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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

c) Das familiäre Leben

Der männliche Same heißt: Saua. Während vierzig Tagen, heißt es bleibt er nach der Begattung im weiblichen Körper, ohne sich wesentlich zu verändern. Während vierzig weiterer Tage wird er wie Fleisch und nimmt Menschengestalt an. Aber erst gegen Ende des zweiten Abschnittes von vierzig Tagen bilden sich Knochen aus. Nach dieser Zeit entwickeln sich die Sehnen, die die Knochen verbinden. Endlich tritt die Haut auf. Alles das zusammen benötigt einer Zeitspanne von etwa neun bis zehn Monaten. Es ist aber nicht genau zu sagen, denn die Schwangerschaftsperiode schwankt sehr; so sagen die Bosso.

Die Gebärende liegt mit weitgeöffnetem Schoße auf einer Matte am Boden, die rückwärts gehaltenen Arme und Hände um den Nacken einer alten Frau schlingend, die hinter ihr kniet, mit den Händen den Leib der Duldenden hält und auch den Kopf stützt. Eine zweite Helferin sitzt vor ihr, streicht den zuckenden Leib und ist bereit, das junge Wesen in Empfang zu nehmen.

Ordnungsgemäß erscheint dieses mit dem Kopfe zuerst, und zwar im Afuru-nsinga, im "Sack", wie sich die Bosso ausdrücken (=dem Dusu, der Malinke). Der wird schleunigst in ein Loch gelegt, das vor der Haustür gegraben wird, und dann müssen die kleinen Kinder des Ortes zusammenkommen und darüber klatschen, tanzen und lachen. Dann erst wird er mit Erde ausgefüllt. Der Nabel (Afuru



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numa) wird nahe dem Mutterleibe abgeschnitten und dann am Kinderkörper zu einem Knoten geschlungen. Alsdann beginnt die Wäsche. Dreimal wird das kleine Wesen, wenn es ein Knabe, viermal, wenn es ein Mädchen, mit Wasser und Seife gereinigt und abgerieben.

Der Mutter wird inzwischen ein Gurt umgelegt. Dann aber muß sie sich über einen Mörser beugen und den durch die Schwangerschaft aufgetriebenen Leib hereindrücken. Das kräftige Schnüren mit dem Gurt wird anscheinend täglich wiederholt. Fernerhin ist inzwischen ein Huhn geschlachtet und mit viel Pfeffer zubereitet. Das wird nun der jungen Mutter als erste Speise vorgesetzt.

Eine Woche lang geschieht nichts weiter. Dann wird dem Kinde der Name gegeben. Man bringt das Messer herbei, mit dem nach der Geburt die Nabelschnur durchschnitten wurde. Der Vater schlachtet einen Hammel oder, wenn er keine Schafe hat, einige Hühner. Den nicht mohammedanischen Kindern gab man früher Tages- und Monatsnamen. Das ist aber heute selten geworden. Diese Namen lautetem

Wochentage: Ueiga Gaima (Freitag)
Itanu Asibiti (Sonnabend)
Arati (Sonntag)
Gatini (Montag)
Tarata (Dienstag)
Garaba (Mittwoch)
Gala Missa (Donnerstag).
In alten Zeiten wurde am Montag und Freitag nicht gearbeitet.
Monatsnamen: Lasiripana (Juni) Uampaku (Juli)
Kobavue (August)
Aradjabba (September)
Schunun-Kudugu(n) (Oktober)
Schungunku(n) (November)
Schenemieguku(n) (Dezember)
Schannipenn nanku(n) (Januar)
Schannipurrunku(n) (Februar)
Pentenku(ng) (März)
Basabaku(ng) (April)
Bajaku(ng) (Mai).

