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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

c) Der profane Lebenslauf

Kurz wollen wir nun über den bürgerlichen Lebenslauf der Jukum hinblicken, um dann eingehender den religiösen Anschauungen und Sitten unser Augenmerk zu widmen.

Der Jukum rechnet, daß die Entwicklung des jungen Lebewesens vom Beischlaf bis zur Geburt gewöhnlich einen Zeitraum von neun Monaten in Anspruch nehme. Es soll aber vorkommen, daß das Kind zwölf Monate im Mutterleib bleibe und daß es aber dann nach seiner Geburt die Mutterbrust verweigere. Dem Herkommen gemäß soll die Geburt im Haus vor sich gehen. Über einen Stein ist ein Tuch gedeckt, die Kreißende sitzt auf dem Stein. Eine alte Frau steht hinter ihr und preßt der Zurückgelehnten den Leib, eine zweite sitzt vor ihr, bereit, das Kind zu empfangen. Wenn dieses vor sich gegangen ist, nimmt die vordere Hebamme den Nabeischnitt mit einem gespaltenen Guineakornstengel vor. Die Nabelschnur heißt in Jukum Adschukun (in Haussa sivi; in Nupe =koro; in Joruba =



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Idodo); man nimmt an, daß sie am Kindesleibe etwa vier Tage bleibe, und zwar soll das Abfalisdatum bei Knaben und Mädchen gleich sein. Wenn die Mutter aber in der Schwangerschaftszeit Büffelfleisch genoß (vgl. S. 234), so währt es mindestens fünf, sonst häufig nur zwei bis drei Tage, bis sie abfällt. Auf diese hochwichtige Anschauung werde ich zurückkommen.

Die Adschukun wird dann in eine Kalebasse gefüllt und aufbewahrt; wenn das Kind ein wenig älter ist, mit Faden umwickelt und von einem Lederarbeiter in Leder genäht. So zubereitet trägt das Kind sie als Amulett um den Nacken. — Dagegen wird die Nachgeburt (Adjon; in Haussa =Meipa; in Joruba =Ob; in Nupe =Elo) in einem zugedeckten Tontopf vergraben.

Drei Tage nach der Geburt gibt der Vater dem Kinde einen Namen. Heute wählt man Namen, die besonders schön erscheinen. Früher war es etwas anders, aber aus den unklaren Angaben meiner alten Leute konnte ich nur diese Tatsache, nichts Positives entnehmen. Am Tage der Geburt wird auch die Tätowierung des Vorderkopfes angebracht. Diese Längslinie heißt Akedjie, die Tätowierung auf der Schläfe dagegen Ajin (mehrere Linien aus senkrechten Strichen). In die Wunde werden Abjianblätter gerieben; dadurch nehmen die Narben eine blaue Farbe an. Die Zahnlücke in den oberen Schneidezähnen, die hier den Namen Annje psan psan hat, wird dagegen erst im dritten Lebensjahr angebracht.

Das Kind erhält während der ersten drei Lebenstage nicht die Mutterbrust, wird dann aber ein Jahr lang ausschließlich aus dieser natürlichen Quelle genährt. Dann folgt Abwechslung mit Mehlbreien und -suppen, und nach drei Jahren hört die Mutter mit Nähren auf, weil die Organe versagen. Für das Aufwachsen des Kindes rechnet die Jukummutter acht Monate bis zum Aufsitzen, neun Monate bis zum Herumkriechen, zehn Monate bis zum Aufstehen und elf Monate bis zum Gehen. Die Frauen haben mir diese Reihenfolge so ordentlich hergebetet, daß die Regelmäßigkeit und die Abstandsgleiche unwahrscheinlich ist. Im Alter von dreizehn Monaten laut der Kindermund seine ersten Worte, und diese sind angeblich der Reihenfolge nach: Eijo =Mutter, aki =Breispeise, endlich afun-wua, das ist das mit Mehl gemischte Wasser, das ihnen als Getränk gilt.

Wenn das kleine Mädchen zu spielen beginnt, so greift es gewöhnlich zuerst zu den Akuokwn, das sind die kugeligen Mehlklopfsteine. Erst mit fünf Jahren nimmt es in kindlicher Weise an dem Arbeitsleben der Mutter teil und dann ist es die Mahiwalze = Anguikuin, mit der es auf der Steinunterlage Akuin kleine Mengen Korn erst grob, später feiner zermalmt. Die Mutter gibt ihm zu diesem Zwecke einiges Sorghum, das es verarbeitet. Eine Führerin der kleinen Mädchen gibt es bei den Jukum nicht. Wohl aber wer-



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den die älteren Mädchen von einer hier Atschuwo-bauwa (in Haussa magadjia; in Nupe =nakusso; in Joruba =jewue) genannten Aufseherin, von der es je eine in jedem Stadtquartier gibt, in Spiel und Ernst geleitet. Sie hat eine gewisse Verantwortung und die Mädchen sind ihr zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet.

