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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

f) Altersklassen der Geheimbünde

Wie bei den Mandestämmen zerfällt das gesamte Bundwesen d. h. der eigentliche, dem Familienleben gegenübergestellte Bau des lebendigen Staatswesens in drei Klassen, die man nicht mit Unrecht mit den Stockwerken eines dreistöckigen Hauses vergleichen kann. Die Gruppierung ist folgendermaßen angelegt:

Die Kane-mie-kibarri sind die Knaben vor der Beschneidung. In diesem Alter versammeln sie sich häufig zu allerhand Mummenschanz. Sie maskieren sich und kommen so in die Dörfer. Sie necken und verscheuchen die Frauen und erhalten allerhand kleine Geschenke. Sie gehen auch wohl in solcher Gestalt bettelnd von Haus zu Haus. Es gibt allerhand Spiele, die aus dieser Quelle hervorgegangen sind. Da ist zunächst Dò*, entdeckt im Dorfe Siranikorro. Ein aus Stäben gebundenes Tier wird vom Tänzer wie ein Hausdach getragen und ein Faserbehang hängt bis zur Erde herab. Dann ist da Ko, entdeckt im Bossodorfe Tieng, ein Maskenbild, das mit seinem geschnitzten Kopfe eine Antilope



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repräsentiert. Das sind fröhliche Veranstaltungen, deren Verlauf dem kindlichen Sinne der Maskenträger entspricht.

Diese Knaben bilden vor der Beschneidung regelrechte kleine Gesellschaften und Geheimbünde. Dazu gehört z. B. "Kibarri", angeblich die allerälteste der geheimen Gesellschaften der Bosso. Die Tänzer kommen mit hörnerlosen Masken aus dem Busch und sind durch einen langen Faserbehang gut vor dem Erkanntwerden gesichert. Sie betteln. Hand in Hand damit geht der Jugendbund. Jökaba, auch ein Bund, der seine harmlosen kleinen Feste aber nicht im Orte, sondern draußen auf einer Sandbank im Flusse veranstaltet. Eine große Rolle dabei spielen Schwirrhölzer, deren Surren man bis in das Dorf hin hören kann. Sie sind nicht aus festem Holze hergestellt, sondern aus den dicken fasrigen Blattstengeln der Borassuspalme geschnitzt. Angeblich dürfen die Alten und wohl auch die Männer den Versammlungen der Jökaba nicht beiwohnen und auch nichts von ihnen wissen. Der Jökaba und der Kibarri gelten als Vorstufe des eigentlich großen Volksbundes des Diarra.



***
Die Tabatu-diarra-ja sind die Jünglinge und Männer, die nach der Beschneidung in den eigentlichen großen Diarra eingetreten sind. Der eigentliche Diarra, dessen großes Verbreitungsgebiet zwischen Sansanding und Diafarrabe liegt, repräsentiert wohl den Inbegriff aller erwachsenen Männer. Ich glaube nicht, daß es viele Bossomänner in diesem Gebiete gibt, die nicht zu dieser Gemeinschaft gehören.

In diesem "Heidengebiete" zwischen den Segu- und den Djennestädten fand ich fast bei jedem Dorfe im Gebüsch und in dessen Dickicht ein frei gehauenes Plätzchen, das reichlich mit menschlichem Kot bedeckt war und als Diarraheimat angesprochen werden mußte. Zuweilen war in einer nahegelegenen zweiten Nische dieses Gebüsches das Heim des Naina aufgeschlagen. Naina (kanje) und Diarra scheinen gute Freundschaft zu halten. In der Nische des Diarra fand ich nun immer den gleichen geheimnisvollen Kram: i. Die Diarratrommeln und 2. die Schwirrhölzer. Den einzigen Fall, in dem ich mehr fand, werde ich im nächsten Abschnitt erwähnen. Die Schwirrhölzer (Billai genannt) hatten die übliche Form. Die Trommeln aber bedürfen einer besonderen Beschreibung. Es sind nämlich keine Schlag-, sondern Reibetrommeln, und zwar von zweierlei Art, einer kurzen und einer langen. Die kurze Trommel ist nur mit einem Fell, also nur auf einer Seite bedeckt. Im übrigen ist es eine ausgehöhlte Holzröhre, die etwa in der Mitte ein Loch aufweist. Auch die Haut ist in der Mitte mit einem Loch versehen. Die Handhabung ist so, daß