Ein besonderes Fest war mit der Namengebung nicht verbunden. Zu gehen beginnen die Kinder mit etwa eineinhalb, zu sprechen angeblich erst mit drei Jahren, doch lege ich auf diese Behauptung kein großes Gewicht, trotzdem sie mehrmals vorgetragen wurde. Es ist auffallend, daß die Kinder, auch wenn sie bis fünf Jahre alt sind, keine Lendenschnur tragen. Im ganzen westlichen Innerafrika,



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auch da, wo sonst keine Kleidung, auch nicht bei Erwachsenen, für notwendig erachtet wurde, konnte ich doch immer wieder sehen, daß schon den kleinen Kindern eine Schnur um die Lenden gebunden wurde. Es ist mir das immer wieder aufgefallen. — Dagegen bemüht sich die Mutter um so emsiger, dem Kinde möglichst schnell einige Gebete beizubringen, die das kleine Wesen vor dem Einschlafen stammeln muß und deren Zweck Schutz vor Menschenblut saugenden Tungutu ist.

In alten Zeiten fand die Beschneidung bei den Knaben zwischen dem siebenten und dreizehnten Jahre statt. Bei vielen Familien ward die männliche Jugend nicht eher beschnitten, als bis der Bart keimte. Diese Verzögerung ward aber früher angeblich durchgeführt, damit die Familie für sie möglichst lange keine Abgaben an den König (von Massina) zu zahlen brauchte; denn das trat erst dann in Kraft, wenn die Burschen beschnitten waren. Die Beschneidung (Kine-do-koni) scheint nicht mit sehr großer Feierlichkeit und Förmlichkeit verbunden gewesen zu sein. Wenn behauptet wird, daß die Bosso in uralter Zeit keine Männerbeschneidung (nur Frauenbeschneidung) geübt hätten, so scheint das nicht unmöglich.

Für die weiblichen Mitglieder gab es dagegen zweierlei verschiedene Möglichkeiten, der Reifeoperation, die Exzision (Kupierung der Klitoris = Da-uorro), oder die Infibulation (Vernähung der Vagina mit einem Faden =Numa). Letztere Sitte übten angeblich besonders die Darra-bu, die bei andern Turre heißen sollen, und die es gewesen sein sollen, die die Einheit der Völker zwischen Timbuktu und Djenne herstellten. Weiterhin erhielt ich noch von einem ganz vereinzelt und versprengt vorkommenden kleinen Gebrauchsgebiet Nachricht, die ich mit allem Vorbehalt wiedergebe. Dieses soll nahe der Eisenbahnstation Badimbe zwischen Kayes und Tukotto liegen. Dort wohnt in vier Dörfern der Stamm Ku Maga, das sind Kèita Massassi. Der Hauptort heißt Gomu Kulluballa. Die Leute sind mächtig hochgewachsene Gestalten, Vertreter eines kräftig gebauten Volkes und außerordentlich tüchtige Jäger. Den Mädchen wird angeblich in der Jugend auch die Vagina vernäht. Diese Leute sind in ihrem die Keuschheit anbelangenden Ritual so streng, daß sie das Maliwort Kissi = Korn nicht einmal aussprechen dürfen. Für Korn sagen sie Kurru, also anstatt njo-kisse (Hirsekorn) njo-kurru. Das Wort Kisse erinnert diese strengen Leute zu sehr an das Wort Bie-kisse = Klitoris. Diese Angaben über Infibulation in Nordwestafrika sind unwahrscheinlich und nur deshalb interessant, weil diese fraglos aus dem Osten her bekanntgewordene Sitte hier ganz bestimmten Volkstypen extremster und märchenhafter Keuschheit zugeschrieben wird.



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Aber wie gesagt, mit diesen Reifeoperationen sind im allgemeinen keine großartigen Feste verbunden, und sicherlich gleicht der dabei entfaltete Prunk in keiner Weise den entsprechenden Festen bei den Malinke. Die Operation findet an einem Donnerstag statt, welcher Tag überhaupt in früheren Zeiten der "Festtag" der Bosso gewesen zu sein scheint. Die Burschen schlafen nachher für etwa drei Monate in einer eigens für sie errichteten Hütte und haben diese tagsüber nur in geschlossenem Zuge zum Zwecke der Verrichtung der Notdurft zu verlassen. Nach drei Monaten ist die Heilung erfolgt. Die Nächte verbringen sie nicht im Dorfe, sondern im Busch. Ist bei allen die Wunde geheilt, so wird wiederum an einem Donnerstage ein Fest gefeiert. Man betrinkt sich, ißt möglichst viel und verknallt Pulver in Mengen.

