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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ALI BABA UND DEN VIERZIG RÄUBERN

Es wird berichtet -Allah aber ist Allwisser seiner verborgenen Absichten und kann über sie am besten richten! —in den Erzählungen aus alter Zeit und aus der Völker Vergangenheit und von Nationen, die längst dem Untergange geweiht, daß in früheren Tagen, die weit in entschwundene Zeitalter ragen, in einer Stadt von Chorasân im Perserlande zwei Brüder von gleichem Vater und gleicher Mutter lebten, von denen der eine Kâsim, der andere aber Ah Baba hieß. Ihr Vater war bereits gestorben, und was er ihnen hinterlassen hatte, war ein Erbteil von geringem Wert, eine Habe, die nicht sehr beschwert. Da teilten die beiden, was ihr Vater ihnen vermacht hatte, wenn es auch nur wenig war, in Recht und Gerechtigkeit, ohne Widerspruch und ohne Streit. Nachdem sie also die Erbschaft von ihrem Vater geteilt hatten, vermählte Kâsim sich mit einer



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reichen Frau; die besaß Grundstücke und Gärten in großer Zahl, Weinberge und Läden zumal, und diese wiederum waren voll von prächtigen Dingen und kostbaren Waren, die ins Unermeßliche gingen. So begann er denn Handel zu treiben, zu verkaufen und zu kaufen; er kam zu Wohlstand, das Geschick war ihm günstig, und er gewann großen Ruf unter den Kaufleuten weit und breit sowie unter den Leuten von Reichtum und Vornehmheit. Doch sein Bruder Ali Baba nahm ein armes Mädchen zur Frau, der kein Dirhem, kein Dinar, kein Haus, kein Grundstück zu eigen war. Darum gab er auch in kurzer Zeit alles aus, was er von seinem Vater geerbt hatte; so geschah es. daß bald die Not mit ihrem Gram und die Armut mit ihren schweren Sorgen über ihn kam. Er war ratlos, was er tun sollte, er sah keinen Weg mehr, seine Nahrung und seinen Lebensunterhalt zu beschaffen: und doch war er ein Mann von Wissen und Verstand, in Gelehrsamkeit und feiner Bildung gewandt. Nun klagte er sein Leid in diesen Versen:

Sie sagen zu mir wohl: ,Du bist in der Welt
Durch dein Wissen gleich wie die mondhelle Nacht.'
Ich sag: ,Laßt mich mit euren Reden in Ruh;
Denn Wissen bedeutet doch nichts ohne Macht.
Verpfändet man mich und mein Wissen limit mir,
Dazu jedes Buch und das Tintengerät
Um Brot eines Tages, das Pfand käm zurück,
Man wurf's zum Papier, darauf Abweisung steht.
Der Arme -, o sehet des Armen Geschick.
Das Leben des Armen, wie trüb ist es doch!
Im Sommer, da fehlt ihm das tägliche Brot,
Im Winter wärmt er sich am Kohlentopf noch.
Die Hunde der Straße stehn auf gegen ihn,
Und jeder Gemeine schreit schimpfend ihn an;
Wenn er seine Lage bei jemand beklagt,
So tut ihn ein jeglich Geschöpf in den Bann.



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Kommt nur solch ein Los auf den Armen herab,
So wär es das beste, er lage im Grab!'

Nachdem er diese Verse gesprochen hatte, begann er über seine Lage nachzudenken; wohin sollte er sich flüchten? wie sollte er seinen Lebensunterhalt gewinnen? was sollte er tun, um sein täglich Brot zu verdienen? So sprach er denn bei sich selber: ,Wenn ich nun mit dem Gelde, das mir noch verblieben ist. eine Axt und ein paar Esel kaufe und mit ihnen ins Gebirge ziehe, dort Holz abschlage, dann wieder herunterkomme und es auf dem Markt der Stadt verkaufe, so wird der Erlös davon mir sicher so viel einbringen, daß meine Not aufhört und daß ich meine Familie unterhalten kann!' Diesen Plan hielt er also für den richtigen, und so beeilte er sich, die Esel und die Axt zu kaufen. Des Morgens zog er nun mit drei Eseln, von denen ein jeder so groß wie ein Maultier war, ins Gebirge; dann blieb er den Tag über dort, damit beschäftigt, Holz zu hacken und die Bündel zusammenzubinden. Wenn es dann Abend ward. belud er seine Esel und zog mit ihnen zur Stadt hinab, bis er auf den Markt kam. Dort verkaufte er das Holz, und mit dem Erlös davon konnte er für sich selbst sorgen und die Ausgaben für seine Familie bestreiten; so wurde der Kummer von ihm genommen, und er war nicht mehr von Sorgen beklommen. Da pries und lobte er Allah und verbrachte die Nacht mit frohem Herzen, mit freudigem Gemüte und mit ruhiger Seele. Wie es dann wieder Morgen ward, machte er sich von neuem auf, zog ins Gebirge und tat wie am Tage zuvor. Das ward nun seine Gewohnheit: jeden Morgen begab er sich ins Gebirge, und am Abend kehrte er zur Stadt zurück, ging auf den Markt, um sein Holz zu verkaufen, und bestritt mit dem Erlös die Ausgaben für seine Familie. So sah er denn dies Handwerk für einen Segen an und blieb immerfort dabei, bis er eines Tages,



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während er im Gebirge dastand und Holz hackte, plötzlich eine Staubwolke sah; die wirbelte empor und legte der Welt einen Schleier vor. Doch als die Wolke sich hob, da erschien unter ihr eine Schar von Rittern, dräuenden Löwen gleich; die starrten in Waffen, sie waren mit Panzern angetan, mit Schwertern gegürtet, sie trugen die Lanzen unter den Armen und die Bögen über den Schultern. Ah Baba erschrak vor ihnen; zitternd und bebend eilte er zu einem hohen Baume, kletterte hinauf und verbarg sich zwischen den Zweigen, um vor den Rittern sicher zu sein, da er sie für Räuber hielt. Als er nun hinter den belaubten Zweigen versteckt war, richtete er den Blick auf die Männer.

Ferner sagte mir der Erzähler dieser wunderbaren Geschichte und der unterhaltenden, seltsamen Berichte, daß Ali Baba, nachdem er auf den Baum gestiegen war, und die Ritter mit scharfem Blicke gemustert hatte, sich davon überzeugte, daß sie Räuber und Wegelagerer waren. Dann zählte er sie und fand, daß sie vierzig Männer waren, von denen ein jeder auf einem edlen Rosse saß. Da fürchtete er sich noch mehr, und die Angst bedrückte ihn schwer; seine Glieder erbebten, sein Speichel ward ihm trocken gar, und er wußte nicht mehr, wo er war. Nun hielten die Ritter an, stiegen von ihren Rossen ab und hängten ihnen die Futtersäcke mit Gerste um; darauf griff ein jeder von ihnen zu einer Satteltasche, die überdem Rücken seines Reimers lag, nahm sie ab und hängte sie sich über die Schulter. All das geschah, während Ah Baba sie beobachtete und ihnen vom Baume herab zuschaute. Der Räuberhauptmann schritt den anderen voran, ging mit ihnen zu einer Felswand und blieb vor einer kleinen Stahltür an einer Stelle stehen, die so dicht mit Gestrüpp bewachsen war, daß man die Tür nicht sehen konnte; so viel Dorngebüsch befand sich dort.



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Auch Ah Baba hatte sie bisher übersehen; nie hatte er sie geschaut oder bemerkt. Als nun die Räuber vor der Stahltür standen, rief ihr Hauptmann, so laut er konnte: ,Sesam, öffne dein Tor!" Und in demselben Augenblick, in dem er diese Worte gesprochen hatte, öffnete sich die Tür. Der Hauptmann ging hinein, und die Räuber folgten ihm, mit den Satteltaschen beladen. Da wunderte Ali Baba sich über ihr Tun, und er schloß in Gedanken, daß jede Satteltasche voll von geprägtem weißem Silber und rotem Gold sein müsse. Dem war auch wirklich so. Denn jene Diebe pflegten auf den Landstraßen zu lauern, auf Dörfer und Städte los zu jagen und die Einwohner zu plagen. Und jedesmal, wenn sie eine Karawane geplündert oder ein Dorf überfallen hatten, brachten sie ihre Beute an diesen abgelegenen versteckten Ort, der den Blicken der Menschen fern war. Ah Baba blieb unterdessen in seinem Versteck auf dem Baume; er verhielt sich ruhig und rührte sich nicht, aber er schaute den Räubern unverwandt nach und beobachtete ihr Tun, bis er sie wieder, geführt von dem Hauptmanne, mit den leeren Satteltaschen herauskommen sah. Sie banden die Taschen wieder auf den Rücken der Pferde fest, wie sie vorher gewesen waren, legten den Tieren die Gebisse um, saßen auf und zogen in derselben Richtung ab, aus der sie gekommen waren. Sie ritten immer weiter dahin, bis sie weit in der Ferne den Blicken entschwanden. Auch dies alles geschah, während Ah Baba still dasaß und in seiner Angst sich nicht rührte, ja,



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nicht einmal zu atmen wagte. Erst als die Räuber in der Ferne seinem Blicke entschwunden waren, stieg er von dem Baume herab.

Und weiter berichtete mir der Erzähler, daß Ah Baba, als er sich vor Schaden von ihnen sicher fühlte und sich von seinem Schrecken erholt und beruhigt hatte, von dem Baume herunterstieg und zu der kleinen Tür hinging. Dort blieb er stehen, und indem er sie betrachtete, sprach er bei sich selber: ,Ob sich die Tür, wenn ich so wie der Räuberhauptmann rufe: .Sesam, öffne dein Tor!' wohl öffnen wird oder nichte' Dann trat er dicht herzu, sprach diese Worte, und siehe da, die Tür sprang auf. Die Sache verhielt sich nämlich so: diese Stätte war von den Geistern, den Mârids, hergerichtet, verzaubert und durch einen starken Talisman gebunden. Doch die Worte ,Sesam, öffne dein Tor!' waren die geheime Formel, die dazu bestimmt war, den Talisman zu lösen und die Tür zu öffnen. Wie nun Ah Baba die Tür offen sah, ging er hindurch; aber kaum hatte er die Schwelle überschritten, da schloß sich das Tor hinter ihm. Darüber war er so sehr erschrocken, daß er die Worte sprach, die keinen, der sie spricht, im Stiche lassen: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen!' Und als er dann wieder an die Worte ,Sesam, öffne dein Tor!' dachte, legten sich Furcht und Schrecken, die über ihn gekommen waren; denn er sagte sich: ,Es geht mich nichts an, wenn die Tür sich schließt, da ich ja das Geheimnis kenne, durch das ich sie wieder öffnen kann!' Nun ging er etwas weiter, und da er der Meinung war, die Höhle wäre ein dunkler Raum, so geriet er in die größte Verwunderung, als er dort eine aus Marmor erbaute weite, helle Halle schaute, die war mit hohen Säulen geziert und in prächtiger Weise ausgeführt, und in ihr war alles



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aufgespeichert, was das Herz an Speisen und Getränken wünschen konnte. Von dort aus schritt er in eine zweite Halle weiter, die noch größer und geräumiger war als die erste; in ihr sah er Güter von wundersamer Art mit den seltensten Kleinodien gepaart, deren Glanz die Augen entzückt und deren Beschreibung keinem Menschen glückt. Dort lag eine Menge Barren von Gold, echt und rein, und anderer Dinge von Silber fein; gemünzte Dinare und Dirhems, unübersehbare; all das in Haufen wie von Kieseln und Sand, bei denen jede Zahl und Berechnung schwand. Nachdem er sich eine Weile in dieser wunderbaren Halle umgeschaut hatte, tat sich vor ihm noch ein anderes Tor auf; er ging hinein und kamin eine dritte Halle, die war noch herrlicher und schöner als die zweite, und die war angefüllt mit den feinsten Gewändern aus allen irdischen Gebieten und Ländern; in ihr fanden sich Stoffe. aus kostbarer feiner Baumwolle hergestellt, und Kleider aus Seide und den prächtigsten Brokaten der Welt; ja, es gab keine einzige Art von Stoffen, die sich nicht in diesem Raume gefunden hätte: sie stammten von Syriens Auen und aus Afrikas fernsten Gauen, aus China und dem Industal. aus Nubien und Hinterindien zumal. Und weiter schritt er in die Halle der edelen Steine, das war die größte und wunderbarste von allen; sie enthielt Perlen und Juwelen, die konnte man weder erfassen noch zählen, Hyazinthe und Smaragde, Türkise und Topase; Berge von Perlen lagen dort, und Achate sah man neben Korallen am selben Ort. Schließlich ging er in die Halle der Spezereien und des Weihrauchs und der Wohlgerüche, und das war die letzte jener Hallen. Dort fanden sich von diesen Dingen Sorten so zart und von jeder feinsten Art. Der Duft von Aloeholz und Moschus wallte dort empor; Ambra und Zibet strahlten in ihrer vollen Schönheit hervor; der Zauber von



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Rosenwasser und Nadd' erfüllte die Luft; von Weihrauch und Safran stieg auf ein köstlicher Duft; wie Scheite zum Brennen lag Sandelholz dort umher; aromatische Wurzeln waren wie Reisig fortgeworfen, als brauchte man sie nicht mehr. Ah Baba ward durch den Anblick dieser unermeßlichen Schätze geblendet, seine Sinne schwindelten ihm, und sein Verstand war ratlos; er stand eine Weile da, vollkommen überwältigt und hingerissen. Dann trat er näher heran, um genauer hinzuschauen; das eine Mal hielt er der Perlen köstlichste in der Hand; ein ander Mal hatte er unter den Juwelen den edelsten Stein erkannt; bald hatte er ein Stück Brokat beiseite getan; bald lockte das Gold im Strahlenglanze ihn an; das eine Mal ging er zu den Stoffen von Seide zart und fein; ein anderes Mal sog er die Düfte von Aloeholz und Weihrauch ein. Darauf sagte er sich in Gedanken, daß diese Räuber, auch wenn sie immerdar lange Tage und manches Jahr darauf verwendet hätten, die wunderbaren Schätze zu sammeln, doch nicht einmal einen kleinen Teil davon hätten aufspeichern können; dieser Schatz mußte schon vorhanden gewesen sein, ehe die Räuber auf ihn gestoßen waren; und jedenfalls hatten sie ihn nicht auf gesetzliche Weise und rechtlichem Wege erworben; so würde er denn auch, wenn er die Gelegenheit sich zunutze machte und ein wenig von all diesen unzählbaren Gütern an sich brachte, keine Schuld begehen und brauchte sich keines Tadels zu versehen. Und ferner, da der Schätze so viele waren, daß die Räuber sie nicht zählen und ausrechnen konnten, so würden sie es nicht merken, wenn etwas davon genommen würde, und würden nichts davon erfahren. Daraufhin faßte er den Plan, von dem Golde, das dort umherlag, so viel zu nehmen, wie er tragen konnte, und so begann er



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denn Säcke mit Goldstücken aus dem Inneren der Schatzhöhle nach draußen zu schleppen; und jedesmal, wenn er eintreten oder nach draußen gehen wollte, rief er: ,Sesam, öffne dein Tor!' dann tat die Tür sich auf. Als er aber mit dem Hinausschaffen der Schätze fertig war, belud er seine Esel damit, indem er die Säcke mit Gold unter einer dünnen Schicht von Brennholz versteckte. Und nun trieb er seine Lasttiere dahin, bis er wieder zur Stadt gelangte, und zog heiteren und zufriedenen Sinnes nach Hause.

Und weiter berichtete mir der Erzähler, daß Ah Baba, als er in sein Haus eingetreten war, die Haustür verschloß, da er befürchtete, die Leute könnten ihn überraschen. Nachdem er dann seine Esel im Stalle angebunden und ihnen die Futtersäcke um den Hals gelegt hatte, nahm er einen Goldsack, trug ihn zu seiner Frau hinauf und warf ihn vor sie hin. Dann ging er wieder hinunter und brachte einen neuen, und so immer weiter, Sack auf Sack, bis er alle hinaufgeschafft hatte. Seine Frau sah seinem Tun mit wachsendem Staunen zu; doch als sie einen der Säcke berührte und die dicken Goldstücke verspürte, da erblichen ihre Wangen, und ihr Geist ward ganz befangen; denn sie glaubte, ihr Mann hätte all dies viele Geld gestohlen. So rief sie denn: ,Was hast du da getan, du Unglücksmensch? Wir brauchen kein unrecht erworbenes Gut, und nach der Habe anderer Menschen steht mir nicht der Mut. Ich lasse mir an dem genügen, was Allah mir zugeteilt hat; ich bin mit meiner Armut zufrieden, und ich danke Gott für das, was er mir beschieden. Ich strebe nicht nach dein, was andere Menschen besitzen, ich will kein unrecht Gut haben!' ,Frau,' erwiderte er ihr, ,hab Zuversicht und quäl dich nicht! Das sei ganz ferne, daß meine Hand unrecht Gut anrührt! Dies Geld hier habe ich in einer Schatzhöhle gefunden; ich habe die Gelegenheit ergriffen,



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es an mich genommen und hierher gebracht.' Dann erzählte er ihr, was er mit den Räubern erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende -doch alles noch einmal zu erzählen, würde die Hörer nur quälen. Nachdem er seinen Bericht beendet hatte, ermahnte er sie, ihre Zunge im Zaume zu halten und das Geheimnis nicht zu verraten. Wie sie dies von ihm vernommen hatte, staunte sie sehr und fürchtete sich nicht mehr. und gewaltige Freude erfüllte ihre Brust. Als Ah Baba dann die Säcke mitten im Zimmer geleert hatte und als das Gold in einem Haufen dalag, begann die Frau, die wegen der Menge so überrascht war, die Dinare zu zählen. Da sprach er zu ihr: ,Du da, du kannst sie doch nicht zählen, nicht einmal in zwei Tagen! Das ist ein unnützes Beginnen, das brauchst du jetzt nicht zu tun. Ich halte es für das richtige, daß wir jetzt ein Loch graben und sie darin verstecken, damit wir die Sache nicht verraten und unser Geheimnis niemandem entdecken.' Doch sie erwiderte: ,Wenn du nicht willst, daß sie gezählt werden, so müssen sie doch gemessen werden, damit wir ungefähr wissen, wie viele es sind.' ,Tu, was dir gut dünkt!' sagte er darauf, ,doch ich fürchte, daß die Leute erfahren, wie es um uns steht, daß dann der Schleier von uns gelüftet wird und uns die Reue kommt, wenn die Reue nichts mehr frommt.' Aber sie kümmerte sich nicht um seine Worte und achtete ihrer nicht, sondern sie ging fort, um ein Scheffelmaß' zu borgen; denn sie hatte kein Gerät zum Messen im Hause, weil sie so arm und bedürftig war. So ging sie denn zu ihrer Schwäherin, der Frau des Kâsim, und erbat von ihr ein Scheffelmaß. Die versprach es ihr herzlich gern; aber während sie hinging, um es zu holen, sagte sie sich: ,Die Frau des Ali Baba ist doch so arm, und sonst pflegte sie nie etwas zu messen. Was für Korn



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mag sie wohl heute haben, daß sie den Scheffel gebraucht?' Das wollte sie nun gern erfahren und genau wissen, darum tat sie etwas Wachs auf den Boden des Maßes, damit etwas von dem gemessenen Korn an ihm haften bliebe. Dann gab sie es ihrer Schwäherin; die nahm es, dankte ihr für den Gefallen, den sie ihr erwiesen hatte, und kehrte in aller Eile nach Hause zurück. Wie sie nun wieder dort war, setzte sie sich nieder, um das Gold zu messen; und sie fand, daß es zehn Scheffel waren. Hocherfreut berichtete sie es ihrem Manne. der inzwischen eine weite Grube gegraben hatte. Nun versteckte er das Gold darin und schüttete die Erde wieder darauf. Seine Frau aber beeilte sich, den Scheffel ihrer Schwäherin zurückzubringen.