Hier sei gleich bemerkt, daß bei den Jukum auch eine Frauengestalt erhalten ist, die der Saraunjia der Haussa, der Jalode der Joruba, der Sonja der Nupe entspricht und hier Auwa-naku heißt. Sie ist Oberherrin aller Atschuwo-bauwa und außerdem Leiterin aller Männer und Frauen. Also sind es zwei Stufen, die eine vertreten durch die verschiedenen Atschuwo-bauwas, denen Mädchen und auch Burschen unterstehen, dann die der einen Auwa-naku, die alle Atschuwo-bauwas als ihre Beamtinnen unter sich hat, die aber auch über alle Männer und Frauen regiert.

Dagegen fehlt hier ein Serki Samari (Führer der Burschen). Der erste Eindruck bei solcher Einrichtung ist der, daß hier Reste hochentwickelten, in diesem einen Punkte noch nicht beeinflußten Matriachats vorliegen. Im übrigen herrscht unter der heranwachsenden Jugend ein ungemein harmonischer Ton, ein liebenswürdiges Ineinanderaufgehen, Getanze und Kosen, das um so harmloser und in gewissem Sinne auch paradiesisch unschuldiger erscheint, als niemand etwas dabei findet, wenn die Jugend sich allen Vergnügen der Liebe eifrig und naturgemäß hingibt. Und ich erinnere mich nicht, irgendwo in Afrika die Mädchen so lustig ungezwungen und unbehindert kindlich kokett um sich gucken gesehen zu haben wie bei den Jukum in Wukari.

Diese verliebten Torheiten hindern niemand und niemand nimmt sie ernst. Wenn der Bursche nun aber sein Mädel heiraten will, dann wird die Sache schwierig. Dann muß er drei Jahre lang auf der Farm des Schwiegervaters arbeiten und hat jedes Jahr zwei schwere Bündel Sorghum abzuliefern. Dem Mädchen selbst muß er sechzig Haken Messinggeld (Akan, heute aus europäischem Metall gehämmert) liefern, "damit sie sich das Haar schön ordnen lassen kann". Ferner muß er ihr ein Kopftuch (Arufuta; in Nupe Rufuta; in Haussa Arufuta; in Joruba = Gelle genannt) schenken. Dann bekommt der Schwiegervater noch eines der großen Muntschiwebstücke, das als Toga oder Mantelgewand benützt und Abufien genannt wird. Bis auf die selbstgeleistete Arbeit und die Erwerbung des Kopftuches braucht der Bursche aber nichts selbst zu zahlen. Sein Vater kommt dafür auf.

Die Verehelichung findet stets in der Erntezeit statt. Irgendeine Form des Brautraubes habe ich nicht aufzuspüren vermocht. Das Mädchen wird vielmehr von den Freunden des Burschen feierlich eingeholt. Sie wird mit verhülltem Antlitz auf ein Pferd gesetzt



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und so in prunkendem Aufzug dem jungen Ehemann zugeführt. Dagegen findet in der Hochzeitsnacht dann eine kräftige Rauferei zwischen den Jungverheirateten statt. Und der Bursche muß unbedingt die Braut bezwingen, so daß der erste Beischlaf auch hier die Form einer Vergewaltigung annimmt. Und es gilt als höchste Schande, wenn der Mann in diesem Kampfe etwa nicht obsiegen sollte.

Dieser Kampf fand und findet heute noch auf einer Matte statt. In älterer Zeit mußten auf ihr die Belege der Unschuld der Braut zu finden sein. Am andern Morgen ging dann der Jüngling mit der Matte zu seiner Schwiegermutter, legte das Zeichen vor, warf sich vor der alten Dame auf den Boden, streute Erde auf seinen Rücken und murmelte: "Ngode, ngode, ngode!" das heißt ich danke (in Haussa =nagode; in Joruba =moduque -aduque heißt wir danken; in Nupe =midjiebo). Es soll einmal eine Zeit gegeben haben, in der es als Schande für die Brautfamilie galt, wenn diese Zeremonie nicht stattfand. Diese Zeit muß aber sehr weit zurückliegen, denn heute vermeidet man es unbedingt, solcherlei Sachen zu provozieren. Jedermann weiß, daß nichts mehr zu suchen ist, wo schon lange vorher alles vertan wurde. — Es mischen sich eben auch hierin zweierlei Sitten und Anschauungsweisen.

Das junge Ehepaar siedelt sogleich in das Gehöft des jungen Mannes über. Die Aussteuer der jungen Frau ist nicht sehr umfangreich; sie besteht vor allem in Kleidern, unter denen das Patari (Benteform; in Haussa=Patari; in Nupe =tobigi; in Joruba =Tobi) nicht fehlen darf, in einer Eßkalebasse (kussa) und einem Mahlstein (Anguikuin) in Walzenform. Das alles wird in einem der hübschen Ahuschuekörbe gebracht.

