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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

d) Bestattung, Akukoa, Büffelmaskentanz, Anukoorakel, Jägerlegendenkreis

Es kann keine Frage sein, daß aus dem ganzen Gerippe einer komplizierten religiös-sozialen Weltanschauung, das die Jukum, wie nachher gezeigt werden wird, fraglos besessen haben müssen, die mit dem Tod und dem Totendienst in Beziehung stehenden Anschauungen und Sitten die besterhaltenen sind. Ich versuche die Einführung in diese etwas schwierige Materie, indem ich zunächst das übliche Begräbnis schildere und dann die damit in Verbindung stehenden Maskensitten und tiefer fußenden Anschauungen darstelle.

Wenn ein Mensch stirbt, wird die ganze Familie zusammengerufen. Während die Leiche dann gewaschen wird, kommen die Leute zusammen und jedes ältere Familienmitglied bringt ein großes Stück Stoff mit, von dem ein Teil verwandt wird, die Leiche einzuhüllen, ein anderer zum Ankauf von Guineakorn, von dem später Bier gebraut wird. Die Leiche wird also in diesen Stoff gehüllt, der groß ist, für eine Männerleiche weiß, blau für eine Frauenleiche und an dessen einem Ende ein Streifen Bahn langwegläuft. Die Leiche wird in gestreckt liegender Stellung eingeschnürt, wozu das langweglaufende Band dient. Mittlerweile ist hinter dem Hause, jedenfalls im Gehöft, das Grab gegraben. Es ist eine tiefe Grube, von der unten ein Kanal seitwärts wegläuft, und zwar nach Sonnenaufgang, wenn für Männer, nach Sonnenuntergang, wenn für Frauen. Der Boden des Grabkanals wird mit einer Matte bedeckt.

Die Leiche selbst wird an einen langen Stock gebunden, dessen Enden über sie hinwegragen und auf den Schultern der Leichenträger lasten. Im Grabe liegt der Verstorbene dann auf der Seite mit der entsprechenden Hand unter der Backe, Männer auf der rechten, Frauen auf der linken Seite. Die Männerleiche mit den Füßen nach Sonnenuntergang, die Frauenleiche nach Osten. Über den eingeschnürten Leichnam kommt dann wieder eine Matte. Einem Mann



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gibt man im übrigen einen Hahn, einer Frau eine Henne mit. Danach schüttet der Totengräber den Schacht zu.

Die alte Jukumanschauung läßt dem Toten aber keine Ruhe. Ihr zufolge nimmt er in der nächsten Nacht sein Kleid unter den Arm, steigt aus dem Grabe empor und wandert dann etwa zehn Tagereisen weit gen Osten nach Kundi (Bakundi am Taraba), einer sehr großen Stadt. Beide wallen den gleichen Weg, sowohl Männer wie Frauen. Der tote Wanderer hat seine Matte über der Schulter und in der Hand, wenn Mann, seinen Hahn, wenn Frau, ihre Henne. Diese Wandernden sind durchaus schweigsam, und wenn ein Lebender ihnen begegnet und sie anspricht, so antwortet der stille Wanderer nicht. Deshalb weichen die fahrenden Händler und Herumzügler solchen schweigenden Gesellen, wenn sie ihnen begegnen, aus und drücken sich in den Busch, bis jene vorüber sind. Die Verstorbenen leben nachher in Kundi. Da kann man dann seine verschiedenen Angehörigen wiedersehen. Aber sie sprechen nicht mit den Lebenden, wenn sie ihnen begegnen. Nur im Traum (Jukum = nando; Haussa =mafaliki; Nupe =ena; Joruba =alla) erscheint der Verstorbene noch seinen Angehörigen. Wenn man ihn dann um irgendeine Medizin gegen irgendein Übel oder irgendeine Krankheit bittet, so drückt der Tote das Wünschenswerte und Geeignete dem Schlafenden in die Hand. Wenn er danach erwacht, findet er das Mittel in Wahrheit vor.

Also eine klar ausgesprochene Seelenwanderung. Von Städten, in denen die Verstorbenen anzutreffen sind, erzählten mir die Mossi, hörte ich in Südtogo, spricht man in Joruba und erhielt ich eine Schilderung in Nupe; nun auch hier. Das ist ein geschlossener Kreis, und wir dürfen nicht vergessen, daß auch von der Goldküste die alten Missionare eingehende Schilderungen von Totenwanderungen entwerfen konnten.

