Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_07-0004 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

26. Kundari oder Kuturu

Der Alledjenu Kundari ist der gleiche, der in andern Provinzen, wie z. B. in Kontagora, in Samfara, in Kano, in Katsena usw. den Namen Kuturu führt. Dieser aber, weil Kuturu der Leprakranke genannt wird und weil die Besessenheitsform dieses Alledjenu seinem Opfer die häßlichen Symptome dieser Krankheit aufzwingt. Wir werden nachher noch einen andern ähnlichen Dämon kennen lernen. Von Kundari erzählt nun die Abaqua-Riga-Legende folgende Tradition:

Kundari war in alter, alter Zeit ein Mann. Er war ein gesunder, kräftiger Mann, wie jeder andere. (Kundari war also im Beginn kein Alledjenu, sondern ein Mensch.) Kundari sagte zu den Leuten: "Ich übertreffe an Stärke jeden andern. Ich bin stark und erschrecke nicht. Ich fliehe vor nichts. Vor nichts fliehe ich!" Kundari hatte einen Freund, einen guten Freund, der hieß Pati. Pati hörte Kundari sprechen. Pati sprach zu Kundari: "Du sagst, du



Atlantis Bd_07-356 Flip arpa

fliehst vor nichts. Fliehst du denn auch nicht vor dem Feuer?" Kundari sagte: "Nein, ich fliehe auch nicht vor dem Feuer! Ich renne auch nicht fort, wenn das Feuer hinter mir her ist." Pati sagte: "Dieses müßte ich sehen, sonst kann ich es nicht glauben."

Kundari ging mit Pati einmal auf die Jagd. Sie gingen sehr weit. Sie gingen beide so weit, daß sie ermüdet waren. Als sie müde waren, setzten sie sich im Schatten eines Baumes nieder. Der Baum stand mitten im trockenen Grase. Das trockene Gras reichte weit, weit fort, so weit, als man sehen konnte. Das trockene Gras war am andern Ende weit hinten angezündet. Kundari war im Schatten des Baumes eingeschlafen. Pati hörte das Feuer in der Ferne knistern. Pati weckte Kundari. Pati sagte zu Kundari: "Kundari! Kundari! Wach auf! Kundari! Kundari! Stehe auf! Kundari! Das Feuer kommt!" Kundari wachte auf. Kundari sagte: "Was ist das für ein Gerede!"Pati sagte: "Das Feuer kommt! Die Leute haben die Steppe angezündet. Nun kommt das Feuer hierher, wo wir sind!" Kundari sagte: "Wegen des Feuers laufe ich nicht fort. Laufe du nur zu!" Das Feuer war schon ganz dicht dabei. Kundari blieb liegen. Pati rannte fort so schnell er konnte.

Pati lief ein gutes Stück weit. Dann kletterte Pati auf die Spitze eines Baumes, um von da aus zu Kundari hinüberzusehen. Die Spitze des Baumes war sehr hoch. Pati konnte Kundari sehen. Kundari saß da, wie man am Feuer sitzt, um sich zu wärmen (das heißt in der Hocke, die Arme über die Knie hängend, so daß also Füße und Hände dem Feuer zugewendet sind). Das Feuer kam immer näher auf Kundari zu. Kundari änderte seine Stellung nicht. Das Feuer war vor Kundari. Kundari änderte seine Stellung nicht. Das Feuer ging um Kundari herum. Das Feuer entzündete Kundaris Kleider. Kundari änderte seine Stellung nicht. Das Feuer entzündete Kundaris Haare. Kundari änderte seine Stellung nicht. Kundari saß mitten im Feuer. Das Feuer fraß die Spitzen der Hände und Füße Kundaris. Das Feuer verbrannte Kundaris Haut. Kundari änderte seine Stellung nicht. Kundari starb nicht. Das Feuer hatte Kundari an allen Teilen verbrannt. Kundari konnte nicht aufstehen. Aber Kundari veränderte auch seine Stellung nicht. Das Feuer zog an Kundari weiter.

