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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


23. An (Aramalegende)

Im Dorfe Kogo, das im Arulande liegt (südwestlich von Bandiangara), lebte ein Kaddo vom Stamme der Arama*, der hieß An. An zeichnete sich durch einen ungesetzmäßigen Lebenswandel aus. Er raubte Ziegen, Schafe, Rindvieh, Pferde, Esel und verkaufte das Erbeutete auf den Märkten der Nachbarschaft. Eines Tages ward er von den Landbewohnern erwischt. Sie banden ihn und beratschlagten, was sie mit ihm beginnen wollten. Einige sagten: "Es ist ein Räuber, schlagt ihn doch einfach tot." Andere sagten: "Nein, das dürfen wir auf keinen Fall tun, denn er ist der Sohn einer vornehmen Familie, und diese vornehme Familie wird sich nachher an uns schadlos halten." Andere sagten: "So wollen wir ihm ein starkes Zaubermittel bereiten, so daß eine häßliche Krankheit über ihn kommt. Dann kann er uns nicht mehr schaden. Und niemand kann uns verantwortlich machen." Alle sagten: "Das ist sicherlich das Richtige."

Die Leute ließen ihn also laufen. Sie bereiteten aber ein Zaubermittel. Das war sehr stark und hatte zur Folge, daß An nach einiger Zeit von einer häßlichen Krankheit befallen wurde, die beraubte ihn seiner Hände und Füße. An sagte: "Ich weiß sehr wohl, wie ich zu dieser Krankheit gekommen bin. Die Leute wollten mich unschädlich machen und haben ein Zaubermittel bereitet, das diese Krankheit zur Folge hatte. Ich danke euch dafür, liebe Leute. Ihr waret sehr gerecht und habt sehr recht gehandelt. Aber ihr werdet meine Neuigkeiten schon früh genug zu hören bekommen."

Im nächsten Jahre begann eines Tages die Regenzeit. Alles, was arbeiten konnte, verließ Kogo und ging hinaus, den Acker zu bereiten. Nur ein altes Weib und die Kinder blieben im Dorfe zurück. An sagte: "Begleitet mich doch mit zum Kossue hinab." Der Kossue ist ein ständig fließender Fluß nahe Kogo. Die Kinder sagten: "Ja, wir gehen mit dir." Es schlossen sich an die hundert Kinder



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dem An an. An sang: "Als Lebender habe ich schon Schlechtes getan. Als Toter werde ich noch viel Schlechteres tun." Er sang und führte die Kinder zum Flusse hinab. Am Ufer angekommen, warf er erst alle Kinder in die Flut und ertränkte sie. Dann aber ertränkte er sich zuletzt auch noch.

Als die Kogoleute vom Felde heimkamen, suchten sie überall nach den Kindern. Sie fragten: "Wo sind denn nur die Kinder? Wo sind denn nur die Kinder ?" Die alte Frau, die zurückgeblieben war, sagte: "Wo die Kinder sind? Ich hörte, wie An die Kinder fragte, ob sie mit ihm zusammen hinab zum Kossue gehen wollten. Nachher ging er mit ihnen fort und sang: ,Als Lebender habe ich schon Schlechtes getan. Als Toter werde ich noch viel Schlechteres tun.' — Seht doch einmal am Flusse nach." Alle Leute liefen nun zum Flusse herab und begannen die Leichen der Kinder aufzusuchen. Sie begruben die toten Kinder.

Sie fischten auch die Leiche Ans heraus. Aber Leute, die an dieser Krankheit sterben, werden nicht begraben. Man setzt sie an einen Baum gelehnt auf einen Baumstumpf hin und läßt sie so. So setzten sie auch An nahe dem Dorfe hin. Dann gingen sie fort. Nach einiger Zeit kam eine Karawane von Djulla. Die Djulla stießen gegen die Leiche. Da fiel sie um. Die Kogoleute sahen das und sagten: "Ihr Djulla habt unseren Mann getötet. Zahlt uns sein Leben, oder wir werden euch all euere Waren wegnehmen." Die Djulla sagten: "Wir haben das nicht getan. Wir sind harmlose Djulla (Kaufleute). Wir tuen nicht solche schlechten Sachen." Die Leute von Kogo aber sagten: "Zahlt, oder wir nehmen euch euere Sachen." Da bezahlten die Djulla für den toten An den Preis eines Lebenden.


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