Lassen wir nun die beiden und wenden wir uns zu der Frau Kâsims! Als die Frau Ah Babas sie verlassen hatte, wendete sie das Scheffelmaß um und entdeckte darin einen Dinar. der im Wachs haften geblieben war. Darüber war sie befremdet, da sie ja wußte, daß Ah Baba ein armer Mann war; und sie blieb eine Weile ratlos sitzen. Dann vergewisserte sie sich noch einmal, daß es echtes Gold war, was man gemessen hatte, und nun rief sie: ,Ah Baba behauptet, arm zu sein, und mißt das Gold mit Scheffeln! Woher hat er diesen Reichtum? Wie mag er zu diesem vielen Golde gekommen sein?' Da bemächtigte der Neid sich ihres Herzens, und in ihrem Inneren ward ein Feuer entfacht. So erwartete sie denn ihren Mann voll schmerzlicher Ungeduld. Kâsim, ihr Gatte, pflegte jeden Tag frühmorgens zu seinem Laden zu gehen und dort bis zum Abend zu bleiben, indem er sich dem Verkauf und Kauf und allen Handelsgeschäften widmete. An jenem Tage aber wartete seine Frau sehnlichst auf sein Kommen, da sie so sehr von Kummer und Neid verzehrt wurde. Als es nun Abend geworten war und die Nacht bereits hereinbrach, schloß Kâsim seinen Laden und begab sich



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nach Hause. Wie er dort eintrat, sah er seine Frau mit düsterem Blick und trüber Miene dasitzen; ihre Augen waren verweint, und ihr Herz war voll Kummer. Da er sie sehr lieb hatte, fragte er sie sogleich: ,Was ist dir geschehen, du Freude meiner Augen, du mein Herzenskind? Warum bist du betrübte Warum weinst du?' Sie gab ihm zur Antwort: ,Du kannst doch nur wenig schaffen, du bist arm an Kraft! Hätte ich nur deinen Bruder geheiratet! Ja der, wenn er auch Armut vorschützt und nach außen Bedürftigkeit zeigt und behauptet, er habe kein Vermögen, der hat doch so viel Gold, daß nur Allah seine Menge kennt und daß man es nur mit Scheffeln messen kann. Du aber, der du behauptest, vermögend und wohlhabend zu sein, der du mit Reichtum dich brüstest, du bist in Wirklichkeit nur ein armer Tropf, verglichen mit deinem Bruder. Du zählst deine Dinare einzeln; du hast dich mit dem Wenigen begnügt und ihm das Viele überlassen.' Dann erzählte sie ihm, was sie mit der Frau Ah Babas erlebt hatte, wie die von ihr das Scheffclmaß geborgt, wie sie selbst etwas Wachs darin auf den Boden gelegt hatte, und wie der Dinar daran haften geblieben war. Als Kâsim diese Worte von seiner Frau vernommen und den Dinar, der unten im Scheffel haftete, genau betrachtet hatte, war er sicher, daß sein Bruder sehr reich sein müsse. Aber er freute sich nicht darüber; nein, der Neid bemächtigte sich seines Herzens, und er sann auf Böses wider ihn. Denn er war neidisch und abgünstig, gemein und geizig. So verbrachte er denn jene Nacht mit seiner Frau in elender Verfassung, so schwer war ihr Leid, so bitter ihre Traurigkeit; sie schlossen kein Augenlid, da Schlaf und Schlummer sie mied. Unruhig und schlaflos lagen sie die ganze Nacht hindurch da, bis es Allah gefiel, daß der Morgen sich einstellte und die Welt mit seinem Licht und Glanz erhellte. Nachdem



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nun Kâsim das Frühgebet gesprochen hatte, ging er alsbald zu seinem Bruder und trat unerwartet zu ihm ins Haus. Wie Ali Baba ihn erblickte, hieß er ihn willkommen und nahm ilm in aller Freundlichkeit auf; er bezeugte ihm seine herzliche Freude und bat um, sich auf den Ehrenplatz zu setzen. Nachdem Kâ— sim sich dort gesetzt hatte, sprach er zu seinem Bruder: ,Lieber Bruder, warum tust du, als wärest du arm und bedürftig, während du doch Reichtümer besitzest, die selbst die Flammen nicht verzehren können? Aus welchem Grunde bist du so geizig und führst ein so elendes Leben, während du doch ein großes Vermögen hast und viel mehr ausgeben könntest? Was nutzt denn das Geld, wenn der Mensch es nicht gebraucht? Weißt du nicht, daß der Geiz zu den schlechten und häßlichen Handlungen gehört und zu den gemeinen und unreinen Eigenschaften gezählt wird?' Da erwiderte ihm sein Bruder: ,Ach, wenn es nur so um mich stände, wie du sagst! Nein, ich bin ein armer Mann, ich besitze keine Güter als meine Esel und meine Axt. Was du da geredet hast, kommt mir sehr befremdlich vor, ich weiß keinen Grund dafür, ja, ich verstehe es ganz und gar nicht!' Aber Kâsim fuhr fort: ,Dein Lug und Trug nützt dir jetzt nichts mehr, du kannst mich nicht hintergehen. Denn die Wahrheit über dich ist an den Tag gekommen, und was du über dich verbargst, ist offenbar geworden.' Dann zeigte er ihm das Goldstück, das in dem Wachs haften geblieben war, und sprach zu ihm: ,Dies ist es, was wir in dem Scheffel gefunden haben, den ihr von uns geborgt habt. Wenn du nicht sehr viel Gold hättest, so hättet ihr das nicht nötig gehabt und würdet das Gold nicht mit Scheffeln messen!' Jetzt wußte Ah Baba, daß der Schleier von ihm genommen und sein Geheimnis ans Licht gekommen, weil seine Frau so dumm gewesen war, das Gold messen zu wollen, und daß er



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einen Fehler gemacht hatte, als er ihr darin nachgab. Allein, welchen Renner gäbe es, der nicht einmal fiel? welches Schwert verfehlte nicht einmal sein Ziel? Er sah also ein, daß er sein Versehen nicht anders wieder gutmachen konnte als durch die Preisgabe seines Geheimnisses, und daß es nun das richtige sei, nicht mehr zurückzuhalten und seinem Bruder sein Erlebnis mitzuteilen; auf alle Fälle würde ja auch, da das Gold so über alle Begriffe und Erwartungen viel war, sein eigenes Glück nicht dadurch verringert, wenn er sich mit seinem Bruder darein teilte und ihm davon abgab ;ja, sie würden es nicht aufbrauchen können, wenn sie auch hundert Jahre lebten und davon ihre täglichen Ausgaben bestritten. Auf Grund dieser Erwägung berichtete er seinem Bruder die Geschichte mit den Räubern und erzählte ihm, was er mit ihnen erlebt hatte; wie er in die Schatzhöhle eingedrungen war, und wie er eine Menge Gold, sowie auch alles, was er von den Edelsteinen und Stoffen begehrte, fortgeschafft hatte. Und er schloß mit den Worten: ,Bruder, alles was ich heimgebracht habe, soll mir und dir gemeinsam gehören, wir wollen es gleichmäßig teilen. Wenn du aber noch mehr als das haben willst, so will ich es dir holen; denn ich habe den Schlüssel zu der Schatzhöhle bei mir, der mir den Eintritt und die Rückkehr gewährt, ganz wie ich will, ohne daß jemand mich hindern oder zurückhalten kann.' ,Das ist eine Teilung, die mir nicht gefällt,' antwortete Kâsim, ,ich wünsche, daß du mir den Weg zu der Schatzhöhle zeigst und mir das Geheimnis, wie man sie öffnen kann, mitteilst. Denn du hast in mir das Verlangen nach ihr erweckt; ich will sie selbst sehen, auch wie du hineingegangen und aus ihr genommen hast, so viel du nur begehrtest. Es ist mein Wunsch, hinzugehen, zu sehen, was darin ist, und zu nehmen, was mir gefällt. Wenn du mir meinen Wunsch nicht erfüllst, so verklage



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ich dich bei dem Statthalter und enthülle ihm dein Geheimnis; dann wird dir schon etwas zuteil werden, was dir nicht lieb ist.' Als Ah Baba diese Worte aus seinem Munde vernommen hatte, sprach er zu ihm: ,Warum drohst du mir mit dem Statthalter? Ich will dir ja in nichts widersprechen. Ich werde dir gern kundtun, was du wissen willst; und ich zögerte nur deshalb, weil ich befürchtete, die Räuber könnten dir ein Leids antun. Wenn du nun selbst in die Schatzhöhle hineingehen willst, so bringt das mir weder Schaden noch Nutzen. Nimm dir von dort alles, was dir gefällt! Wenn du auch noch so viel schleppst, du kannst doch nicht alles fortschaffen, was sie enthält; und was du zurücklassen mußt, das ist immer noch viele Male mehr als das, was du fortnimmst.' Darauf beschrieb er ihm den Weg zum Gebirge und die Stelle der Schatzhöhle und lehrte ihn die Worte: ,Sesam, öffne dein Tor!' Er fügte auch noch hinzu: ,Behalte diese Worte fest im Sinne! Hüte dich, sie zu vergessen! Sonst bin ich um dich wegen der Tücke der Räuber und wegen des Ausgangs dieser ganzen Sache besorgt.'

Ferner berichtete mir der Erzähler, daß Kâsim, nachdem er die Stelle der Schatzhöhle erfahren und den Weg, wie er zu ihr gelangen konnte, kennen gelernt sowie auch die Zauberworte behalten hatte, voller Freude seinen Bruder verließ, ohne sich um seine Warnung zu kümmern und ohne auf seine Mahnung zu achten. Darauf kehrte er mit strahlendem Antlitz. aus dem die Freude hervorleuchtete, nach Hause zurück und erzählte seiner Frau, was er mit Ah Baba erlebt hatte. Er schloß mit den Worten: ,Morgen früh werde ich, so Gott will, ins Gebirge gehen und zu dir mit viel mehr Gold, als mein Bruder heimgebracht hat, zurückkehren. Denn deine Vorwürfe haben mich gequält und beunruhigt; und ich möchte



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etwas tun, was mir dein Wohlgefallen einbringt.' Darauf rüstete er zehn Maultiere und lud auf jedes Maultier zwei leere Kisten; dazu versah er jedes Lasttier mit den nötigen Packsätteln und Stricken. Dann verbrachte er die Nacht in der frohen Aussicht, daß er am nächsten Tage zu der Schatzhöhle gehen und dort gewinnen würde, was sie an Gütern und Schätzen enthielt, ohne sich darin mit seinem Bruder teilen zu müssen. Sobald die Morgendämmerung aufstieg und der Tag anbrach. machte er seine Maultiere bereit und trieb sie vor sich her, dem Gebirge zu, bis er es erreichte. Als er dort angekommen war, richtete er sich nach den Wegzeichen, die sein Bruder ihm beschrieben hatte, um die Tür zu finden. Und er suchte immer weiter nach ihr, bis sie in der Fels wand zwischen dem Gestrüpp und Gebüsch vor ihm stand. Kaum hatte er sie erblickt, da rief er alsbald: ,Sesam, öffne dein Tor!' Und siehe da, die Tür öffnete sich vor ihm, und voller Staunen lief er in aller Eile in die Schatzhöhle hinein, begierig, die Schätze zu holen. Nachdem er aber die Schwelle überschritten hatte, schloß die Tür sich wieder wie gewöhnlich. Dann ging Kâsim in der ersten Halle weiter, von ihr aus gelangte er in die zweite und dritte, und so begab er sich von Halle zu Halle, bis er alle Hallen durchschritten hatte. Er war von den Wundern, die er sah, berückt, und von den Kostbarkeiten. die er fand, entzückt; fast geriet er vor Freuden ganz außer sich, und am liebsten hätte er die Schätze samt und sonders mitgenommen. Wie er dann nach rechts und nach links gegangen war und eine Weile hin und her überlegt hatte, was er von dem Golde und den Kostbarkeiten wünschte, da entschied er sich für das Gold, nahm einen Sack voll Gold, hob ihn auf die Schulter und trug ihn zur Tür hin. Nun wollte er die Zauberworte zum Öffnen der Tür sprechen, das heißt, er wollte sagen: ,Sesam, öffne dein Tor!'



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Aber sie kamen ihm nicht auf die Zunge, da sie ihm ganz entschwunden waren. Also setzte er sich nieder, um über sie nachzudenken; dennoch kamen sie ihm nicht in den Sinn, und er konnte sie sich nicht in Gedanken vorstellen, nein, er hatte sie ganz und gar vergessen. Er rief: ,Gerste, öffne dein Tor!' aber die Tür tat sich nicht auf. Dann rief er: ,Weizen, öffne dein Tor!' doch die Tür rührte sich nicht. Und weiter rief er: ,Kichererbse, öffne dein Tor!' aber die Tür blieb geschlossen, wie sie war. Immer weiter nannte er eine Frucht nach der andern, bis er alle Namen von Kornfrüchten genannt hatte. Allein an die Worte ,Sesam, öffne dein Tor!' konnte sein Geist sich nicht mehr erinnern. Als er nun sicher wußte, daß es nichts mehr fruchtete, alle die Namen von Körnerarten zu nennen, warf er das Gold von seiner Schulter, setzte sich wieder und dachte nach, was das wohl für ein Korn sein konnte, dessen Namen sein Bruder ihm angegeben hatte; doch es kam und kam ihm nicht in den Sinn. So blieb er eine Weile in größter Unruhe und Angst; und während alledem konnte er sich den Namen nicht in seinen Gedanken vorstellen. Dann begann er Kummer und Schmerz und Reue zu empfinden über das, was er getan hatte, als die Reue ihm nichts mehr nützte. Und er sprach: ,Wäre ich doch mit dem zufrieden gewesen, was mein Bruder mir anbot! Hätte ich doch von der Gier gelassen, die mich nun ins Verderben stürzen wird!' Dabei schlug er sich immerfort ins Gesicht, raufte sich den Bart, zerriß seine Gewänder, streute Staub auf sein Haupt und weinte Tränen in Strömen. Bald schrie und klagte er, so laut er nur konnte; bald weinte er still in seinem Schmerze. Die Stunden wurden ihm lang, die er so in dieser Not verbrachte; ja, während die Zeiten verstrichen, kam ihm jede Minute, die dahinging, wie eine lange Spanne Zeit vor. Je länger er in der Schatzhöhle war,



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desto mehr nahmen Furcht und Angst in ihm zu, bis er schließlich an seiner Rettung verzweifelte. Und da sprach er: ,Ich muß umkommen, daran ist kein Zweifel; es gibt keinen Weg zur Befreiung aus diesem engen Gefängnis!'

