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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


ERGÄNZUNGEN ZUM GROSSEN VOLKSEPOS


1. Paemuru

Fara Maka hatte eine Schwester, die hieß Nana Aminata. Nana Aminata lebte noch nach Fara Makas Tode. Sie war im Mandegebiete verheiratet mit einem Malinke, der hieß Konko Mussa.

Eines Tages war Aminata schwanger. Konko Mussa sandte nun in alle seine Lande Botschaft und ließ viele Menschen zusammenkommen. Als eine genügende Anzahl von Menschen beisammen war, sagte er zu ihnen: "Meine Frau Nana Aminata ist schwanger.



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Baut nun um sie eine hohe Mauer, damit sie in dem abgeschlosse nen Raume gebären kann." Die Leute begannen sogleich die Arbeit. Sie ballten Lehmklöße, trockneten sie und richteten ein mächtiges Mauerwerk auf. Dann sandte Konko Mussa die Leute wieder heim.

Eines Tages traten bei Nana Aminata die ersten Wehen ein. Als das Fruchtwasser ablief, floß es als ein starker Fluß durch das Mandegebiet von dannen. Dann wurde das Kind geboren. Es war ein Knabe. Als der eben geborene Knabe am Boden lag, begann er zu sprechen, und er konnte sprechen, als ob er schon ein ausgewachsener Bursch sei. Der Knabe sagte: "Aminata, nimm mich auf." Darauf befiel Nana Aminata große Angst. Sie sagte: "Das Kind, das gleich nach seiner Geburt sprechen kann, rühre ich nicht an. Das Kind, das gleich nach seiner Geburt sprechen kann, kann auch allein aufstehen." Nana Aminata floh. Das Kind jedoch sprang auf und rief: "Aminata, Aminata, so wasche mich doch!" Nana Aminata sagte: "Ein Kind, das gleich nach seiner Geburt sprechen und laufen kann, das kann sich auch selbst waschen." Darauf ging der Knabe hin und wusch sich.

Nach einer Woche sagte der Knabe: "Aminata, rasiere mir den Kopf und gib mir einen Namen." Da sagte Nana Aminata: "Ein Kind, das, wie du, sogleich sprechen und laufen und sich waschen kann, das kann sich auch selbst den Kopf rasieren und sich selbst einen Namen geben." Der Knabe lief fort, holte sich ein Rasiermesser, schor sich den Kopf und kam wieder. Der Knabe sagte: "Mutter, so gib mir doch einen Namen!" Die Mutter Nana Aminata sagte aber: "Gib dir deinen Namen selbst. Ich will nichts damit zu tun haben." Der Knabe sagte: "Gut, so bin ich Paemuru (der einzige Sohn?). Ich bin Paemuru nandia konde." — Sein Diamu war Napo. Die Bammana nennen dies Diamu Missisu (krepiertes Rindvieh).

Paemuru wuchs zu einem starken Knaben heran. Die Mutter sagte zu ihm: "Paemuru, denke daran, daß in diesem Lande die Menschen nicht so groß und stark sind wie bei uns!" Paemuru aber sagte: "Ich bin stark wie Gott. Wen sollte ich in diesem Lande fürchten? Weshalb soll ich nicht spielen, wie es mir gefällt? Wer will mich hindern?" Paemuru ging in das Dorf und kam zurück. Es war da ein mächtiger Baobab. Dessen Früchte waren gerade reif. Dieser Baum hatte den Namen Mande-Sira. Paemuru hatte einmal gerade Hunger. Da sah er den Baum mit den Früchten.



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Paemuru rief die Knaben des Dorfes zusammen. Die Knaben kamen. Paemuru ging mit ihnen zu dem Baume. Er sagte zu ihnen: "Ich werde euch jetzt einen nach dem andern mit der Hand an den Füßen nehmen und nach den Früchten da oben werfen. Jeder, der oben beim Vorbeifliegen eine Frucht abpflückt, wird von mir beim Herunterfallen sorgfältig aufgefangen. Wer aber keine Frucht greift, den lasse ich fallen. Er kann niederstürzen, zerschellen und sterben. Es kümmert mich nicht." Dann begann er die Knaben nach den Früchten zu werfen. Einige fielen ohne Früchte zu Boden, einige aber hatten Früchte gegriffen; die wurden von Paemuru aufgefangen.

Als die Frauen des Ortes dies sahen, waren sie zornig, denn einige hatten durch Paemurus Spiel ihre Kinder verloren. Die Leute kamen zu Nana Aminata und sagten zu ihr: "Gib acht auf deinen Sohn Paemuru. Die Frauen des Dorfes sind zornig auf ihn, weil er mehrere Kinder getötet hat. Wenn er auch der Sohn Konko Mussas ist, kann es ihm doch einmal recht schlecht gehen!" Nana Aminata rief Paemuru und sagte ihm: "Mein Sohn, ich habe dich neulich schon gewarnt. Ich sage dir: mache die Ohren auf, damit du hörst, was um dich herum passiert." Paemuru sagte: "Es ist gut, ich werde die Ohren aufmachen."