Sehen wir nun, wie die Bossokinder in die Arbeit des Stammes und der Familie hineinwachsen. Bis zum dritten Lebensjahre etwa reicht die Mutter dem Kinde die Brust. Dann wendet sich aber der Knabe auch schon der Tätigkeit des Vaters zu. Vom dritten bis zum sechsten Jahre begleitet er ihn bei seinem Gange aufs Feld, wobei er ein wenig Gerät trägt, oder aber beim Fischfang. Wenn sie im Boot ausfahren und an die Stellung oder Aushebung der Netze und Wehre gehen, folgt er immer mit Aufmerksamkeit allen Vornahmen, ohne selbst zugreifen zu dürfen. Sehend lernt er. Zuweilen schenkt ihm der Vater einen Fisch -dann ißt er davon und bringt den Rest seiner Mutter. Mit dem sechsten Jahre wird er im Boote Aufseher der Geräte und Kleider aller Abwesenden, und mit dem achten Jahre beginnt für den jungen Bosso wie für den jungen Malinke die ernste Arbeit des Ackerbaues und die Periode fester Ansprüche.

Die Mädchen dagegen spinnen vom fünften Jahre an Baumwolle. Tagsüber haben sie für die Mutter zu arbeiten, aber die Zeit von sechs bis neun Uhr gehört ihnen, und was sie in diesen Stunden fertigen, gehört ihnen. Außerdem dürfen sie aber während dreier Tage im Jahre die ganze Tageszeit über für sich spinnen. Das ist ein Festtag, der Para genannt wird. Am Para vereinigen sich alle Mädchen zu gemeinsamem Spinnen. Es ist immer ein Tag, dessen folgende Nacht durch vollen Mond ausgezeichnet ist, und man sagt, daß der an diesem Tage gewonnene Faden nicht reißt. Gleiche Einrichtung und gleichen Glauben fand ich bei Malinke. Anscheinend ist mit diesen Spinntagen der Mädchen noch allerhand Glauben verbunden.

Das Bossomädchen muß bis zur Ehe auf jeden Fall Jungfrau bleiben. Dafür heiratet es auch sehr früh, nämlich angeblich mit zehn oder zwölf Jahren. Als ich dieser Angabe wegen Zweifel äußerte, ward mir die Antwort, die Bosso äßen eben sehr viel Fisch und deshalb würden sie schneller reif als andere. Ein Bursch, der



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wohlhabend ist, heiratet schon mit fünfzehn, einer, der sein Geld erst zusammenbringen muß und in Fron arbeitet, erst mit zwanzig Jahren. Wenn der Vater es hat, zahlt er dem Sohne alles, was nötig ist, und das ist nicht gerade wenig. Gefällt dem Burschen ein Mädchen, so wird erst eine kleine Gabe an die Schwiegereltern gesandt, deren Zweck ist, das Feld zu sondieren. Es sind 10 Kola und 500 Kaurimuscheln. Werden sie freundlich angenommen, so weiß man, daß der Schwiegersohn keinen Widerstand finden wird, und es folgen nun 2500 Kauri und dann 5000 Kauri. Während der folgenden ein bis zwei Jahre macht man dem Schwiegervater bei jedem Feste kleine Geschenke, und dann geht man zu einer endgültigen Regelung der Angelegenheit über. Nun bekommt der Schwiegervater tam-penne = 20000 Kauri 20 Franken. Wert in zwei Raten, nämlich erst 17000 und dann 3000 Kauri. Zum Schluß wird am Hochzeitstage der Betrag von 2750 Kauri und 10 Kola überwiesen. Das ist die letzte Rate, aber das Genannte ist noch nicht alles, denn der Schwiegervater wird die ganze Werbe- und Wartezeit über reichlich mit kleinen und großen Geschenken bedacht.

