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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


32. Die Freunde (Gindolegende)

In Sadia (im Süden Kanis) lebte der König Anko Gindo. Anko Gindo hatte siebzig Frauen. Aber keine dieser Frauen ward



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schwanger. Von alle diesen siebzig Frauen bekam er kein Kind. Darauf nahm er eine Urussufrau (also eine Tara-mussu, wie die Malinke sagen würden), und diese ward auch sogleich schwanger. Am selben Tage, wie die junge Frau des Königs Anko, gebar auch die Frau des Spielmanns des Königs, und so waren Königssohn und Spielmannssohn gleich alt. Der Königssohn erhielt den Namen Badju. Der Spielmannssohn erhielt den Namen Gimmile (Gimmile war von dem Stamme der Drami).

Da Badju Gindo und Gimmile Drami am gleichen Tage geboren waren, ließ der König sie auf einen hohen Turm an der Verteidigungsmauer bringen und dort oben ihnen einen Wohnplatz herrichten. Wenn die kleinen Kinder schrien und genährt werden mußten, mußten die Mütter immer auf den Turm steigen und nachher ihn wieder verlassen. Und das blieb so, bis die Kinder nicht mehr die Mutterbrust nahmen und auch nachher. Die beiden Kinder kamen nie zur Erde herab, sie mußten immer oben bleiben und sahen die Erde und das Leben auf der Erde nicht anders, als von ihrem Turme aus. Und das wurde nicht anders, als bis sie erwachsen waren. Als sie erwachsen waren, durfte Gimmile zuerst einmal heruntersteigen. Er ging herab, und da sah er eine junge Frau des Königs, die war sehr schön. Sowie er sie sah, hatte er sie sehr lieb. Es war aber eine Frau des Königs. Da wurde er traurig, stieg wieder auf den Turm zu Badju, band sich ein Tuch um den Kopf und legte sich in eine Ecke. Badju sagte: "Was ist dir, mein Gimmile?" Gimmile sagte: "Mir ist nichts Besonderes. Ich habe Kopfschmerzen." Badju sagte: "Wenn mein Gimmile Kopfschmerzen hat, habe ich auch Kopfschmerzen." Er band sich ein Tuch um den Kopf. Badju und Gimmile waren so gute Freunde, daß sie nicht anders konnten, als alles miteinander zu teilen.

Nachher kam eine Frau mit dem Essen für die beiden auf den Turm. Beide Jünglinge lagen mit ihren verbundenen Köpfen nach der Wand zu und wandten sich gar nicht um. Badju sagte: "Nimm das Essen nur wieder mit, wir sind krank und wollen nichts haben. Badju und Gimmile sind krank." Die Frau nahm das Essen wieder mit herab, gab es der Mutter Badjus und sagte: "Badju und Gimmile sind krank. Sie wollen nichts essen." Badjus Mutter nahm darauf die Schüsseln und stieg auf den Turm. Sie sagte zu Badju: "Mein Badju, was fehlt dir?" Badju sagte: "Gimmile ging auf die Erde herab und kam dann mit Kopfschmerzen zurück. Du weißt,



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daß keiner von uns beiden etwas haben kann ohne den anderen! Nun habe ich auch Kopfschmerzen." Die Mutter sagte: "So iß doch." Badju sagte: "Ich kann nicht. Ich habe Kopfschmerzen. Gimmile ißt nicht. Da kann ich auch nicht essen." Die Mutter Badjus ging.

Als die Mutter Badjus gegangen war, wandte sich Badju an Gimmile und sagte: "Mein Gimmile, wir sind in der gleichen Stunde geboren. Wir haben das Leben bisher auf diesem Turme verbracht. Nie sah einer etwas ohne den anderen. Weshalb willst du mir heute nicht sagen, was du hast!" Gimmile sagte: "Ich will es dir sagen, mein Badju. Als ich in den Hof herabkam, sah ich eine schöne junge Frau. Ich habe diese Frau sogleich über alles lieb gewonnen, aber ich kann sie nicht gewinnen, denn die junge Frau ist eine Frau des Königs, deines Vaters!" Badju sagte: "Weiter ist es nichts? Das werde ich bald geregelt haben. Weiter ist es nichts?" Gimmile sagte: "Nein, weiter ist es nichts." Badju sagte: "So binde das Stirntuch ab!"

Auch Badju stieg vom Turme in den Hof. Badju suchte die kleine junge Frau seines Vaters, des Königs, und sagte zu ihr: "Gestern kam mein Freund Gimmile vom Turme herab auf die Erde. Er hat dich gesehen und hat sich in dich verliebt. Gimmile weiß, daß du die kleine Frau meines Vaters, des Königs, bist. Aber Gimmile wird sterben, wenn er dich nicht erwerben kann. Tu ihm das nicht an." Die junge Frau sagte: "Ich kann mir das wohl denken, denn ich sah ihn gestern auch zum ersten Male und habe ihn auch liebgewonnen. Ich sehe dich ja auch heute zum ersten Male. Sage Gimmile, er solle zu mir kommen, aber nicht am Tage, sondern nachts. Und er solle nicht kommen vor Mitternacht. Er solle auf die Felldecke sehen, die vor meinem Hause ist. Wenn auf der Decke zwei Kolanüsse liegen, soll er nicht hineinkommen, denn dann ist der König bei mir und ich bin also nicht allein. Dann soll er wieder fortgehen. Wenn er aber nur eine Kolanuß auf der Decke findet, soll er getrost hineinkommen. Dann bin ich allein und erwarte ihn." Badju sagte: "Es ist gut."

