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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


Die Religion der Besessenheit

Vom Roten Meer aus schiebt sich durch die Länder am Sobat und am Nil durch Dar For und Badai über den Schadsee hinweg in die Haussaländer und von da aus den Niger hinauf eine Verehrung der Besessenheit. Das Gebiet, in dem dieser eigenartige Kultus Raum gewonnen hat, verrät seine Zugehörigkeit zur norderythräischen Kultur. Diese Religion selbst muß sehr alt sein. Die Überlieferungen bringen ihre Einführung zusammen mit dem persischen Einfall in Afrika. Ägypten und Senar werden abwechselnd als Nabelstellen der Verehrungsform auf afrikanischem Boden bezeichnet.

Der Name dieses Kultus ist verschieden. In den Nilländern spricht man von Saar oder Zar, in den Haussaländern nennt man die Anhängergeselischaften des Kultus Bori. Das Wort Bori ist als Bori, Boli, Bolli oder Born den Niger herauf gewandert bis zum nordöstlichen Mande. Es ist leicht nachzuweisen, daß das Wort durch die Songhaisprache in die Gebiete der Sonike und Nordbammana eingeführt wurde. Bei den Haussa bedeutet Bori noch den Kultus und die Kultusgemeinschaft. Bei den Mandi dagegen alle Zauberkräfte, also sowohl Amulette und ähnliche Zauberwaffen als auch die mysteriösen Masken und Geheimbundsitten.

Die Vorstellung der Borireligion sowie die Ausführung ihres Kultus sind uns Europäern mit das Unverständlichste, was wir auf afrikanischem Boden zu finden vermögen. Das Ganze geht aus von der Anschauung, daß es Geister oder Gespenster gibt, die willkürlich, ständig oder mit Unterbrechung von einem Menschen Besitz ergreifen. Die Besitzergreifung ist erwünscht, so furchtbar und so schrecklich die Geister auch zu sein scheinen. Denn sie sind keine reinlichen Geschöpfe, es ist ein ekliges, schmutziges, lasterhaftes und in jedem Sinn abstoßendes Gesindel, das sein Unwesen treibt. Auf afrikanischem Boden lassen sich heute an ähnlichen Erscheinungen nur noch die Gepflogenheiten des Pepokuitus in Ostafrika (also auch in einem erythräischen Gebiet) daneben stellen. Diese Geister führen im Volke verschiedene Namen, die aber stets, mehr oder weniger deutlich, eine Beziehung zu dem arabischen Worte Jinn, gleich Genii, haben. Wir haben im Osten Aldjan usw., Aldjenn und im Westen mehr Jinne oder Djin. Diese Genien sind im Westen, also bei den Mandistämmen, und dem Westsonghai mehr saubere, anständige und reinliche Wassergeister (siehe oben die Kapitel über die Religion der Mandi und die Volksanschauung der Bosso), im Zentrum aber die häßliche Verkörperung schmutziger Ideen, die ich oben schon charakterisierte. Das Interessante ist nun, daß in dem zentralen Gebiet, nämlich im Haussalande, zwei verschiedene Arten der Borireligion und



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Mythologie nachweisbar sind. Die eine (siehe nächster Abschnitt) ist die Religion der eigentlichen Haussa bei Cano, also der heute mehr oder weniger islamischen Mischbevölkerung, die andere Art aber ist die der noch in der heutigen Zeit und vor der Einführung des Islam an den Benue eingewanderten Althaussa. Die Zeremonie dieser verschiedenen Stämme habe ich im II. Band von "Und Afrika sprach", Kap. XI, geschildert, so daß es nicht nötig ist, in aller Breite noch einmal hierauf einzugehen. Ich füge aber im nachstehenden, der Ergänzung halber, jene Mitteilung hier an, die mein Reiseassistent A. Martius im Jorubalande feststellte. Im übrigen sind die Mythen selbst so plastisch und selbstverständlich, daß sie nicht weiterer Erörterung benötigen.

Der Bericht meines Mitarbeiters aus Jebba und Ilorin lautet:

Ein Alter aus Kano erzählte über die Ankunft der Bori: Alle Bori stammen aus Tabuka, einer großen Stadt weit hinter Massr und Mekka. Tabuka hatte 333 Tore, und von einem Tor zum andern ging man drei Tage. Tabuka hieß auch der erste König, Gründer der Stadt und Gott zugleich. Dieser Gottkönig kam von Osten, seine Frau kam von Westen. Keiner von beiden hatte je zuvor einen Menschen gesehen. Da gründeten sie die Stadt Tabuka, wo fortan alle Borileute wohnten. Doch später kamen auch andere Menschen in die Stadt.

Das gefiel den Borileuten nicht, und sie ließen sich in Alledjenu verwandeln, wurden unsichtbar und zerstreuten sich in alle Winde. Seitdem leben die Alledjenu in Bäumen und Felsen, befallen die Menschen und zeigen ihnen die Plätze, die ihre Heiligtümer sein sollen und deren Kenntnis sich von Mutter auf Tochter vererbt. Auch alle Trommeln stammen aus Tabuka (obwohl die Borileute keine Trommeln benutzen).