Wenden wir uns nun von ihm zu den Räubern! Die hatten inzwischen eine Karawane angetroffen, in der sich Kaufleute mit ihren Waren befanden. Die plünderten sie aus, und so machten sie große Beute. Darauf begaben sie sich nach der Schatzhöhle, um ihren Raub dort zu bergen, wie es ihre Gewohnheit war. Doch als sie in ihre Nähe kamen, erblickten sie die Maultiere, die dort mit den Kisten beladen standen. Da sie Verdacht schöpften und die Sache ihnen nicht geheuer vorkam. so stürmten sie wie ein Mann auf sie los. Die Maultiere flüchteten und zerstreuten sich im Gebirge; die Räuber aber kümmerten sich nicht mehr um sie, sondern hielten ihre Pferde an, saßen ab und zogen ihre Schwerter, um vor den Besitzern der Maultiere auf der Hut zu sein, da sie argwöhnten, es könnten ihrer viele sein. Weil sie nun draußen vor der Schatzhöhle niemanden sahen, so näherten sie sich der Tür. Als jedoch Kâsim das Getrappel der Pferde und die Stimmen der Männer hörte, lauschte er hin und war bald sicher, daß es die Räuber waren, von denen sein Bruder ihm erzählt hatte. Da hoffte er entrinnen zu können, und mit der Absicht. rasch davonzulaufen, verbarg er sich dicht hinter der Tür, bereit zu fliehen. Dann trat der Räuberhauptmann vor und sprach: ,Sesam, öffne dein Tor!' Als die Tür sich auftat, sprang Kâsim hervor, um dem Unheil zu entrinnen und die Rettung zu gewinnen. Doch wie er hervorsprang, traf er auf den Hauptmann und stieß ihn zu Boden. Eilends rannte er zwischen den Räubern hindurch; er kam auch am ersten, zweiten und dritten vorbei, aber es waren ja vierzig Mann, und er konnte doch



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nicht ihnen allen entwischen. Einer von ihnen trat ihm entgegen und stieß ihm die Lanze durch die Brust, so daß die Spitze ihm blinkend zum Rücken herausfuhr; so fand Kâsim den Tod. Das ist der Lohn eines Mannes, den die Begier überwältigt und der auf Tücke und Verrat wider seinen Bruder sinnt! Als darauf die Räuber in die Schatzhöhle eintraten und sahen, was dort weggenommen war, ergrimmten sie gewaltig, und die meisten glaubten, daß der getötete Kâsim ihr Widersacher sei und auch all das genommen habe, was an ihrem Besitze fehlte. Aber sie konnten es nicht begreifen, wie er an diesen unbekannten, abgelegenen und versteckten Ort hatte gelangen können und wie er das Geheimnis, um die Tür zu öffnen, erfahren hatte; denn niemand als Allah, der Gepriesene und Erhabene, kannte es außer ihnen. Als sie ihn nun tot dahingestreckt und regungslos daliegen sahen, freuten sie sich und beruhigten sich wieder; denn sie glaubten, jetzt werde kein anderer als er mehr kommen und in die Schatzhöhle eindringen. Und sie sprachen: ,Preis sei Allah, der uns vor diesem verfluchten Kerl Ruhe verschafft hat!' Um nun andere durch seine Bestrafung zu warnen und abzuschrecken, zerschnitten sie seinen Leib in vier Teile und hängten sie hinter der Tür auf, als warnendes Beispiel für einen jeden, der es wagen würde, diese Stätte zu betreten. Darauf gingen sie wieder hinaus, und die Tür schloß sich, wie sie zuvor gewesen war. Dann bestiegen sie ihre Pferde und ritten ihres Weges.

Lassen wir sie dahinziehen und wenden wir uns nun zu der Frau Kâsims! Die saß den ganzen Tag da und wartete auf ihn, voller Hoffnung, ihr Ziel zu erreichen, und voller Erwartung, die weltlichen Güter, die sie begehrte, bald zu besitzen, bereit, die Dinare und die geliebten Goldstücke zu greifen. Als es jedoch Abend ward, und er immer noch ausblieb, ward sie unruhig



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und ging zu Ah Baba; dem erzählte sie, ihr Mann sei am Morgen ins Gebirge gezogen und bis zu dieser Stunde noch nicht heimgekehrt, und darum fürchte sie, es könne ihm ein Hindernis begegnet oder ein Unglück geschehen sein. Ali Baba beruhigte sie, indem er sprach: ,Sorge dich nicht! Wenn er bis zu dieser Stunde ausgeblieben ist, so hat er sicher seine Gründe. Ich glaube, er zögert, bei Tage in die Stadt zu kommen, weil er fürchtet, sein Geheimnis könnte offenbar werden; und er will nur bei Nacht hereinkommen, um sein Vorhaben im Verborgenen auszuführen. Es wird nur noch eine kurze Weile dauern, dann wirst du ihn sehen, wie er mit dem Golde zu dir heimkehrt. Als mir berichtet wurde, er wolle ins Gebirge gehen, da habe ich es mir versagt, auch hinaufzusteigen, wie ich es sonst zu tun pflege, damit er nicht durch meine Gegenwart gestört werde und glauben könne, ich wolle ihm nachspüren. Der Herr mache ihm leicht, was schwer ist, und führe seine Sache zu einem guten Ende! Du aber, geh in dein Haus zurück und befürchte nichts! So Gott will, wird sich alles zum Guten wenden. Dann wirst du sehen, wie er unversehrt und von Beute beschwert zu dir zurückkommt!' Die Frau Kâsims kehrte nun in ihr Haus zurück, aber sie war doch noch unruhig. Dort setzte sie sich betrübt nieder, mit tausend Seufzern im Herzen wegen des Ausbleibens ihres Mannes; sie begann, sich lauter düstere Gedanken zu machen und die schlimmsten Erwartungen zu hegen, bis die Sonne unterging und es dunkel ward und die Nacht hereinbrach, ohne daß sie ihn hätte heimkehren sehen. Da wollte sie sich nicht zur Ruhe legen und verbannte den Schlaf von ihren Augen, weil sie nur auf ihn wartete. Als aber zwei Drittel der Nacht vergangen waren und sie ihn immer noch nicht zurückkehren sah, gab sie die Hoffnung auf sein Kommen auf und hub an, zu weinen und



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zu klagen. Doch sie enthielt sich, so laut zu schreien, wie es sonst die Frauen zu tun pflegen; denn sie befürchtete, die Nachbarn könnten davon erfahren und sie dann nach dem Grunde ihres Weinens fragen. So verbrachte sie die Nacht wachend und klagend, in Unruhe, Trauer und Sorgen, in Furcht und Kummer, —eine böse Nacht! Doch als sie bemerkte, daß der Morgen begann, eilte sie sogleich zu All Baba und tat ihm kund, daß sein Bruder nicht heimgekehrt sei; während sie sprach, rannen ihr in ihrem Kummer die Tränen in Strömen, und sie war in unsäglicher Not. Als All Baba vernommen hatte, was sie ihm berichtete, rief er: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen! Jetzt bin ich ratlos, weil er bis zu dieser Zeit ausgeblieben ist. Doch ich will selbst hingehen und nachforschen, wie es um ihn steht; dann will ich dir die volle Wahrheit über ihn berichten. Möge Allah der Beschützer zum Guten sein, und nicht der Gegner zu Not und Pein!' Darauf rüstete er sofort seine Esel, nahm seine Axt und begab sich auf das Gebirge, wie er es jeden Tag zu tun pflegte. Wie er sich jedoch dem Tore der Schatzhöhle näherte und dort keine Maultiere fand. aber Blutspuren entdeckte, da gab er alle Hoffnung für seinen Bruder auf und war von seinem Tode überzeugt. Er trat an die Tür heran; doch dabei war er voll Angst und ahnte, was geschehen war. Kaum hatte er gerufen: ,Sesam, öffne dein Tor!' da tat sich durch diese Worte schon die Tür auf, und er entdeckte den Leichnam Kâsims, der in vier Teile zerstückelt war und hinter der Tür hing. Bei diesem Anblick lief ein Schauer über seinen Leib, seine Zähne schlugen aufeinander, und seine Lippen zuckten zusammen; und fast wäre er vor Schrecken und Grauen ohnmächtig geworden. Schmerzlicher Kummer um seinen Bruder überkam ihn, und er ward um seinetwillen



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tiefbetrübt. Da sprach er dann: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen! Wir sind Gottes Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück. Niemand entgeht dem, was geschrieben steht. Und was einem Manne im Verborgenen bestimmt ist, das muß an ihm erfüllt werden.' Doch dann sah er ein, daß es jetzt nichts nutzte noch frommte, zu weinen und zu trauern, und daß es das beste und nötigste war, die Kräfte des Verstandes zusammenzunehmen und den rechten Plan und einen festen Entschluß zu fassen. Und so dachte er zunächst daran, daß es ihm als eine religiöse Pflicht des Islams obliege, seinen Bruder in das Leichentuch zu hüllen und zu begraben. Alsbald nahm er die vier Teile der zerstückelten Leiche, lud sie auf seine Esel und bedeckte sie mit einigen von den Stoffen des Schatzes. Dazu fügte er noch einiges von den anderen Schätzen, was nicht beschwert und doch von hohem Wert. Zuletzt ergänzte er die Lasten seiner Esel mit Brennholz. Dann wartete er eine ganze Weile, bis die Nacht anbrach. Als es aber dunkel geworden war, zog er zur Stadt und ging hinein, tiefer betrübt als eine Mutter, die ihr Kind verloren hat, ohne zu 'wissen, was er mit der Leiche tun, ja, was er überhaupt beginnen solle. So trieb er denn, versunken im Meere der quälenden Gedanken, seine Esel dahin, bis er vor dem Hause seines Bruders anhielt. Er klopfte an die Tür, und es öffnete ihm eine braune abessinische Sklavin, die dort als Dienerin war. Die war eine der schönsten Sklavinnen, von anmutigem Aussehen, von liebliebem Wuchs, jung an Jahren, von hübschem Gesichte, mit geschminkten Augenwimpern und in jeder Hinsicht vollkommen; aber noch mehr als das, sie hatte auch klare Einsicht, durchdringenden Verstand, hohen Sinn und tapferen Mut zur Zeit der Not, und im Ersinnen von Mitteln und Wegen übertraf



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sie den erfahrensten und klügsten Mann. Die Geschäfte des Hauses waren ihr überlassen, und die Beschaffung dessen, was gebraucht wurde, war ihr anvertraut. Als nun Mi Baba in den Hof trat, sprach er zu ihr: ,Jetzt gilt es, dich zu zeigen, Mardschâna! Wir brauchen deine Hilfe in einer wichtigen Sache, die ich dir vor deiner Herrin erklären will. Komm mit mir herein, damit ich zu dir sprechen kann.' Darauf ließ er die Esel im Hofe, ging zu der Frau seines Bruders hinauf, während Mardschâna ihm folgte, verwirrt und ungewiß über das, was sie von ihm gehört hatte. Als aber die Frau Kâsims ihn erblickte, rief sie: ,Was bringst du, Ah Baba, Gutes oder Schlimmes? Hast du eine Spur von ihm gefunden oder eine Kunde über ihn erhalten? Schnell, beruhige mich, kühle das Feuer meines Herzens!' Doch wie er mit der Antwort zauderte, erkannte sie schon, wie es in Wahrheit stand; und sie begann zu schreien und zu klagen. Er aber sprach zu ihr: ,Enthalte dich jetzt des Schreiens, erhebe deine Stimme nicht, auf daß die Leute nichts von uns erfahren und du uns nicht alle ins Verderben bringst.' Darauf erzählte er ihr, wie es stand und was er erlebt hatte; wie er die Leiche seines Bruders, in vier Teile zerstückelt und drinnen in der Schatzhöhle hinter der Tür aufgehängt, gefunden hatte. Dann fuhr er fort: ,Denke daran und sei gewiß, daß unser Gut und unser Leben und unsere Angehörigen die Gaben Allahs sind! Glück und Unglück werden uns anvertraut. Es geziemt uns zu danken, wenn er gibt, und auszuharren, wenn er heimsucht. Trauer ruft keinen Toten ins Leben zurück und wehrt keinen Kummer von uns ab. Darum liegt es dir ob, auszuharren. Auf das Ausharren muß Glück und Heil folgen. Sich den Beschlüssen Allahs zu fügen, ist besser als zu jammern und sich zu widersetzen. Jetzt aber ist dies der rechte und richtige Plan: ich werde dir zum Ehemann und



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nehme dich als Gattin an. Ich will dich heiraten, und meiner Frau wird es nicht leid tun, denn sie ist verständig und züchtig im Denken und Handeln, sie ist fromm und gottesfürchtig. Dann wollen wir alle zusammen eine Familie sein, und -Gott sei Dank! —wir haben ja Geld und Gut genug, daß wir uns nicht zu mühen und plagen und quälen brauchen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Darum sollen wir dem Geber danken, der uns gespendet hat, und ihn für das preisen, was er uns gnädig gewährt hat!' Wie die Frau Kâsims die Worte Ah Babas vernommen hatte, wurden die Trauer und der tiefe Schmerz, die sie empfand, ein wenig beruhigt; sie hörte auf zu weinen, trocknete ihre Tränen und sprach zu ihm: ,Ich will dir ein folgsames Weib und eine gehorsame Dienerin sein. Was immer du für richtig hältst, dem will ich mich fügen. Doch was soll jetzt mit dieser Leiche geschehen?' Er gab ihr zur Antwort: ,Die Sache des Toten überlasse deiner Sklavin Mardschâna; du weißt doch, wie groß ihr Verstand, wie trefflich ihre Einsicht ist, wie richtig sie planen kann, wie geeignet sie ist, Mittel und Wege zu finden!' Dann verließ er sie und ging seiner Wege..

Als die Sklavin Mardschâna diesen Worten zugehört hatte und auf ihren Herrn, der tot und gevierteilt war, blickte und als sie ferner den Grund von alledem genau verstanden hatte, beruhigte sie ihre Herrin, indem sie sprach: ,Sorge dich nicht, sei ruhig! Ich werde mich seiner annehmen. Ich werde dir alles so einrichten, daß wir Ruhe finden und daß der Schleier des Geheimnisses nicht von uns genommen wird.' Darauf ging sie fort und begab sich zu einem Spezereienhändler, der in derselben Straße wohnte; das war ein alter, hochbetagter Mann, berühmt ob seiner Kenntnisse in allen Arten der Heilkunst und Arzneiwissenschaft, von dem man wußte, daß er eine reiche



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Erfahrung darin hatte, Arzneien zu bereiten, und daß er alle Drogen und Heilkräuter kannte. Von ihm forderte sie eine Paste, wie sie nur bei schweren Krankheiten verschrieben wird. Da fragte er sie: ,Wer hat diese Paste in eurem Haushalte nötige' Sie antwortete: ,Mein Herr Kâsim ist von einer schweren Krankheit betroffen, die ihn ganz und gar niedergeworfen hat, so daß er jetzt wohl dem Ende nahe ist.' Der Drogist reichte ihr nun die Paste mit den Worten: ,Möge Allah dadurch Heilung schaffen!' Sie nahm das Mittel aus seiner Hand entgegen, zahlte ihm einige Dirhems dafür und kehrte nach Hause zurück. Am nächsten Morgen früh ging sie wieder zu dem Spezereihändler und forderte von ihm eine Arznei, die nur dann eingegeben wird, wenn alle Hoffnung geschwunden ist. Als er fragte: ,Hat denn die Paste von gestern nichts genützt?' gab sie zur Antwort: ,Nein, bei Allah! Mein Herr liegt in den letzten Zügen; er kämpft mit dem Tode. Und meine Herrin hat schon begonnen zu weinen und zu klagen.' Er gab ihr die Arznei, und nachdem sie sie in Empfang genommen und den Preis dafür bezahlt hatte, ging sie fort. Sie begab sich jedoch zu Ah Baba und erzählte ihm, was für eine List sie angewandt hatte, und sie empfahl ihm, er möchte jetzt oft zum Hause seines Bruders kommen und dabei Trauer und Kummer zur Schau tragen. Er befolgte ihren Rat, und als die Leute des Stadtviertels ihn sahen, wie er im Hause seines Bruders aus und ein ging mit den Zeichen der Trauer im Gesichte, fragten sie ihn, was der Grund davon sei. Er erzählte ihnen von der Krankheit seines Bruders und daß sein Leiden sehr schwer sei. Die Kunde verbreitete sich bald in der Stadt, und die Leute begannen davon zu reden. Am nächsten Morgen aber ging Mardschâna vor Anbruch der Dämmerung fort, schritt durch die Straßen der Stadt dahin, bis sie zu einem Schuhflicker kam,



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namens Scheich Mustafa, einem alten Manne, der einen dicken Schädel, einen kurzen Leib und einen langen Bart auf Kinn und Lippen hatte. Der pflegte immer seinen Laden früh zu öffnen, als erster im Basar; und die Leute wußten auch, daß er diese Gewohnheit hatte. Zu ihm also ging die Sklavin; sie grüßte ihn mit ausgesuchter Höflichkeit und legte ihm ein Goldstück in die Hand. Als Scheich Mustafa es glänzen sah, betrachtete er es eine Weile in der Hand und sprach: ,Dies ist ein gesegneter Anfang!' Und da er merkte, daß sie ein Anliegen an ihn hatte, sprach er zu ihr: ,Tu mir kund, was du für Wünsche hast, du Herrin der Sklavinnen, damit ich sie dir erfülle!' ,O Scheich,' erwiderte sie, ,nimm Faden und Nadeln, wasche deine Hände, lege deine Sandalen an, und laß mich dir die Augen verbinden! Dann mache dich auf und komm mit mir, um ein gutes Werk zu tun, das dir mit irdischem und himmlischem Lohne winkt, ohne daß es dir den geringsten Schaden bringt!' Er fuhr fort: ,Wenn du von mir etwas verlangst, an dem Allah und der Prophet Gefallen haben, so will ich es herzlich gern tun und dir nicht widersprechen. Ist es aber ein Verbrechen oder ein Vergehen, ein schuldbringend oder sündhaft Versehen, so will ich dir darin nicht Folge leisten; dann suche dir jemand anders, daß er es vollbringt!' ,Nein, bei Allah, o Scheich Mustafa,' sagte sie darauf, ,es gehört zu den erlaubten und gestatteten Dingen; hab keine Besorgnis!' Mit diesen Worten drückte sie ihm ein zweites Goldstück in die Hand. Sobald er das erblickte, konnte er nicht mehr widersprechen noch sich entziehen; er sprang auf die Füße und sprach zu ihr: ,Ich stehe dir zu Diensten; was du mir nur immer befiehlst, werde ich für dich tun.' Darauf verschloß er seine Ladentür und nahm, was er an Faden, Nadeln und anderen Nähwerkzeugen nötig hatte. Mardschâna aber hatte