Der Knabe Paemuru ging in die Ortschaft und rief die Knaben zusammen: Paemuru sagte: "Es tut mir leid um euch, aber meine Mutter hat mir gesagt, ich solle die Ohren aufmachen. Gebt mir die Ohren her, damit ich sie mir aufmachen kann." Damit schnitt er ihnen allen die Ohren ab. Er zog durch alle linken Ohren eine Schnur und hing die Kette über sein linkes Ohr. Er zog durch die Löcher aller rechten Ohren eine Schnur und hing die Kette über sein rechtes Ohr. Als die Frauen des Dorfes ihre verstümmelten Kinder sahen, wurden sie wütend. Einige sagten: "Nun wird es Zeit, daß der Knabe Paemuru getötet wird." Es kamen Leute zu Nana Aminata, die sagten: "Achte auf deinen Sohn. Wenn es auch der Sohn des Konko Mussa ist, so macht er doch so schlimme Sachen, daß die Dorfleute ihn eines Tages totschlagen werden."

Nana Aminata rief ihren Sohn und sagte zu ihm: "Mein Sohn Paemuru, ich habe dich schon zweimal gewarnt. Die Ohren allein genügen nicht. Du mußt auch einen guten Kopf haben." Der Knabe sagte: "Es ist gut." Er ging wieder in das Dorf und rief die Knaben zusammen. Er sagte zu ihnen: "Meine Mutter sagt, es genüge nicht allein Ohren zu haben; ich müsse auch einen guten Kopf haben. Nun



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weiß ich nicht, wer von euch einen guten Kopf hat, und da wird es das richtigste sein, ich schlage euch allen zusammen den Kopf ab. Einer wird dann schon darunter sein, der gut ist. Ihr müßt schon einverstanden sein." Darauf schlug er allen Knaben die Köpfe ab und nahm sie mit sich.

Alle Mande waren nun wütend auf Paemuru. Sie sagten: "Es ist nichts mit diesem Paemuru, dem Sohne des Sorokoweibes. Wenn er auch der Sohn des Konko Mussa ist, so können wir ihn doch nicht unter uns dulden. Wir wollen ihn töten!" Als Paemuru das hörte, sagte er zu Nana Aminata: "Ich habe im Osten einen Onkel. Ich will ein wenig auf Reisen gehen und meinen Onkel Fara Maka begrüßen." Paemuru ging von dannen. Als die Mande hörten, daß Paemuru von dannen gegangen sei, folgten sie ihm, um ihn unterwegs zu töten. Einige Zeit ging Paemuru hin. Dann sah er sich einmal um. Da gewahrte er, daß die Mande ihm folgten. Paemuru sagte: "Aha, die Leute wollen mich bekriegen, sie wollen mit mir kämpfen." Er setzte sich am Wege nieder und wartete, bis sie kamen.

Als sie bei ihm angekommen waren, ergriff er zwanzig von ihnen bei den Köpfen und schlug sie mit den Köpfen so gegeneinander, daß sie zerschellten. Als die andern aber das sahen, flohen sie von dannen.

Paemuru mußte nun kämpfen. Unter Kämpfen kam er bis nach Djenne. In einiger Entfernung von Djenne liegt das kleine Dorf Schin. Paemuru legte sich in dieser Gegend nieder, um auszuruhen. Seine Füße waren in Tatia, sein Kopf in Schin. Als er am andern Morgen erwachte, dehnte er sich und sagte: "Es ist unangenehm, wenn so wenig Platz ist, daß man sich zum Schlafen zusammenrollen muß." Der Weg von Schin bis Tatia beträgt einen Tagesmarsch. So lang war Paemuru. In dieser Nacht mußte Paemuru einmal pissen. Daraus entstand der Fluß Tao. Noch jetzt stehen bei Djenne zwei Bäume, die heißen Schilomballi (= du kennst nicht). Diese Bäume stammen noch von Paemuru.

Paemuru fragte: "Wo wohnt Fara Maka, der Bruder meiner Mutter Nana Aminata?" Die Leute antworteten ihm: "Fara Maka wohnt in Bammana Moudu." Paemuru wanderte nach Bammana Moudu. Als er ankam, war Fara Maka gestorben. Er fragte den Häuptling von Bammana Moudu: "Wo ist Fara Maka, der Bruder meiner Mutter Nana Aminata?" Der Mann antwortete nicht. Paemuru sagte: "Ich habe Hunger." Die Leute brachten ihm



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nichts. Denn Fara Maka war ja gestorben. Da nahm Paemuru den Häuptling. Indem er unter seine Füße griff, hob er ihn auf und zerschmetterte ihn dann mit einem Wurfe gegen den Boden. Da bekamen die Leute Angst und sagten: "Fara Maka, der Bruder deiner Mutter Aminata, ist gestorben. Aber wir wollen dir doch viel Essen bringen." Und sie brachten allerhand Speisen in großen Mengen herbei. Als er gegessen hatte, machte er sich wieder auf den Weg nach Osten.