Nachher werde ich darauf zurückkommen, daß mit der Traumrückkehr der Toten ein gutes Teil des Maskenzeremoniells in Verbindung steht. Das Apa-hogu (Totenfest; in Haussa Saphi mutua; in Nupe

Jja-gji-egi-njensa-su; in Joruba = Era-oduta) wird alljährlich zur Erntezeit gefeiert. Dann werden Erdnüsse (Fiekeg; in Haussa

Djedda; in Nupe =gusia; in Joruba =egba) gebracht, Bier gebraut, Sorghumbrei gekocht und ein Ziegenbock getötet. Sein Blut wird auf das Grab des Toten gesprengt. Dann wird ein Hahn über dem Ruheort in gleicher Weise geopfert, und diese Blutopfer leiten sie ein mit einem Gebete, das etwa folgendermaßen lautet: "Laß keinen von unserer Familie krank werden!" Bei diesen Worten hält der Opfernde den Hahn über das Grab, und nachher schneidet er ihm die Kehle durch.



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Hernach wird das Fleisch der beiden Tiere den Frauen überwiesen, die es zurichten und den andern Speisen zufügen. Wenn sie dann das Mahl einnehmen, geben die Jukum von allen Speisen einige Brocken den Toten und beten: "Nimm das; wir haben das für dich gekocht!" Danach aber legen sie den Ziegenkopf und die vier Ziegenfüße, den Hahnenkopf und die Hahnenfüße auf das Grab; alles andere hat die Familie verspeist.

Der Tote selbst heißt Aki. Man sagt, daß Aku nicht Tod bedeute, sondern Maske, also das gleiche, was Boka in Haussa ist. Immerhin ist die Beziehung nicht schwer zu erkennen, wenn wir eine andere Sprache dieses Kreises heranziehen, das Joruba, in welcher Egun oder Egu Totengeist und Totenmaske heißt. Daß aber alle diese Akuinstitutionen mit dem Aki eng zusammenhängen, ist schon aus der ersten zu ersehen, der wir nunmehr unsere Aufmerksamkeit widmen wollen*.

Es handelt sich um die Aku-hua oder Aku-koazeremonie, die immer stattfindet, wenn ein Mann, anscheinend ein älterer Mann, gestorben ist. Wir wollen erst das Zeremonial schildern, um dann alles daraus sich Ergebende nach Maßgabe der entsprechenden Tradition zu bedenken.

Wenn ein angesehener Mann (anscheinend meinten meine Berichterstatter einen "Familienältesten") stirbt, wird von den Alten verkündet, daß abends der Aku-koa ausziehen würde. Dann ziehen sich mit beginnender Dunkelheit alle Weiber und Unerwachsenen in ihre Häuser zurück; denn es würde unbedingt den Tod zur Folge haben, wenn sie den nahenden Aku-koa sehen würden. Die Alten wandern dann aus der Stadt hinaus mit einer Trommel, einer Gangan (in Haussa auch Gangan), in den heiligen, andern unzugänglichen Busch. Wenn sie einige Zeit draußen waren, kommt der Aku-koa.

Der Aku-Koa ist keine Maske, wird auch durch keinerlei maskenähnliche Bekleidung dargestellt. Vielmehr besteht diese Ausdrucksweise in einem Ausführen eigenartiger Geräusche, in einem Sichversteckthalten, in einer Rücksprache mit dem Verstorbenen und alles in allem in einem strengem Geheimnis wie bei andern Geheimbünden, die dann nur noch durch eine Maskerade eine offizielle Verkörperung, eine Vorführung der Bundesgottheit besitzen. Das Geräusch wird hervorgebracht mit einem Büffelhorn, dessen Rand mit Löchern versehen ist, in denen eiserne Ringe hängen. Dieses Ringhorn heißt Achin. Dann haben sie den Knochenstumpf, von dem das Horn abgefallen ist, ein Knochenstück, das Ake heißt und fest mit der linken Hand gehalten wird. Das Achin wird nun an der Spitze mit der rechten Hand umfaßt und mit dem eisenberingten Rande stark gegen das Ake geschlagen. Wenn ein Dutzend kräftiger



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alter Männer rhythmisch und stark solche Arbeit ausführt, dann gibt es ein Geräusch, das dem des Schwirrholzes und dem des Rummelpottes gleichkommt und seinen Zweck, in der Nacht ängstlichen Gemütern Geisterstimmen hervorzurufen, durchaus erfüllt.

