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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

Die äußeren Gegensätze.

Im V. und VI. Bande lernten wir den auf den Staatsbau beruhenden Unterschied der Kultur der Mosssi und der Mande kennen. Hier nun das Gegenstück, das Bild des Tageslebens.

An zwei verschiedenen Örtlichkeiten wirkt sich das Leben der Mande aus: in der von einer Mauer (= tata) umgebenen Stadt (= dugu; größere Stadt = suba; ba =groß) und im Farmgehöft (=senebugu; bugu = eine aus Stroh gebaute Hütte; sene =Acker), In der Stadt hausen mehrere Horro (Adlige; siehe Band VI), jede Sippe in einem Gehöft, in den Farmorten, die je einer "Adelssippe' gehören, die Bauern. Der Adel wohnt aber nicht nur hinter der Tata. Er zieht, wenn Ackerbestellung oder Ernte nahen, in die Farm



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dörfer und legt da mit Hand an. Auch sonst ist das Leben der adligen Sippe sehr innig mit den Farmweilern verbunden. Die trächtige Hündin und Kuh und die Frau, die guter Hoffnung ist, ziehen in die nahrhafte und arbeitsame Feldgemeinschaft, deren Strohhütten somit nicht nur den unmittelbaren Segnungen der Mutter Erde dienen.

Das Leben in diesen Farmgehöften spielt sich in direkter Einfühlung in die starke Sudannatur, in unendlicher Poesie -und mit einem Frohsinn ab, der etwas Ergreifendes hat. Nach harter Tagesarbeit ein heiteres Lachen, Hätscheln der Tiere und Kinder, bei jedem Mondschein ungebundenes Tanzen und Jubeln, nach der Ernte tüchtiges Pokulieren, das vereint hier die Herren mit den Knechten, die arbeitsfrohen Männer und Frauen. Hier verschwindet die Kaste. Nur die Altersklasse zeigt hier Gruppen und Schichten. Gastlich gegen Freunde, gebefreudig bis zum Kommunismus untereinander, sind die Leutchen in einem ständigen Tauschen und Besitzwechsel. Der Geiz und die Hypochondrie müssen sich hier mit Spott und Lachen abfinden und gewinnen keinen Boden. Die trockene Herbstzeit nach der Ernte vereint die Männer zur Jagd, und die dieser folgenden Festmahle verlaufen zum mindesten ebenso heiter und vergnüglich wie bei den nur etwas zeremonielleren, sonst aber gleichen Einrichtungen unserer Breiten.

Anders das Leben in der Stadt. Hier ist der Horro ganz adlig, wenn auch nicht im Sinne einer blasierten Zurückgezogenheit. Derselbe Herr, der draußen in den Farmen das gleiche Arbeitshemd wie sein Knecht trägt, ist hier in ein lang wallendes Gewand gehüllt, sitzt auf einem Ehrenplatze und empfängt, umgeben von einem kleinen Hofstaat, seine eigenen Leute, durchreisende Freunde und vor allem Kaufleute (Wanderkaufleute = diulla), mit denen er über Politik spricht, richterliche Funktion übt und Geschäfte macht.

Diese kleinen und größeren Städte sind stets im Knotenpunkt großer Straßen gelegen, und allerhand fahrendes Volk vereinigt sich mit seinen Reitstieren, Packochsen, Pferden und Trägern hier, um am andern Tage wieder auseinander zu fließen. Dann aber sind diese Orte auch sonst Mittelpunkte des geistigen Lebens. In alten Zeiten waren es angesehene Hörige, die die Jugend im Lanzenstich, Schwerthieb und ritterlicher Gebarung unterwiesen, heute der Mauern oder Marabut, der der Jugend Lesen und Schreiben und die Gedanken der islamischen Rechtsanschauung einpaukt. Daneben gedeiht aber auch heute noch die Einrichtung der von den Alten geleiteten Geheimbünde (siehe Bd. VII) und mit ihr die Lehre von den Dämonen des sozialen Organismus und der nicht nur naturhaften Umwelt. Damit aber wird die Mande-Kultur noch



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immer in der Erhaltung der Tradition der Vorzeit lebendig gestärkt und in dem harmonischen Entwicklungsgange erhalten.

Ganz anders das Volksleben der Mossi. Das Mandeleben ist homogenisiert. Hier ist eine Kultureinheit erreicht, die den Mossi fehlt und - unerreichbar ist. Denn der Mossi ist feudal, feudal bis in die Knochen, feudal nicht nach den schönen fruchtbaren, sondern nach den häßlichen, zerstörenden Tendenzen des Rittertums. Der eigentliche Mossi ist nicht und nie Bauer, sondern stets nur Herr und - Skiavenräuber gewesen (gewesen, denn seit der französischen Invasion ist natürlich auch hier die natürliche Entwicklung der Gleichmachung anheimgefallen). Im Mossilande wurden die ursprünglich hier heimischen äthiopischen Stämme zu unterdrückten Sklaven, zu den einzigen Produzenten, denen je nach Bedürfnis das Ergebnis der Arbeit ebenso entrissen wurde wie der Nachwuchs an Menschenleben.

So sind im Mossilande zwar Residenzen vorhanden, nirgends aber Kulturstätten. Es gibt auch Pomp des Adels, aber keine Handelsstädte. Denn sehr ungern nur zogen noch im letzten Jahrhundert Kaufleute in dieses Land der Raubritter, und die Mande (hier Jarsi genannt), die in früherer Zeit hier stark eingesickert waren, assimilierten sich dem Mossitume mehr und mehr, so daß das Mossiland zuletzt nur noch aus Unterdrückern und Unterdrückten bestanden hätte, wenn die Tüchtigkeit, die der äthiopischen Rasse eigen ist, nicht doch zuletzt durch das Übergewicht ihrer religiösen Tugenden den Sieg davongetragen hätte.

Das aber ist außerordentlich bezeichnend: daß das bis vor ganz kurzer Zeit noch heidnische Mossitum keine geistige Bildung aus Mossikeimen hatte, sondern ganz von der geistigen Kraft der Äthiopen lebte. Die tellurisch-manistische Religion ward nur gepflegt von äthiopischen Priestern der Mutter Erde (Erde = tenga: der Oberpriester also tenga-soba usw.). Aller Totendienst lag in ihren Händen, alle Kultstätten waren altäthiopisch. Äthiopische Priester fertigten aber auch die Amulette und Zaubermittel an, und so mußte selbstverständlich diese tiefinnerliche Religion der Äthiopen in der Einwirkung auf die Mossi bei diesen ihre Reinheit und Erhabenheit einbüßen und zu einer ziemlich wüsten Taumelei in Aberglauben werden (vgl. Kap. VII).

Gelacht wird auch im Mossilande. Aber dieses Lachen hat seine schaffende Kraft verloren.


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