Mit der letzterwähnten Rate ist der Tag der Hochzeit erreicht. Es ist ein Donnerstag. Auf beiden Seiten ist alles würdig vorbereitet. Die Schwiegermutter hat dem Bräutigam schon seit längerer Zeit Stoffstreifen gesandt, aus denen er eine Decke genäht und, wenn er wohlhabend genug ist, sie mit Seide bestickt hat. Er hat vor allem ein eigenes Gehöft gebaut, entweder allein oder mit Hilfe seiner Freunde oder aber mit den Sklaven seines Vaters zusammen. Natürlich liegt es in oder am gleichen Dorfe, aber es ist ein wenig getrennt von dem des Vaters und möglichst weit entfernt von dem der Schwiegereltern. In diesem Hause hat er das Bett gerüstet und die Decke der Schwiegermutter darüber ausgebreitet.

Die Schwiegermutter sendet heute aber auch die Ausstattung, die je nach der Wohlhabenheit der Familie reich ist. Die Mutter legt in eine große Kalebasse einen dunkelblauen Schal aus Segu, ein Kleid, das für Festtage bestimmt ist. Die Tochter bekommt Messer und Lampe, Mörser und Keule, Kalebassen und zwischen fünfzehn und dreißig Körben Schalen und Schemel. Sie selbst wird geschmückt mit Halskette, Nasenschmuck, Arm- und Ohrringen, so daß sie stattlich dreinschaut. Wohlhabende Mütter gaben früher ihrer Tochter eine kleine Haus- und Stubensklavin mit, und ein reicher Vater sandte einen tüchtigen Küchensklaven in den jungen Haushalt, so daß wir am besagten Donnerstage das junge Gehöft schon in vollem Schmucke aller Arbeits- und Genußgeräte und auch schon von Menschen belebt sehen.

Wenn der Donnerstagmorgen anbrach, versteckte der Bräutigam



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sich irgendwo bei seinen Freunden im Dorfe. An diesem Tage war kein Fest, denn man war doch stets ein klein wenig unsicher, hinsichtlich des Ausganges der Eheschließung. Für Feste war ja noch immer Zeit. —Abends kamen zunächst vier alte Weiber, zwei von diesen gingen in das Haus und deckten ein weißes, möglichst feines Laken über das Ehebett. Zwei warteten vor der Tür. Dann gingen sie hin und holten die Braut. Ihr Antlitz war, wie bei den Malinke, verhüllt, aber die langstielige Kalebasse der Malinkebräute trug sie nicht. Dagegen war sie begleitet von einem Bruder und einer Schwester, die nicht mit in das Brautgemach eintraten, sondern vor der Tür außen niederhockten. War die Braut auf dem Lager gebettet, so ward dem Bräutigam eine Nachricht gesandt, und daraufhin machte er sich auf den Weg, und zog mit seinen Freunden in sein neues Heim ein. Nun traten die alten Weiber, denen sich noch eine fünfte, die Fächerschwingerin, beigesellt hatte, und die Kanti genannt wurde, aus dem Hause. Die Freunde blieben auch auf dem Hofe und nur der Bräutigam ging in das Haus. Vorher aber übergab er den an der Tür bockenden Verwandten der Braut (Schwester oder Bruder derselben) ein Geschenk von 5000 Kauri, eine Sitte, die auch die Malinke kennen, nur daß diese ein Geschenk an Stoff im Werte von einem Frank für hinreichend erachten.

Während nun im Brautgemache die Ehe geschlossen wurde, harrten die alten Weiber und die Freunde des Bräutigams gespannt darauf, welches der Ausgang des Ereignisses sein werde. Fand der Bräutigam, daß er noch jenes zarte Hindernis, das hinwegzuräumen Kultus und Natur hier dem siegbewußten Bräutigam vorbehalten hat, zu bewältigen habe, so war er hocherfreut und befriedigt. Er kleidete sich danach rasch an und stürzte freudestrahlend und jubelnd aus dem Hause und in den Jubel stimmten die Freunde ein und rannten pulverknallend und kreischend mit ihm zum Fluß. Während er sich nun im Flusse badete, und wusch, gingen die alten Weiber in das Brautgemach. Sie betrachteten die Spuren des stattgehabten Ringens und falteten das blutbefleckte Laken fein säuberlich zusammen. Die Kanti, die Fächerschwingerin, aber wehte der erhitzten Braut eifrig frische Luft zu.