Pati stieg von der Spitze des Baumes herab. Pati ging durch die verbrannte Steppe zu Kundari hin. Kundari hatte seine Stellung nicht verändert. Pati kam zu Kundari und sagte: "Mein Kundari, kannst du mit nach Hause kommen?" Kundari sagte: "Ich kann



Atlantis Bd_07-357 Flip arpa

nicht aufstehen." Pati sah, daß Kundaris Finger und Zehen und Haut verbrannt waren. Pati sagte: "Warte, mein Kundari, ich will in die Stadt laufen und Leute holen. Die Leute sollen dich dann nach Haus tragen." Pati lief fort. Pati lief in die Stadt. Pati rief sechs Männer und sagte: "Nehmt Stangen mit euch und kommt dann mit mir. Kundari ist draußen vom Feuer sehr verbrannt. Wir wollen Kundari auf die Stangen legen und nach Hause tragen." Die Männer kamen mit den Stangen. Pati lief mit den Männern dahin in den Busch, wo das Feuer Kundari gepackt hatte. Kundari saß unter dem Baum. Er hatte seine Stellung nicht verändert.

Pati sagte zu Kundari: "Mein Kundari, lebst du?"Kundari sagte: "Warum soll ich nicht leben? Ich kann mich nur nicht aufrichten. Ich glaube auch nicht, daß ich gehen kann."Pati sagte: "Ich habe sechs Männer und Stangen mitgebracht. Wir werden dich nach Hause tragen." Die Männer legten Kundari auf die Stangen. Sie hoben Kundari auf. Sie trugen Kundari fort. Kundari sagte nichts. Sie trugen Kundari in die Stadt. Kundari sagte nichts. Sie brachten Kundari in sein Haus. Sie legten Kundari auf sein Bett.

Als sie Kundari auf sein Bett gelegt hatten, sagte Kundari: "Wenn das Feuer mich tötet (soll bedeuten, wenn er an den Brandwunden sterbe), werde ich als Alledjenu wiederkommen. Wenn ich dann aber als Alledjenu in irgendein Haus komme, soll alle Welt wissen, daß ich es bin, der da gekommen ist. Niemand soll mich dann verkennen."

Drei Monate lag Kundari auf dem Bette. Während der drei Monate sprach Kundari nicht. Drei Monate pflegten ihn die Leute. Nach diesen drei Monaten starb Kundari. Kundari sagte bis zu seinem Tode nichts mehr. Kundari ward begraben. Acht Tage nachdem Kundari begraben war, stürzte das Grab Kundaris ein. Es entstand eine Höhle. Die Leute kamen an dem Grabe vorbei. Die Leute sahen, daß das Grab eingestürzt war. Die Leute sahen die Höhle. Die Leute sagten: "Was dieser Kundari gesagt hat, das ist nun wahr geworden. Kundari ist nicht mehr in seinem Grab." Alle Leute sagten: "Kundari hat die Wahrheit gesprochen. Er ist nicht mehr in seinem Grabe."

Acht Tage nachdem das Grab Kundaris eingestürzt war, kam Kundari als Alledjenu wieder. Der Alledjenu Kundari kam in Patis Haus. Kundari ergriff Pati. (Ein derartiges Ergreifen, "Besessenmachen", heißt in Haussa, wenn der Besessene ein Weib ist =Jakamata; wenn er ein Mann ist = Jakama-schi; eine vom Alledjenu



Atlantis Bd_07-358 Flip arpa

Niedergeworfene heißt Jabuge-ta, ein vom Alledjenu Niedergewor.. fener =Jabuge-schi)

Pati wurde von Kundari ergriffen. Pati begann sogleich zu schreien. Patis Frau hörte ihren Mann schreien. Patis Frau rannte herbei und sagte: "Was ist mit dir, mein Mann! Was ist mit dir?" Pati antwortete nicht.