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eine Kette durch das Seitenloch in die Holzröhre und nachher durch das Mittelloch in dem Fell geführt wird. Nun ziehen zwei Menschen außen die Kette hin und her, so daß sie im Fell und im Holz kräftig auf und ab rasselt. Die große Diarratrommel liegt der Länge nach auf der Erde. Sie ist bis über zwei Meter lang und ein Exemplar, das ich sah, hatte etwa einen Meter Röhrendurchmesser. Sie besteht ebenfalls aus einem ausgehöhlten Baumstamm. Um das Werk des Aushöhlens zu erleichtern, ist ein langes Stück herausgeschnitten, das aber nach vollendeter Aushöhlung wie ein Deckel wieder eingesetzt wird. An beiden Seiten sind Felle, und angeblich wird das "Gebrüll der Diarralöwen" auf diesem Instrumente dadurch hervorgerufen, daß die Zugkette längs durch die Trommel durch zwei Löcher in der Mitte der beiden Felle gezogen wird. Ich glaube das aber nicht, denn ich fand noch zwei weitere Löcher in der Holzröhre, jedes nahe einem Felle, so daß die Annahme näherliegt, daß die Trommel mit zwei Ketten, nämlich je einer an einer Seite, bedient wird. Danach wäre es nichts anderes als eine Verdoppelung der ersten Trommelform.

Ene ähnliche Trommelform soll auch im Maligebiete in Gangaran vorkommen, aber auch hier den Namen Diarra führen. Ferner gefunden im Sennfo-Bobogebiet und in Mangu.

Mehr fand ich nie. Aber es soll früher mehr vorhanden gewesen sein. Die Eingeborenen von Siranikorro, die durch die vorzügliche Wirkungskraft ihrer Diarra weit und breit berühmt sind, erzählten mir, früher wäre der gesamte "Haushalt" der Diarra in einem Hause in der Stadt gewesen. Alle Frauen und Kinder hätten ständig große Angst vor den Diarra und diesem Hause gehabt, bis eines Tages ein großer Brand im Dorfe ausbrach. Dieser erfaßte vor allem die Wohnstätte der Diarra, und nun konnte alle Welt sehen, daß der Diarra nichts weiter sei als Holz, Stroh und Stoff und ebenso brannte wie alles andere. Alle Weiber schrien: "Der Diarra ist nichts als Holz und Stroh. Das Holz des Diarra brennt wie alles andere Holzt" Als alles so spottete, floh der eigentliche Diarra Hals über Kopf ins Wasser des Flusses, und da unten blieb er. Er kommt nur dann und wann einmal heraus. —So kommt es, daß im eigentlichen Wohnhause der Diarra in der Stadt nichts weiter als die Trommel und Schwirrhölzer zu sehen sind.

In Wahrheit wird es wohl so sein, daß die Masken der Diarra nicht im Busch, sondern in der Stadt versteckt sind. Es gelang mir nicht, auch nur eine einzige ausfindig zu machen, im übrigen wurde mir bestätigt, daß die Tanzzeit des Diarra eine durchaus beschränkte ist. Er tritt nur von Ramadan (November) bis zum Beginn der Regenzeit, ja oft nur im März auf. Vom Juni ab ist es streng verboten, seine Feste zu feiern. Wenn er aber spielt, dann ist es ein



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höllischer Lärm. Einige Leute ziehen an den Ketten der Reibetrommeln, andere lassen die Schwirrhölzer surren. Als speziell heilsame Wirkung des Diarra sind "Schutz gegen Kaimane und Nilpferde" angegeben.

