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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON 'ABDALLAH IBN AB! KILÂBA UND DER SÄULENSTADT IRAM

'Abdallâh ibn Abi Kilâba zog einmal aus, um Kamele zu suchen, die ihm fortgelaufen waren. Und während er in den Wüsten der Länder von jemen und des Landes von Saba umherwanderte, da stieß er plötzlich auf eine große Stadt, die rings von einer mächtigen Festung umgeben war; und um diese Festung herum ragten Burgen hoch in die Luft empor. Als er näher kam, ging er auf sie zu, in dem Glauben, daß Leute in ihr wohnten, die er nach seinen Kamelen fragen könnte. Doch wie er sie erreichte, sah er, daß sie verlassen war und daß sich keine lebende Seele in ihr befand. ,Nun stieg ich', so erzählte er selber, ,von meiner Kamelin ab' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 277. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh ibn Abi Kilâba erzählte: ,Nun stieg ich von meiner Kamelin ab und legte ihr die Fußfessel an. Dann faßte ich mir ein Herz und ging in die Stadt hinein. Zuerst kam ich zu der Festung; in ihr entdeckte ich zwei gewaltige Tore, so breit und so hoch, wie sie in der ganzen Welt noch nicht gesehen worden sind, und beide waren mit allerlei Edelsteinen und Hyazinthen ausgelegt, weißen und roten, gelben und grünen. Als ich solches zu sehen bekam, da war ich aufs höchste erstaunt, und das Ganze erschien mir sehr wunderbar. Dann trat ich zagend und bangen Herzens in die Burg ein; da sah ich, daß sie lang und breit war und an Ausdehnung der Stadt Medina gleichkam. In ihr standen hochragende Schlösser, deren jedes einen Söller



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hatte, und alle waren aus Gold und Silber erbaut und mit vielfarbigen Edelsteinen ausgelegt, Hyazinthen, Chrysolithen und Perlen. Die Türflügel jener Schlösser glichen an Schönheit denen der Festung; und ihre Fußböden waren übersät mit großen Perlen und Kugeln aus Moschus, Ambra und Safran. Als ich dann in das Innere der Stadt gelangte und kein menschliches Lebewesen fand, wäre ich beinahe vom Schlag gerührt und vor Schrecken gestorben. Doch ich schaute von den hohen Söllern der Schlösser hinab, und da sah ich die Bäche. die da drunten im Laufe sich wanden, und die Straßen. in denen die fruchtbeladenen Bäume und die hochragenden Palmen standen. Alles war so gebaut, daß immer ein goldener Ziegel mit einem silbernen abwechselte. Da sprach ich bei mir selber: ,Dies ist sicherlich das Paradies, das uns im Jenseits verheißen ist!' Ich nahm noch von den Edelsteinen aus dem Kies und von dem Moschus aus dem Staube dort so viel mit, wie ich tragen konnte, kehrte dann in meine Heimat zurück und erzählte den Leuten davon.

Diese Kunde kam auch dem Mu'âwija ibn Abi Sufjân zu Ohren, der damals Kalif im Hidschâz war. Und er schrieb alsbald an seinen Statthalter in San'â, der Hauptstadt von jemen, er solle jenen Mann zu sich kommen lassen und ihn nach dem wahren Sachverhalte fragen. Da ließ der Statthalter mich kommen und erkundigte sich nach allem, was ich erlebt hatte und was mir begegnet war. Ich berichtete ihm, was ich gesehen hatte, und er sandte mich darauf zu Mu'âwija. Auch ihm berichtete ich mein Erlebnis, aber er wollte es nicht glauben. Nun zeigte ich ihm etwas von jenen Perlen und Kugeln aus Ambra, Moschus und Safran; in ihnen war noch etwas Wohlgeruch, aber die Perlen waren verblichen und hatten ihren Glanz verloren.' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 278. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh ibn Abi Kilâba sagte: ,Aber die Perlen waren verblichen und hatten ihren Glanz verloren.'

Als Mu'âwija ibn Abi Sufjân bei dem Sohne des Abu Kilâba die Perlen und die Kugeln aus Moschus und Ambra sah, staunte er darüber, und er schickte zu Ka'b el-Ahbâr. 1 Wie dieser nun bei ihm war, sprach er zu ihm: ,Ka'b el-Ahbâr, ich habe dich rufen lassen, um die Wahrheit in einer Angelegenheit festzustellen, und ich hoffe, daß du die richtige Kunde darüber hast.' Jener fragte: ,Was ist das, o Beherrscher der Gläubigen?' Mu'âwija fuhr fort: ,Weißt du etwas davon, daß es eine Stadt gibt, die aus Gold und Silber erbaut ist, deren Säulen aus Chrysolith und Hyazinth gemacht sind und deren Kies aus Perlen und Kugeln von Moschus, Ambra und Safran besteht?' Er gab zur Antwort: ,Jawohl, o Beherrscher der Gläubigen, das ist Iram die Säulenstadt, die in allen Landen nicht ihresgleichen hat.' Sie ist erbaut von Schaddâd, dem Sohne von 'Âd dem Älteren.' Da hub Mu'âwija wieder an: ,So erzähle uns denn etwas von ihrer Geschichte!' Und Ka'b el-Ahbâr erzählte: ,'Âd der Ältere hatte zwei Söhne, Schadîd und Schaddâd. Und als ihr Vater gestorben war, herrschten nun an seiner Statt Schadîd und dessen Bruder Schaddâd gemeinsam über das Land, und es gab damals keinen unter den Königen der Erde, der ihnen nicht botmäßig gewesen wäre. Aber dann starb Schadîd ibn 'Âd, und so herrschte sein Bruder Schaddâd nach ihm allein über die Lande. Der liebte es in den alten Büchern zu lesen,