Mit solchem Geräusch kommt also der Aku-koa aus seinem heiligen Haine in die Stadt und rückt, nachdem er mehrfach durch die Straßen gezogen ist, vor das Haus des Toten. In diesem Gehöft haben sich alle Weiber, Kinder und jungen Leute um so ängstlicher versteckt, als sie wissen, daß der Aku-koa nun ihren Vater und Onkel fortnehmen wird. Nur einige Alte sind bei dem Leichnam geblieben und die übergeben ihn den lärmenden Aku-koaleuten. Er wird aufgehoben und in das heilige Gehöft der Aku-koa gebracht.

Die zweite heilige Heimstätte, die "Stadtwohnung" der Aku-koa, besteht aus einer bescheidenen kleinen Bundhütte einer Bjeko (Gehöft heißt Ando, Farmhaus Metschinta), um die ein Sekkozaun gezogen ist. Vor dem Sekkozaune, durch den man nur auf dem Wege einer versteckt gelegenen Zaunlücke in den Hof gelangen kann, ist ein Platz, der, wie wir nachher sehen werden, für das betende und opfernde Laienvolk bestimmt ist. —Der eingehüllte Leichnam wird also in dem Rundhäuschen niedergelegt; ein Alter bleibt bei ihm, die andern lärmenden Festteilnehmer stehen draußen in einem kleinen Kreise herum und tanzen und rasseln und singen noch eine Weile.

Danach aber beginnt die eigentliche Zeremonie, die auf eine Leichenbefragung herausläuft. Die Zeremonie ist nun folgende: Nachdem der Aku-koa in seiner Stadtwohnung verschwunden ist und das rhythmische Tanzen und Rasseln im Hofe noch eine Weile gewährt hat, sammeln sich draußen einige alte Weiber an, die auf dem Platze niederknien und andächtig auf das Kommende warten. Der eine Alte sitzt im Bieko beim Leichnam. Die rasselnden Tänzer brechen ihren Tanz ab. Alles schweigt. Und dann spricht der Tote.

Der Alte, der drinnen im Häuschen sitzt, beginnt im hohen Fistelton zu sprechen. Er sagt etwa: "Ich bin heute gestorben; ich habe meinen alten Vater getroffen. Ich habe meine alte Mutter getroffen. Ich war bis jetzt mit ihnen zusammen. Ich bin jetzt noch mit ihnen zusammen." Darauf antwortet dann einer der alten Tänzer. Er wechselt Rede und Antwort mit der Fistelstimme im Innern. Grüße werden hin und her gesandt. Endlich zum Abschluß beginnt der Mann im Hof mit der Frage: "Was ist der Grund, daß du gestorben bist?" Und die Stimme des Toten gibt den Grund an. Er vermeidet entweder, daß die und die Krankheit ihn hingerafft habe, oder aber, daß ein alter Verstorbener ihn hinweggerufen habe, oder aber, daß ihn der oder der Stadtgenosse durch Gift und Zauberei getötet habe. Das letzte ist dann eine schlimme Sache, und der derart Angeklagte muß dann am andern Tage den Giftbecher (in Jukum =Anje, in



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Haussa =Goska) zu sich nehmen. Gibt er den Stoff durch Erbrechen wieder von sich, so gilt die Sache als erledigt. Stirbt er aber, so hat die Anklage sich eben als richtig erwiesen.

Diese Rücksprache schließt damit ab, daß die Totenfistel aus dein Häuschen sich Essen bestellt, und zwar dieses nicht zu knapp, Guineakornbrei, Hühner, Ziegen; vor allem aber umfangreiche Mengen von Bier. Diese Bestellung nehmen dann nicht nur die Rasseltänzer, sondern vor allem die entgegen, für deren Ohren sie bestellt ist, die alten Weiber und andere Leute, die sich inzwischen draußen auf dein Hofe immer zahlreicher eingefunden haben und andächtig vor dein Zaune auf den Knien liegen.