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eine Binde bereit gehalten; die holte sie jetzt rasch hervor und verband ihm damit die Augen, wie verabredet war, damit es ihm unmöglich wäre, den Ort zu erkennen, zu dem sie mit ihm gehen wollte. Dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn fort, während er hinter ihr ging, durch die Straßen und Gassen; und er glich einem Blinden, der nicht wußte, wohin er ging, noch was damit bezweckt wurde. So gingen die beiden zusammen dahin, bald schlug sie einen Weg nach rechts ein, bald bog sie nach links ab, indem sie absichtlich einen Umweg wählte, um ihn zu verwirren und ihn nicht wissen zu lassen, wohin sie mit ihm ging. Immer weiter führte sie ihn in dieser weise, bis sie bei dem Hause des dahingeschiedenen Kâsim Halt machte. Dort klopfte sie leise an die Tür, und im selben Augenblicke ward ihr aufgemacht. Da führte sie den Scheich Mustafa hinein und brachte ihn in den Raum. in dem der Leichnam ihres Herrn lag. Sobald er dort stille stand, löste sie ihm die Binde von den Augen. Als aber der Scheich Mustafa die Augen öffnete und sich an einem Orte sah, den er nicht kannte, und nun gar vor sich die Leiche eines erschlagenen Mannes schaute, geriet er in Angst, und sein Leib erbebte. Doch Mardschâna sprach zu ihm: ,Fürchte dich nicht, Alterchen; dir geschieht kein Leid! Von dir wird nur gewünscht, daß du die Teile dieses getöteten Mannes fest aneinandernähst und seine Glieder zusammenfügst, so daß sein Leib wieder aus einem Stück besteht.' Mit diesen Worten reichte sie ihm das dritte Goldstück. Scheich Mustafa nahm es, legte es in seine Brusttasche und sprach bei sich selber: ,Jetzt gilt es, sich zusammenzunehmen und den rechten Entschluß zu fassen. Ich bin an einem Orte, den ich nicht kenne, und unter Leuten, von denen ich nicht weiß, was sie vorhaben. Handle ich ihnen zuwider, so werden sie mir sicher ein Leids antun; und so



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bleibt mir nichts übrig, als mich dem zu fügen, was sie verlangen. Auf alle Fälle bin ich ja an dem Blute dieses erschlagenen Mannes unschuldig, und die Bestrafung seines Mörders steht bei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen. Und schließlich, es ist doch keine Sünde. einen Leichnam zusammenzunähen; deswegen kann keine Schuld auf mich kommen und keine Strafe mich treffen!' Also setzte er sich nieder und begann die Teile des Getöteten zu nähen, und er fügte sie zusammen, bis sie wieder ein vollständiger Leib wurden. Wie er dann mit seiner Arbeit fertig war und seine Aufgabe erfüllt hatte, legte Mardschâna ihm wieder die Binde um die Augen, nahm um bei der Hand und führte ihn zur Gasse hinab. Dann ging sie mit ihm von Straße zu Straße, bog in eine Gasse nach der anderen ein und leitete ihn bis zu seinem Laden zurück. noch ehe die Leute aus ihren Häusern kamen, so daß keiner sie beobachten konnte. Als sie dann wieder bei dem Laden ankam, nahm sie ihm die Binde von den Augen und sprach zu ihm: ,Hüte dies Geheimnis! Nimm dich in acht, darüber zu sprechen oder von dem, was du gesehen hast, zu erzählen; schwätze nicht viel von dem, was dir nichts besagt, sonst kann dir begegnen, was dir nicht behagt.' Darauf gab sie ihm das vierte Goldstück, verließ ihn und ging fort. Als sie wieder zu Hause ankam, holte sie warmes Wasser und Seife, setzte sich nieder und wusch den Leichnam ihres Herrn, bis sie ihn von dem Blute gereinigt hatte; dann zog sie ihm seine Kleider an und legte ihn auf seine Lagerstatt. Wie sie mit allem fertig war, schickte sie zu Ah Baba und seiner Frau; und als sie gekommen waren, berichtete sie ihnen, was sie getan hatte, und sie schloß mit den Worten: ,Gebt jetzt den Tod meines Herrn Kâsim bekannt und tut ihn den Leuten kund!' Im selben Augenblick begannen auch die Frauen zu weinen und zu Ida



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gen, sie erhoben den Trauergesang und das Wehgeschrei und schlugen ihre Wangen, bis die Nachbarn es hörten. Nun kamen die Freunde, um an der Trauer über ihn teilzunehmen. Des Weinens ward viel, das Klagen nahm zu, das Wehgeschrei ward allgemein, und der Jammer war groß. Dann ward die Kunde von dem Tode Kâsims in der ganzen Stadt bekannt; die Freunde sprachen Segenswünsche über ihn aus, doch die Feinde zeigten ihre Schadenfreude. Nach einer Weile kamen die Leichenwäscher, um ihn gemäß dem religiösen Brauche zu waschen. Doch Mardschâna ging zu ihnen hinunter und sagte ihnen, er sei schon gewaschen, gesalbt und mit dem Leichentuche bekleidet; und dabei gab sie ihnen als ihren Lohn mehr, als man sonst zu geben pflegte. Die Leute zogen mit frohem Sinn wieder ab, und obgleich sie den Grund nicht einsahen, fragten sie doch nicht nach dem, was sie nichts anging. Darauf brachten die Leute die Bahre, holten die Leiche herunter, legten sie darauf und trugen sie zum Friedhofe, während die Einwohner seinem Leichenzuge folgten, Mardschâna aber mit den anderen Frauen sowie die Klageweiber hinterdrein gingen und weinten und klagten, bis man zu der Grabstätte kam. Dort gruben sie ihm ein Grab und bestatteten ihn -die Barmherzigkeit Gottes sei mit ihm! Darauf kehrten die Leute wieder um, zerstreuten sich und gingen ihrer Wege. Auf diese Weise blieb die Ermordung Kâsims unbekannt, keiner erfuhr etwas von dem wahren Sachverhalt, und alle Leute meinten, er sei eines natürlichen Todes gestorben.

Nachdem nun die gesetzliche Frist' verstrichen war, heiratete Ali Baba die Frau seines Bruders, ließ die Eheurkunde für



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sie schreiben und wohnte bei ihr. Die Leute fanden sein Tun schön, und sie schrieben es seiner großen Liebe zu seinem Bruder zu. Danach schaffte er seinen Hausrat in ihr Haus hinüber und wohnte dort mit ihr und seiner ersten Frau; auch brachte er das Geld, das er aus der Schatzhöhle mitgenommen hatte, hinüber. Dann dachte er nach, was aus dem Laden seines dahingeschiedenen Bruders werden sollte. Allah hatte ihm einen Sohn geschenkt, der jetzt zwölf Jahre alt war; der war früher bei einem Kaufherrn in die Lehre gegangen und hatte von ihm das Kaufmannsgeschäft gelernt, so daß er gut darin Bescheid wußte. Da nun sein Vater jemanden nötig hatte, der den Laden hütete, nahm er ihn von dem Kaufherrn fort und ließ ihn in dem Laden sitzen, um zu verkaufen und zu kaufen; er übergab ihm alle Güter und Waren, die der Oheim hinterlassen hatte, und er versprach auch, ihn zu vermählen, wenn es mit seinem Tun gut und erfolgreich stehe und wenn er den Weg des Rechtes und der Tugend gehe.

Wenn wir uns nun von diesen wieder zu den Räubern wenden, so sehen wir, daß sie nach einer kurzen Weile zu der Schatzhöhle zurückkehrten. Als sie eintraten und die Leiche Kâsims nicht mehr fanden, wußten sie, daß noch ein anderer von ihren Widersachern um ihr Tun wußte, daß der Tote Genossen gehabt haben mußte, und daß ihr Geheimnis nun unter den Menschen bekannt wurde. Der Gedanke lastete auf ihnen, und sie empfanden bitteren Kummer. Dann sahen sie nach, was aus der Schatzhöhle fortgenommen war, und fanden, daß es doch auf eine beträchtliche Menge kam; darüber waren sie sehr erzürnt, und nun sprach der Hauptmann zu ihnen: ,Ihr Degen, ihr Männer im Kampf und Streit verwegen, jetzt ist eure Zeit gekommen, auf daß ihr Blutrache nehmt! Wir glaubten, es sei nur ein Mann gewesen, der die Tür geöffnet hat,



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aber nun sind es doch mehrere gewesen; nur kennen wir die Zahl der Leute nicht und wissen nicht, wo ihre Wohnstätte ist. Sollen wir uns in Gefahr begeben und unser Leben indie Schanze schlagen, um Schätze zu sammeln, und sollen dann andere Leute den Nutzen davon haben, ohne Plage, ohne Mühe? Das ist doch etwas zu Arges, das wir nicht ertragen können! Wir müssen also auf Mittel und Wege sinnen, durch die wir an unseren Feind herankommen, und wenn wir ihm begegnen, so wollen wir blutige Rache an ihm nehmen. Ja, ich will ihn mit diesem Schwerte erschlagen, mag es auch den Untergang für mich bedeuten. Jetzt ist die Zeit da, sich zu mühen, sich mannhaft, tapfer und tüchtig zu zeigen! Zerstreut euch, zieht in Dörfer und Flecken, in große Städte und weite Länderstrecken, sucht Nachrichten zu erhalten, fragt, ob ein Armer reich geworden ist oder ob ein Erschlagener begraben ist. Es ist möglich, daß ihr so unserem Feinde auf die Spur kommt und daß Allah euch mit ihm zusammenführt. Ganz besonders brauchen wir jetzt einen listigen und verschlagenen Mann, der wahren Mannesmut besitzt, der dazu bestimmtwerden soll, diese Stadt zu durchforschen; denn unser Widersacher ist einer von ihren Einwohnern, das steht fest und ist ganz sicher. Dieser Mann muß sich als Kaufmann verkleiden, unauffällig in die Stadt hineingehen und in ihr Nachrichten zu erhalten suchen; er muß danach fragen, wie es in ihr aussieht, was für Ereignisse sich in ihr begeben haben, wer in der letzten Zeit dort gestorben oder getötet ist, was für Verwandte er hat, wo sein Haus steht und wie es ihm ergangen ist. Vielleicht wird das uns zum Ziele führen; denn die Sache des Getöteten kann nicht verborgen bleiben; die Kunde davon muß schon in der Stadt verbreitet sein, groß und klein wird von seiner Geschichte wissen. Wenn nun der Kundschafter unseren Feind in seine Gewalt bringt



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oder uns benachrichtigt, wo er weilt, so soll ihm ein hoher Vorrang unter uns zuteil werden, ich werde ihm seinen Rang und seine Würde erhöhen und ihn zu meinem Nachfolger machen. Wenn er aber seine Aufgabe nicht erfüllt, sein Versprechen nicht hält und unsere Erwartungen enttäuscht, so werden wir wissen, daß er ein dummer Tropf und von schwachem Verstande ist, daß er bei kluger Tat versagt und eine schwierige Sache nicht ausführen kann; und dann werden wir ihn für sein schlechtes Tun und seinen Mangel an Eifer bestrafen. Ja, wir werden ihn eines schimpflichen Todes sterben lassen; denn wir brauchen keinen, der wenig Mut besitzt, und es frommt nicht, einen zu behalten, der keine Einsicht hat. Ein guter Räuber ist nur der Mann, der andere übertrifft und der in allen Künsten und Listen erfahren ist. Was meint ihr dazu, ihr Tapferen? Und wer von euch tritt freiwillig vor, um diesen schweren, gefährlichen Auftrag zu übernehmen?' Als sie seine Worte und seine Ansprache gehört hatten, waren sie mit seinem Plan einverstanden; sie nahmen die Bedingungen an, die er ihnen vorgeschlagen hatte, beschworen sie und versprachen, sie zu halten. Darauf trat einer von ihnen vor, ein Bursche von hohem Wuchs und breitem Leib, um diesen schwierigen und steinigen Weg zu übernehmen; er nahm auch die Bedingungen auf sich, die bereits genannt wurden und über die man sich geeinigt hatte. Da küßten die anderen ihm die Füße. erwiesen ihm hohe Ehre, priesen seinen Mut und seine Tapferkeit und lobten seine treffliche Entscheidung und Entschlossenheit; sie dankten ihm für den kühnen Mut in seiner Männerbrust und bewunderten seine kraftvolle Abenteuerlust. Dann ermahnte der Hauptmann ihn, ruhig und entschlossen zu sein und Trug, Verschlagenheit und geheime Listen zu gebrauchen; er lehrte ihn, wie er in die Stadt als Kaufmann gehen sollte, um dort dem äußeren Scheine



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nach Handel zu treiben, im geheimen aber zu spionieren. Nachdem er ihm alle diese Ermahnungen gegeben hatte, ließ er ihn davonziehen, und die Räuber zerstreuten sich.

Jener Räuber aber, der sich freiwillig erboten hatte, sein Leben für seine Brüder aufs Spiel zu setzen, legte Kaufmannsgewänder an, verkleidete sich so und verbrachte die Nacht in der Absicht, sich in die Stadt zu begeben. Als nun die Nacht zu Ende ging und die Morgendämmerung anbrach, zog er dahin, auf den Segen Allahs des Erhabenen vertrauend, geradeswegs auf das Stadttor zu, ging in ihr durch Straßen und über Plätze, durchschritt die Basare und die Gassen, während die meisten Einwohner noch im süßen Schlummer versunken waren. So ging er immer weiter dahin, bis er zu dem Basar kam, in dem Hâddsch' Mustafa, der Schuhflicker, seinen Laden hatte. Er bemerkte, daß der seinen Laden bereits aufgemacht hatte und dasaß, mit dem Flicken von Sandalen beschäftigt; denn er pflegte wie wir schon erzählt haben, früh zum Basar zu gehen und eher als die anderen Leute des Viertels aufzumachen. Zu dem ging der Kundschafter hin und begrüßte ihn mit schönen Worten, indem er ihm überschwengliche Ehre erwies und sprach: ,Allah segne deinen Eifer und kröne dich mit hoher Ehre! Du bist ja der allererste im Basar, der seinen Laden öffnet!' ,Mein Sohn,' erwiderte Scheich Mustafa, ,eifrige Arbeit ist für den Erwerb des Lebensunterhaltes besser als Schlafen. So pflege ich jeden Tag zu tun.' Der Räuber fuhr fort: ,Aber, Alterchen, ich wundere mich, wie du zu dieser Zeit so gut nähen kannst, ehe die Sonne aufgegangen ist, obgleich du doch sicher nicht gut sehen kannst bei deinem hohen Alter und bei dem Mangel des Tageslichts.' Wie Scheich Mustafa diese Worte von ihm vernahm, fuhr er ilm zornig an, und indem er einen



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grimmigen Blick auf ihn warf, sprach er: ,Ich glaube, du bist ein Fremdling in dieser Stadt; denn wenn du ein Einheimischer wärest. so würdest du nicht solche Reden führen. Ich bin bekannt bei reich und arm wegen meiner scharfen Augen; ich bin berühmt bei groß und klein wegen meiner trefflichen Geschicklichkeit in der Kunst des Nähens ;ja, neulich haben mich sogar Leute geholt, damit ich ihnen an einem dunklen Orte einen Toten zusammennähen sollte, und ich habe ihn gut genäht. Wenn ich nicht so scharf sehen könnte, so hätte ich das nicht tun können!' Kaum hatte der Räuber diese Worte vernommen, da freute er sich, daß er schon ans Ziel gekommen; denn er wußte nun, daß die göttliche Vorsehung ihn so geleitet hatte, daß er sogleich auf den traf, den er suchte. So sprach er denn zu ihm, indem er sich verwundert zeigte: ,Du irrst dich wohl, Alterchen; ich glaube', du hast doch nur das Leichentuch genäht, denn ich habe noch nie davon gehört, daß ein Toter genäht würde!' Der Alte versetzte darauf: ,Ich habe die reine Wahrheit gesagt und nur berichtet, was sich zugetragen hat. Aber es scheint mir, daß du die Absicht hast, die Geheimnisse der Menschen auszuspüren. Wenn das deine Absicht ist, so geh fort von mir und versuche deine Listen bei jemand anders. Vielleicht findest du gar, ich wäre geschwätzig und wortreich; aber ich heiße der Schweiger, ich verrate nie, was ich geheimhalten will, ich werde dir also nichts davon erzählen!' Dadurch ward der Räuber in seiner festen Überzeugung bestärkt, daß jener Tote der Mann gewesen sein müsse, den sie bei der Schatzhöhle getötet hatten, und er sprach weiter zu Scheich Mustafa: ,O Scheich, ich habe nach deinen Geheimnissen kein Verlangen; und wenn du darüber schweigst, so ist es besser. Denn es heißt: Ein Geheimnis zu verbergen gehört zu den Eigenschaften der Frommen. Ich wünsche von dir nur, daß du mich zu



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dem Hause dieses Toten führest; vielleicht ist er einer von meinen Verwandten oder Bekannten, und da wäre es doch meine Pflicht, seinen Angehörigen meine Trauer über ihn auszusprechen. Ich bin seit langer Zeit von dieser Stadt fern gewesen, und ich weiß nicht, was in ihr während der Zeit meines Fernseins geschehen ist!' Dann steckte er seine Hand in seine Tasche und holte ein Goldstück heraus; das drückte er dem Scheich Mustafa in die Hand. Doch er wollte es nicht annehmen, sondern er sprach zu dem Räuber: ,Du fragst mich nach etwas, das ich dir nicht beantworten kann. Denn man hat mich erst dann zu dem Hause des Toten geführt, nachdem man mir eine Binde um die Augen gelegt hatte, und darum kenne ich den Weg nicht, der dorthin führt.' Da hub der Räuber wieder an: ,Das Goldstück schenke ich dir, ob du mir meinen Wunsch erfüllest oder nicht. Nimm es, Gott segne es dir! Ich brauche es nicht zurück. Doch vielleicht ist es möglich, daß du, wenn du ein wenig nachdenkst, mich auf den Weg leiten kannst, den du gegangen bist, während deine Augen geschlossen waren.' Scheich Mustafa erwiderte: ,Das ist mir nur möglich, wenn du mir eine Binde um die Augen legst, wie jene es damals mit mir getan haben. Denn daran kann ich mich noch erinnern, wie man mich bei der Hand faßte, und wie man mich führte und wie man mit mir zur Seite abbog und wie man mich dann stillstehen ließ. So werde ich dann vielleicht doch zu dem Orte, den du suchst, hingeleitet und kann ihn dir zeigen.' Der Räuber freute sich, als er diese Worte hörte, war vergnügt und reichte dem Scheich Mustafa ein zweites Goldstück, indem er zu ihm sprach: ,Wir wollen es so machen, wie du gesagt hast!' Darauf sprangen die beiden auf die Füße, Scheich Mustafa schloß seinen Laden, der Räuber nahm eine Binde und legte sie dem Alten um die Augen. Dann faßte er ihn bei der Hand und ging



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mit ihm weiter; dabei lenkte Scheich Mustafa den Räuber bald zur Rechten, bald bog erinit ihm nach links ab, und dann wieder ging er geradeaus, ganz so wie die Sklavin Mardschâna damals mit ihm gegangen war, bis er schließlich in eine kleine Gasse gelangte, in der er ein paar Schritte vorwärts ging und dann stehenblieb. Nun sagte er zu dem Räuber: ,Ich glaube, an dieser Stelle bin ich damals stehen geblieben.' Da löste der Räuber die Binde von seinen Augen, und siehe da, die Vorsehung hatte es wirklich so gefügt, daß der Schuhflicker jetzt gegenüber dem Hause des unglücklichen Kâsim stand. ,Kennst du den Herrn dieses Hauses?' fragte ihn der Räuber. ,Nein, bei Allah,' erwiderte er, ,diese Straße ist zu weit von meinem Laden; ich kenne auch die Leute dieses Stadtviertels nicht.' Darauf sprach der Räuber ihm seinen Dank aus und gab ihm das dritte Goldstück mit den Worten: ,Geh fort und sei Allah dem Erhabenen befohlen!' Scheich Mustafa kehrte also zu seinem Laden zurück, erfreut, daß er die drei Goldstücke eingeheimst hatte. Der Räuber aber blieb stehen, beobachtete das Haus und sah es sich genau an; da entdeckte er, daß die Haustür genau so aussah, wie die Türen der anderen Häuser in der Gasse. Nun befürchtete er, er könne sie später nicht wiederfinden, und darum nahm er Kreide und machte damit ein kleines weißes Zeichen an die Tür, um sich später dadurch leiten zu lassen. Darauf kehrte er zu seinen Genossen ins Gebirge zurück, froh und heiteren Sinnes und überzeugt, daß der Auftrag, wegen dessen er ausgesandt war, ausgeführt sei und daß man jetzt nur noch die Rache zu vollstrecken brauche.

