durchaus überlegen den heute im Lande des oberen Niger lebenden Bammana. Sie sagen außerdem: "Wir sind groß und haben lange Köpfe - die Bammana sind klein und haben runde Köpfe!" Wieweit die anthropologische Angabe richtig ist, wage ich nicht zu sagen, wenn ich auch nicht leugne, daß ich besonders die Angabe über die Schädelbeschaffenheit häufig bestätigt fand. Aber in diesen Ländern ist im Laufe der letzten Jahrhunderte so viel Volk durcheinander-, aus- und eingestürzt, daß die exakt arbeitende Anthropologie bei ihrer Arbeit auf große Schwierigkeiten stoßen wird.



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Dagegen ist das Gefühl der geistigen Überlegenheit durchaus berechtigt. Die Bammana, besonders diejenigen des weltentlegenen Beledugu, sind verhältnismäßig gleichmütige Bauern, die nur abends beim Tanze zu regerem Leben erwachen. Die an den Verkehrsstraßen wohnenden Bammanastämme sind wohl lebhafter, aber hier wie besonders im bunten Treiben von Segu kommt so viel Anregung von außen, daß die Lebendigkeit der Menschen erzogen werden mußte. Aber auch wenn man die Bewohnerschaft dieser bevorzugten Landstriche zum Vergleich heranzieht, fällt die Beurteilung der geistigen Höhe zugunsten der Mahnke aus. Der Mali ist eben der Träger einer großen, historischen Vergangenheit, wahrscheinlich einer sehr intensiven Mischung mit höher stehenden, helleren Völkern und einer grandiosen Erziehung.

Diese Erziehung basiert zum großen Teil in den hier fraglos vorhandenen Segnungen des Islam, der den Völkern des Sudan wenigstens einen Teil jener Würde wiedergegeben hat, die die Versklavung durch die Nomadenvölker ihnen geraubt hatte. Zum zweiten ist eben die historische Vergangenheit ein Born für die geistige Erhöhung. Stolz auf große Vorfahren zurückblicken zu dürfen und ihrer würdig leben zu müssen, war stets für alle bevorzugten Rassen, Völker und Stände ein Erziehungsfaktor von enormer Bedeutung. Drittens aber wirkt die eigenartige Familienform der Mali, der absolute Patriarchalismus, das keusche und strenge Leben, die Zucht des regelmäßig pendelnden Sippenpulses sehr gesund und schafft eine gute, wenn auch unserer Zeit veraltet erscheinende Geistesart. Die Zeit des strengen Patriarchalismus ist auch hier verflossen; aber ich konnte im herzlichen Plauderverkehr mit den "Patriarchen" noch so viel von alten Sitten und Anschauungen hören, daß wir uns das Gesamtbild des alten Lebens verhältnismäßig lückenlos herstellen können. Allerdings nicht das des alten Königreichs Mali, wohl aber das der kleinen Städte und Ortschaften zur Zeit des Reichsverfalls und vor der Zersetzung der Sitten und Sippen, die die Neuzeit mit sich gebracht hat.

Ich zeichne im folgenden das Bild des Lebenslaufes der Mahnke, anfangend mit der Geburt der Kinder. Man denke sich den Hintergrund dieses Bildes in folgenden Formen: Auf einer freien Anhöhe strecken einige uralte Baobabs ihre eckig sich aufreckenden Aste aus klobigem Stamme über einer alten Befestigungsmauer, einer Tata (=Stadtmauer), empor. Innerhalb der umschließenden Tata liegen die Gehöfte eng aneinandergeschmiegt. In der Mitte ein gewaltiger Banianenbaum, einen schönen Platz überschattend. Darunter eine Galla, eine Bühne, auf der die Alten, die Patriarchen, hocken und den Ankömmlingen entgegensehen. Sie sind es, die über Wohl und Wehe der Stadt verfügen und den Ausschlag geben;



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man darf sich nicht täuschen lassen, wenn sie den Dorfhäuptling, den Dugutigi, zur Begrüßung und Repräsentation entgegensenden. Der Würde eines solchen Patriarchen strebt jedes Malinkekind als dem denkbar Höchststehenden zu.


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