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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

b) Das soziale Leben

Die wesentlichen Stützen der Kultur, deren sich die Bosso erfreuen, stellen Ackerbau und Fischfang dar. Auf jeden Fall müssen die Bosso gleich den Mande zu den fleißigen Leuten gerechnet werden, und wenn sie es doch nirgends zu einer besonderen Wohlhabenheit gebracht haben oder zu starkem Nationalbesitz und zu einem nationalen Kraftausdruck in Staatsform, so mag daran vor allem die ungünstige geographische Lagerung ihres Landes verantwortlich zu machen sein. Denn die Bosso leben als Rest einer großen Wanderung der Sorongoi-Songhai zwischen den Marka- und den Segustädten. Sie haben aus ihrem Fischer- und Ackerbauerdasein heraus die Blüte der sudanischen Kultur, die Stadt Djenne mit ihren Bildungsanstalten aufwachsen sehen; aber das mohammedanische Großstadtleben konsumierte wohl einen Teil der Bevölkerung, der größere aber ward als "Heidenvolk" zu desto niederer Daseinsform herabgedrückt. Denn wir sehen das in der ganzen Welt und ebenso im Sudan, daß wenn irgendwo ein hervorragendes geistiges Zentrum entsteht, dann das Land um so leichter kulturell verflacht, resp. nur flacher erscheint. Denn in Wahrheit bietet ein altes Landleben mehr echte Kultur, mehr altererbte Charaktereigentümlichkeiten als ein neues, großes Stadtwesen. Indern aber die Landbewohner die hervorragende intellektuelle Tätigkeit und Veranlagung überschätzen, begeben sie sich vollständig auf eine niedrigere Stufe, von der sie der Dünkel der Städter sicher nicht freiwillig emporhebt.

So blieben denn die "heidnischen" Bosso trotz all ihres Fleißes den Djenneleuten gegenüber die nicht sonderlich geachteten Bauern, und nur die Tatsache, daß sie allein es sind, die die Kanäle und Wege des Niger kennen, nur diese Tatsache hat sie davor bewahrt, von



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den Herrschern von Segu, von den Marka der Provinz Sokolo oder den Fulbe Massinas ausgerottet zu werden. Aber eingekeilt zwischen diese "Großmächte", anerkannt als wegkundige, findige Wilde lebten sie in den vergangenen letzten Jahrhunderten ein ziemlich ungetrübt glückliches Leben. —Ob sie als Songoi seinerzeit erst mit den Soninke ins Land kamen oder eine ältere Schicht darstellen, darüber wird an anderer Stelle zu reden sein.

Daß also den Bosso unter diesen Umständen keine besonders ausgebildete Staatsform erwachsen konnte, versteht sich um so mehr, als das Land durch den Bani und den Niger in unendlich viele Inseln und Landstücke eingeteilt wird, denen etwa ebenso viele oder noch mehr Gemeinden entsprechen. Die Bosso erinnern sich nicht an eine Zeit der politischen Selbständigkeit. Sie haben immer irgendeinem Fama (König) Abgaben bezahlt oder ihm als Ruder- und Bootsleute Hörigendienste geleistet.

Jedes Dorf (Nogu) hat seinen Dorfschulzen oder Nogutu. Das "tu" entspricht dem tigi der Mande. Der Nogutu repräsentiert die Gemeinde nach außen und ist außerdem Richter. Darin gipfelt das Wesen der offiziellen "Staatsverfassung" der Bosso. Man kann noch hinzufügen, daß er sonst weiter gar keinen Einfluß hat, es sei denn, daß er im Rate der Alten eine besonders hervorragende Stelle einnehme - aber das ist nicht offiziell, das ist nur offiziös. Sehen wir den Mann erst von außen an, wie er sich in alten Zeiten darstellte. Auf dem Kopfe trug er eine gelbe, hinten weit herabfallende und mit Amuletten besetzte Mütze, Kunkurru bamfulla genannt. Sein Kleid war schwarzblau. In der Brusttasche steckten Amulette. Dies Kleid hieß Tuauju subenju (oder subensu). Am linken Arme trug er einen Ring aus Silber, genannt Suba uarri (uarri =Silber). Inder einen Hand trug er einen Speer, Ta genannt und mit je zwei Widerhaken an jeder Seite der Spitze versehen, in der andern den Na-ping genannten Fliegenwedel aus Ochsenhaut, in dessen Mitte geschickt allerhand Zaubermittel verborgen waren, so daß der Häuptling sich immer harmlos anwedeln konnte und doch derart ohne Aufsehen zu erregen dabei eine Atmosphäre von zauberischer Sicherheit verbreitete.

So war sein Äußeres. Sonst unterschied sich sein Lebenswandel wenig von dem anderer Leute. Wenn er arm war und keine Söhne hatte, die für ihn schafften, so mußte er seinen Acker bestellen oder zum Fischfang ausziehen wie jeder andere. War er wohlhabend oder verfügte er über viele Söhne, so saß er daheim herum und tat eigentlich gar nichts, außer daß er wie jeder andere alte Mann den Würdigen spielte. Seine einzige Einnahme als Nogutu floß ihm aus der Ausübung des Richteramtes zu. Wenn zwei sich uneinig waren und stritten, so hatte er über die Rechtslage zu entscheiden, und der



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als im Unrecht befindlich Erkannte mußte ihm eine Buße zahlen. Fernerhin erhielt er noch mancherlei kleine Geschenke, von deren Üblichkeit in keinem, somit auch nicht in dem ungeschriebenen Gesetzbuch der Bosso ein Wort stand. Solche Gaben verabfolgten Leute, die gerne die Augen der Gesetzlichkeit mit Wohltaten zudrücken wollen.

Die wahre Herrschaft im Dorfe hatte nicht der Nogutu, sondern die lag in den Händen der von den Alten geleiteten Geheimbünde. In dieser Hinsicht bestand das einzige, was der Häuptling vermochte, darin, daß er die Gründung resp. Einführung neuer Geheimbünde und großer Genossenschaften verbot - das stand ihm zu oder daß er sich bestrebte, auch im herrschenden Geheimbunde der Ortschaft, und zwar in der Klasse der Alten, möglichsten Einfluß auszuüben, d. h. eine möglichst angesehene Stellung in ihm zu gewinnen. Aber sonst konnte er auch im Bundwesen weder Verwalter irgendeines Heiligtums noch Vorsitzender werden.

Das Dorfschulzentum ist im großen und ganzen erblich und ging vom älteren Bruder auf den jüngeren oder aber in Ermangelung dessen auf den ältesten Sohn über. Doch werden wir gleich sehen, welche stillen Kräfte bei der eventuellen Neuwahl eines Häuptlings tätig waren. Wenn ein Nogutu starb, der sehr alt geworden war, und sich eines hervorragenden Ansehens erfreute, gab es alsbald ein großes Leichenfest. Die jungen Leute kamen mit viel Tumult, Gewehrschießen, Schreien und "Katzenmusik" — wie man bei uns sagen würde - ins Dorf und plünderten. Jeder durfte Huhn, Hammel, Ziege stehlen. Es war für einen Augenblick gesetzliche Anarchie und für das Geraubte weder etwas zu zahlen noch eine Buße zu erlegen.

Eine besondere Trauer war vor allem den Frauen der Nogutu auferlegt. Diese blieben fest eingeschlossen im Hause und durften mit niemand sprechen, außer mit denen, die im Auftrage des Bruders des Toten die Speisen brachten. Wenn sie einmal das Haus verließen, um ihre Notdurft zu verrichten, so hatten sie einen Dolch und ein Paar Schuhe des Verstorbenen in der Hand. Im übrigen war ihr Trauergewand weiß. Ihre Haare waren wild aufgelöst. — Ausgenommen von dieser Form der Trauer waren die Antarajugu (bei den Malinke und ebenso bei den Bammana Taramussu genannt). Das sind die Frauen, die als Sklavenkinder gekauft und dann als Weiber freigekauft sind. Diese Frauen werden nur am Montag und Freitag beschlafen. Ihre Kinder gelten als die Tüchtigsten, und man sagt auch bei den Malinke, daß jeder reichsgründende König das Kind einer Antarajugu gewesen sei. Die Antarajugu nun sind gezwungen, vierzig Tage im Hause eingeschlossen zu bleiben, während die andern Frauen fünf Monate lang eingeschlossen bleiben und dann



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erst in den Hausstand des die Nogutuwürde erbenden Bruders übergehen.

Dieser Amtsnachfolger ist, solange ein solcher vorhanden ist, ein jüngerer Bruder des Verstorbenen. Aber er muß ein Kind gleichen Vaters und gleicher Mutter sein. Ehe er sein Amt antrat, mußten drei Monate ins Land gehen. Während dieser Zeit verwalteten der älteste Kie (Skalde), der älteste Kurgu (Schmied) und der älteste Konjong (Haussklave) das Haus. Der Nachfolger opferte aber fleißig dem Verstorbenen, betend, daß es ihm vergönnt sei, noch lange und glücklich zu leben. Das war besonders berechtigt, wenn ein Bruder des Verstorbenen kandidierte, denn es ist ein offenes Geheimnis, daß der Nogutu sich in diesem Falle zu bemühen pflegt, dem Nachfolger die Amtsdauer möglichst zu kürzen. Er pflegt mit seinem Lieblingsweibe zusammen in der Mitte der Beratungshalle einen Topf mit starken Tungu zu vergraben, die dem nachfolgenden Bruder möglichst bald den Tod bringen und so seinen eigenen ältesten Sohn in Bälde die beliebte Stellung eines Nogutu eintragen sollen.

War ein jüngerer Bruder nicht vorhanden, so war die Sache schwieriger. Auf jeden Fall sollte die Würde aber in der Familie bleiben. So taten sich denn der älteste Skalde, der älteste Schmied, der älteste Haussklave zusammen und bestimmten unter den Erbschaftskandidaten einen Nachfolger. Ein so dem Dorfe erwachsender Schulze, der gewöhnlich der älteste Sohn irgendeines früheren Nogutu, aber nicht dessen jüngerer Bruder war, mußte zehn Monate bis zum Antritt der Amtswürde warten und sich mit allerhand Opferungen auf die Amtsführung vorbereiten.

Betrachten wir nun die Schichtung des Volkes, dem der Nogutu in seinem Dorfe vorstand. Vorher aber wird es gut sein, wenn wir uns mit den Volksnamen etwas befassen. Auch hier ein richtiges Kastensystem, und als oberste Kaste oder Schi wurde mir zuerst der Name Surruku oder Sorroko angegeben. Nach vielseitigem Umfragen erhielt ich die Auskunft, daß das falsch ist, wenn vielleicht auch historisch mehr gut Begründetes dafür spricht, als man glaubt. Wir betrachten das Wort Sorroko: Sorro heißt (bei den Bosso) die weibliche Scham. Koi heißt soviel wie stechen, wird z. B. angewendet für Harpune auswerfen, Fische stechen, Weberschiffchen werfen. Sorrokoi nennen sich die Leute von Djenne und Timbuktu. Sorrokonogo oder Sorrokonogu werden die Dorfbewohner der Bosso genannt, die, die nicht in den Städten, sondern auf dem flachen Lande wohnen. Sorroko oder Surruku oder Sorrokoni heißen bei den Bosso die Tuareg. Das "ni" am Ende soll so viel wie "klein" heißen, doch ist die Etymologie unsicher. Und als Ergänzung ist sicher die Feststellung interessant, daß bei den Mandestämmen der kleine Tierräuber, der Schakal, Surruku heißt, was entschieden an die räuberischen



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Treibereien der Targi-Tuareg erinnert. — Aber als das bei weitem wichtigste dieser Worte möchte ich doch das erste bezeichnen. Es liegt in der Verbindung des Wortes Sorro mit dem Volksnamen eine tiefgehende Bedeutung. Sorro heißt weibliche Scham. Diese Menschen sind also die "der Mutter entsprossenen". Hier klingt das Matriarchat, die Betonung der weiblichen Abstammungslinie, durch. Und das ist genau das Entgegengesetzte zu dem, was wir bei den Mande finden. Bei denen heißen die Vornehmen Forro oder Horro und das heißt dort Penis, männliches Glied. Das sind die Menschen des Patriarchats, die die Abstammung vom Vater betonen. Das ist der direkte Gegensatz. Bemerkenswert ist, daß die alten Bosso-Sorokoi angeben, die Targisprache gut zu verstehen, was danach nicht auffallen kann.

Nun kann man darauf hinweisen, daß Sorro = weibliches Geschlecht und Horro oder Forro = männliches Glied merkwürdig viel innere Uberseinstimmung aufweisen. Das ist aber nicht nur richtig, sondern auch anscheinend nicht selten. Auf meiner ersten Fahrt stellte ich in Bolombo am Sankurru fest, daß bei den Baluba und bei den Bangala des nördlichen Kongogebietes die Geschlechtsbezeichnungen direkt umgekehrt sind.

Nachdem das vorausgesandt ist, gehe ich zur Schilderung des Kastenwesens über. Das Volk der Bosso unterscheidet zwei Gruppen von Kasten.

I. Die Horrong (von Mande Horro ausgesprochen), das sind die Vornehmen. Aus ihrem Kreise allein können die Dorfschulzen hervorgehen. — Zu ihnen wird auch eine eigene Art von Leuten gerechnet, von denen ich leider bislang noch nichts Näheres hörte, das sind die Schabaschegu. Diese betreiben das Geschäft der Goldarbeiter und der Bronzegießer. Das Bronzegießen galt früher als besondere, und zwar geheime Kunst, deren Geheimnisse sich vom Vater auf den Sohn vererbten.

II. Diesen gegenüber standen die Niami-nja, das ist die Zusammmenfassung der drei unfreien Schi. Das Wort erinnert an Niami, im Fulfulde = essen, und nja, im Bosso = Mutter. Zu ihnen gehörte: i. Die Schi der Kuigu oder Kurgu = Schmiede, die auch hier Inhaber besonderer heiliger Gebräuche und Zaubermittel sind und so einen besonderen Einfluß, begründet auf den Glauben der Menge, ausüben. 2. Die Schi der Kie = Skalden, die hier wie in den südlichen Mandeländern Konian, Uassulu, Torong, Bate usw. gleichzeitig Lederarbeiter sind. Die Kie sind wie bei den Mandingo nicht allgemein gleichgestellt und üben verschiedene Zweige ihrer Kunst aus. So sind die Mitglieder des Diamu Kajanta oder Nkaianta nicht eigentlich Sänger und Gitarrenschläger, sondern Trommler, die die Tanzfeste mit ihrer Musik verschönern und



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ermöglichen. 3. Die Konjuong oder Konjo, das sind die Haussklaven; sie entsprechen den Ulussu der Mande, und ihre Haltung, Verheiratung und Befreiung ist von den gleichen Gesetzen, Zahlungen usw. wie bei den Mande geleitet.

Aus dieser Aufstellung geht die Kastenschichtung so deutlich hervor, daß es nicht schwer ist, sich ein Bild des allgemeinen Getriebes zu machen, besonders, wenn wir hinzufügen, daß Schmied und Horrong, Skalde und Goldarbeiter unabhängig von seiner Schizugehörigkeit seine Fische fing und seinen Acker baute. Am wesentlichsten für das Volksleben ist auch hier die Heiratsbeschränkung der Kasten. Ein jeder konnte in seinem Diamu, in seinem Stamme heiraten, er durfte in jedem Diamu seinen Schi ehelichen, aber er durfte nicht und niemals sein Weib aus einem andern Schi wählen. Man sagt, daß die Bosso in entfernteren Gegenden weniger, in der Nähe der großen Verkehrsstraße aber fester an diesen Gesetzen halten als die Mandignovölker. Ich weiß aber nicht, was hieran wahr ist.

Verfolgen wir nun das Aufwachsen der Staatsbürger bei den Bosso.


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