Damit ist die Totenbefragung abgeschlossen. Die Laien auf dein Platze draußen eilen von dannen, für die geforderten Speisen zu sorgen, soweit das nicht infolge der Gewohnheit und dementsprechend richtiger Vorahnung geschehen ist. Währenddessen beginnen die Alten wieder mit ihren beringten Hörnern zu rasseln, zu singen und zu tanzen. Draußen kommt aber einer nach dem andern über den Platz und legt seine Speise, seinen Topf mit Bier, sein Geflügel oder was es sonst ist, am Zaune nieder. Die Aku-koaleute nehmen das dann zu sich hinein. Sie kochen ab; sie speisen natürlich im Namen der Totenwelt; sie trinken Bier.

Gegen Morgen beginnen sie wieder energischer den Tanz und inzwischen ist draußen im Gehöft des Verstorbenen das Grab gegraben. Der Aku-koa drängt durch sein Heraustreten nochmals alles "Laienvolk" in Häuser und Schlupfwinkel. Der Leichnam wird den Totengräbern übergeben, die ihn in Anwesenheit der Angehörigen begraben, während der Aku-koa in seiner Stadtwohnung weiter rasselt und singt und tanzt.

Diese Tänze dauern wohl noch den ganzen Tag. Auf dem Platz vor dem Mattenzaune liegen alte und jüngere Weiber und beten, singen von Zeit zu Zeit und bringen in der Hoffnung, daß ihrem Erdenleben dadurch Ersprießliches erwachsen könne, allerhandkleine und große Opfergaben dar. Auch wird am Tage jüngeren Männern erlaubt, das Gehöft zu betreten und den Tanzzeremonien der in Durstiöschung, Gesang und Klapperei unermüdlichen Alten zuzuschauen. In der darauffolgenden Nacht (wenn ich richtig verstanden habe) kehrt der Aku-koa, nachdem alle Unreifen und Weiber verdrängt sind, wieder in seinen heiligen Hain, in sein Landhaus zurück. —Er hat seine Pflicht und sein Amt erfüllt, und seine Mitglieder treten erst bei erneutem Todesfall zusammen.

Die religiösen Institutionen der Jukum zeichnen sich vor denen der weitaus meisten afrikanischen Völker dadurch aus, daß eine jede durch eine Ursprungslegende erklärt wird. Ich glaube, man wird nicht fehlgehen, wenn man für die gute Erhaltung dieser Legende



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die Abakwariga verantwortlich macht, deren Borireligion für solche Ursprungserklärungslegenden geradezu charakteristisch ist. Anderseits gehören ja die Jukum auch wieder dem Jorubakreise an, der der mythologisch klarste und reichste ganz Negerafrikas überhaupt ist. — Die Ursprungslegende der Aku-koa lautet folgendermaßen:

In alter Zeit konnte Uidji, der wilde Büffel, mit den Menschen sprechen. Ganz, ganz im Anfang verwandelte der Büffel sich eines Tages in einen Menschen und kam als Mann in das Haus eines Jukum, um ihn um einen Trunk zu bitten. Dieser Jukum, der ein Jäger war, gab dem Bittenden gern einen Topf Bier, und der Büffelmann nahm ihn und trug ihn zu dem Platze, an dem er im Busche lebte.

Eines Tages nun ging der Jäger in den Busch zur Jagd. Er kam an jenen Platz und traf den Büffel, dem er seinerzeit das Bier geschenkt hatte; der war aber nunmehr in Büffelgestalt. Der Büffel begrüßte den Jäger und sagte zu ihm: "Komm mit mir, wir wollen zusammen zu meinem Schlafplatze gehen." Der Büffel ging voran, der Jäger folgte ihm. Sie kamen dahin, wo alle Büffel im Grase herumlagen. Der Büffel sagte: "Das hier sind meine Freunde, die darfst du niemals töten. Andere Büffel sind aber unsere Feinde. Wenn du die töten willst, so ist das recht." Der Jäger sagte: "Ich will es so machen. Gib du mir nur alles an." Der Jäger blieb einige Zeit bei dem Büffel. Danach wollte er gehen. Darauf nahm ihn der Büffel beiseite und gab ihm Ahin (Medizin; in Haussa =Magam; in Joruba =Ogun; in Nupe =Schigbe); dazu Bier. Der Büffel zeigte dem Jäger auch einen andern Platz, an dem Büffel waren, und sagte: "Diese kannst du jagen." Zum Schluß aber gab der Büffel dem Jäger das Anchihorn und zeigte ihm, wie der Abu-koa zu tanzen sei. — So haben die Jukum in alter Zeit den Aku-koa gelernt.