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und als er dabei einmal auf eine Beschreibung des Jenseits traf, in der das Paradies mit all seinen Schlössern und Söllern, Bäumen und Früchten und anderen Herrlichkeiten geschildert wurde, verlangte es ihn danach, sich schon in dieser Welt etwas Ähnliches in der geschilderten Art zu erbauen. Er hatte unter seiner Herrschaft hunderttausend Fürsten, und jeder Fürst gebot über hunderttausend Machthaber, und jedem Machthaber standen hunderttausend Krieger zur Verfügung; die alle berief er zu sich und sprach zu ihnen: ,Ich entnehme den alten Büchern und den Chroniken eine Beschreibung des Paradieses, das sich im Jenseits befindet; und ich wünsche, mir seinesgleichen schon in dieser Welt zu erbauen. Ziehet also nach der schönsten und weitesten Flur der Erde und baut mir dort eine Stadt aus Gold und Silber, streut Chrysolithe, Hyazinthen und Perlen als Kies hin und stützet die Gewölbe jener Stadt mit Säulen aus Chrysolith, füllet sie mit Schlössern, baut Söller auf den Schlössern, pflanzet zu ihren Füßen auf den Straßen und Wegen alle Arten von Bäumen mit vielerlei roten Früchten und lasset unter ihnen Bäche in Kanälen aus Gold und Silber fließen!' Da erwiderten alle aus einem Munde: ,Wie können wir das ausführen, was du uns da beschreibst? Wie können wir die Chrysolithe, Hyazinthen und Perlen beschaffen, von denen du sprichst?' Doch er rief: ,Wiß ihr denn nicht, daß die Könige der Welt mir untertan und botmäßig sind und daß niemand in ihr meinem Befehle zu widersprechen wagte' ,Jawohl, das wissen wir', gaben sie zur Antwort. Da fuhr er fort: ,So ziehet aus zu den Stätten, an denen Chrysolithe, Hyazinthen, Perlen, Gold und Silber gefunden werden, beutet sie aus, bringet alles aus der ganzen Welt zusammen, was in ihnen verborgen ist, laßt keine Mühe ungetan! Und ferner nehmet alles, was an Schätzen dieser Art in den Händen der Menschen ist, für mich



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mit; vergesset und versäumet nichts, hütet euch, meinem Gebote zu wider zu handeln!' Dann schrieb er jedem König in allen Weltteilen einen Brief und befahl ihm, alles, was an Schätzen dieser Art in den Händen der Menschen war, zu sammeln und sich zu den Minen zu begeben und aus ihnen hervorzuholen, was sich dort an kostbaren Steinen befand, sei es auch aus den Tiefen der Meere. Jene sammelten nun zwanzig Jahre lang; die Zahl der Könige aber, die damals auf Erden herrschten, betrug dreihundertundsechzig. Darauf berief Schaddâd die Baumeister und Künstler, Werkmeister und Arbeiter aus allen Landen und Gegenden; die zerstreuten sich über die Wüsten und Steppen, Fluren und Gefilde, bis sie zu einem unbewohnten Gebiete kamen, in dem sich eine weite, freie Fläche befand, ohne Hügel und Berge, mit sprudelnden Quellen und rieselnden Bächen. Da sprachen sie: ,So sieht das Land aus, das der König uns suchen ließ und aufzufinden befahl!' Dann machten sie sich ans Werk, um die Stadt zu erbauen, wie König Schaddâd, der Herrscher aller Welt weit und breit, ihnen Befehl gegeben hatte. Sie faßten die Bäche dort in Kanäle ein und legten die Fundamente in der Art, wie ihnen geboten war. Und die Könige aller Länder sandten die Juwelen und Edelsteine, Perlen große und kleine, dazu Barren von Gold und Silber auf Kamelen, die durch die Steppen und Wüsten eilten, und auf großen Schiffen, so die Meere zerteilten. Nun gelangte zu den Werkleuten eine solche Menge von Schätzen, daß niemand sie beschreiben noch berechnen noch bemessen konnte. Sie arbeiteten an jenem Werke dreihundert Jahre lang, und als sie es beendet hatten, gingen sie zum König und berichteten ihm darüber. Da sprach er zu ihnen: ,Gehet hin und bauet um die Stadt eine hochragende, uneinnehmbare Festung, und um die Festung herum errichtet tausend Türme, einen jeden auf