Lassen wir ihn einstweilen dort und wenden wir uns zu der Sklavin Mardschâna! Als sie aus dem Schlafe erwacht war und ihrer täglichen Gewohnheit gemäß das Frühgebet gesprochen hatte, machte sie sich an die Arbeit und ging fort, um den Tagesbedarf



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an Speisen und Trank zu holen. Wie sie dann vom Basar zurückkam, erblickte sie an der Haustür ein weißes Zeichen. Sie sah es genauer an, wunderte sich darüber, und etwas beunruhigt sprach sie bei sich selber: ,Es ist ja möglich, daß dies von Kinderspiel herrührt oder ein Gekritzel ist, das die Gassenbuben gemalt haben; aber am wahrscheinlichsten ist es doch, daß ein alter Feind oder ein Neider, der es böse meint, dies Zeichen gemacht hat, weil er einen schlimmen Plan bei sich trägt und eine verderbliche Absicht hegt. So wollen wir denn beschließen, ihn irrezuführen und seinen gemeinen Plan zu vereiteln.' Darauf nahm sie Kreide und malte auf die Haustüren der Nachbarn Zeichen genau so wie jenes, das der Räuber gezeichnet hatte. Mit diesem Zeichen versah sie etwa zehn Haustüren in der Gasse. Darauf ging sie ins Haus; doch sie sagte nichts von der Sache.

Sehn wir nun aber, was mit dem Räubersmanne geschah! Als er seine Genossen im Gebirge traf, trat er froh auf sie zu und brachte ihnen die gute Botschaft, daß ihre Hoffnung erfüllt sei und daß sie ihr Ziel erreicht hätten, da sie binnen kurzem Rache an ihrem Widersacher nehmen könnten. Dann erzählte er ihnen, wie er zufällig bei einem Schuhflicker, der den Leichnam zusammengenäht hatte, vorbeigegangen sei und wie der ihn zu dem Hause geführt und wie er selbst ein Zeichen daran gemacht habe, damit sie sich nicht irrten und die Tür nicht übersähen. Der Hauptmann dankte ihm und lobte sein mannhaftes Tun; und hoch erfreut sprach er die Räuber an: ,Verteilt euch in Gruppen! Legt die Kleider der gemeinen Leute an, verbergt eure Waffen, zieht zur Stadt und geht auf verschiedenen Wegen in sie hinein und sammelt euch dann in der großen Moschee! Ich will inzwischen mit diesem Manne, dem Kundschafter, das Haus unseres Widersachers suchen,



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und wenn wir es gefunden und sicher wiedererkannt haben, so wollen wir zu euch in die Moschee kommen. Dort wollen wir dann beraten, was zu tun ist, und wollen uns über das, was am wichtigsten ist, einigen, mag es heißen, daß wir bei Nacht das Haus überfallen, oder mag es etwas anderes sein.' Nachdem die Räuber seine Ansprache angehört hatten, erklärten sie seine Worte für gut und richtig und stimmten seinem Plane zu. Darauf verteilten sie sich, legten die Kleider der gemeinen Leute an, verbargen darunter ihre Schwerter, wie der Hauptmann ihnen befohlen hatte, und gingen auf verschiedenen Wegen in die Stadt hinein, damit die Einwohner nicht auf sie aufmerksam würden; dann trafen sie sich in der großen Moschee, gemäß ihrer Verabredung. Der Hauptmann und der Kundschafter jedoch begaben sich auf die Suche nach der Straße, in der ihr Gegner wohnte. Und als sie dort ankamen, entdeckte der Hauptmann ein Haus mit einem weißen Zeichen. Er fragte seinen Begleiter, ob dies das gesuchte Haus sei, und der bejahte es. Aber zufällig fiel sein Blick auf ein anderes Haus, und da sah er auch an dessen Tür ein weißes Zeichen. Nun fragte er den Mann: ,Welches von beiden ist das Haus, das wir haben wollen, das erste oder das zweite?' Der Räuber war verwirrt und konnte keine Antwort geben. Dann ging der Hauptmann ein paar Schritte weiter, und als er mehr als zehn Häuser mit solchen Zeichen fand, fragte er: ,Hast du alle diese Häuser gezeichnet oder nur eins von ihnen?' Er gab zur Antwort: ,Nein, nur eins!' Da fuhr der Hauptmann fort: ,Wie kommt es denn, daß es jetzt zehn und noch mehr sind?' ,Ich weiß nicht, warum das ist', erwiderte der Räuber. Weiter fragte der Hauptmann: ,Kannst du zwischen diesen Häusern das herauskennen, das du mit deiner eigenen Hand gezeichnet hast?' ,Nein,' antwortete er, ,denn die Häuser gleichen einander



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und sind alle von derselben Bauart. und die Zeichen sind auch alle von derselben Gestalt.' Als der Hauptmann diese Worte vernahm, wußte er, daß es ihm nichts mehr nützen würde, noch länger dort zu warten, und daß er diesmal keine Möglichkeit hatte, Rache zu nehmen, da seine Hoffnung sich als trügerisch erwiesen hatte. So ging er denn mit dem Manne zu der Hauptmoschee und befahl seinen Kumpanen, ins Gebirge zurückzukehren, nachdem er sie ermahnt hatte, sich auf die Straßen zu verteilen, wie sie es bei ihrem Kommen getan hatten. Als sie dann im Gebirge alle wieder an ihrer gewohnten Stätte zusammengekommen waren, erzählte er ihnen, was er mit dem Räuber erlebt hatte und daß er außerstande gewesen sei, das Haus ihres Feindes wiederzuerkennen. Er schloß mit den Worten: ,Jetzt liegt es uns ob, an ihm die Strafe zu vollziehen, wie es die Verabredungen, die wir miteinander getroffen haben, erfordern.' Alle stimmten ihm zu. Da nun der Räuber, der auf Kundschaft gegangen war, ein tapferer Mann war und ein unerschrockenes Herz besaß, so wich er nicht zurück, als er diese Worte hörte, und war nicht feige, sondern er trat mit festem Sinn und ohne zu zagen vor ihn hin und sprach: ,Es ist recht, ich verdiene die Todesstrafe, da mein Plan mißglückt ist und meine Klugheit nicht ausreichte; ich habe meinen Auftrag nicht auszuführen vermocht, und so habe ich keine Lust mehr, am Leben zu bleiben. Der Tod ist besser als ein Leben in Schande.' Im selben Augenblicke zückte der Hauptmann sein Schwert, hieb auf seinen Nacken und trennte ihm das Haupt vom Rumpfe. Dann rief er: ,Ihr Mannen, seid bereit zu Kampf und Streit! Wer unter euch ist ein Mann voll Tapferkeit und Heldenblut, mit kühnem Herzen und starrköpfigem Mut, der sich darbietet zu dieser Aufgabe voll großer Schwierigkeit, diesem Unternehmen voll gewaltiger Fährlichkeit?



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Aber kein Versager soll vortreten, kein Schwacher soll zu mir kommen, nein, nur der soll nahen, der imstande ist, mit festem Plan und voll starker Kraft zu beginnen, auf das Rechte zu sinnen und wirkende Listen zu gewinnen!' Da trat einer aus der Mannschaft hervor, der hieß Ahmed el-Ghadbân; das war ein Mann von langem Leib mit einem dicken Schädel daran, von furchtbarem Gesichte und einem Ruf voll übler Berichte, von dunkler Farbe und gräßlicher Gestalt; er hatte einen Schnauzbart wie ein Kater, der auf Mäusejagd geht, und einen Kinnbart wie ein Ziegenbock, der zwischen den Geißen und Lämmern steht. Er rief nun: ,Ihr heldenhaften Leute, für diese Aufgabe bin nur ich geeignet; ich werde euch, so Gott will, die wichtige Kunde bringen und euch sicher zu dem Hause des Widersachers führen!' Der Hauptmann sagte darauf: ,Wer diese Aufgabe übernimmt, muß sich auch den Bedingungen unterwerfen, die wir früher bestimmt haben. Wenn du unverrichteter Sache zurückkehrst, so wird dir von uns nichts anderes zuteil, als daß dir der Kopf abgeschlagen wird. Kommst du aber von Erfolg gekrönt wieder, so wollen wir dich durch eine höhere Stellung ehren und dir Ansehen und Achtung mehren; alles Gute soll dir dann zuteil werden.' Darauf legte Ahmed el-Ghadbân Kaufmannskleider an und begab sich vor Anbruch der Morgendämmerung in die Stadt. Ohne sich aufzuhalten, ging er geradeswegs zu der Straße des Scheichs Mustafa, des Schuhflickers, zu der er nach der früheren Beschreibung seines Genossen den Weg fand. Er traf den Alten, wie er in seinem Laden saß, begrüßte ihn, setzte sich zu ihm, gab ihm freundliche Worte und begann mit ihm ein Gespräch; schließlich kam der Scheich auch auf die Geschichte mit dem Toten zu sprechen und erzählte, wie er ihn zusammengenäht hatte. Da bat Ahmed el-Ghadbân ihn, er möchte



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ihn zu dem Hause führen. Scheich Mustafa weigerte sich, das zu tun, und wollte auch nicht mehr davon reden. Doch als der Räuber ihm Aussicht auf Gold machte, konnte er nicht widerstehen; denn das Geld ist ein treffsicherer Pfeil und ein Fürsprech, den niemand abweist. Also legte der Räuber ihm wieder eine Binde um die Augen, und er tat mit ihm, was er mit seinem Genossen getan hatte, wie wir bereits erzählt haben. Er ging mit ihm dahin, bis er in die Gasse des dahingeschiedenen Kâsim gelangte, und blieb vor dessen Hause stehen. Nachdem der Räuber so den Weg zu dem Hause gefunden hatte, nahm er ihm die Binde von den Augen, gab ihm den Lohn, den er ihm versprochen hatte, und ließ ihn seiner Wege gehen. Ahmed el-Ghadbân aber, der zwar sein Ziel erreicht hatte, fürchtete, er könnte später davon abirren, und um dieser Gefahr vorzubeugen, machte er an der Haustür ein kleines rotes Zeichen an einer versteckten Stelle, in dem Glauben, dort könne niemand es entdecken. Dann kehrte er zu seinen Genossen zurück und berichtete ihnen, was er getan hatte; dabei war er in froher Stimmung und zweifelte nicht mehr am Erfolg, weil er fest glaubte, daß niemand das kleine und versteckte Zeichen entdecken würde.

So weit die beiden; sehen wir aber, was die Sklavin Mardschâna tat! Die ging am nächsten Morgen früh aus nach ihrer Gewohnheit, um Fleisch, Gemüse, Früchte, Naschwerk und andere Dinge, die für den Haushalt gebraucht werden, einzukaufen. Und als sie vom Basar wieder nach Hause kam, da entging ihr das rote Zeichen doch nicht, sondern ihr Blick fiel darauf, und sie sah es genau an. Sie war beunruhigt und erstaunt darüber, und in ihrem Scharfsinn und durchdringenden Verstande erkannte sie, daß dies das Werk eines Feindes aus der Ferne sei oder eines Neiders nahebei, der Böses gegen die



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Hausbewohner im Schilde führte. Um den irrezuleiten, malte sie mit roter Farbe auf die Türen der Nachbarn Zeichen von derselben Art wie jenes, und zwar brachte sie sie an derselben Stelle an, die Ahmed el-Ghadbân gewählt hatte. Doch sie verschwieg die Sache und sprach nicht davon, damit ihr Herr sich nicht darüber beunruhigte oder ängstigte.

Wenden wir uns nun von ihr zu dem Räuber zurück! Als der wieder bei seinen Genossen war, erzählte er ihnen, was er mit dem Schuhflicker erlebt hatte; wie er den Weg zum Hause des Widersachers gefunden und wie er dort ein rotes Zeichen angebracht hatte, um das Haus zu erkennen, wenn die Zeit es erforderte. Sofort befahl der Hauptmann ihnen, Kleider des gewöhnlichen Volks anzulegen, die Waffen darunter zu verbergen und auf verschiedenen Wegen in die Stadt zu gehen. Dann fügte er noch hinzu: ,Sammelt euch in der und der Moschee und wartet dort, bis wir zu euch kommen!' Darauf nahm er Ahmed el-Ghadbân mit sich und begab sich mit ihm auf die Suche nach dem Hause, das sie finden wollten, um es dies Mal sicher zu erkennen. Doch als sie in die bekannte Straße kamen, konnte Ahmed el-Ghadbân das Haus nicht bestimmen, da sich dasselbe Zeichen auf sehr vielen Türen befand. Er war ganz niedergeschlagen bei diesem Anblick und sagte kein Wort. Als aber der Hauptmann sah, daß jener das Haus nicht erkennen konnte, zitterten ihm die Glieder, er runzelte die Stirn und geriet in gewaltigen Zorn. Notgedrungen mußte er zu jener Zeit seine Wut verbergen, und so ging er mit dem kleinlaut gewordenen Räuber zu der Moschee. Nachdem er dort mit seinen Leuten zusammengetroffen war, befahl er ihnen sofort, ins Gebirge zurückzukehren. Sie verteilten sich, begaben sich auf getrennten Wegen zu ihrer Lagerstätte und setzten sich zur Beratung nieder. Nun tat der Hauptmann ihnen kund, was



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vorgefallen war, und daß ihnen das Geschick nicht beschieden hätte, die Rache zu vollstrecken und die Schmach zuzudecken, weil Ahmed el-Ghadbân seine Sache so schlecht gemacht und das Haus des Widersachers nicht hätte erkennen können. Darauf zog er sein Schwert, hieb den Schuldigen auf den Nacken, so daß sein Schädel von dannen rollte und sich fort von dem Leibe trollte. Und Allah sandte seine Seele alsbald ins Höllenfeuer, eine Stätte, an der es nicht geheuer. Nun dachte der Hauptmann über diese ganze Sache nach und sprach bei sich selber: ,Meine Leute passen zum Kampf und zum Streit, zum Plündern, zum Blutvergießen und zum Angriff; aber sie haben kein Verständnis für die Arten von Listen und für die Dinge, bei denen es sich um Lug und Trug handelt. Wenn ich nun auch einen nach dem andern von ihnen aussende, um diese Aufgabe zu erfüllen, so schwinden sie mir doch auf diese Weise alle dahin, ohne Nutzen und ohne Gewinn. Daher ist es das richtigste, wenn ich mich selbst dieser schwierigen Sache annehme!' Er setzte die Räuber davon in Kenntnis und sagte ihnen, er wolle allein in die Stadt gehen. Da gaben sie ihm zur Antwort: ,Du kannst befehlen und verbieten; tu, was dir gut dünkt!' Er verkleidete sich also und begab sich am nächsten Morgen zur Stadt; dort suchte er nach dem Hâddsch Mustafa, dem Schuhflicker, wie es seine beiden Kundschafter getan hatten, von denen wir früher erzählt haben. Als er ihn gefunden hatte, trat er auf ihn zu, begrüßte ihn, sprach ihn freundlich an und begann mit ihm ein Gespräch; schließlich brachte er die Rede auch auf die Geschichte mit der Leiche des getöteten Mannes und setzte ihm so lange zu, indem er ihm klingende Münzen versprach, bis er ilm überredet hatte und Scheich Mustafa seinem Plane zustimmte. So erreichte der Hauptmann von ihm, was er wollte, und lernte das Haus seines Feindes



