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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

k) Seele und Totendienst

Mancherlei über diese Dinge ist in anderen Bänden (z. B. Bd. VIII) IVI schon gesagt. Das Wichtigste, die Grundidee ver- und zerfließender alter Bammanareligion konnte ich, soweit sie den Menschen selbst betrifft, erst gegen Ende des Verkehrs mit den Bammana erschließen.

Zweierlei lebt im Menschen: "Ni", das ist was wir am besten mit "Leben" übersetzen können und "Ikeung", das regelrecht "Seele" bedeutet. "Ni" bleibt im Menschenkörper solange er lebt und verläßt ihn niemals. Wenn "Ni" nicht mehr ist, dann ist eben der Mensch tot. Also ist Ni das Leben.

Dagegen verläßt Ikeung den Menschen gar häufig und wandert weit fort. Wenn Mensch und Ni zu Ende sind, lebt Ikeung weiter. Wenn der Mensch so vollkommen an einen fernen Platz und an ferne Menschen denkt, daß er vergißt, wo er ist, fällt er dann plötzlich mit dem Bewußtsein in die Gegenwart zurück, so weiß er, daß seine Ikeung durch die Luft zu jenen fernen Menschen, an



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jenen fernen Ort entfogen war, nun aber zu seinem derzeitigen Aufenthalte in den Körper zurückkehrt. Wenn der Mensch träumt, schlafen Mensch und Ni, aber Ikeung schläft nicht. Ikeung schwebt oft weit fort und macht auch wieder Besuche oder es kommen Ikeungs anderer, auch verstorbener Menschen zu Besuch, und die Ikeungs unterhalten sich oder erleben etwas, ohne daß der Mensch, der ja schläft, dabei beteiligt ist. Das nennt man Träume. Wenn der Mensch wachend oder schlafend träumt, dann hat Ikeung den Körper verlassen. —Diese der Poesie nicht bare Erklärung der Bammana gibt mir wohl das Recht, Ikeung mit "Seele" zu übersetzen.

Wenn der Mensch stirbt, geht Ikeung in die Luft. Sie lebt weder im Himmel noch auf der Erde. Aber wenn es Mitternacht ist, kommt Ikeung oft in sein Dorf, in dem er lebte, und besucht die Eltern oder Kinder oder Freunde oder Gatten dessen, in dem sie lebte. Aber Ikeung lebt nicht immer in der Luft. Ikeung kehrt wieder und wird auch wieder Mensch. Wenn eine Frau schwanger ist, zog ein Ikeung in sie ein. Die Seelen der Toten werden in den Kindern wiedergeboren.

Und hier setzte die durchaus eigenartige Idee der Altenverehrung bei den alten Bammana ein. Man verehrt und achtet die alten Herrschaften, damit sie ein freundliches Andenken an ihre Nachkommen nach dem Tode bewahren und damit die Ikeung wiederkehren in diese Familie und nicht etwa in eine fremde. Auch opfert man deshalb den Verstorbenen, damit sie freundliche Erinnerung gegen die Jungen bewahren. Denn wenn die Ikeung eines Menschen vor oder nach seinem Tode geärgert oder gekränkt ist, sagt sie: "In diese Familie kehre ich nicht zurück. Da wurde ich nicht geachtet und nicht beachtet. Ich werde in jener Familie wiederkehren." Und darum erlebt man es, daß in Familien, in denen die Alten und die Toten geachtet werden, reicher Kindersegen eintritt, während bei den anderen, den Verächtern und Mißächtern der Alten und Toten, der Nachwuchs mehr und mehr ausbleibt. Die Ikeung wollen, daß die Familien fest zusammenhalten und ein patriarchalisch sittenstrenges Leben führen. Bemerkenswert ist, daß die Ikeung der Subaga als Idioten wiedergeboren werden. (Idiot kunfing, d. h. schwarzer Kopf.)

Hat jemand einen großen und kleinen Wunsch, so wendet er sich mit einem Opfer (an Schlachtgetier, Huhn, Ziege usw.) an Vater, Großvater und Urgroßvater, d. h. an deren Ikeungs. Er bringt dieses Opfer dann in seinem Hause neben der Lagerstätte dar und trägt dem Ikeung seine Wünsche vor. Er spricht die Ikeungs von Vater, Großvater und Urgroßvater an und sagt: "Helft mir, in dieser oder jener Angelegenheit." "Verhelft mir zu diesem oder jenem Gegenstande." usw. Man hat viel Vertrauen zu solchen Opfern. Oft er-



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scheint dann die eine oder andere Ikeung im Traume, gibt Rat oder Versprechung.

Zuweilen vereinten sich aber früher in der Mitte großer Gehöfte alle Angehörigen einer Familie und brachten für die Ikeung ein großes Familienopfer dar. Dann ward ein Ochse nicht für ein zu hohes Geschenk erachtet. Man wartete nicht erst ab bis die Su, d. s. die erzürntesten Ikeung der Verstorbenen, ein Unglück ins Haus brachten.

Heute aber kümmert sich jeder nur noch um sein Ni, keiner mehr um die Ikeung eines Alten - sagte bekümmert ein Alter.


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