Diese Büffellegende, die eine Unzahl Parallelen und wertvollstes Parallel- und Erklärungsmaterial unter den Jägerlegenden Westafrikas hat, führt die Institution also auf die Jägerperiode oder in den Kreis der Jägerinstitutionen zurück, der in seiner Art durchaus geschlossen ist. Die Legende schließt, daß das Speiseverbot für die Jäger und seine Nachkommen, welche eben die Aku-koatänzer wären, im Menstruationsblut der Frauen beruhe. Wenn ein Aku-koa das sähe und röche, so würde er sterben.

Aber diese Legende bringt nicht nur die Aku-koainstitution mit andern Glaubensgebieten Westafrikas in Zusammenhang, sondern sie führt uns vielmehr in diese Gedankenwelt direkt hinein. —Wenn nämlich ein Mann schlecht träumt, krank wird oder sonstwie nach seiner Ansicht unter dem Einfluß eines Toten leidet und sich mit solchen Anliegen an den Inhaber des Amuko wendet (siehe unten), so befiehlt dieser dem Leidenden, sich eine Büffelkopfmaske zu



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schnitzen, die dann den betreffenden Toten verkörpert, dessen Quälereien der Ratsuchende entfliehen möchte. So entstehen diese bei den Jukum so häufigen Masken in Büffelkopfform, denen dann geopfert wird, als seien es Ahnenbilder. Es sind das wohl die bekannten Akuma, von denen wir nachher mehr hören werden. Häufig werden sie daheim nur aufbewahrt und es wird ihnen dann dieses oder jenes Opfer dargebracht. Dann aber kommt es auch vor, das in ihnen getanzt wird.

Also sehen wir, daß der Manismus, der Ahnen- und Totendienst, nicht nur in der Ähnlichkeit der Worte Aki und Aku beruht, sondern daß ein innerer Zusammenhang mit den Egunmasken, den Geistermasken der Joruba, bewiesen werden kann. — Für die Beziehung derartigen Totendienstes zum Kreise der Jägerlegenden, die wir hier auftauchen sehen, können wir hier noch keine nähere Erklärung geben, aber es wird nicht schwer sein, mit Hilfe des anderweitig sich reichlich bietenden Materials diesen Problemen einst näherzukommen. Jedenfalls haben wir hier den Ausgangspunkt fast aller Masken aus dem Büffelkopf, wie er auch bei den Tschamba erhalten ist. Aber die Jukum, die ihrer Vorstellung nach verschiedene Tiere benötigen, haben aus dieser Form allerhand verschiedene Typen herauskristallisiert, die oft aufs drolligste dreinschauen. Alle Masken haben die Büffelhörner behalten, aber die eine wurde in eine Vogeldarstellung verwandelt, indem man die Schnauze schnabelartig zuspitzte. Eine andere verwandelte man in ein Elefantenbild, indem man aus dem Maul die Elefantenzähne herauswachsen ließ. Man begnügte sich also mit dem Ausdruck der Idee, behielt in konservativer Weise die Abzeichen der Urform bei und schuf so ein Zwitterding nach dem andern.