Paemuru ging und kam bis nach Gavo (Gao). Die Leute von Gavo sahen ihn schon aus der Ferne. Sie sahen hin und sagten: "Ist das ein Berg, was da kommt, oder was ist das? Soll das ein Mensch sein?" Alle Leute hatten schon von Paemuru gehört. Sie sagten: "Das kann niemand anders als Paemuru sein." Damals war der Marabut Saidu König in Gavo. Alle Leute sagten: "Das ist Paemuru, das kann nur Paemuru sein. Das ist ein sehr schlechter Mensch!" Und Saidu und alle Leute von Gavo hatten große Angst vor ihm, denn man hatte nur Schlechtes von ihm gehört. Die Leute sagten: "Er ist schlecht und nicht von der Art wie Fara Maka, der Bruder seiner Mutter Nana Aminata." Als Paemuru ankam, wies Saidu ihm eine Sandinsel als Platz an, daß er sich darauf ansiedele.

Paemuru fragte den Marabut Saidu: "Hat mein Onkel große Sachen getan und hat er etwas hinterlassen?" Saidu sagte: "Komm mit mir, ich will dir alles zeigen." Saidu ging mit Paemuru fort und zeigte ihm einen großen Stein. Er sagte: "Das ist Kalankona, das Boot deines Onkels Fara Maka. Einmal wollte Fara Maka das Boot ins Wasser ziehen. Er rief alle Leute herbei, daß sie zögen; denn das Boot war sehr schwer. Alle Leute zogen. Die Leute waren alle miteinander nicht imstande, das Boot ins Wasser zu ziehen. Die Leute vermochten das Boot nicht in Bewegung zu bringen. Da packte Fara Marka das Boot selbst an. Er war sehr zornig über die Schwäche und Lässigkeit der Leute und zog es ganz allein mit einer Hand ins Wasser. In das Loch aber, in dem vordem das Boot gelegen hatte, stürmte eine mächtige Wasserflut." Dann führte Saidu Paemuru in eine andere Gegend und zeigte ihm zwei Wasserläufe. Saidu sagte: "Einmal regnete es, und Fara Maka wollte nicht naß werden. Da nahm er sein Boot auf und stülpte es wie einen Hut über den Kopf. Der andere Teil des Bootes hing ihm aber lang über den Rücken herab. Das vom Boote abtropfende Wasser bildete einen Wasserlauf. Als er dann das Boot wieder hinsetzte, floß so



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viel Wasser herab, daß ein zweiter Wasserlauf entstand. So mächtig und gewaltig war Fara Maka mit seinen Handlungen."

Paemuru sagte zu dem Marabut Saidu: "So zeige mir auch das Grab meines Onkels Fara Maka." Saidu sagte: "Komm mit mir." Saidu führte Paemuru an einen Hügel, der war lang, sehr lang. Sie gingen zwei Tage an dem Hügel entlang. Saidu sagte: "Das ist das Grab Fara Makas, des Bruders deiner Mutter Nana Aminata." Paemuru hatte bemerkt, daß Saidu gegen seine Gewohnheit während der ganzen Zeit, während der sie an Fara Makas Grab entlang gingen, nie seine Gebete verrichtete und seinem Allah nicht Salaam entbot. Paemuru fragte: "Weshalb hast du während der zwei Tage, daß wir hier entlang reisen, deine Gebete unterlassen, die du sonst regelmäßig ausgeführt hast?" Der Marabut Saidu sagte: "Ich habe das nicht getan, weil wir während der zwei Tage am Grabe Fara Makas vorbeigingen, der kein Marabut war, sondern ein Heide, ein Mann, der trank. Fara Maka hat alle seine Werke nicht mit Allahs Hilfe, sondern mit Hilfe seiner Zaubermittel ausgeführt. Deshalb war er kein guter, sondern ein schlechter Mann." Paemuru sagte: "Also du nennst Fara Maka, den Bruder meiner Mutter Nana Aminata, einen schlechten Mann? Nun, ich bin noch viel schlechter, und ich will es dir zeigen."

Paemuru wollte den Marabut Saidu packen und ihn an dem Felsen zerschmettern. Als er aber mit seinen Händen nach ihm griff, entfloh jener im letzten Augenblick. Der Marabut Saidu lief nach Gavo zurück. Er rief alle Leute zusammen. Er fragte: "Dieser Paemuru ist ein schlechter und sehr gefährlicher Mensch." Die Leute sagten insgesamt: "Ja, das ist wahr!" Saidu sagte: "Wir wollen ihn verjagen."Die Leute sagten: "Ja, das wollen wir." Darauf begannen Saidu und alle Marabuts zu beten. Sie beteten so lange, bis Allah sie erhörte und Paemuru zwang, das Land zu verlassen.

Paemuru kam so wieder auf die Wanderschaft. Paemuru ging nigerabwärts und kam erst nach Dendi Jamana. Dann ging er nach Duluschi. Dort warf er Zaubermittel in den Fluß. Das hatte zur Folge, daß mächtige Felsen im Strome entstanden. Deshalb ist heute die Schiffahrt in jener Gegend durch Paemurus Zaubersteine gesperrt. —So ging er von dannen, weil kein Dorf ihm freundliche Aufnahme bot.


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