Sie wurden früher alle in gleicher Weise geschlagen. Als sie aber Tabuka verlassen hatten, wurden sie alle in einer andern "Sprache" geschlagen und keine verstand mehr den Rhythmus der andern (Babylon?).

In Banda, einem Städtchen auf der Spitze eines Berges, unweit Bebegi, südlich Kano, befindet sich ein altes Boriheiligtum, in dem Alledjenu leben. In der Mitte der Stadt steht ein alter Baobab, daneben ein Speer ganz aus Eisen, um beide herum sind sieben kleine Töpfe gestellt, die schon seit alter Zeit dort stehen. Das ganze ist mit weißem Sand umgeben.

Dort findet jährlich im Januar, zehn Tage nach Erscheinen des neuen Mondes, ein Opfer statt, wobei man um Gesundheit bittet und durch das man unerwünschter Besessenheit durch einen Alledjenu vorzubeugen sucht. Alle Männer und Frauen der Bori gehen dort hin, jedoch keine Fremden. Es werden eine rote Ziege, ein weißer



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Schafbock, ein schwarzes und ein weißes Huhn, ein roter und ein weißer Hahn geopfert, gekocht und an Ort und Stelle verzehrt.

Kommt ein Borimann in eine fremde Stadt, so muß er Kraft seines Alledjenu, der ihn reitet, wie der Reiter das Roß, herausfinden, wo die Borileute der Stadt wohnen.

In Kano waren in alter Zeit zwei Heiligtümer, bei denen nur der König opferte, ein Baobab und ein Haus, in dem zwei Paukentambari, eine große und eine kleine, ganz aus Silber und mit Menschenhaut bespannt, standen. Bei der Einnahme Kanos durch die Fulbe gingen sie verloren.

Vom Adjingi in Ilorin wurde angegeben:

Jeder Borimann oder -frau kann von verschiedenen Alledjenu befallen werden. In der Ekstase ruft der befallene Bori das den Teilnehmern des Festes zu. Sogleich wechselt die Musik, denn jeder Alledjenu hat eine eigene Melodie. Es gibt gute, weiße (fan) Alledjenu und böse, schwarze (baki). Der Meister der letzteren heißt ebeluschi. Der Meister der guten Alledjenu ist jansali. Er hat zwei Begleiter, nanana und garudji, die vor ihm tanzen und sich zur Erde fallen lassen. Befällt der jansali einen Borimann, so schmückt sich dieser mit einem Affenfell und kleinen Eisenglöckchen, reitet wie ein Junge auf einem Sorghumstengel und verzehrt Kot. Jansali ist verheiratet mit maöramu. Sie befällt Männer und Frauen, die dann ihr Angesicht verhüllen und andauernd, oft prophetisch reden: "Feuer wird dies oder das Haus angreifen" usw. Dann opfert der betreffende Hausvater, um den Schaden von seinem Hause abzuhalten. Bringt er kein Opfer dar, so wird sein Haus sicher abbrennen. Noch eine ganze Reihe anderer Alledjenu gibt es. So den Serki-Fagam. Wenn die Borileute bei einem Feste spielen und kein Alledjenu will über sie kommen, so wechselt die Musik und spielt für den Serki-Fagam, der dann den Alledjenu befiehlt, die Borileute zu befallen. Dann der Dan-Galadima, Sohn des Jansali, den er vertritt, wenn sein Vater einen Bori befällt. Auch er selbst kommt über die Bori, der dann alle seine Kleider verschenkt (denn er ist ja ein Königssohn), aber er tanzt nicht und alle Bori setzen sich um ihn.

Der Serki-Rafi ist der Bruder des vorigen und der zweite Sohn des Jansali. Er macht, daß der Bori tanzt, sich gegen die Brust schlägt, springt, ja sogar vom Dache oder Bäumen herabspringt. Seine Frau ist die Badakoa. Sie befällt gleichzeitig, wenn ihr Mann tanzt, eine Borifrau und läßt diese über den Serki-Rafi wachen, daß er nicht mit andern spräche. Bagoberi und Gaura sind die Sklaven Galadimas. Den ersteren hat Galadima aus dem Krieg im Land Gobir mitgebracht. Befallen diese beiden die Bori, so tanzen diese, einen Stock in die Seite gestützt, für Galadima, der sie dafür beschenkt, und neben dem sie dann sitzen.



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Dan-Jerima ist ein Sohn des Galadima, der nicht oft tanzt und von den Borileuten gefürchtet ist, da er sie bei seinem mächtigen Vater verklagen könnte.

Der Bagudu, Bruder Galadimas, tanzt nicht, sondern kauft Kolanüsse, die er unter die Menge verteilt, und lehnt sich an Galadimas Schulter. Endlich ist da Kure, d. h. der Schakal. Befällt er einen Bori, so läuft dieser auf allen Vieren herum, die Menge kniet vor ihm nieder und die Frauen bringen ihm Fleisch zu essen, nach dessen Genuß der Alledjenu ihn wieder verläßt.