Aber diese eigenartige Beziehung aller manistischen Ideen zu diesem Büffelsymbol der Jägeranschauung ist in vielem erhalten. Oben (S. 224) haben wir gesagt, welche Folgen es hat, wenn eine Frau in der Schwangerschaftsperiode Büffelfleisch ißt. Wie so häufig stellt diese Anschauung die Furcht vor, die schwangere Frau mit irgend etwas in Verbindung zu bringen, das dem Totenreiche angegliedert ist. Und hier leuchtet ja die Annahme, daß diese Büffellegende eine totemistische Totenanschauung repräsentiert, ohne weiteres ein. Wenn sich bei einigen Stämmen des Kassai eine schwangere Frau auf eine ausgehöhlte Trommel setzt, so wird sie nur Luft gebären. Das ist eine Parallele. Wenn eine Jukumfrau Fleisch der Todesverkörperung ißt, ist das eine Schädigung der Geburt. Das ist durchaus westafrikanisch gedacht.

In diesen Zyklus der Büffellegenden und entsprechenden Anschauungen gehört aber noch eine recht eigentümliche und wichtige Legende nebst dazugehörigen Anschauungseigenarten. Es ist die Geschichte



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vom Ursprung des ursprünglichen Jägerorakels, das heute das Orakelinstrument aller Jukum geworden ist. Die Legende lautet:

Das "Anuko" kam ursprünglich von einem Tiere (in Haussa = Mamandaschi; in Joruba =Erako; in Nupe =Jakunjltier) im Busch. Wenn dies Tier im Busch fressen wollte, rieb es seine Hörner an den Bäumen. Bei dem Reiben merkte es, ob der Jäger kam, oder wo er just weilte, und so konnte es diese Gegend und Richtung, in der die Jägergefahr lauerte, leicht meiden.

Bei diesem Reiben fiel aber Rinde von dem Baume ab und auf die Erde. Eines Tages nun kam ein Jäger an dem Baume vorbei. Der Jäger sah die Rinde am Boden liegen. Der Jäger hob die Rinde auf. Der Jäger sagte: "Diese Rinde hat etwas zusagen." Der Jäger sammelte sorgfältig alle Rinde, die unter dem Baume lag, um sie mit nach Hause zu nehmen. Außerdem pflückte er Blätter von dem gleichen Baume und steckte sie zur Rinde. Dann machte er sich auf den Heimweg. Daheim legte er die Blätter und die Rinde in einen Mörser, um sie kleinzustoßen. Als er aber das erstemal zustieß, sprang der Mörser mit dem Inhalt auf und in einen andern Winkel des Hauses, wo er dann hinfiel. Der Jäger folgte dem Mörser, stellte ihn dann wieder auf und stieß wieder zu, und wieder sprang der Mörser auf und in einen andern Winkel des Raumes, wo er abermals umfiel. Der Jäger folgte und stieß wieder zu, und der Mörser sprang auch wieder fort. Das ging solange im Wegspringen, Hinfallen, Aufrichten und Stampfen hin und her, bis zuletzt die Rinde und die Blätter zu Staub gestampft waren.

Als Blätter und Rinde ein Pulver waren, nahm er dieses aus dem Mörser und füllte es in einen kleinen Flaschenkürbis. Den Flaschenkürbis band er sorgfältig zu.

Als der Jäger nun wieder aus zur Jagd zog, nahm er diesen kleinen Medizinkürbis, den Awie, mit sich. Er ging weit in den Busch hinein, legte seine Sachen ab und machte im Sande einen Kreis. In die Mitte desselben setzte er sein Awie und fragte: "In welcher Richtung werde ich heute Wild treffen?" Als er das gesagt hatte, sprang das Awie aus der Mitte des Sandkreises auf und fiel in einer bestimmten Richtung weglaufend auf dem Kreise nieder. Es blieb da plötzlich fest stehen. Der Jäger nahm seine Waffen auf, steckte das Awie ein und ging in der Richtung, die ihm das Awie angezeigt hatte. Der Jäger war noch nicht weitgegangen, da sah er einen Riedbock (Jukum =Awukin; in Haussa = Masia oder Masian; in Joruba = Kunuqua; in Nupe =Eko). Der Jäger schoß. Der Jäger tötete den Riedbock. Der Riedbock fiel tot hin. Der Jäger ging hin und fragte das Awie: "Was wünschst du nun zu essen?" Das Awie sagte: "Gib mir das Blut des Awukin." Der Jäger schnitt dem Riedbock den Hals durch und goß alles ausfließende



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Blut über das Awie. Das Awie sagte: "So ist es gut; wenn du mir immer gutes Blut von deinen Tieren gibst, werde ich dir auch immer Antilopen zeigen." Der Jäger sagte: "Das werde ich tun." Dann nahm der Jäger das Awie auf, steckte es zu sich, lud den Riedbock auf den Kopf und ging heim.