Die Frau fragte Pati: "Was ist mit dir, mein Mann, was ist mit dir?" Die Frau fragte ihren Mann immer wieder. Aber Pati antwortete nicht. Pati schrie. Die Frau fürchtete sich. Die Frau lief in großer Furcht fort. Sie lief zu einem Jäger und sagte: "Komm nur schnell in unser Haus. Komm nur schnell und sieh Pati. Seit heute morgen sieht mich mein Mann nicht mehr. Mein Mann verdreht die Augen und schreit." Der Jäger sagte: "Ich werde sogleich mit dir kommen. Wir wollen Pati gleich ansehen." Der Jäger kam mit. Der Jäger sah Pati. Der Jäger sagte: "Wir wollen deinen Mann hinsetzen." Der Jäger und die Frau wollten Pati hinsetzen. Es ging aber nicht. Sie konnten Patis Hände nicht öffnen. Patis Hände waren geschlossen und hart wie Stein zusammengepreßt. Patis Glieder waren (steif) wie Holz. Pati war starr wie ein Toter. Aus Patis Augen rannen aber Tränen.

Der Jäger betrachtete Pati und sagte: "Nun weiß ich alles, was diese Sache anbelangt. Kundari sagte es (seiner Zeit): ,Ich fliehe auch nicht vor dem Feuer!' Pati sagte: ,Das müßte ich erst sehen!' Kundari sagte ehe er starb: ,Wenn das Feuer mich tötet, werde ich als Alledjenu wiederkommen. Wenn ich dann aber als Alledjenu in irgendein Haus komme, soll alle Welt wissen, daß ich es bin, der da gekommen ist. Niemand soll mich dann verkennen!' Pati sagte dann aber zu den Leuten: ,Ich glaube das nicht. Kundari kann nicht als Alledjenu wiederkommen.' Pati sagte das, weil er nichts von der Art dieser Menschen weiß. Menschen von der Art Kundaris halten, was sie sagen, wenn sie wollen. Darum sage ich, weiß ich alles, was diese Sache anbelangt."

Die Frau sagte: "Abokina! Sage mir! Was kann hier getan werden, damit mein Mann wieder gesund wird?" Der Jäger sagte: "Dein Mann ist nicht krank. Du verstehst das nicht. Ich werde aber alles tun." Der Jäger sandte einen Jungen in sein Haus zurück und sagte: "Geh in mein Haus. Nimm da den kleinen Topf mit Magani (Medikamente) und bring ihn hierher." Der Junge ging. Der Jäger fragte die Frau Patis: "Kannst du mir ein Huhn bringen ?"Die Frau sagte: "Sicher kann ich dir ein Huhn bringen."Der Jäger sagte: 358



Atlantis Bd_07-359 Flip arpa

"Dann gehe und bringe es!" Die Frau ging. Die Frau brachte das Huhn. Der Junge kam aus dem Hause des Jägers zurück und brachte den Topf mit Magani. Der Jäger sagte zur Frau: "Nun gib mir noch etwas Sorghum!" Die Frau brachte das Sorghum.

Der Jäger streute das Sorghum auf die Erde und sagte zu der Frau: "Wenn das Huhn nun die Körner des Daua aufpickt und ißt, so ist das ein Zeichen, daß es Kundari ist, der deinen Mann besessen gemacht hat. Wenn das Huhn die Körner aber nicht aufpickt, dann ist Kundari nicht in deinem Mann." Dann sprach der Jäger zu dem Kopfe Patis und sagte: "Wenn du Alledjenu bist, so nimm dies Huhn." Darauf setzte der Jäger das Huhn auf die Erde.

Als der Jäger das Huhn der Frau Patis auf die Erde gesetzt hatte, lief das Huhn sogleich auf das Korn zu und begann es aufzupicken. Es pickte in großer Hast sogleich alle Körner auf, die der Jäger hingestreut hatte. Der Jäger sagte zu der Frau: "Habe ich dir nicht gleich gesagt, daß es Kundari ist, der deinen Mann ergriffen hat? Hast du gesehen, wie das Huhn alle Körner aufgepickt hat?"

Der Jäger sagte zu der Frau Patis: "Nun bringe mir Wasser!" Die Frau brachte Wasser. Der Jäger nahm von den Magani aus seinem Topf und mischte sie mit dem Wasser. Mit dem gemischten Wasser begann er dann Pati zu waschen. Er wusch Pati oben und unten. Er wusch mit dem Maganiwasser Patis ganzen Leib. Er wusch mit dem Maganiwasser alle Glieder Patis. Er wusch mit dem Maganiwasser jeden Teil der Haut Patis.

