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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

k) Die Bitatu und die Jine

Das sind Verwandler, die vor aller Welt eigenartige Umbildungen zu erzielen vermögen. Zum Beispiel ist ein Kreis von Männern beisammen. Einer äußert: "Ich möchte jetzt wohl eine Kola essen." Aber keiner hat eine solche Frucht. Es ist aber ein Bitatu im Kreise. Der ergreift vor aller Augen einen Stein, schließt ihn in die Faust ein, öffnet die Hand - an Stelle des Steines liegt eine Kola darin. Alle Welt kann das dann essen. Es ist nichts Böses und Schlimmes dabei. Oder aber einem Weber ist der Faden ausgegangen. Ein hilfsbereiter Bitatu ist in der Nähe. Er nimmt irgend etwas auf, ein Stück Erde, Holz, Stein oder was gerade daliegt und gibt es dem Weber als guten Baumwollfaden hin. Der Bitatu selbst kann mit seiner Macht leicht alles für sich umwandeln, was gerade fehlt. Ist ihm zum Beispiel sein Kleid verbrannt, so braucht er nur mit der Hand darüber hinzugleiten und die Sache ist wie vorher und nichts



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mehr von dem Schaden wahrzunehmen. Aber außer solchen mehr oder weniger bedeutungslosen Kunststückchen weiß der Bitatu doch auch recht ernste Sachen auszuführen. Er weiß Holz sprechend zu machen. Er weiß vor allem die Verstorbenen zu zitieren, und darin liegt ein gut Stück altmystischen Kultus, dessen letzte Reste allerdings nur noch in einigen alten Köpfen lebendig erhalten sind. Im allgemeinen sagt man, daß der Bitatu sein Handwerk gut und zum Frommen anderer beginne, daß er aber mit der Zeit dazu komme, seine eigenartige Macht zu sehr zu seinem Nutzen und dem Schaden anderer anzuwenden, so daß er zuletzt sehr gefährlich und schlecht wird. Es ist eben - so sagen die Eingeborenen -just so wie mit den Nögung kia Lakiri (den Dugu-Dasiri der Bammana). Das sind die großen Schutzeinrichtungen in den Dörfern, die gegen die bösen Geister allerhand Art gerichtet sind. Die Geheimbünde sind so als Dorfschutzeinrichtungen zu bezeichnen. Solche Dinge werden geschaffen, um die andern zu schützen, aber wenn sie erst ordentliches Ansehen und Macht genießen, dann nutzen sie ihre Gewalt egoistisch aus. Wie gesagt, so geben die Eingeborenen selbst an.

Auf sehr interessante Art kommen nun die Bitatu zu ihrer Macht, nämlich mit Hilfe der Jine. Von diesen Geistern hörten wir schon gelegentlich der Besprechung der Bammanamythologie. (Vgl. 5. 12.) Vielfach treten sie in den alten Legenden der Soronjoi-Bosso auf. Die geheimnisvollen Kräfte, mit deren Hilfe die Bitatu ihre Korti ausfüllen, werden Jine-tungu genannt, weil sie von den Jine stammen. Aber nicht nur das. Die Bitatu haben direkt die Jine in Dienst genommen, und die Jine sind ihre Boten, ihre Horcher, ihre Helfer und Ausführer aller Wünsche, immer im Rahmen des Vertrages, den die Bitatu zur Erlangung ihrer Kraft mit dem oder den J ine geschlossen haben.

Auf folgende Weise kann der Mensch nun zwecks Vertrags-abschlusses mit den Bitatu in Verbindung treten. Es gibt einen Baum, der heißt bei den Bosso Tung (bei den Bammana kunang). Er wird von den Eingeborenen angezapft, und der aus ihm gewonnene Wein gilt als köstlicher, als jeder andere Palmsaft. Aber auch seine Rinde steht in hohem Ansehen, weil sie Zauberkraft besitzt. Wer mit den Jine in Verbindung treten will, der nimmt Rinde von den entgegengesetzten Seiten des Stammes (anscheinend von der Ost- und Westseite); die abgeschälte Rinde wird in der Sonne getrocknet und dann zerstampft. Weiterhin benötigt man des Felles einer schwarzen Katze. Das Rindenmehl wird in das getrocknete Katzenfell gefüllt und so ein Zauberbeutel gewonnen. Der Beutel wird in eine Ecke des Schlafzimmers gelegt, in die nicht alle Welt sehen kann, und zwar so, daß er auf einem Steine ruht. Auf den Beutel kommen einige Kaurimuscheln. Während sieben Tagen



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speit nun der Bitatubittsteller an jedem Morgen gekaute Kolanüsse auf diese heilige Opferstelle, und alltäglich tropft er das Blut eines der Jine geopferten schwarzen Hühnchens darauf. Dieser Opferplatz oder das Medikament (Jungu) heißt Joroko korro.

Wenn der Bittsteller am achten Tage opfert, sieht er plötzlich neben sich einen Jine. Der Jine fragt, was er wolle, und nun hat er Gelegenheit, einen Vertrag mit ihm zu schließen, denn er stellt sich bei entsprechenden Gegenleistungen zu jeder Hilfe zur Verfügung. Diese Gegenleistungen bestehen darin, daß man dem Jine eigene Angehörige zur Verfügung stellt, und zwar das eigene Weib, den eigenen Sohn, die eigene Tochter oder dergleichen. Darauf erklärt sich der Jine bereit, ihm entweder für einige Jahre oder das ganze Leben lang in dieser oder jener Weise dienen zu wollen. Verlangt der Bitatubittsteller viel, so muß er nach einigen Jahren einen weiteren Verwandten dem Jine überantworten. Das Schicksal der den Jine Anheimgegebenen ist kein sehr schweres; sie werden nicht etwa verspeist. Die Jine verwandeln sie, nehmen sie mit sich in ihre Wohnorte und verwenden sie als Dienstboten. Als Entgelt wird dem Bitatu die Kraft des Verwandlers zuteil, der Dienst der Jine beim Totenzitieren, Beleben, Beobachten ferner Menschen usw. Bedingung bei der Verwandtenüberlieferung ist, daß die Preisgegebenen schöne Menschen sind. — Von da an braucht der Bitatu nicht mehr allmorgendlich dem Joroko korro zu opfern. Es genügt, wenn er zweimal in der Woche Kolanüsse und das Blut von schwarzen Hühnchen darbringt, nämlich an jedem Montag und an jedem Freitag.

So gewannen die Bosso die magischen Kräfte der Verwandler; "gewannen", denn heute ist diese Art so gut wie ausgestorben. Aber im Schatze der Volksüberlieferungen ist noch die Erinnerung an viele große Bitatu, die gar wundersame Dinge auszuführen vermochten, erhalten.

Die Jine gelten als ganz weiß und ungeheuer reich an Gold, Stoffen und allerhand andern Dingen. Sie trachten nur danach, Sklaven zu bekommen. In Wahrheit und unter sich nennen die Bosso, Bammana, Malinke usw. die Europäer nicht Tubabu, sondern Jine. Deshalb hießen bei ihnen auch die aus Indien durch die Europäer eingeführten blauen Baumwollstoffe Jine, woraus die Weißen das Wort Guine oder Gine gemacht haben. Ebenso ward die Küste, an der seit alten Zeiten die Europäer ihre Niederlassungen hatten, von den Inlandstämmen als das Land der Jine bezeichnet, und bei uns ward es nur umgetauft auf den Namen Guinea. Soweit die Etymologie meiner Mandedolmetscher. In Wahrheit stammen diese Namen und jener der Guineaküste mit Sicherheit vom Namen der Stadt Djenne.


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