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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON IBRAHIM IBN EL-MAHDÎ

Wisse, Ibrahîm ibn el-Mahdî, der Bruder des Kalifen Harûn er-Raschîd, wollte, als das Kalifat auf el-Mamûn, den Sohn seines Bruders Harûn er-Raschîd, überging, diesem nicht huldigen, sondern er begab sich nach er-Raij 1, wo er sich zum Gegenkalifen machte; dort residierte er ein Jahr, elf Monate und zwölf Tage. Der Sohn seines Bruders aber, el-Mamûn, erwartete, daß er sich wieder unterwerfen und sich in die Zahl seiner Getreuen einreihen werde. Doch schließlich gab er diese Hoffnung auf, zog mit Kriegern zu Roß und zu Fuß gegen ihn aus und drang in er-Ran ein, um ihn zu ergreifen. Als Ibrahim davon hörte, sah er keinen anderen Ausweg, als sich nach Baghdad zu begeben und sich dort in seiner Todesangst zu verstecken. Da setzte el-Mamûn eine Belohnung von hunderttausend Dinaren aus für den, der ihn verraten würde.

Von seinen Erlebnissen erzählte Ibrahîm folgendermaßen: ,Als ich von dieser Belohnung hörte, fürchtete ich für mein Leben.'--«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 247. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ibrahîm also von seinem Erlebnisse erzählte: ,Als ich von dieser Belohnung hörte, fürchtete ich für mein Leben und wußte nicht, was ich tun sollte. Verkleidet zog ich um die Mittagszeit von Hause fort, ohne zu ahnen, wohin ich mich wenden sollte. Wie ich dann aber in eine Sackgasse kam, sagte ich mir: ,Wahrlich,



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wir sind Allahs Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück! Ich habe mich selbst dem Verderben ausgesetzt; denn wenn ich jetzt umkehre, werde ich Verdacht erregen.' Während ich so in meinen Gedanken dahinging, sah ich am oberen Ende der Straße einen Schwarzen vor der Tür seines Hauses stehen. Ich trat auf ihn zu und redete ihn an: ,Hast du wohl eine Stätte, an der ich eine Stunde verweilen kann?' Er antwortete: ,Jawohl!' und öffnete die Haustür; da trat ich denn in einen sauberen Raum, der mit Decken und Teppichen und Lederkissen ausgestattet war. Nachdem er mich aber eingelassen hatte, verriegelte er die Tür vor mir und ging davon. Nun vermutete ich schon, er könnte von dem Preise, der auf mich gesetzt war, gehört haben, und sprach bei mir selber: ,Der da ist sicher fortgegangen, um mich zu verraten!' So saß ich da wie auf Kohlen, einem Topfe über dem Feuer gleich, und dachte über mein Schicksal nach. Aber während ich in dieser Verfassung war, kehrte mein Wirt plötzlich mit einem Lastträger zurück, der mit allen möglichen Dingen beladen war, Brot und Fleisch, neuen Kochtöpfen und ihrem Zubehör, einem neuen Krug und neuen Bechern. Er nahm dem Träger die Sachen ab, und darauf wandte er sich mir zu und redete mich an: ,Ich will mein Leben für dich dahingeben! Ich bin ein Bader, der das Blut schröpft, und ich weiß, daß du dich vor mir ekelst, weil ich von einem solchen Gewerbe lebe. Da hast du zu deiner Verfügung diese Dinge, die noch von keiner Hand berührt sind; tu, was dir beliebt!' Nun hatte ich großen Hunger, und so kochte ich mir einen Topf voll, soviel wie ich mich nicht erinnere je gegessen zuhaben; und als ich meinen Hunger gestillt hatte, sprach er zu mir: ,Hoher Herr, Allah lasse mich mein Leben für dich dahingeben! Trinkst du Wein? Der erfreut doch die Seele und vertreibt die Sorgen!' ,Ich habe keine



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Abneigung dagegen', erwiderte ich, da ich mich gern mit dem Bader unterhalten wollte. Darauf brachte er mir neue Gläser, die noch keine Hand berührt hatte, und einen Krug gewürzten Weines und sprach zu mir: ,Kläre ihn dir, wie du wünschest!' Da klärte ich mir einen ganz köstlichen Trank, und er brachte mir einen neuen Becher, Früchte und Blumen in neuen irdenen Gefäßen. Zuletzt fragte er mich: ,Willst du mir erlauben, daß ich mich abseits niedersetze und von meinem eigenen Weine trinke, in meiner Freude an dir und auf dein Wohle' ,Tu es !', antwortete ich. So tranken wir denn beide, ich und er, bis ich fühlte, wie der Wein in uns zu wirken begann. Nun ging der Bader in eine Kammer seines Hauses und holte eine Laute aus geglättetem Holze. Dann redete er mich wieder an: ,Hoher Herr, es steht mir nicht an, dich zu bitten, du möchtest singen; doch vielleicht hat meine Ehrfurcht vor dir ein Recht auf deine erhabene Huld. Wenn du es also für richtig hältst, deinen Diener zu ehren, so steht die hohe Entscheidung bei dir.' Da ich nicht mehr glaubte, daß er mich kenne, so sprach ich zu ihm: ,Woher weißt du, daß ich gut singen kann?' Er gab zur Antwort: ,Preis sei Allah! Unser Herr ist dafür doch allzu gut bekannt! Du bist doch Herr Ibrahim ihn el-Mahdî, unser früherer Kalif, du, auf den el-Mamûn einen Preis gesetzt hat, hunderttausend Dinare für den, der dich verrät. Aber bei mir bist du in Sicherheit.' Als er solche Worte sprach, stieg er hoch in meiner Achtung, und ich war überzeugt, daß er von edler Art war. Darum erfüllte ich ihm seinen Wunsch, nahm die Laute zur Hand, stimmte sie und sang ein Lied, indem ich der Trennung von meinen Kindern und von den Meinen gedachte. So hub ich denn an:

Er, der dem Joseph einst die Seinen wieder schenkte
Und ihn in Kerkers Banden zu Ehren hat gebracht,



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Er kann auch uns erhören und wiederum vereinen;
Denn Allah ist der Herr der Welt in seiner Macht.

Da kam eine gewaltige Freude über den Bader, und er war in der frohesten Stimmung. —Es heißt ja auch, daß die Nachbarn Ibrahîms, wenn sie nur hörten, wie er rief: .He. Knabe. sattle die Mauleselin!' schon durch den Klang dieser Worte in Entzücken gerieten. —Wie also nun der Bader in froher Stimmung war und die Freude ihn ganz hinriß, da sprach er zu mir: ,Hoher Herr, erlaubst du mir, das zu singen, was mir in den Sinn gekommen ist, obgleich ich nicht zu den Leuten dieser Kunst gehöret' Ich antwortete ihm: ,Tu es! Das zeugt von deinem feinen und höflichen Wesen.' Da nahm er die Laute und sang:

Ich klagte meinem Lieb, wie lang die Nacht mir währet;
Sie sprach zu mir: Wie kurz ist doch bei mir die Nacht!'
So ist's, weil ihre Augen der Schlummer bald bedecket;
Doch meine Lider werden vom Schlaf nicht zugemacht.
Und wenn das Dunkel naht, so feindlich dem, der liebet,
Dann traure ich; doch sie frohlocket, ist es nah.
Ach, litte sie das gleiche, was ich zu leiden habe,
Sie lage, gleich wie ich, auf ihrem Lager da!

Darauf sprach ich zu ihm: ,Bei Allah, das hast du sehr gut gemacht, mein trefflicher Kumpan; du hast von mir den Schmerz der Trauer abgetan. Laß mir noch mehr solche Liedchen erklingen!' Nun hub er wieder an zu singen:

Wer seine Ehre stets von Flecken rein bewahret,
Den kleidet jeder Rock, den er sich anlegt, gut.
Sie höhnten uns, daß wir gering an Zahl nur waren;
Ich sprach: Gar selten ist das Volk von Edelmut.
Was schadet's uns, daß wir nur wenig sind, die Nachbarn
Gar viel? Der Nachbar ist zumeist ein niedrer Knecht.
Wir sind es, die den Tod für keine Schande halten,



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Wie 'Âmir es getan und auch Salûls Gechlecht.'
Denn uns heißt das Geschick dem Tod ins Auge blicken;
Doch sie jagt ihre Art vom Tode ängstlich fort.
Wir strafen, wenn's uns paßt, der Menschen Worte Lügen;
Sie rütteln, wenn wir reden, nie an unsrem Wort.

Als ich dies Lied von ihm vernahm, war ich aufs höchste erstaunt und aufs beste gelaunt; dann schlief ich ein und wachte nicht eher wieder auf, als bis es bereits Abend geworden war. Da wusch ich mein Gesicht, und meine Gedanken kehrten zu dem Bader zurück, der so trefflich war und eine so feine Bildung besaß. Ich weckte ihn, nahm einen Beutel mit allerlei Dinaren, den ich bei mir trug, und warf ihn ihm zu mit den Worten: ,Ich empfehle dich dem Schutze Allahs; denn sieh, ich gehe jetzt von dir, und ich bitte dich, das Geld, das in diesem Beutel ist, für deine Bedürfnisse auszugeben. Du sollst noch viel mehr von mir zum Geschenk erhalten, wenn ich erst sicher vor Gefahr bin.' Er aber gab mir den Beutel zurück und sprach: ,Hoher Herr, arme Teufel wie wir haben keinen Wert vor dir. Aber wie kann ich vor meiner Selbstachtung bestehen, wenn ich eine Bezahlung dafür annehme, daß mir das Schicksal deine Nähe und deine Gegenwart in meinem Hause gewährt hat? Wenn du diese Worte wiederum an mich richtest und wenn du mir den Beutel noch einmal zuwirfst, so werde ich mir das Leben nehmen.' Nun steckte ich den Beutel, den ich schon gar nicht mehr tragen mochte, in meinen Ärmel.' — —«


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