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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


Von den Dämonen in der afrikanischen Weltanschauung

Es ist noch gar nicht lange her, da schrieb man dem Afrikaner nur zwei Formen der Welt- und Lebensanschauung zu. Man kannte nur den Fetischismus und den Islam. Der Fetischismus war nach Ansicht der europäischen Wissenschaft die eigentliche Religion der Neger, der Islam war den Negern von Arabien aus zugetragen worden. Unter Fetischismus verstand man gewissermaßen ein Chaos von mehr oder weniger ungeregelten Trieben, die dem außerordentlich stumpfsinnig erachteten Neger eigen sind und nur mit Mühe und Not entwirrbar, ein phantastisches und doch wieder phantasiearmes, ein konstruktionsloses und stilloses Erleben bedeuten. Fetischismus war also der Ausdruck der Weltanschauung einer minderwertigen Rasse. Fetischismus war der Beleg der Stillosigkeit und Unproduktivität.

Demgegenüber bedeutet alles, was etwas höher stand, einen Niederschlag des Islam. Man traf im Sudan große Reiche und Staaten von Negern; das konnte nur der Islam hervorgerufen haben. Man traf im Sudan allerhand hoch entwickelte Industrien und reiche Trachten; das konnte nur der Islam hervorgerufen haben. Man fand am Kassai und Südostafrika Spuren alten hohen Gewerbebetriebes. Auch das wieder konnte nur aus Arabien kommen, und da an der Küste mittelalterliche islamische Bauten ihre Reste hinterlassen hatten, so war auch hier der Beleg erbracht, daß alles vom Islam kam. Der Islam war gleichsam an sich schon ein recht kümmerliches Kleid, das der stumpfsinnige Neger angezogen hatte, und das um so kümmerlicher sich auswirkte, als man vom wirklichen Leben des Islam in Europa, bis auf wenige Fachleute, sehr wenig wußte.

Also, der Urstoff kümmerlich und das Dazugetragenefadenscheinig.

Es ist erstaunlich, wie lange die Welt an diesem Dogma der Stillosigkeit und Mangelhaftigkeit afrikanischen Seelentums festgehalten hat. Als Schweinfurth seinerzeit die ersten bedeutsamen Geräte der Nil-Kongostämme mitbrachte, als Pogge, Wißmann und Wolff die Plüschstoffe, tauschierten Waffen und prächtigen Holzschnitzereien der Kassai-Sankurrustämme ablieferten, also schon in den siebziger, achtziger Jahren, hätte die Welt sich sagen müssen, daß die Behauptung von der ursprünglichen Stumpfsinnigkeit der Negerkultur nicht mehr aufrechtzuerhalten sei. Als dann später Ellis seine Berichte über die Religion der Joruba niederlegte, hätte Europa, wenn ihm wirklich an einer Betrachtung und an einem Erfassen des afrikanischen Seelentums gelegen hätte, eine Revision aller alten Akten verlangen müssen. Dies geschah zunächst nicht.



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Heute sieht die afrikanische Welt für uns ganz anders aus. Es gelang der Deutsch -Innerafrikanischen Forschungsexpedition, deren Aufgabe es ja nicht mehr war, nur Tiere, nur Pflanzen, nur geologische Schichten, nur meteorologische Betrachtungen usw. mit nach Hause zu bringen, sondern die zum ersten Male als Vertreter der europäischen Wissenschaft Afrika betrat, um die große Schuld am afrikanischen Neger zu tilgen, nämlich sich ihm und seiner Art intensiv und vor allem andern zu widmen, in den verschiedensten Gegenden vollkommen geschlossene, einheitliche Religionssysteme zu entdecken. Das tellurische Religionssystem wird in der Atlantisausgabe Band V, das atlantische in Band X geschildert. Demgegenüber ist es die Aufgabe des vorliegenden Bandes, die Grundlagen und Systeme anderer Religionen durch bezeichnende Beispiele dem Erfassen näher zu bringen. Die Dämonen des Sudan, unter welchem Titel dieses Buch in die Welt wandert, sind in den verschiedenen Gegenden so eigenartiger Natur, daß wir schwerlich größere Kontraste auszudenken vermögen.

Da habe ich zunächst im 2. und 3. Kapitel Beispiele aus der Genienlehre der Mande erbracht. Schlichter alter Volksglaube. Demgegenüber im 4. und 5. Kapitel das Wesen der Anschauung der Bosso-Sorokoi -fraglos der Niederschlag der alten Songhaikultur tiefgründiger Zauberglaube und gigantische Mythologie, das Vermögen, die Helden in einem Riesenformat magischer Kräfte darzustellen, ist hier das Bezeichnende.

Dann gehen wir im 6. und 7. Kapitel zu den Jukum am Mittel-Benue über, jenen Stämmen, die einst die Träger des vorislamischen Reiches Kororofa waren. Hier tritt uns eine interessante Spaltung gegenüber. Die ganze Soziologie, der Aufbau in der Volksgliederung, das Zeremoniale religiöser Feste zeigen deutlich eine Beziehung zur atlantischen Götterlehre und auch zu dem merkwürdigen — nennen wir das provisorisch so -Minotaurusdienst. Dieser, aus allen Volkssitten sprechenden Religion gegenüber, nimmt die Volksdichtung nicht viel andere Form an, als wir sie bei älteren Sudanstämmen (vgl. Band VIII, IX und XI) vorfinden. Aber der Typus des Volkes wird durch sie gut charakterisiert.

Zum letzten endlich in den Kapiteln 8 bis 10 die Borrireligion der Haussa, und zwar einmal in der Variante, die im Norden in der Umgebung von Kano, also im Ausflußgebiet der syrtischen Kultur entstanden ist, und zum andern die Umbildungsform aus Kororofa am Benue, also im Machtbereich der atlantischen Kultur. Beide Varianten nichts anderes, als Abwässerungen der erythräischen Kultur, die aus Osten kam und deren ursprünglichen Typ ich noch am Nil zu studieren Gelegenheit hatte.

Bunt und farbig tritt uns hier ein Stilreichtum entgegen, der etwas



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Erschütterndes hat. Mit Lächeln gedenken wir der Zeiten, in der alles aus Afrika Kommende entweder nur Stumpfsinn oder fadenscheiniges islamisches Gebräu war. Groß und bedeutend in Einzelheiten, klein und zierlich in Feinheiten. Alles aber Afrika -reines Afrika - tiefes Afrika.


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