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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

a) Das Allgemeine

Wer je auf einem Eingeborenenboote die herrlichen Kanäle und Flächen von den Mandestädten nach dem Debo-See und Timbuktu zu hinab- oder hinaufgleitet, wird als treue Schiffsmannschaft Leute haben, die allgemein als Bosso bezeichnet werden. Es sind dies die Schiffer und Fischer des Niltales zwischen Mande und Timbuktu, es sind auch die Bauern. Diese Menschen stellen einen eigenen Schlag dar, und es ist ganz gleichgültig, ob sie von einigen als Verwandte der Somonofischer am oberen Niger, von andern als Brüder der Macka-Sarakole oder von dritten als Nachkommen der Songhai bezeichnet werden. Es sind eben heute die Bosso-Soroko (oder Sorokoi), und hier kümmert uns weniger die Frage nach den Elementen, aus dem der Kulturkörper "Bosso-Soroko" zu einem geworden, als die Tatsache, daß dieser Kulturkörper einer der eigenartigsten Afrikas, ein stilstarker und klarer, ein in seiner Art und nach seinem Format sogar ein monumentaler ist.

Monumental sind die Riesentumuli im Bossoland, die seit Urzeiten mit rotem Schädel gen Himmel starren. Monumental ist auch die Dichtkunst dieser Menschen.

Äußere Erscheinung. — Die Bosso-Soroko sind als eine schwarze Rasse von ungemein kräftiger Körper- und Gliederentwicklung zu bezeichnen, der aber sichtlich eine sehr bedeutende Rassenmischung eigen ist, die nach keiner Richtung hin die Herauskristallisierung eines besonderen Rassentypes erreicht hat. Immerhin sind die kräftigen, breiteren Bammanatypen, die breiten, rohen, auseinandergehenden Physiognomien der Bammana bedeutend seltener als die Erscheinungen des langgestreckten großzügigen Markakopfes und Markaleibes. Die mongolischen Gesichter und zierlichen Körper der vornehmen Habbefamilien fehlen gänzlich, und die extreme Erscheinung des echten Fulbetypes ist der Körperwelt der Soroko gänzlich entgegengesetzt. Als rassenmäßig rein erhaltener Typ als "Urbevölkerung",wie man das versucht hat, kann man diese Fischervölker keineswegs hinstellen. Es ist vielmehr sehr deutlich, daß in südlichen, kleinen Dörfern Bammanaähnlichkeit, im nördlichen Faraka Markaverwandtschaft durchleuchtet. Aber wie dies der ganzen Nordsüdausdehnung nach vermerkt werden kann, so leuchtet das auch deutlich aus der Ostwestausdehnung hervor. Es ist mir aufgefallen, daß bei Soroko, die aus dem Südosten stammten, sogar die runden, unförmigen Schädelballen der Minianka und deren schiefe und weite Augenstellung vorkamen. So deutet nach jeder Richtung ein Weg auf zahlreiche verwandte Beziehungen hin.



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Die psychologische Erscheinung der Soroko ist um so charaktervoller. Nicht nur die inhaltsreiche Anschauungswelt der Bosso-Soroko, die ich zu durchdringen vermochte, sondern vor allem die Übersichtlichkeit in der Anlage derselben, belegt das schon. Und diese Welt wird belebt von einem Geiste, dessen schlichte, charaktervolle, wenn auch durchaus unschöne Veranlagung mit ganz wenigen Strichen umschrieben werden kann.

Der Bosso-Soroko ist zwar fleißig, fröhlich, ein Gegner des Waffenkrieges, d. h. unkriegerisch, aber zugleich kriechend unterwürfig verstrickt in abergläubische Grübeleien, und dazu eigennützig, mißgünstig; d. h. also nach außen hin feige, im Innern geradezu bösartig. Solcherart schildern die Bosso-Soroko selbst ihre Stammesgenossen. Sie sagen selbst: "Wenn einer von uns mit seinen Booten nach Timbuktu fährt, um Salz einzukaufen und nach Djenne zu bringen, so ist er ganz sicher, daß viele seiner Dorfgenossen trotz aller äußeren Freundlichkeit sich emsig bemühen, durch Opfer an ihren Zaubermitteln und durch Verwünschungen aller Art es herbeizuführen, daß der Mann mit seiner Salzladung untergeht oder sie verliert - nur weil sie ihm das Geschäft mißgönnen." Das habe ich nicht einmal gehört, das wurde mir immer wieder versichert. Und ich habe selbst mitanhören müssen, daß Alte sagten, ich sei töricht, daß ich jedem einzeln ein Geschenk machte und nicht allen zusammen; denn nun würden die andern sich alle bemühen, mir die Arbeit zu erschweren, bis sie alle ein Geschenk erhalten hätten. Die Feigheit der Leute jedem Gewehr, jeder Lanze, jedem Bogen gegenüber habe ich mehrmals beobachtet, wenn einer von uns aus den Booten nach einem Kaiman schoß, wenn ein speerbewaffneter Tuareg in ein Bossodorf kam oder wenn auch nur meine Sammlungsbogen herausgezogen wurden, um bei ihnen nach alten Bogenkünsten (die Kunst des Bogenschusses kennen sie übrigens nicht mehr) zu forschen.

Aus dem blinden Glauben an die unwiderstehliche Gewalt der Zaubermittel stammt aber andererseits ein Mut, der schon mehr als Tollkühnheit bezeichnet werden muß. So sagen sie z. B., sie könnten, wenn sie ihren religiösen Lebensgesetzen folgten, niemals von einem Kaiman gebissen werden. Das Tannä der Soroko-Bosso sind die Fulbe. Nur wenn ein Bosso eine Fulbefrau beschläft, verliert er seine Kraft und kann von Kaimanen gebissen werden. —Was diese Burschen nun in dem festen Glauben an die Wahrheit dieses Gesetzes unternehmen, ist geradezu unglaublich. Sie springen auf den großen, verwundeten Kaiman, der in tollster Todeswut ist, und denken gar nicht daran, auch nur einen Augenblick zu zögern. Mehrere schnelle Hände packen zu und pressen dem Untier den Rachen zu. Es ist unheimlich und unglaublich, dieses Bild, aber wir haben es mehrmals gesehen. Nach jedem glücklichen Schusse



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springen sie ins Wasser und kümmern sich absolut nicht darum, wie viele der unheimlichen Saurier um sie herum unten im Flusse kreisen.

Das sind ausgesprochene Charakterzüge. Aus diesen Gegensätzen der kriegerischen Feigheit einerseits und der unglaublichen Glaubenstreue andererseits läßt sich schon eins erkennen: die Soroko gehören jenen Gruppen der Menschheit an, die fast völlig des staatlichen Schutz- und Trutzwesens entbehren und den offenen Waffenkampf zugunsten eines versteckten Kriegführens vernachlässigten, ja ihn ganz aufgaben. Solche Völker sind es aber immer, in denen sich alte religiöse Anschauungen und Zeremonien am besten erhielten und wenn auch nicht zur großzügigsten, so doch zur differenziertesten Entwicklung gelangten.


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