Am Nachmittag, es sind kaum mehr zwei Stunden bis Sonnenuntergang, versammeln sich die Borileute zum Tanze.

Bald erklingen Geige (goge) und Gitarre (mob), begleitet von den Kalebassen (koko), die entweder mit einem Stöckchen geschlagen, oder, wenn sie mit Rillen versehen sind, vor die Brust gehalten und unter Drehen mit den Fingernägeln gekratzt werden, wodurch ein surrendes Geräusch entsteht. Da erhebt sich die Magadja. Zwei Gürtel aus Stoff, in die Amulette hin&ngenäht sind, trägt sie über Brust und Hüften zusammengeknotet (damara heißen diese Gürtel); in der Hand hält sie einen dünnen Bronzestab.

Kaum daß sie die Füße vom Boden hebt, schreitet sie langsam vorwärts. Bald werden ihre Bewegungen lebhafter; stampfend folgt sie den rascheren Takten der Musik. Plötzlich tut sie einen Sprung und läßt sich mit gespreizten Beinen auf die Erde fallen, um sich im gleichen Augenblick zu erheben und das Schauspiel zu wiederholen. Man bringt einen großen Mörser. Die Magadja besteigt ihn und wagt auch von hier aus den Sprung, so daß durch ihren Fall die harte Erde erzittert. Drei-, viermal noch wiederholt sich das, bis sie ermattet in die Arme ihrer Begleiterinnen sinkt, die sie beruhigend mit einem Tuch bedecken, während jetzt die bisher atemlos zusehende Menge durch reichlich gespendete Kauri und Kola der Tänzerin und der Musik dankt. Dann treten Novizen auf. Junge Mädchen, die in die Tanzkünste der Bori einzudringen versuchen. Mit leicht wiegenden Schritten, ein Tuch in der Hand haltend, tanzen sie vor der Musik und knien dann bei der Magadja nieder, die gleichsam segnend ihre Hände auf ihren Rücken legt. Schon tanzt wieder eine andere Borifrau, einen Bronzestab in die Seite gestemmt, mit verzücktem Blick nach oben. Während dessen stand der Adjingi teilnahmlos an der Seite. Da geht es wie ein Krampf durch seinen Körper, mit zuckenden Händen greift er in die Luft und stammelt unverständliche Worte, die Augen geschlossen. Scheu macht die Menge um ihn Platz, und einige Frauen verdecken ihn mit Tüchern. Bald ist der Anfall vorüber, und der Adjingi beginnt sich zu kleiden. Brust und Leib werden bedeckt mit Tüchern, die man vorn zuknotet, darüber werden mehrere "damara"gegürtet. Der Adjingi nimmt seinen Stab zur Hand und



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erscheint vor den schützenden Tüchern der Frauen, um in der Verfassung den Tanz und den kühnen Sprung von dem Mörser, oft sogar von einem Baume oder Hausdach auszuführen, ohne dabei Schaden zu nehmen.

Inzwischen ist die Dunkelheit hereingebrochen, der Adjingi heimst die letzten Kauri und Kola ein. Befriedigt verläßt die Menge den Platz. Am nächsten Morgen rief ich die Magadja und den Adjingi zu mir. Sie sollten vor mir, ungesehen von profanen Augen, ihre Vorführungen vom Abend vorher wiederholen. Sie waren gegen Geld, viel Geld und gute Worte nicht zu bewegen, der Alledjenu war nicht über ihnen.

Die Borileute haben ein Jahresopfer (jangabas), das nach der Ernte stattfindet. Hierbei wird an dem geweihten Platze (gunki) unter einem Baobab von dem Adjingi ein weißer und ein roter Hahn und ein schwarzer Ziegenbock geopfert. Dann kocht man das Fleisch mit Sorghummehl und verzehrt es an Ort und Stelle.

Wird eine Frau krank, so bringt man der Magadja Hirse (geero)mehl und saure Milch, was diese an dem geweihten Platz opfert.

Jeder Sohn der Borileute wird von selbst wieder ein Bori. Die Töchter dagegen nur dann, wenn sie von einem Alledjenu befallen und dieser durch ein Opfer in ihnen gebannt wird.

Die Magadja wird berufen durch einen Borimann, der von einem Alledjenu dazu inspiriert wird. Die Magadja wählt sich dann den Adjingi.

Oft haben die Borileute Amulette, die ihren Vätern von Zwergen (gadjere) übergeben bzw. anzufertigen befohlen wurden und die von den Besitzern stets aufbewahrt werden müssen, wenn nicht Unglück die Familie heimsuchen soll: einen Haarpfeil djagaba, ein Rasiermesser hasela, einen Haken maemon, zum Ausziehen von Bonbon (kogia), die aus Honig, Zuckerrohr und einigen andern Zutaten bereitet werden. Alle Gegenstände sind aus Eisen.


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