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kennen, und zwar auf ebendieselbe Weise, wie wir früher beschrieben haben. Als er vor dem Hause stand, gab er dem Scheich Mustafa seinen Lohn, noch mehr als er ihm versprochen hatte, und entließ ihn. Dann beobachtete er das Haus und betrachtete es genau; aber er brauchte keine Zeichen daran zu machen, sondern er zählte die Haustüren der Straße bis zu der Tür des gesuchten Hauses und merkte sich die Zahl. Ferner zählte er auch die Ecken und Fenster des Hauses und prägte sich alle Merkmale so genau ein, daß er es nun sicher kannte; das tat er aber, während er auf der Straße hin und her ging, damit die Bewohner keinen Verdacht gegen ihn schöpfen sollten, wenn er so lange stehenblieb. Darauf kehrte .er zu seinen Leuten zurück und berichtete ihnen, was er getan hatte; und er fügte hinzu: ,Jetzt kenne ich das Haus unseres Widersachers; jetzt ist, so Gott will, die Zeit gekommen, die Blutrache zu vollstrecken. Ich habe nun darüber nachgedacht, auf welchem Wege wir das Ziel erreichen, und durch welches Mittel wir zu ihm eindringen und über ihn herfallen können. Das will ich euch erklären. Wenn ihr es für geeignet anseht, so wollen wir uns an die Arbeit machen; aber wenn ihr es nicht für richtig haltet, so möge jener, der ein wirksameres Mittel als das meine erdenkt, es kundtun und sagen, was ihm gut dünkt.' Darauf weihte er sie in den Plan ein, den er sich erdacht hatte; sie hießen ihn gut und verabredeten, ihn auszuführen, und dabei schworen sie einander den Eid, daß keiner von ihnen hinter seinem Gefährten beim Vollstrecken der Rache zurückstehen wolle. Darauf schickte er einige von ihnen in die nächste Stadt und befahl ihnen, vierzig große Schläuche zu kaufen, die anderen von seinen Leuten schickte er in die umliegenden Dörfer mit dem Befehle, zwanzig Maultiere zu kaufen. Als die Leute das, was er ihnen befohlen hatte, erworben hatten, brachten sie



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alles vor ihn. Dann machten sie die Öffnung eines jeden Schlauches so groß, daß ein Mann hineinkriechen konnte; und ein jeder von den Räubern dort kroch, mit dem Dolche in der Hand, in einen der weitgeöffneten Schläuche hinein. Wie dann alle drinnen waren und in diesem engen Gefängnisse saßen, nähte der Hauptmann die Öffnungen wieder so eng zusammen, wie sie früher gewesen waren. Dann bestrich er die Schläuche mit Öl, so daß jeder, der sie ansah, glauben mußte, sie seien mit Öl gefüllt. Nun lud er immer je zwei Schläuche auf ein Maultier; die beiden Schläuche aber, die leer geblieben waren, füllte er wirklich mit Öl und legte sie auf das letzte Maultier. So wurden denn die zwanzig Maultiere beladen, neunzehn mit Männern und eines mit Öl; denn die Zahl der Räuber betrug ja nur noch achtunddreißig, da die beiden, die der Hauptmann getötet hatte, nicht mehr da waren. Nachdem er alle seine Vorbereitungen getroffen hatte, trieb er die Maultiere vor sich her und zog mit ihnen in die Stadt, als die Sonne bereits untergegangen, der Abend hereingebrochen und das Tageslicht dem Dunkel gewichen war. Dann suchte er das Haus Ah Babas, das er sich gemerkt hatte und genau kannte. Als er dort ankam, traf er Ah Baba selbst, wie er draußen vor der Tür auf einer Bank saß: unter sich hatte er eine Lederdecke. und er lehnte sich auf ein schönes Kissen. Der Hauptmann sah, wie Ah Baba vergnügt und froh und wohlgemut seinen Wohlstand und sein Glück genoß. Als er bei ihm ankam, grüßte er ihn bescheiden, mit demütiger Höflichkeit und ehrerbietiger Unterwürfigkeit. Dann sprach er zu ihm: ,Ich bin ein Fremdling aus fernem Land, dessen Wiege weit von hier stand; ich habe eine große Menge Öl gekauft, in der Hoffnung, ich könnte es in dieser Stadt mit Gewinn und Verdienst wieder verkaufen. Aber ich konnte erst am Abend



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hier ankommen, da die Reise so weit und der Weg so rauh war; da fand ich denn die Basare geschlossen und suchte ratlos umher nach einer Stätte oder einer Herberge, in der ich mit meinen Tieren über Nacht bleiben könnte. Ich fand aber keine, und ich zog immer weiter, bis ich jetzt zu dir gekommen bin. Und da ich dich sah, dankte ich Gott und pries ihn, weil ich nun die frohe Aussicht hatte, meinen Wunsch erfüllt zu sehen und mein Ziel zu erreichen. Denn die Großmut leuchtet aus deinem edlen Gesicht, während Mannestugend aus deinem gütigen Auge spricht. Du gehörst sicher zu den Leuten, die zu Glück und Wohlstand gekommen, zu den Gottesfürchtigen und Frommen. Wäre es dir möglich, mich für diese Nacht bei dir aufzunehmen und meine Maultiere zu beherbergen? Dann wirst du mir eine große Wohltat erweisen und bist ob deiner Güte zu preisen; dann wirst du um meinetwillen durch Lohn von dem allgütigen Wohltäter geehrt, von Ihm, der Gutes für Gutes beschert und der für Missetaten Verzeihung gewährt. Morgen früh, so Gott will, werde ich zum Markte hinabziehen und mein Öl verkaufen; dann werde ich mit Dank gegen dich von dir gehen, indem ich dich ob deiner Güte preise.' Ali Baba erklärte sich gern damit einverstanden, indem er zu ihm sprach: ,Ein herzliches Willkommen dem Bruder, der bei Nachtzeit zu uns kommt! Du bist heute mein gesegneter Gast; du sollst uns in dieser glücklichen Nacht durch deine Gesellschaft erfreuen.' Ah Baba war ein edler und hochgesinnter Mann, freigebig, von gutem Herzen und trefflichen Eigenschaften; er hatte ein reines Gemüt und dachte immer nur Gutes von den Menschen. So ahnte er denn nicht, daß der angebliche Kaufmann ihn belog, und es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß er der Räuberhauptmann aus dem Gebirge war; er konnte ihn auch nicht erkennen, da er ihn ja nur einmal gesehen hatte,



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noch dazu in ganz anderer Gestalt. Nun rief er seinen Sklaven 'Abdallâh und befahl ihm, die Maultiere hereinzuführen. Der Sklave führte den Befehl aus, und der Hauptmann ging hinter seinen Tieren hinein, um die Lasten abzuladen. Er und 'Abdallâh nahmen die Schläuche von den Maultieren herunter und stellten sie an der Wand auf im Hofe des Hauses. Dann nahm der Sklave die Maultiere, führte sie in den Stall und hängte ihnen Futtersäcke mit Gerste um den Hals. Der Hauptmann wollte im Hofe bei seinen Schläuchen übernachten und bat. ihn zu entschuldigen, wenn er nicht in die Halle komme, indem er vorgab, er fürchte den Hausbewohnern lästig zu fallen. Aber in Wirklichkeit wollte er seinen Plan ausführen und eine Gelegenheit haben, um die Schurkerei, die er plante, zu verüben. Doch Ah Baba wollte das nicht zugeben, sondern beschwor um, doch hereinzukommen, und er drang so lange in ihn, bis er ihn schließlich mit Gewalt und gegen seinen Willen hereinziehen wollte. Da konnte jener nicht mehr widersprechen und ging mit ihm hinein. Nun sah der Hauptmann sich in einer weiten, schönen Halle, deren Boden mit Marmor belegt war; rings herum waren Ruhelager aufgestellt, eins dem anderen gegenüber, die mit prächtigen Lederdecken und Teppichen ausgestattet waren, und an der Wand gegenüber dem Eingange stand ein Ruhelager, größer als die anderen, das mit fürstlicher Seide überzogen war, mit Silber bedeckte Stufen hatte und von einem Baldachin gekrönt war. Ah Baba ließ ihn auf diesem Lager sitzen und befahl, die Kerzen anzuzünden. Dann ließ er Mardschâna kommen, teilte ihr die Ankunft seines Gastes mit und befahl ihr, zum Abendessen feine Speisen zu bereiten, wie sie für ihn paßten. Darauf setzte er sich zu ihm und plauderte und unterhielt sich mit ihm, bis es Zeit zum Essen war. Da wurde denn der Tisch gebreitet, man brachte



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Speisen in silbernen und goldenen Schüsseln und setzte die Tischplatte vor den Hauptmann hin. Der aß mit Ah Baba von allen Arten, bis sie gesättigt waren. Dann wurden die Speisen fortgeräumt, und man brachte alten Wein; da kreiste denn der Becher bei ihnen. Als sie dann genug gegessen und getrunken hatten und mit dem Mahle zu Ende waren, setzten sie sich wieder hin, um zu plaudern und sich zu unterhalten, bis ein Teil der Nacht verstrichen war. Und wie die Zeit der Ruhe und des Schlafes nahte, erhob der Hauptmann sich und ging in den Hof hinab, indem er sagte, er wolle die Tiere vor dem Schlafengehen zudecken; in Wirklichkeit aber wollte er sich mit seinen Leuten über die Lage verständigen. Er trat also an den ersten heran und sprach zu ihm mit verhaltener Stimme: .Wenn ich aus dem Fenster Steinchen auf euch werfe, so schneidet die Schläuche mit euren Dolchen auf und kommt zu mir!' Dann sprach er ebenso zum zweiten und zum dritten, bis er zu dem letzten kam. Da nun Ah Baba die Absicht hatte, am nächsten Morgen ins Bad zu gehen, so beauftragte er Mardschâna, die Tücher, die er brauchte, zu rüsten; ferner befahl er ihr, sie dem 'Abdallâh zu geben und für ihn selbst eine Fleischbrühe zu machen, die er beim Verlassen des Bades trinken wollte. Darauf empfahl er ihr noch, den Gast ehrenvoll zu behandeln, ihm reiche Decken hinzulegen, wie sie seinem Stande gebührten, ihn selbst zu bedienen und dafür zu sorgen, daß alle Pflichten der Gastfreundschaft an ihm erfüllt würden. ,Ich höre und gehorche!' erwiderte sie, und darauf begab er sich zu seinem Ruhelager und legte sich zum Schlafe nieder.

Sehen wir nun, was der Hauptmann tat, indem wir uns sagen: ,Doch die Hilfe steht bei Allah!' Als jener sich mit seinen Genossen und Helfershelfern verabredet und mit ihnen vorbereitet hatte, was zu tun war, ging er zu Mardschâna hinauf



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und fragte sie, wo seine Schlafstätte sei. Da nahm sie eine Kerze und führte ihn in ein Zimmer, das mit den prächtigsten Teppichen ausgelegt war und in dem sich alles befand, was an Schlafteppichen, Decken und anderen Gegenständen für die Schlafstätte nötig war. Sie wünschte ihm eine gute Nacht und ging dann wieder in die Küche, um den Befehl ihres Herrn auszuführen. Sie legte die Tücher und was sonst für das Bad gebraucht wurde, zurecht und übergab das alles dem Sklaven 'Abdallâh. Dann machte sie das Fleisch zurecht und zündete das Feuer unter dem Kessel an. Währenddessen aber wurde das Licht der Lampe immer kleiner und kleiner, weil zuwenig Öl darin war, bis es schließlich ganz erlosch. Da holte sie sich den Ölkrug, aber sie entdeckte, daß er leer war. Weil nun auch die Kerzen zu Ende waren, wußte sie nicht, was sie tun sollte; denn sie brauchte noch Licht, um die Brühe fertig zu kochen. Als 'Abdallah ihre Verlegenheit bemerkte, sagte er zu ihr: ,Mach dir doch keine Sorgen und sei nicht traurig; es ist ja noch Öl im Hause vorhanden, und zwar in Menge; hast du denn die Schläuche des fremden Kaufmanns vergessen, die mit Öl gefüllt im Hofe des Hauses liegen? Geh hinunter, nimm daraus, so viel du willst; morgen früh wollen wir ihm den Preis des Öles bezahlen!' Als sie diese Worte von ihm vernahm, pries sie den guten Rat, der aus ihnen kam, dankte ihm für seinen trefflichen Vorschlag, ging mit dem Krug hinunter und trat an die Schläuche heran. Nun waren die Räuber aber schon ungeduldig geworden, weil sie so lange in ihrem engen Gefängnisse gesessen hatten; sie waren müde von der krummen Rückenlage, sie fühlten sich beengt, ihre Glieder waren wie zerbrochen, wie gerädert waren ihre Knochen, sie konnten diesen Zustand nicht mehr ertragen und vermochten die lange Gefangenschaft nicht mehr auszuhalten. Als sie daher



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Mardschâna kommen hörten, meinten sie in ihrer Unachtsamkeit, es sei der Hauptmann; denn der Pfeil des Schicksals hatte sie getroffen, und der Befehl Gottes des Herrn war über sie gekommen. Und so fragte einer der Räuber: ,Ist die Zeit zum Herauskommen da?'

Ferner sagte mir der Erzähler dieser wunderbaren Geschichte und der unterhaltenden, seltsamen Berichte, daß Mardschâna. als sie die Stimme eines Mannes aus dem Innern des Schlauches reden hörte, gewaltig erschrak; sie erbebte vor Furcht und geriet in große Angst. Jemand anders als sie wäre vor Schrecken umgefallen oder hätte laut geschrieen; aber sie hatte ja ein mutiges Herz und einen schnellen Verstand, und so durchschaute sie sofort die ganze Sachlage und wußte im Augenblick, daß es Räuber waren, die Arges im Schilde führten. Ohne sich zu besinnen, faßte sie sofort den rechten Entschluß; denn sie wußte, wenn sie schrie oder sich rührte, so würde sie sicher umkommen und ebenso ihr Herr und alle Bewohner des Hauses. Darum schrie sie nicht und bewegte sich nicht, sondern begann sofort den listigen Plan, den sie gefaßt hatte, auszuführen. Mit leiser Stimme sprach sie zu dem ersten: ,Sie ist bald da; es bleibt nur noch eine kurze Frist.' Dann ging sie zu dem zweiten Schlauche; und als der Räuber dieselbe Frage an sie richtete wie der erste, gab sie ihm die gleiche Antwort. So ging sie an allen Schläuchen vorbei; die Räuber fragten sie einer nach dem anderen, und sie antwortete ihnen, indem sie zur Geduld mahnte, bis sie zu den Ölschläuchen am Ende der Reihe kam. Da diese still blieben, merkte sie, daß keine Männer in ihnen waren; sie schüttelte sie, und als sie sicher wußte, daß sie mit Öl gefüllt waren, öffnete sie einen von den beiden, schöpfte mit dem Kruge heraus so viel, wie sie brauchte, kehrte zur Küche zurück und zündete



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die Lampe an. Dann holte sie einen großen kupfernen Kessel, ging mit ihm zum Hofe hinab und füllte ihn mit Öl; darauf ging sie wieder nach oben, stellte ihn auf das Feuer, schürte viel Brennholz unter ihm an, bis das Öl zum Sieden kam. Und als es siedend heiß war, ging sie mit dem Kessel wieder hinunter und goß mit dem Kruge das Öl in die Öffnung eines jeden Schlauches. Wie nun das siedende Öl auf die Köpfe der Räuber fiel, machte es ihnen den Garaus, und sie fanden alle bis zum letzten Manne den Tod. Darauf, als sie sich überzeugt hatte, daß keiner mehr übrig war und daß sie alle tot waren, kehrte sie in die Küche zurück und kochte die Fleischbrühe fertig, wie ihr Herr es ihr befohlen hatte. Nachdem sie ihre Arbeit vollendet hatte, löschte sie das Feuer und die Lampe aus und setzte sich nieder, um abzuwarten und zu sehen, was der Hauptmann tun würde. Der hatte inzwischen, nachdem er das Zimmer, das für ihn zurechtgemacht war, betreten hatte, die Tür verriegelt, die Kerze ausgelöscht und sich auf das Bett gelegt, als ob er schliefe; aber er war wach geblieben und wartete nur darauf, Zeit und Gelegenheit zu benutzen, um die böse Tat, die er gegen die Bewohner des Hauses plante, ausführen zu können. Als nach seiner Meinung alle Augen schliefen und sich nichts mehr regte, stand er ganz leise auf und sah sich vorsichtig um. Und da er kein Licht sah und keinen Laut hörte, glaubte er, alle Bewohner des Hauses schliefen nun. Da nahm er Kieselsteine und warf sie in den Hof, gemäß der Verabredung mit seinen Kumpanen. Dann hielt er einen Augenblick inne, in der Erwartung, seine Leute würden herauskommen. Doch als sie still blieben und kein Laut und keine Bewegung von ihnen ausging, war er erstaunt und warf andere Kieselsteine aus dem Fenster und zielte genau, so daß sie auf die Schläuche fielen. Aber die Leute blieben immer noch



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still, und keiner von ihnen regte sich. Das war ihm schon verdächtig. Aber er warf noch ein drittes Mal Steine und wartete wieder vergeblich, daß die Räuber herauskommen sollten. Nun war er ganz verzweifelt, und die Furcht beschlich sein Herz; er ging hinunter, um zu erfahren, was mit ihnen geschehen war und warum sie sich ruhig verhielten. Schon gleich bei dem ersten Schlauch stiegen ein übler Gestank und der Geruch des verbrannten Öles in seine Nase. Darüber verlor er fast den Verstand, und seine Angst und sein Schrecken wurden noch größer. Dann ging er an ihnen entlang und redete einen nach dem andern an; aber sie verharrten in ihrem eisigen Schweigen. Darauf rüttelte und schüttelte er die Schläuche und blickte in sie hinein: nun mußte er sehen, daß seine Leute mausetot waren. Als er dann auch noch entdeckte, daß Öl aus den Schläuchen genommen war, wußte er, auf welche Weise sie ums Leben gekommen waren und was ihnen den Tod gebracht hatte. Da kam wildes Weh über ihn, und er weinte bitterlich über den Verlust seiner Gefährten. Aber er fürchtete auch, daß er selbst gefaßt werden könnte, und so entschloß er sich, sofort die Flucht zu ergreifen, ehe ihm die Auswege versperrt würden. Deshalb öffnete er die Gartentür, kletterte über die Mauer, sprang auf die Straße und lief davon; durch Flucht wollte er die Rettung finden und trachtete eiligst zu verschwinden, betrübt und gepeinigt von Seelenschmerzen und mit viel tausend Seufzern im Herzen. Mardschâna aber hatte ihn bei alledem von ihrem Verstecke beobachtet, und als sie sicher war, daß er das Haus verlassen hatte und davongelaufen war, ging sie hinab, schloß die Gartentür, die der Räuber geöffnet hatte, wieder zu und kehrte an ihre Stätte zurück.

Wenden wir uns nun von ihr zu Ali Baba! Als auf Allahs Geheiß der Morgen erwachte und sein feuriges Licht entfachte



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und die Sonne dem Schönsten der Schönen ihren Gruß darbrachte, da wichen von ihm des Schlafes Kleid und der süßen Träume Geleit. Er legte seine Gewänder an und schritt hinaus, um ins Bad zu gehen; sein Sklave 'Abdallâh aber folgte ihm mit den Waschgeräten und den Tüchern, die er brauchte. So betrat er den Baderaum, wusch sich und ruhte aus, heiter und guter Dinge, ohne zu ahnen, was sich während der letzten Nacht in seinem Hause zugetragen und vor welcher Gefahr Allah ihn geschützt hatte. Als er mit allem fertig war, legte er andere Kleider an und ging wieder in die Wohnung. Während er durch den Hof kam, sah er die Schläuche noch an ihrer Stelle; das nahm ilm wunder, und daher fragte er Mardschâna: ,Was ist es mit diesem fremden Kaufmanne, daß er so spät zum Basar geht?' ,Mein Gebieter,' antwortete sie ihm, ,Allah hat dir ein langes Leben vorherbestimmt und dir hohes Glück zugemessen; denn du bist in dieser Nacht einer großen Gefahr entronnen, und Allah hat dich um deines reinen Herzens willen vor dem Verderben und vor einem schmählichen Tode beschützt, dich und die Deinen. Sie aber, die dir eine Grube gegraben hatten, hat Allah in sie fallen lassen; er hat sie für ihre böse Absicht bestraft, denn der Gemeinheit folgt Schmach und Untergang. Ich habe alles gelassen, wie es war, auf daß du mit eigenen Augen siehst, was der verlogene Kaufmann gegen dich vorbereitet hatte, auf daß du seine Gemeinheit und die Tüchtigkeit deiner Sklavin Mardschâna erkennst. Tritt herzu und schau, was im Innern dieser Schläuche ist!' Da trat All Baba näher, und als er in dem Schlauch, der ihm am nächsten war, einen Mann mit einem Dolche in der Hand sah, erblichen seine Wangen, und sein Wesen ward befangen, und er wich ängstlich zurück. Doch sie sprach zu ihm: ,Fürchte dich nicht; denn dieser Mann ist tot!' Darauf zeigte sie ihm die anderen



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Schläuche, und er fand in jedem einzelnen Schlauche einen toten Mann, der in seiner Hand einen Dolch hielt. Voller Furcht blieb er eine ganze Weile stille stehen und blickte bald auf Mardschâna, bald auf die Schläuche, entsetzt und erschrocken; denn er wußte nicht, was das alles bedeutete. Dann aber rief er: ,Schnell, erkläre mir das, was ich dort sehe; doch mache nicht viel Worte! Was ich dort erblicke, hat mich mit furchtbarem Grauen erfüllt.' Sie gab ihm zur Antwort: ,Warte einen Augenblick und sprich nicht laut, damit die Nachbarn nicht erfahren, was nicht bekannt werden darf. Beruhige dich, gehe in deine Halle, setze dich in deinen Sessel, damit du dich ausruhen kannst; ich will dir die Fleischbrühe bringen, die ich für dich gekocht habe, und wenn du die getrunken hast, so wird der Schrecken, der dich befallen hat, sich legen!' Darauf ging sie in die Küche, brachte ihm die Brühe und reichte sie ihm; da trank er sie. Dann begann sie folgendermaßen zu ihm zu sprechen: ,Gestern befahlst du mir, die Dinge für das Bad zu richten und dir eine Fleischbrühe zu bereiten. Während ich, deinem Befehle gemäß, damit beschäftigt war, ging meine Lampe aus, weil kein Öl mehr darin war. Da holte ich den Ölkrug; aber ich entdeckte, daß er leer war. Nun wußte ich nicht, was ich tun sollte; doch da sagte 'Abdallâh zu mir: ,Sei unbesorgt! Denn bei uns gibt es immer noch Öl im Überfluß; geh nur hinunter und nimm so viel, wie du brauchst, aus den Schläuchen des Kaufmannes, der bei uns übernachtet. Wir wollen ihm morgen den Preis dafür bezahlen.' Ich hielt seinen Rat für gut und ging mit dem Krug hinunter. Doch als ich in die Nähe der Schläuche kam, hörte ich, wie von drinnen eine Stimme sprach: ,Ist die Zeit zum Herauskommen dat' Da wußte ich, daß man dir nach dem Leben trachtete. Und so sagte ich, ohne Furcht und Angst, zu ihm: ,Nein; aber es bleibt



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uns nur noch eine kurze Frist!' Dann ging ich an den anderen Schläuchen entlang, und ich entdeckte, daß in jedem Schlauche ein Mann war, der dieselbe Frage an mich richtete oder mich mit ähnlichen Worten anredete. Ich gab stets die gleiche Antwort, bis ich schließlich zu zwei Schläuchen kam, die wirklich mit Öl gefüllt waren. Da füllte ich meinen Krug aus ihnen, zündete meine Lampe an, nahm einen großen Kessel, den ich mit dem Öl füllte, und stellte ihn auf das Feuer, bis das Öl zum Sieden kam. Dann goß ich davon in die Öffnung eines jeden Schlauches, bis die Räuber alle von dem siedenden Öl verbrüht waren, wie du sie jetzt gesehen hast. Nachdem ich die Lampe ausgelöscht hatte, wartete ich, um den Kerl da, den betrügerischen, falschen, verlogenen Kaufmann, zu beobachten. Bald sah ich, wie er Kieselsteine aus dem Fenster warf, um seine Leute aufzuwecken: das tat er mehrere Male. Als sie aber nicht herauskamen und er die Hoffnung aufgab, sie zu sehen, ging er hinunter, um zu schauen, weswegen sie ausblieben; da sah er denn, daß sie alle bis zum letzten Mann tot waren. Nun fürchtete er, daß er selbst gefaßt und getötet werden könnte; darum kletterte er auf die Gartenmauer, sprang von ihr auf die Straße und lief eiligst davon. Ich wollte dich aber nicht wecken, da ich fürchtete, es könnte unter den Hausbewohnern ein Lärm entstehen. Darum wartete ich auf deine Rückkehr. um dir die Geschichte zu erzählen. Dies ist mein Bericht über mein Erlebnis mit jenen Verrätern - doch Allah weiß alles am besten. Jetzt muß ich dir aber auch noch etwas kundtun, was sich vor kurzem begeben hat, was ich dir aber verborgen habe. Es ist das Folgende: Als ich vor einiger Zeit einmal vom Basar heimkehrte, sah ich an unserer Haustür ein weißes Zeichen. Bei diesem Anblick wurde ich stutzig und schöpfte Verdacht; denn ich merkte, daß dies von einem Feinde,



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der Böses gegen uns im Schilde führte, gemacht war. Um ihn irrezuführen, malte ich an die Haustüren der Nachbarn ganz gleiche Zeichen. Dann nach einigen Tagen sah ich, daß man ein rotes Zeichen an unserer Haustür angebracht hatte; deshalb machte ich an die Türen der Nachbarn ebensolche Zeichen mit roter Farbe. Aber ich verbarg es vor euch, damit ihr nicht dadurch beunruhigt würdet. Es ist kein Zweifel, daß die Leute, die jene Zeichen gemacht haben, dieselben sind wie diese toten Männer dort, und daß sie die Räuber sind, die du im Gebirge getroffen hast. Da sie nun den Weg zu unserer Wohnung kennen, so werden wir keine Ruhe, keine Sicherheit vor ihnen haben, solange sich noch einer von ihnen auf dem Erdboden befindet. Darum müssen wir auch vor der Arglist des Mannes, der davongelaufen ist, auf unserer Hut sein; denn er wird uns sicher nach dem Leben trachten. Also müssen wir uns in acht nehmen. Und ich will dir die erste dabei sein, aufzupassen und zu wachen.'

Ferner berichtete mir der Erzähler, daß Ah Baba, nachdem erden Bericht seiner Sklavin Mardschâna angehört hatte, über das seltsame Begebnis, das ihm und ihr zugestoßen war, auf das höchste erstaunt war. Und er sprach zu ihr: ,Meine Befreiung aus dieser Not und meine Rettung aus der Gefahr, die mich bedroht, kam durch die Allmacht des Schöpfers, der gütig ist, und der uns seine Gnaden und Wohltaten schenkt zu jeglicher Frist und auch durch dein richtiges Überlegen und dein vortreffliches Erwägen!' Darauf dankte er ihr, weil sie so gut gehandelt, solchen Mut bewiesen, so trefflich überlegt und so richtig geplant hatte; und er fügte hinzu: ,Von jetzt ab bist du frei und keine Sklavin mehr, vor dem Angesichte Allahs! Deine Wohltaten an uns sollen nie vergessen werden, und ich will dich mit lauter Gutem belohnen. Es ist, wie du gesagt



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hast; ohne Zweifel sind jene Männer die Räuber aus dem Walde. Allah sei gepriesen, daß wir von ihnen befreit sind! Doch jetzt müssen wir sie begraben und das, was wir mit ihnen erlebt haben, geheimhalten!' Dann rief er seinen Sklaven 'Abdallâh und befahl ihm, zwei Hacken zu bringen; die eine nahm er selbst, die andere gab er dem Sklaven. Dann gruben sie einen langen Graben im Garten, schleppten die Leichname der Räuber einen nach dem andern dorthin, warfen sie hinein und bedeckten sie mit Erde, bis ihre Spuren verschwunden waren. Die Maultiere verkauften sie im Basar zu verschiedenen Zeiten, und ebenso taten sie mit den Schläuchen.

Das ist es also, was mit den Räubern geschah. Sehen wir nun, was ihr Hauptmann tat! Als der aus dem Hause All Babas davongelaufen, in den Wald gekommen und in elendem Zustande die Schatzhöhle betreten hatte, weinte er, weil er nun so allein und verlassen war. Er setzte sich nieder und trauerte schmerzlich, daß ihm nur Enttäuschung beschert und daß sein Tun sich gegen um gekehrt. Er sehnte sich nach seinen Leuten und hatte keine Lust mehr zu leben; ja, er sehnte den Tod herbei, indem er rief: ,Weh um euch, ihr größten Helden der Zeit, ihr Männer, zu Raub und Kampf bereit, ihr Ritter, dem Streit auf dem Blachfeld geweiht! O wäre doch der Tod im Kriege und Kampfe zu euch gekommen, hättet ihr doch im Streiten und Ringen ein seliges Ende genommen! Doch ach, ihr seid eines schmählichen Todes gestorben. Und ich Elender, ich bin der Grund, daß die umgekommen sind, für die ich mein Leben hätte hingeben sollen. O hätte ich doch den Kelch des Unheils geleert, ehe mir ein solch trauriges Geschick beschert! Und doch, der allmächtige und glorreiche Herr hat mich am Leben gelassen, auf daß ich die Rache vollstrecke und die Schande zudecke. Ja, ich will an meinem Feinde die grausamste Rache



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nehmen; ich will ihm bitteres Leid und gewaltige Traurigkeit zu kosten geben. Ich will ihn für sein Tun bestrafen, wenn ich auch allein wäre. Was ich mit Hilfe vieler Leute nicht erreicht habe, das werde ich jetzt, so Gott will, allein vollenden!' Die Nacht über irrte sein Geist auf dem Meere der trüben Gedanken umher, und sein Herz war ihm so schwer, da es immer auf Mittel sann, durch die er zu seinem Ziele gelangen könnte, und er verscheuchte den süßen Schlummer. Am Morgen wies er auch das liebe Essen zurück und richtete seinen Sinn nur darauf, eine List zu erfinden, durch die er glaubte, seinen Wunsch erreichen zu können. Und schließlich faßte er einen Plan, durch den er hoffte, sein Ziel zu erreichen und seine Wunden zu heilen. Als es dann heller Tag geworden war, kleidete er sich in die Gewänder eines Kaufmannes, begab sich zur Stadt und mietete dort ein Zimmer in einer der großen Herbergen, sowie einen Laden im Basar der Kaufleute. Dorthin schaffte er, zu verschiedenen Malen, aus der Schatzhöhle schöne, kostbare Waren und golddurchwirkte feine Stoffe; darunter waren Stücke aus Indien und Tuche aus Syrien, Kleider aus Brokat und Ehrengewänder zum Staat, Anzüge aus Seide und Leinen und Juwelen von kostbaren Steinen. Alles das war durch Beutezüge, die er in den Ländern gemacht, aus dem Hab und Gut der Menschen zusammengebracht und war in der Schatzhöhle niedergelegt worden. Dann setzte er sich in seinem Laden nieder, verkaufte und kaufte und trieb Handel; dabei pflegte er billig zu verkaufen und die Preise niedrig zumachen, erbot den Leuten, was sie begehrten, und redete mit ihnen, was sie gern hörten. So ward er überall bekannt, sein Name ward weit und breit genannt, sein Ruf verbreitete sich im Land, und jeder wußte von seinem Stand. Die Großen kamen zu ihm in Mengen, und die Kleinen begannen sich um ihn zu drängen; er



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empfing die Menschen mit großer Zuvorkommenheit, behandelte sie mit freundlicher Höflichkeit und zeigte ihnen ein lächelndes Antlitz und feine Sitten. Stets redete er sie gütig an und gab ihnen freundliche Antworten dann, bis ihn ein jeder Mensch lieb gewann. Und dabei war dies alles doch gegen seine Natur; denn er war innerlich roh und hart, von grober und rauher Art; er pflegte auf Mord und Raub zu sinnen, Blut zu vergießen und Beute zu gewinnen. Aber die Not hat ihre Gesetze, und sie zwang ihn zu solchem Tun.'

Nun hatte der Allgewaltige und Glorreiche, um seinen Plan auszuführen und seine Fügung an dem Menschen zur Tat zu machen, es also bestimmt, daß der Laden dieses falschen Schurken gegenüber dem Laden von Ah Babas Sohn, der Mohammed hieß, gelegen war. Weil sie aber Nachbarn waren, so lagen ihnen auch die Rechte und Pflichten der Nachbarschaft ob, und deswegen lernten sie einander kennen und wurden vertraut. Allein keiner wußte von dem andern, wer er war und woher er stammte. Dennoch gewannen sie große Zuneigung und Liebe zueinander, saßen oft beieinander, und keiner von beiden konnte seinen Nachbarn mehr entbehren. Eines Tages traf es sich, daß Ah Baba zu seinem Sohne Mohammed kam, um ihn zu besuchen und sich im Basare der Kaufleute umzusehen. Da fand er denn den fremden Kaufmann bei seinem Sohne sitzen. Sowie der Räuberhauptmann ihn erblickte, erkannte er ihn genau, und er war sicher, daß jener sein Widersacher



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war, den er suchte; darüber war er hocherfreut, und er frohlockte in dem Gedanken, bald seinen Wunsch erfüllt zu sehen, sein Ziel zu erreichen und seine Rache zu nehmen. Aber er verbarg diesen Gedanken und verzog keine Miene. Als Ali Baba dann wieder fortgegangen war, fragte er seinen Sohn nach ihm, indem er so tat, als ob er ihn nicht kenne. Mohammed erwiderte ihm: ,Das ist mein Vater.' Wie nun der Räuber diese sichere Kunde hatte, pflegte er noch öfter bei Mohammed zu sitzen; er erwies ihm noch mehr Ehren und begann die Zeichen der Achtung zu mehren, und er trug aufrichtige Freundschaft und herzliche Zuneigung zur Schau. Nun luder ihn auch zu sich zum Essen ein, gab ihm Gastmähler und Schmausereien, bat ihn zu abendlichen Plaudereien, vergaß ihn nie an festlichen Tagen bei Unterhaltungen und Gelagen und schenkte ihm wertvolle Gaben und kostbare Kleinodien. Das alles tat er nur, um den Plan, den er im Sinne hatte, auszuführen und um die schurkische Gemeinheit, die er beabsichtigte, zur Tat zu machen. Als Mohammed seine große Zuvorkommenheit gewahrte und sein höfliches Benehmen sowie seine große Freundschaft sah, da ward auch seine Zuneigung und Liebe zu ihm ungewöhnlich groß, eben weil er in ihm nur die reinste Absicht und die aufrichtigste Gesinnung vermutete. Nun konnte er seine Gesellschaft keinen Augenblick mehr entbehren und konnte sich bei Tag und Nacht nicht mehr von ihm trennen. Darum erzählte er auch seinem Vater, wie zuvorkommend der fremde Kaufmann gegen ihn war und welche innige Freundschaft er ihm bezeugte, daß er auch ein reicher, edler und freigebiger Mann sei und zu den Ersten seines Standes gehöre; er pries ihn sehr und erwähnte dabei, daß er ihn jederzeit zu feinen Mahlzeiten einlüde und ihm kostbare Kleinodien zu Geschenken machte. Da sprach sein Vater zu ihm: ,Es ziemt sich



