Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 275. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ibrahîm ibn el-Mahdî des weiteren erzählte: ,Nun steckte ich den Beutel. den



1000-und-1_Vol-03-101 Flip arpa

ich schon gar nicht mehr tragen mochte, in meinen Ärmel und wandte mich zum Gehen; doch als ich an die Haustür kam, sprach er zu mir: ,Hoher Herr, dies Haus ist ein sichereres Versteck für dich als irgendein anderes, und es ist mir keine Last, für deinen Unterhalt zu sorgen; drum bleibe bei mir, bis Allah dich von Gefahr befreit!' Da wandte ich mich zu ihm zurück und sprach: ,Unter der Bedingung, daß du das Geld dafür aus diesem Beutel nimmst.' Er gab sich vor mir den Anschein, als willige er in diese Bedingung ein; und so blieb ich noch ein paar Tage in derselben Weise behaglich bei ihm, während er aber nichts von dem Gelde im Beutel ausgab. Da mochte ich denn doch nicht länger auf seine Kosten bleiben, und ich schämte mich, ihm zur Last zu fallen; deshalb verließ ich ihn und machte mich wieder auf. Ich hüllte mich in Frauenkleider, zog gelbe Stiefelchen an, warf mir einen Schleier über und ging aus seinem Hause fort. Doch als ich auf der Straße war, beschlich mich gewaltige Furcht; und als ich die Brücke überschreiten wollte, kam ich an eine Stelle, die mit Wasser gesprengt war. Da sah mich plötzlich ein Soldat, der früher in meinen Diensten gestanden hatte; als er mich erkannte, rief er laut: ,Dies ist der, den el-Mamûn sucht!' Schon wollte er Hand an mich legen, aber da mir das Leben lieb war, stieß ich ihn und sein Roß zurück und warf sie beide auf den schlüpfrigen Boden nieder; so ward er zum warnenden Beispiel für die, so sich warnen lassen. Das Volk eilte auf ihn zu; ich aber eilte mit aller Macht davon, bis ich die Brücke hinter mir hatte. Da bog ich in eine Seitenstraße ein, und als ich eine Haustür offen und eine Frau auf dem Hausflur stehen sah, rief ich: ,Meine Herrin, erbarme dich meiner, verhüte, daß mein Blut vergossen wird! Ich bin ein Mann in Not.' Sie sprach: ,Sei herzlich willkommen, tritt ein!' Dann führte sie mich in ein Obergemach, breitete



1000-und-1_Vol-03-102 Flip arpa

mir ein Ruhelager aus und brachte mir Speisen mit den Worten: ,Deine Angst weiche von dir! Keine Seele weiß etwas von dir.' Während sie noch so redete, ward plötzlich laut an die Tür geklopft. Sie ging hin und öffnete, doch siehe da, es war mein Freund, den ich bei der Brücke umgestoßen hatte! Der Kopf war ihm verbunden, sein Blut rann auf seine Kleider, und er hatte kein Roß mehr. Sie fragte ihn: ,Mann, was ist dir widerfahren?' Da gab er ihr zur Antwort: ,Ich hatte den Kerl gepackt, aber er ist mir entwischt' —und er erzählte ihr die ganze Geschichte. Alsbald holte sie Zunder, legte den in ein Stück Zeug und verband ihm damit den Kopf; dann bereitete sie ihm ein Lager, und er legte sich krank nieder. Danach kam sie wieder zu mir herauf und sprach zu mir: ,Mich deucht, du bist der, um den es sich handelt!' ,Der bin ich!' antwortete ich; doch sie sprach: ,Fürchte dich nicht!' und war nun doppelt freundlich zu mir. Nachdem ich aber drei Tage lang bei ihr geblieben war, sprach sie: ,Ich bin in Sorge um dich wegen dieses Mannes; er könnte dich entdecken und dich dem ausliefern, was du befürchtest; drum rette dich durch die Flucht!' Ich bat sie, mir noch bis zum Abend Zeit zu lassen, und sie erwiderte: ,Das kann ohne Gefahr geschehen.' Als es aber dunkel geworden war, legte ich wieder Frauenkleider an und ging fort. Ich begab mich zu dem Hause einer Freigelassenen, die unsere Sklavin gewesen war; und sobald sie mich erblickte, weinte sie, heuchelte Schmerz und pries Allah den Erhabenen für meine Errettung. Dann ging sie fort, als ob sie zum Markte eilen wolle, um für den Gastfreund zu sorgen; und ich glaubte, alles Sei gut. Aber plötzlich sah ich Ibrahim el-Mausilî' mit seinen Dienern und Kriegern kommen, und



1000-und-1_Vol-03-103 Flip arpa

allen voran eine Frau; ich sah genauer hin, und da sah ich, daß die Freigelassene, die Herrin des Hauses, in dent ich war, sie führte. Und sie schritt ihnen immer voran, bis sie mich ihnen ausgeliefert hatte; da sah ich dem Tode ins Angesicht. Man führte mich in den Frauenkleidern, die ich noch an mir trug, vor el-Mamûn, und der berief einen allgemeinen Staatsrat und ließ mich vor sich führen. Wie ich vor ihm stand, begrüßte ich ihn als Kalifen; er aber rief: ,Allah gebe dir weder Frieden noch langes Leben!' Darauf sagte ich: ,Nach deinem Wohlgefallen, o Beherrscher der Gläubigen! Der Vollstrecker der Rache kann Strafe oder Verzeihung austeilen; doch die Verzeihung ist der Gottesfurcht näher, und Allah hat deine Vergebung größer als jede andere gemacht, wie er auch meine Schuld größer als jede andere Schuld gemacht hat. Wenn du mich strafst, so ist's dein Recht; wenn du mir vergibst, so geschieht's durch deine Güte.' Dann sprach ich diese Verse:
Meine Schuld vor dir ist wahrlich groß;
Aber du bist größer als die Schuld.
Also nimm dein Recht dir, oder nicht,
Und verzeihe mir in deiner Huld!
Und war ich auch nicht in meinem Tun
Edelmütig - so sei du es nun!

Wie el-Mamûn sein Haupt zu mir emporhob, sprach ich rasch noch diese beiden Verse:

Ich habe eine schwere Schuld begangen;
Du aber bist ein Mann zur Huld bereit.
Wenn du mir nun verzeihst, so ist es Milde;
Wenn du mich strafst, so ist's Gerechtigkeit.

Da senkte el-Mamûn sein Haupt und sprach:



1000-und-1_Vol-03-104 Flip arpa

Wenn ,nich einmal ein Freund zum Zorne reizen will
Und mich an meinem Speichel ersticken laßt im Groll,
So lug ich seine Schuld, gewähre ihm Verzeihung
Aus Furcht, daß ich nun ohne Freunde leben soll.

Als ich diese Worte von ihm vernahm. witterte ich den Hauch der Gnade in seinem Wesen. Er aber wandte sich zu seinem Sohne el-'Abhâs und zu seinem Bruder Abu Ishâk und allen obersten Würdenträgern, die zugegen waren, und sprach zu ihnen: ,Wie urteilt ihr in seiner Sache?' Alle rieten ihm, mich hinrichten zu lassen; nur waren sie sich über die Art meines Todes nicht einig. Schließlich sprach el-Mamûn zu Ahmed ibn Châlid: ,Was meinst du, Ahmed?' ,O Beherrscher der Gläubigen,' antwortete er, ,wenn du ihn hinrichten lässest, so finden wir wohl deinesgleichen, der einen Mann wie ihn zu Tode gebracht hat; wenn du ihm aber verzeihst, so finden wir nie deinesgleichen, der einem Manne wie ihm vergeben hätte.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 276 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ibrahîm ibn el-Mahdî des weiteren erzählte: ,Als der Beherrscher der Gläubigen, el Mamûn, die Worte des Ahmed ibn Châlid vernommen hatte, senkte er wieder sein Haupt und sprach den Vers:

Mein eigner Stamm erschlug, Umaima, meinen Bruder;
Drum, schieß ich auf den Stamm, trifft mich mein eigner Pfeil.

Und ferner sprach er die Dichterworte:

Verzeihe deinem Bruder, wenn durch ihn
Das Rechte mit dem Falschen sich verflucht;
Und handle immer an ihm gleich, mag er
Die Güte anerkennen oder nicht.



1000-und-1_Vol-03-105 Flip arpa

Und halte dich von allen: Tadel fern,
Ob's ihn zum Bösen oder Guten drängt.
Siehst du denn nicht, wie alles, was man liebt,
Und was man hasset, eng zusammenhängt?
Die Süßigkeit des langen Lebens wird
Getrübet, wenn das graue Haar sich zeigt;
Die Blute sprießet an dem Zweige schon,
Wenn ihn die Last der reifen Früchte neigt.
Wen gibt es hier, der Böses nie getan?
Und wer hat Gutes immer nur zum Ziel?
Wenn du die Söhne dieser Welt erkennst.
Dann siehst du, wie fast jeder einmal fiel!

Als ich diese Verse aus seinem Munde vernommen hatte, da hob ich den Schleier von meinem Haupte, rief mit lauter Stimme: ,Allah ist der Größte!' und sprach: ,Mir hat, bei Allah, der Beherrscher der Gläubigen verziehen!' Darauf sagte er: ,Dir soll kein Leid widerfahren, mein Oheim.' Ich aber fuhr fort: O Beherrscher der Gläubigen, meine Schuld ist zu groß, als daß ich bei ihr von Entschuldigung sprechen könnte, und deine Gnade ist zu groß, als daß ich für sie mit Worten danken könnte.' So hub ich denn an zu singen und ließ diese Verse erklingen:

Der edle Eigenschaften erschuf, Er legte sie
In Adams Lenden für den siebenten Imâm.'
Der Menschen Herzen sind von Ehrfurcht vor dir voll;
Du schirmst bescheidnen Herzens sie alle wundersam.
Hab ich, von den Verführern verleitet, mich empört,
So war's, weil mein Begehr nach deiner Gnade stand.
So wie du mir vergabest, ward keinem Menschen je
Verziehn, obgleich ich vor dir keine Fürsprach fand.