Badju ging auf den Turm zurück und sagte das alles Gimmile. Gimmile sagte: "Ich danke dir." Als es Mitternacht vorbei war, ging Gimmile herab und suchte das Haus der jungen Frau auf. Er fand auf der Felidecke vor der Tür nur eine Kola. Er ging hinein. — Nun wanderte er alle Tage vom Turme herab. Fand er nur eine Kolanuß auf der Felldecke vor der Tür, so ging er hinein, und fand



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er zwei Kolanüsse auf der Felldecke vor der Tür, so kehrte er auf seinen Turm zurück.

Eines Tages hatte die junge Frau wieder zwei Kolanüsse auf die Felldecke vor dem Hause gelegt. Der König war bei ihr. Es entstand aber ein Wind, und der rollte eine der beiden Nüsse zur Seite. Nach einiger Zeit kam Gimmile und sah auf die Feildecke. Er fand nur eine Kolanuß. Er trat in das Haus ein. Er ging auf das Lager der Frau zu. Er strich mit der Hand über das Lager. Aber eine starke Männerhand packte nach seiner Hand. Es war die Hand des Königs. Die Hand des Königs griff nach dem Ring, der auf dem kleinen Finger Gimmiles steckte. Gimmile zog die Hand schnell fort. Der Ring blieb in der Hand des Königs. Gimmile entfloh aus dem Hause auf den Turm. Auf dem Turme erzählte er alles Badju. Badju sagte: "Laß nur, ich werde das in Ordnung bringen."

Am anderen Morgen, in aller Frühe, ging Badju zum Aufseher der Urussu und fragte: "Wo ist hier in der Nähe eine Löwin mit Jungen?" Der Urussuaufseher sagte: "Ich weiß es nicht, aber ich will den Hirten fragen. Der muß es wissen." Der Hirt ward gerufen. Badju fragte: "Weißt du, wo in der Nähe eine Löwin mit Jungen ist?" Der Hirt sagte: "Ja, das weiß ich." Badju sagte: "So führe mich hin." Der Hirt führte Badju dorthin. Er sagte: "In diesem Buschwerk ist die Löwin mit ihren Jungen." Badju ging in den Busch hinein. Die alte Löwin war fort, nur die Jungen waren da. Es waren vier Junge. Badju nahm sie. Er gab zwei Junge dem Hirten zu tragen. Zwei Junge trug er selbst. Dann machte er sich auf den Weg und brachte sie in seinen Turm.

Der König Anko ließ am Tage, nachdem er Gimmile nachts im Hause seiner Frau den Fingerring abgezogen hatte, die öffentliche Trommel schlagen und verkünden, daß sich alle Männer seiner Stadt und der Ortschaften bei ihm zu versammeln hätten. Sie kamen alle zusammen. Als alle Männer gekommen waren, zog er den Fingerring hervor, den er nachts von Gimmiles Hand abgestreift hatte, und suchte den Mann, auf dessen kleinen Finger der Ring paßte. Er suchte den Ring dem ersten Manne aufzuschieben, er kam aber nicht über den Nagel. Er versuchte es beim zweiten. Es ging nicht viel besser. Er versuchte es bei einem nach dem anderen. Es gelang ihm bei keinem. Der König sagte selbst: "Es kann keiner dieser Leute gewesen sein."

Darauf ging der König in sein Haus und dachte nach. Er hatte nun alle seine Leute kommen lassen. Der Ring hatte auf keine



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Hand gepaßt. Da fiel ihm ein: "Ich habe ja noch meine beiden Burschen oben im Turme." Er rief eine Frau und sagte: "Rufe mir doch Badju und Gimmile." Die Frau ging und brachte Badju und Gimmile herein. Der König nahm den Fingerring und setzte ihn Gimmile auf den kleinen Finger. Er paßte. Der König fragte: "Ist dies dein Ring?" Gimmile sagte: "Gewiß ist das mein Ring." Der König fragte: "Warst du in dieser Nacht bei mir, als ich bei meiner Frau war?" Gimmile sagte: "Ja, ich war in dieser Nacht bei dir, als du bei deiner Frau warst. Da hast du mir den Ring genommen."

Badju sagte: "Darf ich dir erzählen, mein Vater, wie dies kam?" Der König sagte: "Sprich!" Badju sagte: "In der vorigen Nacht stritten wir uns darum, wer von uns beiden den Mut habe, etwas Ordentliches zu wagen. Ich sagte: ,Es ist das Gefährlichste, die Jungen der Löwin aus dem Busch zu holen.' Gimmile sagte: ,Es ist gefährlicher, den König nachts zu besuchen, wenn er bei seiner Frau liegt.' — Wir stritten nur deswegen, was gefährlicher wäre, und beschlossen, daß jeder seine Sache ausführen solle. Somit war Gimmile gestern nacht bei dir, als du bei deiner Frau warst, und ich war heute morgen im Busch, um die Löwin zu besuchen." Der König sagte: "Den Ring Gimmiles habe ich hier. Und hast du nun die jungen Löwen geholt?" Badju sagte: "Sie sind oben auf dem Turme." Der König sagte zu seinen Leuten: "Geht auf den Turm und holt die jungen Löwen." Die Leute gingen und brachten sie. Der König betrachtete sie und war sehr zufrieden. Er gab jedem der beiden Freunde eine junge Frau.

Seitdem sind die Habbe mit ihren Spielleuten ausgezeichnete Freunde. Es sind große Freundschaften. Aber wenn die Spielleute die Habbe besuchen, gehen sie nicht mehr in das Haus, sondern sie warten vor der Tür.


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