Die Kegu-keimineju-Sieja sind die Alten, die eigentlichen "Greise". Man darf dieses Wort "Greise" nicht in unserm Sinne anwenden. Denn die Neger werden auch hier nicht so alt wie unsere nordischen Völker, und demnach beginnt der "Alte" schon mit dein Auftreten des ersten grauen Haares resp. mit einer gewissen Würde, die das Bewußtsein verleiht, nicht mehr Untergeordneter in der Familie, sondern deren Ältester zu sein - ferner mit der damit verbundenen Tatsache, daß man nun die Arbeitsperiode im Leben hinter sich und die Ära der Behäbigkeitskultur vor sich hat. In Jahren ausgedrückt, beginnt der Greis mit 40 bis 45 Jahren. Wenn die "Greise" es dann zu diesem Zustande gebracht haben, der durch den ersten Flaum der ersten weißen Haare ein entsprechendes Zeichen der Würde erhält, werden sie in ihrem Bundverhältnis als würdig zum Eintritt in die dritte Altersklasse, in den Siëng genannten höchsten Grad des Diarrabundes erachtet.

Was eigentlich Siëng ist, kann ich nicht sagen, trotzdem ich ihn selbst in Siranikorro entdeckt habe. Ich fand neben dem Lehmschuppen, in dem die großen Diarratrommeln untergebracht waren, eine kleine kubische Lehmbude, die 130 Zentimeter hoch, 150 Zentimeter breit und 150 Zentimeter tief war. Ich fand darin an einer Seite einige Opfertöpfe, Opfermesser, alte Lappen, eine eiserne Glocke; auf der andern aber fünf Holzfiguren und zwei sehr große Schwirrhölzer. Alles das war ganz dunkelrot und über und über mit einer dicken gehärteten Blutschicht bedeckt. Nach und nach erzielte ich hierzu folgende Angaben: Eine Reiterfigur ist der eigentliche Siëng selbst. Es ist der Anführer der ganzen Gesellschaft. Das merkwürdige, fast wie neumecklenburgisches Schnitzwerk aussehende zweite Stück wurde als Kibarri bezeichnet. Kibarri ist, wie oben erwähnt, der älteste der Geheimbünde und heute von der Jugendklasse okkupiert. Drei Holzfiguren wurden mit Jirimani benannt. Die großen Schwirrhölzer führten den Namen "Billai".

Wie gesagt, konnte ich nichts Näheres über die Bedeutung der Gesellschaft erfahren. Ich glaube aber, daß es nicht schwer ist, den Sinn hier zu erfassen. Wir finden Sieng, Jirimani und Kibarri. Nun: Kibarri heißt auch die Jugendklasse, die Jirimani sind die Orakelwesen der Männerklasse, und mit Siëng wird die Greisenklasse bezeichnet. Danach wäre also unter dem Schutze der "Alten" hier die Vertreterschaft sämtlicher Altersklassen vereinigt. Das würde aber auch dem Sinn der ganzen Dreiteilung des Diarrabundes



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entsprechen. Denn in Wahrheit sind es die Alten, die alles das regieren und beherrschen. — Eine so klare Einteilungsweise auf Besitzerwerb wie bei den Bünden des Kommasystems der Malinke traf ich bei dem Diarrasystem der Bosso nicht. Immerhin liegt doch dem ganzen Aufbau das gleiche Wesen zugrunde.

Soweit die Geheimbünde, deren dämonische Auswirkung schon tief genug in ein mythologisches Denken hineinleuchtet. Vergegenwärtigen wir uns nun noch die aus dem Totendienst erkennbaren Vorstellungen, um dann mit vollen Segeln in das seltsame Zauberland der Schattengeister an den Wässern des Niger einzulaufen.


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