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für dich, mein Sohn, daß du ihm sein freundliches Tun vergiltst, ihm ein Gastmahl bereitest und ihn einlädst; das soll am Freitag sein. Wenn ihr dann zusammen vom Freitagsgottesdienste kommt, um die Mittagszeit, und an unserem Hause vorbeigeht, so bitte ihn, einzutreten. Ich werde dann alles vorbereitet haben, was sich für diesen geehrten Gast geziemt und gebührt.' Am nächsten Freitag ging der Räuberhauptmann gegen Mittag zusammen mit Mohammed zur Moschee. Nachdem sie das gemeinschaftliche Gebet verrichtet hatten, gingen sie zusammen fort, um sich in der Stadt zu vergnügen. Wie sie nun umhergingen, kamen sie auch in die Straße Ah Babas; und als sie vor dem Hause standen, bat Mohammed seinen Gefährten, einzutreten und dort zu speisen, indem er sprach: ,Sieh, dies ist unser Haus.' Jener aber lehnte ab und wollte sich der Einladung entziehen, indem er mancherlei Gründe vorschützte. Doch Mohammed drang in ihn und bat ihn inständigst und ließ nicht eher von ihm ab, bis er einwilligte, indem er sprach: ,Ich will mich deinem Wunsche fügen und einkehren, um der Freundschaft willen und um dich zufriedenzustellen. Aber es geschieht nur unter der Bedingung, daß du kein Salz an die Speisen kommen lässest; denn ich habe die größte Abneigung dagegen und kann es weder essen noch auch riechen.' ,Das ist ja sehr einfach,' antwortete Mohammed, ,wenn dein Magen das Salz nicht vertragen kann, so sollen dir nur Speisen ohne Salz vorgesetzt werden.' Als der Räuber diese Worte hörte, freute er sich sehr in seinem Inneren; denn es war ja sein höchster Wunsch, in das Haus hineinzukommen, und alle Listen, die er bisher gesponnen hatte, sollten nur dazu dienen, dies Ziel zu erreichen und diese Absicht zu verwirklichen. Nun also war er sicher, daß er Rache nehmen würde. und er war überzeugt, daß er seine Strafe vollstrecken würde;



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und er sprach bei sich selber: ,Allah hat sie mir jetzt in die Hand gegeben; das ist sicher und ohne Zweifel!' Nachdem er dann die Schwelle überschritten hatte, trat er in das Haus ein. Ah Baba hieß ihn willkommen und begrüßte ihn mit der größten Höflichkeit und Achtung. Er ließ ihn auf dem Ehrenplatze in der Halle sitzen, in der Meinung, jener sei ein vornehmer Kaufmann; denn er ahnte nicht, daß jener der Mann mit dem Öle in eigener Person war, weil er seine Kleidung und sein Aussehen verändert hatte, und es kam ihm nicht in den Sinn, daß er den Wolf zwischen die Schafe und den Löwen zwischen die Herden eingelassen hatte, sondern er setzte sich nieder, plauderte mit ihm und unterhielt ihn. Sein Sohn Mohammed aber ging zu Mardschâna und beauftragte sie, kein Salz an die Speisen zu tun, da ihr Gast es nicht essen dürfe. Das ärgerte sie zunächst, da sie die Speisen schon bereitet hatte und nun andere ohne Salz kochen sollte; aber dann fand sie es seltsam, und die Sache kam ihr verdächtig vor, und so wünschte sie doch einmal den Mann zu sehen, der Salz nicht wünschte und nicht anrührte. anders als alle anderen Menschen, denn das war wirklich etwas. das man nie zu hören und zu sehen bekam. Als das Essen fertig war und die Zeit der Abendmahlzeit gekommen war, trug sie zusammen mit 'Abdallâh den Tisch hinein und setzte ihn den Herren vor. Dabei fiel ein Blick von ihr auf den fremden Kaufmann; sofort erkannte sie ihn, da sie ein scharfes Auge und einen durchdringenden Verstand besaß. Sie war sicher, daß er der Räuberhauptmann war; das war zweifellos und unumstößlich. Dann ließ sie ihren Blick noch länger auf ihm verweilen, und da erblickte sie unter seinem Mantel den Griff eines Dolches. Sofort sagte sie sich: ,Jetzt verstehe ich auch den Grund, weshalb dieser Verruchte sich weigerte, Salz mit meinem Herrn zu essen! Er will meinen Herrn umbringen, aber es gilt ihm



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doch als zu gemein, dies zu tun, wenn er Salz gegessen hat. Allein -mit Hilfe Allahs des Erhabenen - er soll sein Ziel nicht erreichen und diese Tat nicht vollenden!' Dann machte sie sich an ihre Arbeit, während 'Abdallâh aufwartete. Man aß nun von allen Gerichten; dabei erwies Mi Baba seinem Gaste hohe Ehre und forderte ihn immer zum Essen auf. Als sie gesättigt waren, wurden die Speisen fortgetragen, und man brachte den Wein und die Zukost, Süßigkeiten, Früchte und Zuckerwerk. Sie begannen von den Süßigkeiten und den Früchten zu essen; dann kreiste der Becher bei ihnen. Der Verruchte aber reichte den beiden immer den Wein, während er selber sich des Trinkens enthielt; dadurch wollte er bewirken, daß die beiden trunken würden, während er selbst wach und nüchtern und bei klarem Verstande blieb, um seinen Plan auszuführen. Und der bestand darin, daß er, wenn die beiden von Trunkenheit überwältigt eingeschlafen wären, die Gelegenheit ergreifen könnte, um ihrer beider Blut zu vergießen und sie mit seinem Dolche zu ermorden; danach wollte er durch die Gartentür davoneilen, wie er es schon früher getan hatte. Während die drei nun so fröhlich beieinander saßen, traten plötzlich Mardschâna und 'Abdallâh bei ihnen ein. Mardschâna trug ein Hemd von durchbrochener, alexandrinischer Arbeit, dazu eine Jacke aus königlichem Brokat und andere prächtige Kleider, und sie war mit einem goldenen Gürtel, der mit allerlei Edelsteinen besetzt war, geschmückt. Ihr Leib war schmal, und darunter wölbten sich ihre Hüften. Auf ihrem Haupte lag ein Perlennetz und um ihren Hals eine Kette von Smaragden, Hyazinthen und Korallen; und darunter wölbten sich ihre beiden Brüste wie zwei Granatäpfel. Sie war mit Schmuck und schönen Kleidern geziert; sie glich einer Blume des Frühlings, wenn er zuerst erwacht, und dem Monde in seiner Vollendung Nacht. Aber



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auch 'Abdallâh trug prächtige Gewänder, und er hatte ein Tamburin in der Hand, das er schlug, während sie wie die kunstvollen Tänzerinnen tanzte. Als Ah Baba sie sah, freute er sich und sprach lächelnd zu ihr :Willkommen der freundlichen Maid, der Dienerin voller Lieblichkeit! Du hast trefflich gehandelt, denn wir sehnten uns gerade nach dem Tanze; so vollendet sich unsere Glückseligkeit, so krönt sich unsere heitere Fröhlichkeit.' Darauf sprach er zu dem Räuber hauptmanne: ,Diese Maid hat nicht ihresgleichen; sie ist erfahren in allen Dingen und getreu im Dienste, und nichts von allem, was zur feinen Bildung gehört, ist ihr fremd. Sie besitzt Schönheit, treffliche Eigenschaften, klare Einsicht und schnellen Verstand, ja, sie hat in der Tat zu jetziger Zeit nicht ihresgleichen. Sie hat mir auch eine große Wohltat erwiesen, und sie ist mir lieber als eine eigene Tochter. Sieh doch, edler Herr, die Lieblichkeit ihres Antlitzes, die Schlankheit ihres Wuchses, die Schönheit ihres Tanzes, wie sie sich zierlich biegt und sich anmutig wiegt!' Jener aber achtete nicht auf seine Worte und lauschte nicht auf seine Rede, sondern er war außer sich vor heftigem Zorn und Grimm über das Eintreten dieser beiden Personen, die ihm den bösen Plan, den er gegen die Bewohner des Hauses geschmiedet hatte, und den gemeinen Verrat, den er im Schilde führte, vereitelt hatten. Dann tanzte Mardschâna wieder einen schönen Tanz ganz wie die kunstvollen Tänzerinnen, und sie begann sich rascher zu bewegen, bis sie schließlich einen Dolch aus ihrem Gürtel zog, und tanzte, indem sie ihn mit der Hand schwang, wie es die Beduinenmädchen tun; dabei legte sie die Klinge bald auf ihre eigene Brust, bald auf die Brust Ah Babas, bald näherte sie sie der Brust seines Sohnes Mohammed. bald berührte sie mit ihr die Brust des Räuberhauptmanns. Darauf nahm sie das Tamburin aus der Hand 'Abdallâhs und hielt es



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dem Ah Baba hin, indem sie ihm ein Zeichen gab, er möchte ihr eine Gabe schenken; da warf er ihr einen Dinar zu. Nun ging sie weiter zu seinem Sohne Mohammed; auch der warf ihr einen Dinar hin. Schließlich trat sie an den Hauptmann heran, in der einen Hand den Dolch, in der andern das Tamburin. Er wollte ihr etwas geben und griff deshalb mit der Hand in seine Tasche. Aber da, plötzlich, wie er damit beschäftigt war, das Geld, das ihm zur Hand war, herauszuholen, -bohrte sie ihm den Dolch in die Brust. Er röchelte einmal gewaltig, dann gab er den Geist auf; und Allah sandte seine Seele schleunigst ins Höllenfeuer, eine Stätte, an der es nicht geheuer. Doch als Ah Baba und sein Sohn sahen, was sie getan hatte, sprangen sie sofort auf, blieben entsetzt stehen und schrieen sie an: ,Du gemeines Weib, du Bastard, du Metze, du Kind ohne Herkunft, was veranlaßte dich zu diesem furchtbaren Verrate Was trieb dich zu dieser scheußlichen Tüte Du hast uns in ein Unglück gestürzt, aus dem es für uns gar keine Rettung gibt, du bist die Ursache. daß wir umkommen und unser Leben verlieren. Allein zuerst trifft die Strafe dich, du Verruchte, und wenn du auch den Händen des Richters entgehst, so sollst du doch unseren Händen nicht entgehen!' Furchtlos entgegnete sie ihnen: ,Beruhigt euch! Besänftigt eure Erregung! Wenn dies der Lohn für die ist, die ihr Leben für euch hingibt, so wird niemand mehr es wagen, eine gute Tat zu tun. Urteilt nicht vorschnell schlecht über mich, auf daß ihr es später nicht zu bereuen braucht! Hört vielmehr zuerst meine Worte an, und beschließt über mich, was ihr wollt! Dieser Mann da ist kein Kaufmann, wie er vorgibt und wie ihr beiden denkt, nein, er ist ja der Räuberhauptmann aus dem Walde, der früher vorgab, er sei ein Ölhändler, und der die vielen Männer in euer Haus, in Schläuchen versteckt, hineinbrachte, um euch zu töten



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und euch auszurotten. Als ich ihm damals seine List vereitelte, so daß seine Hoffnung und sein Wunsch fehlschlugen, da mußte er fliehen und von dannen ziehen. Allein er ließ sich dadurch nicht warnen noch abschrecken, sondern es wuchs in ihm die wilde Wut gegen mich und gegen euch, und er beharrte in seiner schändlichen Absicht. Um nun seinen Wunsch zu erfüllen und sein Begehren zu stillen, öffnete er einen Laden im Basar der Kaufleute und füllte ihn mit prächtigen, kostbaren Waren. Dann übte er geheimen Lug und versteckten Betrug und heidnische Listen genug, bis er meinen Herrn Mohammed überlistete und betrog, indem er ihm falsche Liebe und unehrliche Freundschaft bezeugte. So lange verfolgte er ihn mit der Betrügerei, bis es ihm möglich ward, in euer Haus einzudringen und mit euch an demselben Tische zu sitzen. Da wartete er nun darauf, die Gelegenheit zu benutzen, um an euch Verrat zu üben, euch den schmählichsten Tod zu bringen und eure Spur von der Erde zu tilgen; und dabei vertraute er auf die Schärfe seiner Waffe und auf die Kraft seiner Arme. Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen! Preis sei Allah, der ihm ein rasches Ende und Verderben durch meine Hände bereitet hat! Sehet sein Gesicht an und betrachtet es genau; dann wird euch die Wahrheit meiner Worte offenbar werden!' Darauf deckte sie seinen Mantel auf und zeigte ihnen beiden den Dolch, der unter seinen Kleidern versteckt war. Als sie nun ihre Antwort vernommen und ihnen der Sinn ihrer Worte zum Bewußtsein gekommen, und als sie ferner das Gesicht des falschen, verlogenen Kaufmanns genau betrachtet hatten, da erkannten sie ihn gut wieder und waren ganz sicher, daß er der Ölhändler selber war. Und durch den Anblick des Dolches erkannten sie klar. daß Allah sie vor großer Fährlichkeit und vor bitterem Todesleid



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durch ihre Dienerin Mardschâna behütet hatte. Sie sahen die Wahrheit ihrer Worte ein, und der Mut ihres Herzens und ihres Handelns erstrahlte vor ihnen in herrlichem Schein. Da dankten sie ihr für das treffliche Tun ihrer Hand und lobten sie. weil sie alles so richtig geplant und erkannt. Dann sprach Ah Baba zu ihr: ,Als ich dir damals die Freiheit schenkte, versprach ich dir noch mehr als das. Und jetzt ist es an der Zeit, daß ich meines Wortes walte und mein Versprechen halte, und daß ich dir sage, was ich im Sinne hatte, um dir deine Wohltaten an uns zu vergelten und dich für dein gutes Handeln zu belohnen, und das ist, daß ich dich mit meinem Sohne Mohammed vermählen will. Was sagt ihr beiden dazu?' Da gab Mohammed ihm zur Antwort: ,Ich höre und gehorche dir in allem, was du anordnest und bestimmst, und ich widerspreche dir nicht in dem, was du mir gibst und nimmst, wäre es auch ein Ding, das mich ängstigen und beunruhigen könnte. Doch was die Vermählung mit Mardschâna betrifft, so ist das mein höchster Wunsch und das Ziel meines Strebens!' So sprach er, weil er sie seit langer Zeit liebte; ja, seine Leidenschaft zu ihr war heiß entbrannt und kannte weder Gesetz noch Band. Denn die Maid besaß Schönheit und Lieblichkeit und strahlende Vollkommenheit, in ihr waren ein trefflicher Sinn und Eigenschaften von schöner Art mit edlem Stamm und vornehmer Abkunft gepaart. Darauf machten sie sich daran, den Räuberhauptmann zu begraben; sie schaufelten für ihn im Garten eine weite Grube aus und scharrten ihn dort ein, und so lag er bei seinen Kumpanen, den verruchten, den Ketzern, den verfluchten. Und keines von den Geschöpfen Allahs erfuhr etwas von diesen seltsamen Geschehnissen und wunderbaren Begebnissen.

Sehen wir nun noch, was mit seinem Laden geschah! Als der Kaufmann eine so lange Zeit von dort fernblieb, als niemanden



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Kunde von ihm erreichte und keine Spur sich von ihm zeigte, da bemächtigte der Staatsschatz sich seines Besitzes an Waren und an andern Gütern und Hinterlassenschaften.

Wie dann Ah Baba und die Seinen Ruhe und Frieden fanden und in ihrem Leben befestigt standen, wie sich alle Dinge geklärt, die Freude ihnen beschert und das Böse abgewehrt, da vermählte Mohammed sich mit der Dienerin Mardschâna. Er ließ die Eheurkunde für sie vor dem Kadi der Gläubigen niederschreiben, gab ihr die erste Morgengabe und verpflichtete sich zu der zweiten. Die Hochzeitsgäste versammelten sich, das Freudenfest begann, und die fröhlichen Nächte durchwachte man; manch Gastmahl ward gefeiert, manche Schmauserei, und man holte die Spielleute, Sängerinnen und Spaßmacher herbei. Schließlich ward die Braut vor ihm entschleiert, er blieb mit ihr allein und nahm ihr das Mädchentum. Drei Tage hatte die Hochzeit gedauert. Darauf, aber erst nachdem ein ganzes Jahr seit diesen Ereignissen verstrichen war, beschloß Ah Baba, wieder zu der Schatzhöhle zu gehen. Er hatte das seit dem Tode seines Bruders nicht mehr getan, aus Furcht vor der Tücke der Räuber. Dann nachdem Allah achtunddreißig Mann von ihnen durch die Hände Mardschânas hatte sterben lassen, und nachdem ihr Hauptmann ihnen im Tode gefolgt war, glaubte All Baba immer noch, es seien zwei Mann von ihnen übrig; denn er hatte sie ja damals im Gebirge gezählt und festgestellt, daß es vierzig Leute waren. Deswegen scheute er sich auch während dieser ganzen Zeit wieder hinzugehen, aus Furcht vor ihrer Tücke. Als ihn aber keine Kunde von ihnen erreichte und sich auch keine Spur von ihnen zeigte, war er überzeugt, daß sie verschwunden wären, und so wagte er es, sich dorthin zu begeben. Er nahm seinen Sohn mit sich, um ihm die Schatzhöhle zu zeigen und ihm das Geheimnis, wie man zu ihr gelangen



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und in sie eintreten konnte, zu offenbaren. Als sie sich nun der Schatzhöhle näherten, fanden sie, daß das Gebüsch und das Dornengestrüpp vor der Tür ganz dicht geworden war und den Weg versperrte. Dadurch erkannten sie, daß seit einer langen Zeit in diesen Hort keine Menschenseele, kein Laut, kein Wort mehr eingedrungen war. So waren sie denn sicher, daß die beiden letzten Räuber auch umgekommen sein mußten. Ihre Furcht schwand, und sie wagten es, näher zu treten und weiter vorzudringen. Da nahm Ah Baba eine Axt, hieb das Gestrüpp und die Dornbüsche ab, bis daß ein Weg gebahnt und der Zutritt zur Tür frei war. Darauf sprach er: ,Sesam, öffne dein Tor!' Sofort tat die Tür sich auf; er trat mit seinem Sohne ein und zeigte ihm alle die Schätze und Seltsamkeiten und die wunderbaren Kostbarkeiten, die sie enthielt. Mohammed war bei ihrem Anblicke wie geblendet und geriet in das höchste Erstaunen. Nachdem sie dann die Schatzhöhle durchstreift hatten und überall in ihren Hallen umhergegangen waren und sattsam die Juwelen und Edelmetalle angeschaut hatten, beschlossen sie heimzukehren. Da nahmen sie, was ihnen von den Kleinodien der Schatzhöhle gefiel, was nicht beschwert und doch von hohem Wert, und kehrten nach Hause zurück voll Fröhlichkeit und über den Gewinn der Schätze erfreut. Und von nun ab holten sie immerfort aus der Schatzhöhle alles, was sie nur wünschten. So führten sie ein herrliches und glückliches Leben, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt, der die Schlösser vernichtet und die Gräber errichtet.'


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