Am andern Morgen zeigen die alten Frauen dies Laken mit großer Befriedigung im engeren und weiteren Familienkreise umher, und nun gewinnt die Ansicht Raum, daß es Zeit zu einer allgemeinen Festlichkeit sei.

Alle Frauen lassen sich die Haare ordnen, alles legt neue Kleidung an. Es wird getrommelt und getanzt und nach allen Seiten hin werden Geschenke vergeben. Jeder Mann bringt zunächst eine Gabe der Braut dar, Vieh, Kleider, Kauri usw. Die Braut behält sie nicht, sondern gibt sie ihrer Nio-mutia, d. i. die weibliche Person,



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Verwandte, Freundin, Sklavin oder was es sonst sei, die ihr bislang die Haare geordnet hat. Denn diese dienende Freundin hat das bislang immer ohne Entgelt getan und heute wird sie mit den Geschenken bedacht, die der Braut überwiesen wurden, und zwar mit allen, wenn diese auch einen Wert von mehr als 1000 Frank haben. Damit ist der Dienst der Nio-mutia aber ein für allemal beendet.

Dieses Tanzfest währt eine Woche. Gegen Ende desselben machen auch die Eltern des Bräutigams reiche Geschenke. Und zwar schenken sowohl der Vater wie die Mutter jeder der alten vier Frauen, die das Brautbett bereiteten, einen Überwurf und einen Schal, während die Kanti mit einem Schal und einem Überwurf, von den Eltern gemeinsam gestiftet, zufrieden sein muß.

Die eigentliche Ehefrau, die Forojugu (bei Malinke und Bammana =Foromussu, bei Marka =Foronjangare, bei Fulbe =Dimodebu), bleibt selten allein. Häufig, wenn der wachsende Wohlstand der jungen, durch Sprossen vermehrten Familie dies gestattet, wird vom Ehegatten ein drittes Gespann geehelicht, und hierzu erteilt gar nicht selten und besonders, wenn sie sich ihrer Stellung ganz sicher ist, die erste Gattin selbst einen Rat. So gibt z. B. zuweilen der Tod des Vaters des Gatten hierzu Veranlassung - denn nach Bossogesetz erbt der Sohn immer zwei, die Tochter nur einen Teil. So mehrt sich der Besitz und es wird Zeit zu einer neuen Kapitalanlage, bei der die mit ihren Kindern beschäftigte erste Frau auch nach anderer Richtung als auf dem Gebiete der Arbeit, Erleichterung und Herabminderung der Ansprüche erhofft.

Eine zweite Gattin, auch wenn sie eine Forromussu, eine geheiratete Freie ist, stört die erste Gattin in ihrer Stellung meist nicht. Im allgemeinen ist der Stellung der "ersten Frau" der Fungpanna (bei Malinke und Bammana =Mussufollo, bei Fulbe =Jeo) eine unerschütterliche, und wenn nicht gerade die Mutter des Gatten mit im Hause lebt und ihr so gewisse Einschränkung und Konkurrenz bietet, so ist sie im wahrsten Sinne des Wortes Herrin im Hause. Sie ist die Verwalterin der Vorräte, sie kennt alle Unternehmungen des Gatten und daher alle Besitzverhältnisse. Wenn irgendeine der nachfolgenden Frauen verdient oder einkauft, muß ihr Abgabe und Bericht erstattet werden. Sie ist den jüngeren Frauen Helferin in schwerer Stunde, und von ihr verlangt man, daß sie für alle Kinder insgesamt eine gütige Patronin ist, wenn auch jede Frau für sich eine Erzieherin und Fürsorgerin der einzelnen Kinder ist.