1000-und-1_Vol-03-106 Flip arpa

Des Flughuhns kleine Küchlein kennt dein erbarmend Herz
Und auch der sehnsuchtsvollen, betrübten Mutter Schmerz.

Da sprach el-Mamûn: ,Ich sage nach dem Vorbilde unseres Herren Joseph - über ihm wie über unserem Propheten sei Segen und Heil! —: ,Kein Tadel treffe euch heute! Allah vergibt euch; und er ist der barmherzigste Erbarmer." Ich habe dir verziehen, ich gebe dir dein Hab und Gut und deine Ländereien zurück, mein Oheim, und kein Leid soll dir widerfahren!' Nun sandte ich fromme Gebete für ihn empor und trug noch diese Verse vor:

Ohn daß du sein begehrtest, gabst du mir mein Gut;
Doch eh du mir mein Gut gabst, schon test du mein Blut.
Gäb ich auch Blut und Gut um deiner Huld Gewinn.
Ja, gäb ich selbst die Schuhe von meinen Füßen hin,
Wär's nur die Lehensschuld, die ich dir dann entricht:
Hättst du sie nicht geliehen, traf dich der Tadel nicht.
Verleugne ich das Gute, das du zu tun geruht,
So wär der Schmach ich näher als du dem Edelmut.

Darauf erwies el-Mamûn mir Ehre und Gunst, und dann sagte er noch zu mir: ,Lieber Oheim, Abu Ishâk und el-'Abbâs haben mir geraten, dich hinrichten zu lassen!' Ich gab ihm zur Antwort: ,Beide haben dir recht geraten, o Beherrscher der Gläubigen. Du aber hast so gehandelt, wie es deinem Wesen entspricht, und du hast das, was ich befürchtete, durch das abgewehrt, was ich erhoffte!' ,Mein Oheim,' erwiderte el-Mamûn, ,du hast meinen Groll durch deine bescheidene Entschuldigung getilgt, und ich habe dir verziehen, ohne daß ich dich die Bitterkeit der Verpflichtung gegen Fürsprecher kosten ließ.' Darauf warf er sich eine lange Weile im Gebet nieder; und als er sein Haupt wieder erhob, fragte er mich: ,Mein Oheim, weißt du, weshalb ich mich niedergeworfen habe?'



1000-und-1_Vol-03-107 Flip arpa

Ich antwortete: ,Vielleicht hast du es getan, um Allah dafür zu danken, daß er dir den Sieg über deinen Widersacher verliehen hat.' Doch er sagte: ,Das hatte ich nicht im Sinne, nein, ich wollte Allah danken, daß er mir eingegeben hat, dir zu verzeihen, und daß er meinen Sinn milde gegen dich gestimmt hat. Nun erzähle mir deine Geschichte!' Da berichtete ich ihm. wie es um mich stand, alles was mir widerfahren war, sowohl von dem Bader wie von dem Krieger und seiner Frau und auch von meiner Freigelassenen, die mich verraten hatte. Da befahl el-Mamûn zunächst die Freigelassene zu holen, die in ihrem Hause darauf wartete, daß ihr die Belohnung gesandt' würde. Als sie nun vor ihn trat, fragte er sie: ,Was hat dich zu dem veranlaßt, was du deinem Herrn angetan hast?' ,Die Geldgier', erwiderte sie. Weiter fragte der Kalif: ,Hast du ein Kind oder einen Gatten?' Als sie das verneinte, befahl er ihr hundert Peitschenhiebe zu geben und sie auf Lebenszeit einzukerkern. Dann schickte er nach dem Krieger und dessen Frau sowie nach dem Bader. Wie nun alle drei vor ihm standen, fragte er den Krieger nach dem Grunde, der ihn zu seinem Tun veranlaßt habe. Auch er gab zur Antwort: ,Die Geldgier.' Da sprach el-Mamûn: ,Dir steht es an, ein Schröpfer zu werden', und er übergab ihn einem Manne, der ihn in den Laden des Baders bringen sollte, damit er dort das Schröpfhandwerk erlerne. Die Frau des Kriegers aber ehrte er, und er ließ sie im Palaste wohnen; denn er sprach: ,Dies ist eine kluge Frau, die wichtigen Dingen gewachsen ist.' Zuletzt aber sprach er zu dem Bader: ,Du hast solch edlen Sinn bewiesen, daß dir eine außergewöhnliche Ehrung gebührt.' Und er befahl, ihm das Haus des Kriegers mit allem, was darinnen war, zu übergeben; ferner verlieh er ihm ein Ehrengewand und dazu noch einen jährlichen Sold von fünfzehntausend Dinaren.'



1000-und-1_Vol-03-108 Flip arpa

Und man erzählt auch


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt