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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


28. Das Totengericht (Togolegende)

Im Gebiet von Kani-Bonso lebte ein Kaddo namens Kambëu. Der war vom Stamme der Togo. Das war ein fleißiger und sehr guter Mann, der in aller Leute Munde einen ausgezeichneten Namen führte. Er war fröhlich, liebte zu singen und zu tanzen. Seine Frauen hatte er aus guten Familien genommen, und er hielt sie gut. Da auch unter ihnen keine einzige mit schlechtem Rufe oder von schlechter Art war, so waren er und sein Gemeindewesen überall außerordentlich beliebt. Deshalb wurden seine Familienangehörigen eifersüchtig, und sie begannen ihm nach dem Leben zu stellen. Drei Jahre lang verfolgten sie ihn. Sie wollten ihn mit einem Zaubermittel töten, und um das anzuwenden, suchten sie ein Hosenband Kambëus zu erlangen. Sie suchten und fanden nach



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drei Jahren alles, was nötig war. Es war jetzt nur noch die Frage, ob man ihn nur krank machen, oder ob man ihn töten wolle. Eines Tages war alles bereitet und Kambeu starb.

Kambeu hinterließ einen jüngeren Bruder, der stammte vom gleichen Vater und gleicher Mutter. Der Bruder beschloß, noch ehe der Tote begraben sei, den herauszusuchen, der seinen ausgezeichneten Bruder getötet hatte. Er suchte und suchte. Aber er fand niemand. Er fragte das Erdorakel. Das Erdorakel antwortete nur: "Ein Mensch hat Kambeu getötet." Aber das Erdorakel sagte nicht, wer der Mörder war. Kambeu hatte einen guten Freund und Kameraden hinterlassen. Der kam zu dem Bruder Kambeus und sagte: "Wir wollen den Mörder deines Bruders suchen und wir werden ihn finden. Ich habe einen treuen Genossen, der ist unfehlbar. Der wird nun helfen. Der treue Genosse ist ein dreijähriger Hahn. Komm, wir wollen dem dreijährigen Freunde seine Arbeit geben." Der Bruder sagte: "Das ist gut."

Der Kamerad und der Bruder gingen mit dem dreijährigen Hahn in den Busch. Sie suchten eine Kolonne der großen Wanderameisen und folgten ihrem Weg bis dahin, wo sie aus der Erde kamen. Dort kratzte der Kamerad den Boden auf, und dann legten sie den Hahn hinein. Hierauf schlossen sie die Grube wieder. Der Kamerad sagte: "Warte nun ab. Nun wird mein Hahn den Mörder deines Bruders verfolgen. Er wird ihn verfolgen, bis er tot ist. Er kann uns nicht mehr entgehen." Darauf begaben sie sich in das Dorf zurück.

Im Dorfe bereiteten sie die Leiche zur Bestattung vor. Dann richteten sie einen großen Tamtam ein und begannen das Totenfest. Der Kamerad sang: "Kamböu war ein vorzüglicher Mann. Kambeu hatte einen vorzüglichen Namen. Kamböu mußte darum sterben, denn andere gönnten ihm nicht die Ehre." Nun wollte man den Toten in das Grab tragen. Einer der Dorfbewohner wollte die Leiche auf den Kopf nehmen. Der Kamerad sagte: "Nein, das darf nicht sein. Nicht ein Dorfbewohner darf den Toten nehmen. Das muß ein Mann tun, der nichts mit den Angelegenheiten unseres Stammes zu tun hat. Das muß ein Fremder tun, der unsere Familien nicht kennt."

Ein Mann aus einem anderen Dorfe nahm den Toten auf den Kopf und trug ihn. Er wollte ihn dahin tragen, wo die Toten verscharrt werden. Er machte sich auf den Weg. Der Bruder und der Kamerad folgten. Aber der Leichenträger konnte den Weg zum



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Kirchhof nicht gehen. Er ward gezwungen eine andere Richtung einzuschlagen. Er konnte nicht anders, als auf den Busch zuzugehen. Der Bruder und der Kamerad folgten. Der Leichenträger mußte in den Busch gehen, genau dahin, wo der dreijährige Hahn vergraben war. Über der Stelle mußte er stehenbleiben. Der Kamerad sagte: "So, mein guter Genosse, du machst deine Sache gut. Nun zeige uns den Mörder des Toten."

Darauf mußte der Träger mit der Leiche nach dem Dorfe zurückgehen. Er mußte gehen, ob er wollte oder ob er nicht wollte. Der Bruder und der Kamerad folgten. Im Dorfe ward der Träger zu einem bestimmten Gehöft gedrängt, und hier ward er gezwungen) gegen eine Tür zu fallen, ob er wollte oder ob er nicht wollte. Die Leute öffneten ihm die Türe. Der Träger der Leiche ward in ein Haus gedrängt. In der Mitte blieb er stehen. Der Bruder und der Kamerad gruben an der Stelle die Erde auf und fanden einen Topf, der da vergraben war. Darin war ein Zaubermittel, ein Stück von einem Fingernagel und außerdem das Hosenband des Toten. Darauf wußte man, daß in diesem Hause der wohnte, der den ausgezeichneten Kambeu mit Zaubermitteln getötet hatte. Der Bruder und der Kamerad brachten nun den Toten zur Bestattungsstelle und vermauerten ihn.

Dann aber gingen sie heim, nahmen ihre Gewehre und töteten den Mörder. Es entspann sich daraufhin ein Streit zwischen den Geschlechtern. In einer Familie waren fünfundzwanzig, in der anderen fünfzehn Tote. Seit damals ist es im Lande Kani-Boso (oder Kani-Bonso) verboten, die Toten auf den Köpfen einzelner zur Bestattung tragen zu lassen. Man läßt sie jetzt von zwei Leuten wegführen.


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