Aber der Bosso heiratet nicht nur Frauen, sondern er legt sich auch wohl eine Tarajo, Konkubine (Malinke und Bammana Taramussu; Marka =Tarajagare; Fulbe =Tarajumadebu), zu. Die Torojugu sieht das nicht sehr gerne -denn nicht nur, daß eine Taramussu nur dann ihre Stellung beim Hausherrn zu wahren



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weiß, wenn sie ihm besonders lieb und wert ist, also ganz besondere Eigenschaften aufweist - nicht nur das, nein die Kinder der Taramussu werden mit Eifersucht beobachtet; denn es ist ein offenes Geheimnis, daß sie besonders tüchtige Menschen sind, und von allen größeren, frisch ins Staatsleben hereinwachsenden Königen behauptet man, daß sie die Kinder einer Tarajo oder Taramussu seien.

Um das Kapitel der Weiblichkeit in geschlechtlichen Wettkampf zu beenden, sei bemerkt, daß auch den Bosso die Hure, hier Fongononjamma (bei Malinke =Fanasigimussu; bei Bammana = Sunguru-mba; bei Fulbe Schiba-Fungaru [oder Fasigi?] und Djebo Lamdu [letztere =Königshurej; bei Marka =Djanjuo und Pasigi), nicht fehlt, daß sie keine besonders mißachtete Stellung einnimmt, aber auch keine Gold- resp. Kauriberge sammelt. Auch hier wiederholt sich die alte Erfahrung, daß diese armen Geschöpfe das, was sie mit Darbietung ihres Leibes verhältnismäßig leicht verdienen, schnell und ohne Verstand zur Förderung ihrer Anziehungskraft in äußerem Kleiderprunk verschwenden müssen. Übrigens glaube ich aus dem mir hier erstatteten Bericht schließen zu dürfen, daß die Huren sich aus dem Kreise solcher bedauernswerter Weiber ergänzen, die an einer Nymphomanie zur Entwicklung gebracht, durch mangelnde Körperarbeit leiden. Die Fongonjamma sind übrigens auch hier nur in den kleinen Städten resp. großen Dörfern und in Djenne zu finden. Auf dem Lande und in den kleinen Weilern fehlen sie. Für Fremde sind sie wohl nur in Djenne zugänglich. — Päderastie, Onanie und ähnliche giftige Früchte der Kulturvölker fehlen hier ebenso wie bei den Mandingo.

Nun noch einige Worte den andern Familienverhältnissen. Auch hier wie bei allen Mandestämmen besteht beim Ehemann den Schwiegereltern gegenüber ein ganz besonderes Schamgefühl. Wenn die Hochzeit mit dem zugehörigen Festtrubel vorbei ist, d. h. gleich nach der Verehelichung, entsteht ihnen gegenüber bei ihm eine Art Scheu, die darin zutage tritt, daß er nie in ihrer Gegenwart ißt, daß er sie nicht beim Namen nennt, ja nicht einmal ihren Namen ausspricht. Auch das ist eine Sittenreihe, die genau mit den gleichen Beobachtungen, die ich bei den Mande machte, zusammenfällt. Diese Scheu läßt erst etwas nach, wenn die Kinder des jungen Paares so weit heranzuwachsen beginnen, daß man an die Verheiratung der Enkel der Schwiegereltern denken kann. Dann hebt der nun schon ältere Ehemann den Schwiegereltern gegenüber etwas kühner das Haupt. Aber ganz verschwindet die Scheu das ganze Leben hindurch nicht.

Ich erwähnte schon die Erbschaftsform. Die Töchter erhalten halb soviel als die Söhne. Das ist echt islamisch. Aber es bestehen



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Spuren ebenso echter matriarchalischer Familiengliederung, wenn die e auch nicht sehr in die Augen fallen. Betont sei, daß auch hierin die Fami engesetze der Bosso genau denen der Mande entsprechen. — Im Leben der Kinder spielt der Bruder der Mutter, der Kokou (bei Malinke =Mbarri; bei Bammana =Benke; bei Marka =Bienke; bei Fulbe =Kau), eine ganz besondere Rolle. Der heranwachsende Bursche kann nämlich seinem Onkel gelegentlich einen Hammel, eine Ziege, Hühner, ja einen Ochsen - wenn der Kuhhirt nicht genügend aufpaßt - rauben, und der Kokou hat weder das Recht, den Jungen zu bestrafen noch von ihm oder seinen Eltern Ersatz zu beanspruchen. Es ist, als ob der Kokou die Pflicht habe, irgendwie zur Erhaltung seiner Neffen und Nichten von Schwesterseite beizutragen, und wenn er das auch nicht freiwillig tut, von den Schwesterkindern zur Unterstützung sich zwingen zu lassen.

Noch deutlicher tritt das Neffen- und Onkelrecht hervor, wenn ein junges Mädchen, ohne einen Gatten zu besitzen, Kinder in die Welt setzt. Dann nämlich werden diese dem Mutterbruder der Leichtsinnigen zur Erziehung und als Besitz überwiesen.

Festtage der Bosso. — Außer verschiedenen Festen, von denen manche im Verlaufe der Beschreibung erwähnt und geschildert werden und von denen der größte Teil von Zufälligkeiten und in unregelmäßigen Abständen, in Szene geht, je nachdem ein Glück oder ein Unglück die Menschen heimsucht, hörte ich noch von folgenden, feststehenden Zeremonialen.

i. An der Spitze muß auch hier der mohammedanische Ramadan genannt werden, der hier Sali-ni-megu (bei Malinke = Sunkarusah; bei Bammana =Sahi-ni-djenni) heißt. Wenn Mitte November der Mond aufgeht, erschallen abends Gewehrschüsse. Alles wandert zum Flusse sich zu baden, und jeder Mann läßt sich die Haare schneiden. Es gibt sehr gutes Essen. Abends ist Tanz, und so feiert man unter allgemeiner Beteiligung auch der Nichtmohammedaner drei Tage lang.

2. Noch größer ist das zweite, noch berühmtere mohammedanische Sahi-mburru (bei Malinke = Bana Sah; bei Bammana = Sahba). Das fällt wohl auf den 10. Januar (?). Man wäscht einen tüchtigen Hammel und schlachtet ihn dann, aber man ißt ihn noch nicht. Es wird der große Salaam gebetet, man badet, rasiert sich; es ist abends Tanz und morgens Tanz. Man feiert drei Tage.

3. "Bonde" (bei Malinke = Fakarru oder Sanjillima Karu; bei Bammana =Djom-bene) wird gegen Mitte Februar begangen. Das Fest spielt sich in gleicher Weise ab, aber es fehlt das Hammelschlachten und die Dauer überschreitet nicht einen Tag. Man behauptet auch hier, bei den mohammedanischen Bosso, an diesem



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Tage wiege Allah die Bosso, und die, welche nicht schwer genug befunden würden, töte er in Bälde.

4. Im Mai findet ein echt nationales Fest der Bosso statt: Panai Taki genannt. Viele Bosso versammeln sich an einem bestimmten Seitenarm des Niger nahe Djenne. Erst treten alle erschienenen Boote in einer Reihe nebeneinander an und dann findet ein Wettfahren statt. Nur die, die gewinnen, dürfen an diesem Tage fischen.

5. Ein weiteres Nationalfest der Bosso ist Kuna Djobo Uarri genannt. Kuna Djobo ist ein Seitenarm des Niger nördlich von Djenne. -— Im Juni, wenn dieses Fest - und zwar an einem Dienstage - begangen wird, scheint dieses Gewässer schwachen oder keinen Abfluß zu haben. Die Männer tragen mächtige Hosen, in die bis zu 50 m Stoff vernäht worden ist - die Frauen haben feine Gürtel von vielen Kaurimuscheln. Man geht zum Fluß. Man tanzt, man trommelt und kocht. Am ersten Tage tanzen die Jungen, während die Alten, die schon über viel Zaubermacht verfügen, fischen und dem Flusse Opfer an Speise beibringen. Jeder hat das Recht zuzugreifen und zu essen, wo er eine gefüllte Kalebasse sieht. Am Ufer des Flusses wird einen Tag lang gefeiert, im Bossolande tanzt man eben während sieben Tagen.

Dies ist offenbar eine der Opferfeiern, von denen bei Gelegenheit der Beschreibung der Fischerei gesprochen wird. Es gibt übrigens wohl noch eine ganze Reihe anderer festliegender Lokalfeiern, von denen ich nicht hörte.


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