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tausend Säulen, so daß in ihm ein Wesir wohnen könnte!' Sofort gingen sie wieder dorthin und führten den Befehl aus, in weiteren zwanzig Jahren. Dann traten sie vor Schaddâd und berichteten ihm, daß sein Wille geschehen wäre. Nun befahl er seinen Wesiren, ihrer Tausend an der Zahl, sowie seinen höchsten Würdenträgern und allen den Kriegern und Mannen, auf die er Vertrauen setzte: ,Seid des Aufbruchs gewärtig und macht euch reisefertig nach Tram der Säulenstadt, im Gefolge des Königs der Welt Schaddâd ibn' Âd!' Ferner gebot er, wem er wollte von seinen Frauen und den Sklavinnen und Eunuchen seines Harems, sie sollten sich für die Fahrt rüsten. Und nachdem sie zwanzig Jahre mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen waren, brach Schaddâd mit seiner Heerschar auf. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 279 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Schaddâd ibn 'Âd mit seiner Heerschar aufbrach; froh darüber, daß er sein Ziel erreicht hatte, zog er dahin, bis ihn nur noch eine Tagereise von der Säulenstadt Iram trennte. Da aber sandte Allah auf ihn und auf alle die ungläubigen Ketzer, die bei ihm waren, einen gellenden Schrei vom Himmel seiner Allmacht herab, und der vernichtete sie alle mit gewaltigem Getöse. Weder Schaddâd noch irgendeiner von denen, die bei ihm waren, erreichte die Stadt, niemand sah sie. Auch verwischte Allah die Spuren der Straße, die zu ihr führte; sie aber steht da, wie sie ist, an ihrer Stätte bis zum Tage der Auferstehung und zur Stunde des Gerichts.'

Über diesen Bericht des Ka'b el-Ahbâr war Mu'âwija sehr erstaunt, und er fragte: ,Ist je ein Sterblicher zu jener Stadt ge



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langt?' ,Jawohl,' erwiderte Ka'b, ,einer von den Gefährten Mohammeds -über ihm sei Segen und Heil! —sicherlich und ohne Zweifel genau so wie dieser Mann, der dort sitzt.'

Ferner hat esch-Scha'bî nach den Berichten von himjarischen Gelehrten aus Jemen folgendes berichtet: Als Schaddâd und sein Gefolge durch den gellenden Schrei vernichtet waren, ward sein Sohn Schaddâd der Jüngere König an seiner Statt. Den hatte sein Vater Schaddâd der Ältere als seinen Statthalter im Lande Hadramaut und Saba zurückgelassen, als er selber mit seinem Gefolge nach der Säulenstadt Iram zog. Wie ihn nun die Kunde erreichte, daß sein Vater auf dem Wege umgekommen sei, ehe er die Stadt Iram erreicht habe, gab er Befehl, die Leiche seines Vaters aus jener Wüste nach Hadramaut zu bringen; dann befahl er, für ihn eine Gruft in einer Höhle zu graben. Nachdem man diese Gruft ausgemeißelt hatte, legte er die Leiche auf ein goldenes Thronlager nieder und bedeckte sie mit siebenzig Tüchern, die aus Gold gewebt und mit Edelsteinen besetzt waren. Und zu Häupten seines Vaters stellte er eine goldene Tafel auf, darin diese Verse eingegraben waren:

Sei gewarnt, du, den die lange
Lebenszeit betöret hat!
Ich, Schaddâd, von 'Âd entsprossen,
War der Herr der festen Stadt;
War der Herr der Kraft und Allmacht,
Voll von wildem Heldenmut.
Untertan war alle Welt mir.
Fürchtend meines Zornes Glut.
Ost und West hielt durch der Herrschaft
Festen Zwang ich in der Hand.
Auf den rechten Weg dann wies uns
Der Prophet, zum Heil gesandt.
Doch wir trutzten ihm und riefen:
Gibt's denn keine Zuflucht mehr?



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Da kam über uns ein Schreckruf
Aus der Ferne weit daher.
Wie die Schwaden bei dem Mähen
Sanken wir zu Boden tot.
Und nun harren wir im Staube
Auf den Tag, der uns bedroht.

Endlich berichtete eth-Tha'âlibi: Es begab sich einmal, daß zwei Männer in diese Höhle eindrangen; da fanden sie an ihrem oberen Ende Stufen, stiegen auf ihnen hinunter und entdeckten eine Gruft, die ungefähr hundert Ellen lang, vierzig Ellen breit und hundert Ellen hoch war. Dort, mitten in jener Grabkammer, stand ein goldenes Thronlager; auf dem ruhte ein Mann von riesiger Leibesgröße, der das Lager in der Länge und Breite ganz ausfüllte. Er war mit Schmucksachen bedeckt und mit Kleidern, die aus goldenen und silbernen Fäden gewirkt waren. Zu seinen Häupten stand eine goldene Tafel mit einer Inschrift. Die beiden Männer nahmen jene Tafel mit und trugen auch, so viel sie vermochten, von den goldenen und silbernen Barren und den anderen Schätzen mit sich davon.

Ferner wird erzählt


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