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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

Der innere Gegensatz.

Ein Vergleich der Volkserzählungen der Mande mit denen der Mossi zeigt zunächst eine große Übereinstimmung. Beiden ist die Tierfabel bester Nährboden; beiden ist das Humoristische an Übertreibungen ein Genuß; beide sind wenig zur Märchenbildung geeignet. Ihre Stärke liegt im Humor.

Diese Übereinstimmung gewinnt noch an Interesse nach folgender Wahrnehmung: Die Alibaba-Höhlengeschichte ist bei den Mande in Nr. 56 und 57, bei den Mossi in Nr. 103 und 104 erhalten. Ein Vergleich aller vier Stücke ergibt, daß Nr. 56 der Nr. 103, Nr. 57 der Nr. 104 entspricht. In ersteren beiden ist der Einbruch in eine Höhle oder ein Schatzhaus klar erhalten, in den andern beiden ist es aber sehr merkwürdig, daß der Hase in den Anus einer Kuh oder des Elefanten schlüpft, ohne daß diese Tiere das merken. Denn wenn es auch Fabelkunst ist - für die ursprüngliche Vorstellung ist dem nicht ganz kleinen Hasen dieser Torweg doch ein wenig eng und schwierig.



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Nun findet sich die wesentlich gleiche Erzählung bei den Temne an der Sierra-Leona-Küste, bei denen aber überhaupt nicht der Hase, sondern die Spinne durchgehend der Fabelheld ist. Für eine Spinne aber ist der entsprechende Eingang in den Leib eines großen Tieres, ohne daß dieses etwas von dem Gaste wahrnimmt, durchaus denkbar. Die Mande stehen nun seit uralten Zeiten mit den Westküstenvölkern, mit denen sie Männerhaus, Geheimbundinstitutionen und vielerlei Geräte gemeinsam haben, in enger kultureller Verwandtschaft, so daß wir diese Version Nr. 57 als eine von dort empfangene Anregung ansehen und dann schließen dürfen, daß die Mossi sie nachher von den Mande-Jarsi übernommen haben.

Derart betrachtet, kommen wir in Anbetracht der großen sonstigen Ähnlichkeit und der Interesselosigkeit der Mossi zu der Möglichkeit, daß die ganze Volksdichtung der Mossi nichts weiter sei als Mande-Jarsi-Import, demgegenüber nur wenige Stücke (z. B. Nr. 105 stammt mit dem Kamel, das den Mossi selbst fehlt, sicher aus den Haussaländern) von anderer Seite kommen, keines aber im tieferen Sinne ursprüngliches Mossibesitztum sein dürfte.

Von solchem Gesichtspunkte aus die vorliegenden Materialien prüfend, findet man weitgehende Bestätigung, vor allem: ursprüngliche Originalität, die bei den Mande so reich wirkt, fehlt. Die Volksdichtung der Mossi ist ein Spiegel jener der Mande. Die Mande übernahmen auch einen großen Teil der Motive, d. h. die Materie der Volksdichtung von anderen Völkern; sie bewirkten aber die eigentliche Dichtung doch selbst. Der Stil der Mandevolksdichtung ist produktiv; die Mossi bildeten nur nach, kopierten nur; ihr Stil ist lediglich reproduktiv.

Das Ergebnis stimmt genau überein mit anderweitigen Beobachtungen. Die Mande schufen aus ihrer tatsächlichen Vergangenheit wirkliche Dichtungen (Sunjattalegende in Bd. V und Epen in Bd. VI), die Mossi nur traditionelles Bruchstückwerk (Bd. V). Die Mande bildeten gleich den Kassaivölkern Legenden der dämonischen Subachen aus; die Mossi übernahmen eine solche von den Jarsi (vgl. Bd. VII). Eigene Blüten, wie die dämonischen Dichtungen der Bosso-Sorokoi oder die der Haussa, konnten auf dem Volkstum der feudalen Mossi ebensowenig gedeihen wie eine eigene Religion.

Das ist der stilistische Gegensatz, der die ersten beiden Volkserzählungsweisen der Sudaner unterscheidet.


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