Als Pati so gewaschen war, begann Pati zu sprechen. Pati sagte: "Heute habe ich Kundari wiedergesehen. Kundari befindet sich nun wohl. Seine Hände und Füße und seine Haut sind wieder wie früher, ehe er verbrannt wurde. Kundari ist wieder gesund." Der Jäger sagte zu Pati: "Zur Zeit, da Kundari noch lebte, sagte er dir alles. Er sagte dir, er würde vor dem Feuer nicht weglaufen. Du wolltest das Kundari nicht glauben. Er sagte dir, wenn das Feuer ihn töten würde, so würde er als Alledjenu wiederkommen. Du wolltest ihm das nicht glauben." Pati sagte: "Was du sagst, ist richtig. Du hast recht. Ich wollte Kundari nicht glauben. Kundari hat mir heute selbst gesagt, daß es so ist. Nun ist es so. Kundari hat mir auch gesagt, er wolle mir und meiner Frau helfen, daß wir in diesem Jahre noch ein Kind gebären. Wir werden in diesem Jahre also noch ein Kind gebären." Der Jäger sagte: "Du glaubst also jetzt das, was Kundari sagt?" Pati sagte: "Gewiß glaube ich jetzt, was Kundari sagt. Kundari hat auch gesagt, daß ich dem Kind, das wir 359



Atlantis Bd_07-360 Flip arpa

in dieser Nacht gebären werden, Kundaris Namen geben soll."Der Jäger sagte: "Dann tue das, und es wird für euch und das Kind gut sein."

Danach war Pati wieder gesund. Drei Monate nachher war aber Patis Frau schwanger. Nach der Zeit ward das Kind geboren. Das Kind war aber fleckig. Es war hell und dunkel, hell und dunkel; es war gefleckt wie ein Albino. Die Haut des Kindes war gefleckt wie eine Haut, die vom Feuer verbrannt ist. Die Leute wuschen das Kind. Sie wuschen es mit Wasser und Magani. Aber die Haut des Kindes blieb fleckig. Pati wußte nicht, was er mit dem Kinde machen sollte.

Pati sagte: "Der Jäger hat mir geholfen. Der Jäger kann sicher auch dem Kinde helfen. Pati ging zu dem Jäger. Pati sagte: "Das Kind, von dem mir Kundari gesagt hat, ist nun geboren. Das Kind ist aber fleckig, weiß und dunkel, weiß und dunkel; die Haut des Kindes ist gefleckt wie ein Albino. Die Haut des Kindes ist gefleckt wie eine Haut, die vom Feuer verbrannt ist. Wir haben das Kind mit Wasser und Magani gewaschen, die Flecken bleiben aber. Kannst du mir nun nicht ein Magani geben, um das Kind gesund und seine Haut gut zu machen?" Der Jäger sagte: "Dem Kind kann nur Kundari helfen. Gib also dem Kind den Namen Kundari, wie es dir Kundari selbst auch schon gesagt hat." Pati ging. Pati gab dem Kinde den Namen Kundari.

Das Kind war ein Knabe. Der Knabe wuchs heran. Der Knabe wurde groß. Als der Knabe aber groß war, kam jeden Freitag der Wind (Iska) über ihn. Der Alledjenu packte das Kind. Der Knabe konnte dann die vier Finger nicht öffnen (das heißt also, er schloß die Finger krampfartig fest, daß nur die Daumen nach außen standen und beweglich blieben). Das ereignete sich jeden Freitag.

Die Leute, die das sahen, sagten zu Pati: "Die Sache, die du da ins Land gebracht hast, ist nicht gut. Sie ist gar nicht gut." Pati sagte: "Was soll ich tun? Es ist mein Freund Kundari. Wenn mein Freund zu mir kommt, kann ich ihm nicht wehren." Die Leute sagten: "Gut, wenn du ihn nicht lassen willst, dann mag die Art (Hali) wenigstens in deiner Familie bleiben. Wir wollen nichts damit zu tun haben."

Daher kommt Kundari immer in der Familie Patis zum Ausbruch, nie aber in einer andern Familie.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt