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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

m) Baschi

Amulette und Zaubermittel. — Unendlich reich an allem möglichen Zauberkram ist dieses Geistesleben. Angriffs- und Verteidigungswaffen starren überall auf dem Wege, in den Hütten, im Busch, zumal am Kreuzweg, von Bäumen, über Äcker, dann aus der Legende und Volksüberlieferungen dem Forschenden entgegen. Eine spätere Detailforschung mag lexikographisch im Sinne der modernen Schule alle diese Rezepte, Namen wie Inhalt buchen. Hier wird es für das erste genügen, wenn an der Hand einiger mythischer Ursprungsangaben einige Grundideen schärfer hervorgehoben werden.

Die Bammana wissen vor allen Dingen von einem Manne zu erzählen, der als Gründer der Baschi-Idee angesehen werden muß. Das ist Suma oder Soma, dem das Beiwort Moriba beigelegt ist, weil er eben sehr gelehrt in diesen Dingen war. Soma war ein junger Jägerbursche, und zwar der Schüler des großen Jägers Mania, nach dem später die Stadt östlich von Kankan genannt ward und dessen Sohn Silaba war. Soma war damals noch ein sehr unerfahrener junger Geselle, als er eines Tages an dem Felsen Kamanjang Silla, der heute an dem Wege von Bamako nach Kaarta gezeigt wird, ein Bamma erblickte, das vor sich auf den Stein alle Baschi ausgespieen hatte, damit sie da trockneten. Bama hatte vor sich liegen: "Hörner vom wilden Büffel, Hörner der Gazelle, Sporen des Hahnes (Dononkoro-koi), Schwanz der Antilope, Schwanz des Büffels. Rund herum waren aber alle anderen Bamma, und das große Bamma lehrte sie alle Kenntnisse dieser guten Baschi und sagte:



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"Dambinja! (?) Das ist zu diesem gut, das zu jenem. Man nennt den Namen dessen, den man töten will, man spritzt Hühnerblut darüber, man speit zerbissenes Holz darüber und jener stirbt." Bamma lehrte einen nach dem andern. Zuletzt sagte er: "Dann habe ich noch zwei kleine Tigakorro, die lasse ich nicht lange am Tageslicht. Wenn da die Menschen dahinterkämen, wäre es ganz schlimm." Da schoß Soma zwei Kugeln in den Kopf der Bamma. Er war tot. Er schrie laut (im Jubel?) auf und raffte alle Baschi auf. Nachher kam sein Lehrer Mania; dem erzählte er alles und gab ihm die Gazellenhörnchen, die gut für Knaben sein sollen und die Hahnensporen, die gut für Mädchen sein sollen, als Geschenk. — Heute sind die Numu der Sussoko die Hauptverfertiger guter, starker Baschi. Aber jeder, der ein Baschi macht, murmelt darüber den Namen Soma.

Eine besondere Art der Baschi sind die Korte, die in ganz ähnlicher Weise zu den Menschen kamen. Die Mythe berichtet: "Dumsu, Golioni (oder Ngolloni, der Jäger) war eines Tages auf der Jagd. Er beobachtete, wie ein Balla (ein Stachelschwein) in eine Höhle lief. Das Balla hatte ihn nicht gesehen. Der Dumu Golloni kam dicht heran und sah und hörte nun, wie sich einige Balla miteinander unterhielten. Das alte Balla, das wie alle Balla damals nur eine Borste hatte, sagte: "Das wäre ein ausgezeichnetes Korte für die Menschen. Sie müßten unsern Stachel nehmen, vom Schmiede ein Geldstückchen herrichten lassen und das mit einem Faden an den Stachel binden lassen. Das wäre noch ein ausgezeichnetes Korte für die Menschen. Wenn sie einen Menschen töten wollten, müßten sie seinen Namen aussprechen und das Korte in der Richtung auf ihn werfen. Der würde dann sterben." Ein anderer Balla fragte: "Wenn ein Mensch nun auf diese Weise getroffen ist, gibt es für ihn kein Mittel zu entkommen? Muß er sterben?" Das alte Stachelschwein sagte: "Es ist gut, daß kein Mensch da ist, der das, was ich hier sage, hört. So kann ich euch das ja auch wiederholen. Gewiß gibt es ein Mittel dagegen, das gibt der Daganindugumalo, ein kleiner Buschbaum. Wenn der trocken ist, kann man davon zerstoßen und aufstreuen oder abkochen und mit dem Wasser sich waschen. Wer das tut, der ist gegen das Korte sicher." Das andere Balla sagte: "Sei vorsichtig! Es könnte ein Mensch in der Nähe sein." Das erste Balla sagte: "Nein, es ist kein Mensch da." Das andere Balla sagte: "Sei vorsichtig!" Das erste Balla zog trotz der Warnung sein Kleid (seine Haut) aus. Dumsu Ngolloni schoß. Er traf. Er hatte nun alles gehört und wußte mit dem Korte Bescheid. Er nahm die Haut und brachte den Stachel zu den Schmieden. Er gab die Angelegenheit in ihre Hände.



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Des weiteren ist eine besondere Art der Baschi die Kirsi-Art. Das Kirsi verdanken die Bammana Timba, dem Ameisenbär. Ein Jäger namens Bienso hatte in Samantra, einer Stadt, die im Njorogebiet liegt, sein Lager aufgeschlagen. Eines Abends bei Sonnenuntergang hatte er an dem Ausgange eines Baues des Timba Aufstellung genommen. Timba kam heraus, fuhr sich (mit bestimmter Zauberbewegung) mit der Hand von vorne nach hinten über den Kopf und sagte: "Seit ich geboren wurde, habe ich den Menschen nichts Schlechtes getan. So soll mich auch heute keine Kugel erreichen." Darauf stand Timba auf und ging zum Essen fort. Der Jäger schoß nicht nach Timba, er stand auch auf und ging zum Essen. — Am andern Morgen ging der Jäger zur alten Stelle auf den Anstand. Es dauerte nicht lange, so kam Timba heraus und setzte sich vor das Loch. Er hatte eine Tabakspfeife bei sich und rauchte vor sich hin. Nach einiger Zeit kam Timbas Frau heraus und sagte zu ihrem Manne: "Komm wieder herein, denn heute ist es kein guter Tag für dich." Timba sagte: "Ich gehe doch! Was kümmern mich gute und schlechte Tage!" Die Frau Timbas sagte: "Achte selbst darauf, wohin der Rauch aus deiner Pfeife fliegt. Blase ihn vor dich her. Wenn er nach Osten fliegt, nach Sonnenaufgang, so ist es gut. Wenn er nach Westen fliegt, nach Sonnenuntergang, so ist es schlecht. Dann geh nicht." Timba sagte: "Das kann ich ja tun." Er blies einmal den Rauch vor sich hin. Der Wind faßte ihn und trug ihn nach Westen, nach Sonnenuntergang. Er blies nochmals den Rauch vor sich hin. Der Wind faßte ihn und trug ihn nach Westen, nach Sonnenuntergang. Er blies nochmals den Rauch vor sich hin. Der Wind faßte ihn und trug ihn zum dritten Male nach Westen, nach Sonnenuntergang. Darauf sagte die Frau Timbas: "Geh nicht, geh heute nicht aus!" Der Timba aber sagte: "Ich gehe doch." Die Frau sagte: "So will ich dir wenigstens den Kirsispruch sagen. Wenn du den Kirsispruch nachsagen kannst, so mag es gehen. Denn dann kann dir nichts passieren. Wenn du ihn aber falsch sagst, so wirst du unbedingt sterben." Timba sagte: "So sprich ihn. Ich will ihn nachsagen!" Frau Timba sagte:

Der Spruch: freie Übersetzung:
Kirsi Kirsi Kirsi Kirsi
dikisse tuntung die Bienengeseilschaft
akeme boire koloma Blut fällt in das Loch
tuba tura Daringebliebene
boba bora Herausgegangene (anscheinend: die mit dem Leben Davongekommenen)



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ne gabo boba lufe Ich will mit den Herausgekommenen herausgehen
ne gane kanatu lufe Ich will nicht mit den Gestorbenen darin bleiben.


***
Timba wollte das dreimal nachsprechen. Aber er vermochte es nicht. Dreimal sagte seine Frau ihm den Kirsizauberspruch vor und dreimal wiederholte er ihn falsch. Darauf ergriff Bienso seine Waffe und schoß Timba tot. — Soweit die Ursprungsmythe. Das Kirsi besteht aus einer Schnur, die man am Hosenbande oder sonst wo trägt. Will man sie anwenden, so ergreift man sie, fährt mit der Hand einmal über den Kopf und spricht die Zauberformel, von der es mehrere Lesarten gibt. Der Wirkungskreis der Kirsi reicht sehr weit. Erstens: man kann sich damit schützen; zweitens: man kann Krankheiten damit heilen; drittens: man kann schlechte Sachen mit Erfolg auf andere Menschen herabwünschen. — Die Malinke nennen die Kirsi Firiji.

Sehr interessant ist es, daß der Ursprung all dieses Zauberwesens immer und immer wieder den Tieren zugeschoben wird.

Zauber mit Menschenhäuten. Bei den Malinke spielte in alter Zeit die Verwendung von Haut, Haar, Hand, Schädel, Zahn usw. der Menschen eine große Rolle. Im folgenden gebe ich einige hierüber gewonnene Auskünfte wieder.

Zunächst fiel schon die Faho oder Standarte der Malitruppen auf. Sie wurde Banden genannt und wurde vom Kelle-tigi getragen. Sie bestand aus einem Stabe, auf den eine menschliche Hand gesteckt war. Darunter war roter Stoff angebracht. Dann war da die Kriegspauke, die Tabele-kalla, sie wurde Fangama-Gulu genannt. Die bestand aus zwei am Rande aufeinander genähten Hammelhäuten, auf denen schon die ältesten Helden und Familienstammherren gesessen hatten. Zwischen die Hammelhäute waren Stücke von Menschenhaut genäht. Die stammten von Königen und Fürsten, die die Ahnherren der Familie töteten. Sorrong-barra oder Sorrong-batta war die große, vierundzwanzig Saiten und zwei Stege tragende Gitarre der großen Dialli, sie war mit Menschenhaut bezogen. Dann gab es noch eine andere Gitarre, die wurde Bora-Boorombahla-dalla (Bora = Bart, Borromballa Kalebassenresonanzboden, dalla = rundherum) genannt. Es war ein Instrument von der Art der Jägergitarren. Der Resonanzboden war mit menschlicher Kopfhaut überzogen und rund um die Kalebasse waren Menschenbärte gehängt.

Vor allen Dingen suchte jeder Krieger Feinde im Kriege zu töten und ihrer Köpfe habhaft zu werden, um sich daraus Morokungullu herstellen zu können. Morokungullu waren ausgekochte und mit



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Baumwolle ausgestopfte Menschenschädel, die vor der Tür aufgehängt wurden

Alledem schrieb man Anwachsen eigener Zauberkräfte zu. Man sieht daraus, daß die alten Malinke Bambuku (aus dieser Provinz stammen diese Nachrichten) in diesem Punkte wenig mit der gutmütigen Lebensart der heutigen biederen Bauern dieses Landes gemein hatten.

Im Anschluß hieran noch einige Notizen, die mein Reiseassistent Herr Hugershoff auf dem Marsche durch die südlichen Mandingoländer eintrug:

Wenn der Reisende im Westsudan auf dem Marsche den schmalen Negerpfad aufmerksam verfolgt, so wird er häufig seltsame Dinge bemerken, seltsam - im allgemeinen - nicht wegen ihrer Art an sich, sondern seltsam infolge des Ortes, an dem sie liegen oder hängen. Fragt er einen seiner Leute, so wird er - vorausgesetzt, daß dieser Mann in der Gegend stammfremd ist - zur Antwort haben: "Oriki-Bschi!"

Mit diesem Worte bezeichnet der Mande zunächst alles, was schützend wirkt vor Krankheit, Bosheit der Mitmenschen, bösen Zauber oder Unglück überhaupt. Manche Individuen sind überladen, auf Brust und Seite, mit allerlei Schmuck, der im Innern einen Zauberschutz enthält. Meist ein nichtssagendes Wort, in arabischen Lettern geschrieben, oder eine arabische Gebetsformel.

Meist ist dieser Schmuck, kriki, sehr sauber gearbeitet, bisweilen mit Silber verziert oder mit Gold.

Ganz anders die Kriki am Wege. Sie fallen weniger auf durch ihre Unscheinbarkeit und tragen einen gegensätzlichen Charakter. Sie haben nicht den defensiven der obigen, sondern einen aggressiven.

Bös ist, was diese Dinge dem Dahinziehenden - für den sie gedacht sind - bringen können: Krankheit, Unglück - selbst den Tod.

Wer achtet wohl des Leinewandfetzens, der über einem, an einem Aste hängend, wie ein Wimpel im Winde flattert.

Wer betrachtet wohl sonderlich jenen vertrockneten Kranz aus Laub mitten im Wege, wie man ihn täglich zu Hunderten sehen kann, geflochten zum Schutz vor dem Druck der Kopflast?

Freilich, wer genauer hinsieht, wird bemerken, daß kleine Steine sorgfältig herumgesetzt sind, oder daß bisweilen - dabei ist der Kranz meist aus Hirsestroh und an einer Seite zertrennt -eine kleine, rote Frucht drin liegt.

Auf der Vogeljagd werden einem vogelnestartige Gebilde zu Gesicht kommen, die im Gezweig überm Weg hängen. Näheres Zusehen zeigt, daß es Netze sind, aus Bambusbast geflochten oder dem



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Strick der Eingeborenen. Ihr Inneres birgt trockenes Laub, während sie an langem Stricke an den Ästen hängen.

Da sieht man im Gezweig einen alten, geflochtenen Topfdeckel hängen und dort einen durchlöcherten Schulterblattknochen und im Wege, unauffällig, einen Kalebassenscherben, der allerlei Körnerfrüchte enthält: Hirse, Mais, Reis usw. Hier könnte man meinen, es sei für Vögel zum Futter hingestellt; mehr zum Nachdenken regt schon ein glühender glimmender Kuhdünger an, der dem Reisenden seinen lieblich duftenden Rauch entgegenwirbelt.

Wohl am auffälligsten ist ein 40 cm langer runder Sack, an beiden Enden geschlossen, in der Form einer geraden Wurst, genau überm Wege liegend und mitten durchgeschnitten, wobei er seinen Inhalt - Hirsekörner - auf den Weg gießt.

Mit allen diesen Dingen verbindet der, der sie in den Weg legte, oder über ihm befestigte, den menschenfreundlichen Gedanken, daß eine Krankheit, die ihn gegenwärtig plagt, ein Unglück, das ihn drückt, auf den ersteren oder einen Bestimmten übergehen möge, der sie passiert. Nur einen Schutz gibt es vor dem Zauber: Man muß ihn vor dem Passieren mit dem eigenen Kot beschmieren.

Wenn der Eingeborene ein solches Kriki zu bestimmtem Zwecke haben will, wenn er sich krank fühlt oder einen Feind vernichten will, so wendet er sich an die "alte Frau" ("njeninikela") im Dorfe. Diese wirft natürlich nach entsprechender Bezahlung - hier 22 Kaurimuscheln (,,mugnetaflila") — in manchen Gegenden zwölf ("emefla-fli") — zur Erde und studiert eifrig ihre Konstellation. Hiernach hat sie die Krankheit erkannt und auch die Form des Kriki, um sie auf einen anderen zu übertragen. Sie gibt dem Kranken die entsprechnede Anweisung zur Herstellung des Kriki und dieser beeilt sich, ihr zu folgen.

Die "alte Frau" ist es natürlich, die den Inhalt auch für die verschiedenen Schutzkriki für schweres Geld verkauft. Sie ist es aber auch - und hier hört der harmlose Humor der Sache auf - die, meist durch Vermittlung anderer vertrauter Frauen, Gift in das Essen einer als mißliebig bezeichneten Person praktiziert, um sie nach dem Jenseits zu befördern.

Nunmehr aber vom ins kleine Zerfließenden zurück zu entscheidenden Grundgedanken dieser Anschauungswelt. Hier noch einiges über die im Leben bedeutsamerer Menschen sich abspielender höheren Kräfte.


Copyright: arpa, 2015.

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