Am andern Tage ging der Jäger wieder auf die Jagd. Er ging weit in den Busch, legte seine Sachen nieder und zog einen Kreis. Er setzte das Awie in die Mitte. Das Awie zeigte ihm wieder eine Richtung an. Der Jäger ging dahin, fand ein großes Tier, schoß es und gab dem Awie wieder das Blut. Alle Tage hatte der Jäger so Jagderfolge.

Alle andern Jäger sahen, daß der eine stets Erfolg hatte. Ein Freund kam zu dem Jäger und sagte: "Willst du mir nicht etwas von deinem Awie geben, damit ich auch Erfolg auf der Jagd habe?" Der Jäger sagte: "Ja, ich will das tun." Der Jäger zerbrach sein Awie. Er zerbrach die einzelnen Kürbisteile in viereckige Stücke. Er zog die Awiestücke auf eine Schnur. Eine solche Schnur mit Stücken der Awiekalebasse heißt in Jukum Anuko oder Anukon. Der Jäger teilte die Schnur in zwei Teile und gab den einen Teil seinem Freunde, der ihn darum gebeten hatte. Der Freund seinerseits teilte wieder, und so gewannen die Jäger alle ihr Anukon, das sie immer in der Tasche bei sich haben. Das ist der Ursprung des Anuko. Das Tier aber, das mit seinen Hörnern die Rinde von dem Baume gescheuert hatte, war der Büffel (Uidji; in Joruba =Effa; in Nupe =Eija; in Haussa =Bauna).

Das Anukon ist eine doppelte Schnur, an der je nach einer Seite vier Kalebassenstückchen angebracht sind. Dazu gehört noch ein zugespitzter Vogelknochen. Wenn ein Jukum nun über die Zukunft irgendeine Auskunft haben will, so geht er zu einem Manne, der Inhaber eines Anukon ist, und der wirft die Schnüren dann vor sich hin. So wie nun die Kalebassenscherben fallen, so wird das Schicksal verlaufen. Wenn z. B. alle Kalebassenstücke gedeckt, das heißt mit der Konkavseite nach unten liegen, so bedeutet das den Tod oder schlechten Ausgang einer Sache, die umgekehrte Lage aber das Leben und guten Ausgang der Unternehmung.

Wir sehen also, daß das Anukon genau dem Oquelle der Joruba und dem Eba (heißt hier gleichzeitig Penis) der Nupe entspricht. Sowohl bei den Jukum wie bei den Joruba und Nupe findet man es in den Taschen der Jäger (in Nupe =Datsche; in Joruba =Ode). Wir finden also darin einen wesentlichen Bestandteil des alten "Jägerkreises" enthalten.

Vor allem aber treffen wir wieder auf den Büffel, und zwar gelangen wir auf diesem Wege in ein Gebiet, das eine außerordentlich große Fülle von Analogien, Parallelen und Ausblicken eröffnet.



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Nicht nur hier gibt ein Büffel oder eine Antilope dem Jäger das Orakelinstrument. Von den Bamana in Senegambien an, bei denen ein jedes Medikament erst den Jägern bekannt ward - und zwar dadurch, daß sie es einer Antilope oder einem Buschtier ablauschten -, bis zu Kanuri aus Tsadsee, die mir ganz ähnliche Geschichten erzählten, stammen die Medikamente und Zaubermittel von Jägern, ebensogut wie diese auch bei fast allen etwas entwickelteren Stämmen ihre eigene Gitarre haben.

Nach diesem Ausblick und Einblick wird es wünschenswert sein, alle Jägerlegenden wieder einmal einer gründlichen Durchsicht und Vergleichung zu unterziehen.

Wie stark die Büffeijägerlegende aber im Kern der Jukumreligion eingehüllt lag, kann man an einer Legende erklären, die den Kampf dieser Religion gegen den andrängenden Bori schildert und die im Kapitel über die Abaqua-riga wiedergegeben werden soll (vgl. weiter unten).


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