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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


24. Der Ahnherr der Spielleute (Gindoleßende)

Ein Bagi (Ahnherr) der Djongwe (Spielleute) vom Gindostamme lebte in Sadia, das im Lande Kani-Boso (oder Kani-Bonso) gelegen ist. Dieser Spielmann war sehr arm. Eines Tages heiratete er ein Mädchen aus Gimbal.

Die Mutter der jungen Frau starb. Die junge Frau sagte: "Ich will hingehen, meine Mutter zu beklagen und beweinen." Der Spielmann in Sadia wußte nicht, was er zu dem Trauerfeste anziehen sollte, konnte also nicht mitgehen und sagte: "Geh voran, ich suche mir nur ein Kleid. Sobald ich es gefunden habe, komme



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ich nach." Die Frau ging. Sie ging nach Gimbal. Sie blieb in Gimbal zwei Jahre und wartete auf ihren Mann. Aber der Mann kam nicht.

In Gimbal war auch ein Spielmann namens Tamme-Tessuge. Der hörte diese Sache wie alle anderen Leute, und er sang: "Weshalb kommt der Spielmann aus Sadia nicht mit seiner Frau, um seine Schwiegermutter zu begraben? Die Frau kam. Der Mann blieb fort. Die Frau blieb und wartete. Der Mann kam nicht. Der Mann wird nicht haben, worein er sich kleiden könne. Hat der Mann keine Kleidung? Hat der Mann keinen Acker? Hat der Mann kein Geld? Wird er nie kommen?"

Der Bagi der Spielleute, der Gindo in Sadia, hörte das, und er ließ dem Tamme-Tessuge sagen: "Warum ich nicht komme? — Weil ich ein Unglücklicher bin. — Ob ich nie kommen werde? — Ich werde kommen, wenn drei Jahre verstrichen sind. Dann werde ich meine Schwiegermutter beweinen." Der Bagi der Spielleute von Sadia wartete, bis etwa drei Jahre seit dem Tode seiner Schwiegermutter verstrichen waren. Dann ging er umher und suchte sich ein Kleid zu leihen. Aber niemand wollte ihm ein Kleid geben. Er konnte kein Kleid bekommen, um darin würdig nach Gimbal zu reisen, seiner toten Schwiegermutter die Ehre zu erweisen und seine Frau abzuholen.

Da ging der Bagi der Spielleute von Sadia in den Busch. Er suchte sich ein Stück Rinde, klopfte die und bereitete sich so ein Stück Djau (Rindenstoff). (Solche Rindenstoffe wurden also früher nicht nur im Süden der Mandeländer, im Tukorro, sondern auch hier in Massina angefertigt. Übrigens kennen auch die Malinke und Kassonke diese Rindenstoffe. Die Kassonke nennen sie Djapo und verwenden sie zum Beispiel zur Herstellung der Maske der Mumbo Jumbo.) Als sein Rindenstoffkleid fertig war, sandte er nach Gimbal die Nachricht: "Morgen werde ich kommen, werde meiner Frau alle Ehre erweisen und sie heimholen." Darauf füllte er seinen Ziegenhautsack voll mit Baumwollsamenkörnern und machte sich auf den Weg. Als er in den Ort kam, versammelten sich sogleich alle Kinder um ihn. Er griff in seinen Sack und streute den Samen weit umher. Die Kinder fielen schnell und sich überschlagend darüber her, denn sie meinten, es seien Kaurimuscheln.

Der Bagi der Spielleute von Sadia aber sang: "Ich kam nicht, weil ich arm bin. An Stelle eines Stoffkleides bereitete ich mir ein Kleid aus Rinde. An Stelle der Kaurimuscheln nahm ich Baumwollsamenkorn



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mit." Der Spielmann Tamme vom Stamme der Tessuge sang: "Hast du keinen Stamm? Hast du keine Familie? Hast du keine Kameraden? Kein Mensch hat dir gegeben." So sangen sie alle Tage.

Als die Familie der Frau des Spielmannes das hörte, sagte sie: "Das ist nicht Gesang, das ist Wahrheit. Wir wollen die Ehe trennen. Der Mann ist zu arm." Sie bereiteten die Ehetrennung vor. Der Spielmann vom Stamme der Tessuge in Gimbal aber sang: "Trennt die Ehe nicht. Wer gesund ist, kann noch sein Glück machen. Tut nichts Schlechtes. Jeder kann sein Ziel erreichen." Darauf unterließen sie die Ehetrennung. Der Spielmann der Gindo kehrte in sein Dorf zurück, und seine Nachkommen sind heute wohlhabende und angesehene Leute.


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