In der Stadt Wukari gibt es heute und in dem alten Kororofawukari gab es einst noch viel Handwerker. Im wesentlichen kann man wohl sprechen von

Apa-rinjungu =Schwarzschmiede (apa =Mann, Mensch), Apa-ruhabu =Schnitzer, Apa-ritsobu =Weber (am Mannestrittwebstuhl), Apa-rimi-pe-taba =Pfeifentöpfer, Apa-rinani =Bauer, Bari-uescho-abumbu =Gelbschmied; für Weiber aber

Apa-rimipe =Töpferin, Auwa-ritsobu =Weberin (am Frauengriffwebstuhl), Bauwa-ruheti =Händlerin, Bauwa-rupifiun =Spinnerin. Bauwa-rinebu =Köchin, kann man insofern zu den Berufsvertreterinnen zählen, als vielfach vereinsamt dastehende Frauen durch



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Herstellung von Speisen in größeren Massen ihren Lebensunterhalt verdienen.

Im allgemeinen liegt das Handwerk heutzutage in Wukari arg darnieder, wenigstens soweit es sich um Arbeiten der Jukum handelt. Von Jahr zu Jahr geht es zurück, und woher die hübschen Topfarbeiten stammen, die Glamming als Jukumwerke nach Berlin gebracht hat, kann ich überhaupt nicht sagen.

Die Staatsform hat, wie schon oben gesagt, infolge der wohl nach Jahrhunderten zählenden Interesselosigkeit recht kümmerliche Formen angenommen. Man sitzt am Hofe des Wassun oder Aku herum, plappert, ergeht sich in feierlichen Begrüßungen und regiert ein paar umliegende Land- und Ortschaften. Die Beamten des Königs wandeln wie er, unbedeckten Hauptes in eine Toga gehüllt und den wohlgepflegten fettreichen Körper zeigend, umher. Aber irgendwelche wirkliche Betätigung konnte ich nicht wahrnehmen.

Von alters her hat der Herrscher vier erste Beamte, nämlich:

i. Der Abung, der der erste nach dem König und zumal in Gerichtssachen dessen Berater ist. Der einzige, der mit dem König direkt spricht.

2. Der Akinda, der seinerseits dem Abung unterstellt und dem alle Unteren wieder untergeben sind, der also selbst nicht direkt mit dem König ohne Vermittlung des Abung reden darf.

3. Der Aboentiti, der dem Akinda so unterstellt ist wie der Akinda dem Abung.

4. Der Akindatiti, der dem Aboentiti so unterstellt ist wie der Aboentiti dem Akinda.

Diese vier entsprechen den berühmten vier Erzämtern aller andern Staaten des zentralen Sudan nicht nur in der Zahl, sondern auch darin, daß sie nicht unbedingt erblich sind. Der Sohn eines solchen Erzfürsten muß schon sehr wohlhabend sein, wenn er beim Tode seines Vaters den Wunsch, ihm nachfolgen zu dürfen, berechtigt hegen darf. Es muß das ein älterer, wohlhabender und reifer Mann sein, den der König in solche Stellung bringt.

Natürlich gibt es noch eine ganze Reihe anderer Beamter, aber keiner kommt seiner Bedeutung nach den vier Erzfürsten auch nur annähernd gleich.

Wenn der König stirbt, folgt ihm sein ältester Sohn in Amt und Würden. Dem Toten wurden Frau und Sklave bis vor wenigen Jahren mit ins Grab gegeben. Die alten Jukumkönige müssen eine große Macht gehabt haben, denn wenn früher ein Jukum starb, so erbte nach der Jukumtradition der König alles Hinterlassene. Auch war früher der König Besitzer alles Grund und Bodens, wie der Theorie nach auch der Alafin der Joruba.

Mancherlei, was wir bei Völkern des Jukumschlages gewohnt sind,



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in religiösem Dienst eine Rolle spielen zu sehen, war und ist bei ihnen ganz profan. Das Schwirr-Rohr hat bei ihnen ganz genau die Form wie bei den Mossi und ist auch wie bei diesen nur ein Spielgerät, keine Angelegenheit der Kultur. Sein Name ist Baruru oder Gbaruru.

Das Baruru spielt auch keine Rolle bei der Beschneidung, der die Knaben im siebenten Lebensjahre ohne besonders religiös gedachte Zeremonie unterworfen werden. Die Beschneidung heißt Kiuwin, die Vorhaut Agohowin, der Penis Anru, die Hoden apin oder apjin, die Vagina ambi, die Klitoris angi-su; beischlafen rianambi. Die Beschneidung von Frauen und Mädchen ist unbekannt.


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